Entscheidungsdatum
31.01.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W142 2160788-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2017, Zl. 1070185105-150542795, nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen am 20.09.2017 sowie am 09.12.2019 zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
2005, BGBl. I Nr. 100/2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine somalische Staatsangehörige, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. In ihrer Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somali gab die BF zu ihren persönlichen Verhältnissen befragt an, in XXXX gewohnt zu haben, Moslem zu sein und der Volksgruppe der Ashraf anzugehören. Sie habe keine Ausbildung und sei Hausfrau gewesen. Sie sei verwitwet, ihr Mann sei 2005 verstorben. Sie gab an, in ihrer Heimat noch einen Sohn und eine Tochter zu haben, eine weitere Tochter lebe in London, Großbritannien. Befragt nach dem Fluchtgrund führte die BF aus, zu ihrer Tochter, die seit sieben Jahren in einem Krankenhaus in London behandelt werde, zu wollen.
3. Am 24.10.2016 wurde die BF durch das BFA in der Sprache Somali niederschriftlich einvernommen. Zu ihren persönlichen Angaben führte sie ergänzend aus, dass sie im Dorf XXXX , XXXX geboren und aufgewachsen sei, sunnitische Muslima sei und zum Clan der Ashraf, Unterclan der Hasan gehöre. Versorgt habe sie nach dem Tod ihres Mannes ihr Sohn, der Arbeiter und Träger gewesen sei. Die Kosten für die Ausreise aus Somalia habe ihre Cousine getragen, bei der sie auch kurz vor ihrer Flucht in Mogadischu gewohnt habe. Sie sei dann mit einem Flugzeug aus ihrer Heimat ausgereist.
Zu den Fluchtgründen befragt gab die BF wie folgt an (Fehler korrigiert):
[...]
F: Wenn ich nun aufgefordert werde meine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gebe ich an:
A: Wegen der Al-Shabaab habe ich Somalia verlassen. Sie haben gesagt, sie werden meine Tochter und meinen Sohn mitnehmen. Sie wollten meinen Sohn rekrutieren und wollten meine Tochter mitnehmen. Warum sie meine Tochter mitnehmen wollten, weiß ich nicht. Möglicherweise wollten sie sie zwangsverheiraten oder vergewaltigen. Sie haben mich geschlagen. Sie haben mich verprügelt, bis ich bewusstlos wurde. Sie haben mich aufgefordert meine Kinder herzubringen. Meine Kinder sind geflüchtet als sie gehört haben, dass Al-Shabaab sie verschleppen wollen. Die Leute von Al-Shabaab sind immer wieder zu mir gekommen und haben mich aufgefordert, die Kinder herzubringen. Nachdem ich die Kinder nicht mehr zurückbringen konnte und ich oft verprügelt wurde, habe ich meine Heimat Richtung MOGADISCHU verlassen. Das war der Grund warum ich Somalia verlassen habe. Sie haben gedroht mir den Kopf abzuschlagen.
Vorhalt: In Ihrer Erstbefragung haben Sie nichts von der Al-Shabaab erwähnt, sondern haben nur gesagt, dass Sie zu Ihrer Tochter nach LONDON Reisen wollen. Was sagen Sie dazu?
A: Zur Wahrheit ermahnt gebe ich an, dass ich so müde war an dem Tag. Deshalb habe ich nichts von der Al-Shabaab erzählt und ich hatte Angst vor der Polizei.
F: Wo sind Ihre Kinder in Somalia?
A: Zuletzt waren sie in Somalia. Sie sind vor der Al-Shabaab geflüchtet, wohin weiß ich nicht.
F: Wann war der Vorfall, wann wurden Ihre Kinder von der Al-Shabaab bedroht.
A: Das war im Jahr 2014. Meine Kinder sind dann ca. im Jänner 2014 geflüchtet.
Vorhalt: Wie konnten Sie ohne zu Arbeiten und ohne von Ihrem Sohn versorgt zu werden weiterleben?
A: Ich habe bei den Nachbarn gelebt. Ich habe nur mitgegessen bei den Nachbarn, aber mehr nicht.
Vorhalt: Das heißt Sie haben über ein Jahr ohne Geld gelebt?
A: Das war nicht ein Jahr. Das waren ca. zwei Monate, im März habe ich das Dorf verlassen.
Vorhalt: Sie gaben vorher an, dass Sie Ihr Dorf im April 2015 verlassen haben. Was sagen Sie dazu?
A: Ich habe Somalia 2014 verlassen. Ich war dann bis September 2014 in der Türkei und dann war ich bis zum 11. Mai 2015 in Griechenland.
F: Wo ist Ihre andere Tochter? Noch in LONDON?
A: Meine Tochter ist physisch und psychisch behindert geworden, das war auf Grund einer komplizierten Geburt. Das Kind hat sie in LONDON bekommen, es ist bei seinem Vater. Mein Schwiegersohn ist mit meinem Enkel und meiner Tochter in LONDON.
F: Warum hat Ihre Tochter Somalia verlassen und ist nun mit ihrer Familie in LONDON? Wann hat Ihre Tochter Somalia verlassen?
A: Sie war in Somalia nicht verheiratet und hat als kleines Mädchen mit meiner Cousine Somalia verlassen. Sie ist 2005 weg aus Somalia, nachdem ihr Vater, also mein Mann, gestorben ist. Ich wusste nicht, dass meine Cousine Somalia verlassen wollte. Meine Cousine hatte keine Kinder und sie hat mich gebeten ihr meine Tochter zu geben. Meine Cousine hat dann meine Tochter mitgenommen.
F: Wie haben Ihre Kinder davon erfahren, dass Sie von der Al-Shabaab gesucht werden.
A: Al-Shabaab sind zu uns gekommen.
F: Es ist nicht nachvollziehbar, das die Leute von Al-Shabaab zu Ihnen nach Hause kommen und ankündigen, dass Sie Ihre Kinder mitnehmen werden, wenn sie die Kinder gleich mitnehmen könnten.
A: Al-Shabaab hatte die Kontrolle in unserem Dorf, sie waren immer dort. Sie sind vorbeigekommen und haben gesagt, dass sie die Kinder mitnehmen werden. Meine Kinder hatten Angst und sind dann gleich geflüchtet. Al-Shabaab nehmen manchmal die Leute gleich mit, manchmal nicht. Sie machen was sie wollen und wie sie es wollen.
F: Haben Sie noch Kontakt zu irgendjemandem in Somalia?
A: Nein.
F: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Cousine in MOGADISCHU?
A: Nein, meine Cousine ist vor kurzem bei einem Anschlag ums Leben gekommen.
F: Wann war der Anschlag?
A: Das war damals als ich in der Türkei war.
F: Warum sind Sie nicht bei ihrer Cousine in MOGADISCHU geblieben?
A: Die Al-Shabaab Männer haben nach mir gesucht.
Vorhalt: Wie konnten Sie diese Männer in MOGADISCHU finden?
A: Egal wo man hingeht in Somalia, sie haben ihre Leute, sie können einen finden.
Vorhalt: Es ist nicht nachvollziehbar, dass Sie in MOGADISCHU gesucht werden, weil Sie Ihren Heimatort verlassen haben bzw. Ihre Kinder geflüchtet sind. Ihr Heimatort ist ca. 40 km außerhalb von MOGADISCHU. Was sagen Sie dazu?
A: Sie haben mich aufgefordert, die Kinder herzubringen. Sie haben mich geschlagen und haben mich am Kopf verletzt, sie haben mich bedroht und gesagt, dass sie mich köpfen werden. Sie habe nach mir gesucht, sie haben entschieden, mich zu töten.
F: Warum konnten Sie nicht in einem anderen Teil Somalias leben?
A: Egal wo man ist in Somalia, die Al-Shabaab hat ihre Leute überall. Sie werden dich finden und töten.
F: Haben Sie somit heute alle Fluchtgründe genannt?
A: Ja.
[...]
Die BF brachte außerdem ein Empfehlungsschreiben und eine Deutschkursteilnahme-bestätigung von Jugend am Werk sowie ein Empfehlungsschreiben über die Teilnahme an ehrenamtlichen Tätigeiten der Gemeinde XXXX ein.
5. Mit Bescheid vom 28.04.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Somalia zuerkannt (Spruchpunkt II.) und der BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 28.04.2018 erteilt (Spruchpunkt III.) Das BFA stellte fest, dass die BF Somalia verlassen habe, um zu ihrer Tochter nach Großbritannien zu gelangen und daher keine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht habe. Bei einer Rückkehr befände sich die BF aber in einer aussichtslosen Lage. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die BF eine konkret gegen ihre Person gerichtete Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft gemacht habe, da ihr Vorbringen weder genügend substantiiert war noch in sich schlüssig vorgebracht wurde. Sie hätte die behauptete Verfolgung der Al-Shabaab bei der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt, sondern erst in der niederschriftlichen Einvernahme vorgebracht. Darüber hinaus sei nicht nachvollziehbar, warum Al-Shabaab ihre Kinder mitnehmen habe wollen, es aber nicht sogleich getan habe und dadurch der BF die Möglichkeit zur Flucht gegeben habe. Jedoch könne nicht ausgeschlossen werden, dass die BF als alleinstehende Frau ohne familiäres Netzwerk im Falle einer Rückkehr nach Somalia keiner ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrheit ausgesetzt wäre.
6. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. erhoben. Darin wurde ausgeführt, dass der Spruchpunkt I. aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens und infolge dessen einer mangelhaften Beweiswürdigung erlassen wurde und daher unzulässig sei. Es seien veraltete und unzulängliche Länderberichte eingebracht worden. Darüber hinaus habe sich das BFA unzureichend mit dem Fluchtvorbringen auseinandergesetzt und tiefgreifende Ermittlungen unterlassen. Die Beweiswürdigung setze sich lediglich aus Textbausteinen sowie einer Zusammenfassung des Vorbringens der BF zusammen, daher fehle es auch an einer Begründung für die Feststellung, dass keine Verfolgung vorliege. Außerdem zähle die BF mangels familiärer Anknüpfungspunkte zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen, weshalb sie bei ihrer Rückkehr einer Verfolgung durch die Al-Shabaab ausgesetzt wäre. Daher leide der Bescheid an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit.
7. Am 20.09.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für die Sprache Somali statt, an der das BFA entschuldigt nicht teilnahm. Die BF führte aus, im März 2014 ihr Dorf verlassen zu haben und Anfang April mit dem Flugzeug aus Mogadischu in die Türkei geflogen zu sein. In Mogadischu habe sie bei ihrer Cousine gewohnt, die aber inzwischen verstorben sei. In Istanbul habe sie etwa vier Monate verbracht, in Griechenland sei sie von September 2014 bis 11.05.2015 gewesen.
Befragt zur ihren Fluchtgründen gab die BF folgendes an (Fehler korrigiert):
[...]
R: Was war der Grund, dass Sie Ihr Heimatdorf verlassen haben?
BF: Ich bin vor Al Shabaab geflüchtet.
R: Können Sie mir Ihren Grund näher beschreiben?
BF: Ich hatte dort eine Tochter und einen Sohn. Das ist eine andere Tochter, nicht die in London. Al Shabaab wollten meinen Sohn und meine Tochter mitnehmen.
R: Wie alt ist Ihr Sohn?
BF: Er war 29 als ich weggegangen bin.
R: Können Sie mir ein genaues Geburtsdatum nennen?
BF: Ich kann das nicht genau sagen. Ich komme aus dem Dorf. Ich weiß nur so wie sein Alter ist.
R: Wie heißt Ihr Sohn?
BF: XXXX .
R: Wie heißt Ihre Tochter?
BF: XXXX .
R: Wie alt ist Ihre Tochter?
BF: Sie war damals 22.
R: Ein näheres Geburtsdatum Ihrer Tochter wissen Sie auch nicht?
BF: Nein.
R: Wo befinden sich jetzt Ihr Sohn und Ihre Tochter?
BF: Als ich meine Kinder zuletzt gesehen habe, war es Jänner 2014. Sie sind vor Al Shabaab geflüchtet und seitdem weiß ich nichts mehr von ihnen.
R: Sind Sie selbst konkret von den Al Shabaab bedroht worden?
BF: Ja. Sie haben mich und die Kinder bedroht.
R: Wieso hat man Sie bedroht?
BF: Sie wollten mir meine Kinder wegnehmen. Nachdem die Kinder aus dem Dorf geflüchtet sind, sind sie zu mir gekommen. Ich sollte ihnen die Kinder bringen.
R: Wann sind die Al Shabaab das erste Mal zu Ihnen und Ihren Kindern in Ihr Heimatdorf gekommen?
BF: Das war im Jänner 2014. Sie waren schon vorher im Dorf, aber im Jänner 2014 wurden wir attackiert.
R: Was meinen Sie mit attackiert?
BF: Sie haben nach uns gesucht.
R: Wieso hat man Sie gesucht?
BF: Sie wollten die Kinder.
R: Was wollten sie mit den Kindern?
BF: Sie wollten die Kinder mitnehmen und rekrutieren, sie wollten sie zu ihren Soldaten machen.
R: Können Sie genau den Vorfall beschreiben, wie im Jänner 2014 die Al Shabaab zu Ihnen und Ihren Kindern in Ihr Heimatdorf gekommen sind?
BF: Sie sind zu uns nach Hause gekommen. Sie sagten, dass sie den Sohn nehmen und ihn rekrutieren. Sie wollten die Tochter auch mitnehmen. Die Al Shabaab machen mit den Frauen was sie wollen, sie vergewaltigen sie auch.
R: Wie viele Al Shabaab-Leute sind zu Ihnen gekommen?
BF: Es waren 5 Männer.
R: Beschreiben Sie die Situation näher, als die 5 Männer zu Ihnen gekommen waren.
BF: Sie sind zu uns gekommen und haben mir gesagt, dass sie die Tochter und den Sohn mitnehmen. Ich habe gesagt, sie sollten sie nicht mitnehmen, ich hätte nur diese zwei Kinder.
R: Wo haben sich Ihre Kinder befunden, als die fünf Männer zu Ihnen gekommen sind?
BF: Mein Sohn war arbeiten, auf einem Feld, er war Träger, und die Tochter war zu Hause.
R: Was haben die Männer dann gemacht, als Sie gesagt haben, dass sie die Kinder nicht mitnehmen sollen?
BF: Sie sagten, dass sie sie auch gewaltsam mitnehmen würden und mich keiner fragen würde. Sie sind dann weggegangen.
R: Wieso haben sie dann Ihre Tochter nicht gleich mitgenommen, wenn sie zu Hause war?
BF: Ich glaube, sie wollten die beiden auf einmal mitnehmen.
R: Wann sind die Al Shabaab Leute zum zweiten Mal gekommen?
BF: Nach einigen Tagen sind sie wiedergekommen.
R: Nach wie vielen Tagen?
BF: Ich habe es nicht gezählt, aber es war nicht lange danach.
R: Wie viele Al Shabaab-Männer sind beim zweiten Mal gekommen?
BF: Drei.
R: Zu diesem Zeitpunkt waren Ihre Kinder wo aufhältig?
BF: Sie waren bereits aus dem Haus geflüchtet.
R: Wann genau sind Ihre Kinder aus dem Haus geflüchtet, wie viele Tage sind vergangen, nachdem die Al Shabaab zum ersten Mal zu Ihnen gekommen sind?
BF: Ich kann mich nicht erinnern.
R: Wohin sind Ihre Kinder geflüchtet?
BF: Bis jetzt weiß ich es nicht.
R: War Ihre Tochter nicht verheiratet?
BF: Nein.
R: War Ihr Sohn verheiratet?
BF: Nein.
R: Sind Sie verheiratet?
BF: Ich bin verwitwet.
R: Wann ist Ihr Mann gestorben?
BF: 2005.
R: Was haben die Al Shabaab Leute gemacht, als Sie das zweite Mal zu Ihnen gekommen sind und Ihre Kinder bereits geflüchtet waren?
BF: Sie haben mir gedroht, dass sie mich schlagen werden, wenn ich die Kinder nicht herbringe.
R: Was ist weiter passiert?
BF: Sie sind dann gegangen. Nach einigen Tagen sind sie dann wieder zu mir gekommen. Sie haben mich dann geschlagen, bis ich zu Boden gefallen bin. Das war Anfang März 2014.
R: Wie viele Männer sind das dritte Mal zu Ihnen gekommen?
BF: Es waren viele, ich habe sie nicht gezählt. Gleich beim Reinkommen haben sie gefragt wo mein Sohn und meine Tochter sind.
R: Was haben die Al Shabaab Leute gemacht, nachdem sie geschlagen wurden und zu Boden gefallen sind?
BF: Sie haben mich geschlagen und sind dann gegangen. Vorher haben sie gesagt, ich müsse die Kinder herbringen, ansonsten würde ich geköpft werden.
R: Dann haben Sie Ihr Heimatdorf verlassen?
BF: Ja.
R: Als Sie zu Boden gefallen sind, wurden Sie da verletzt?
BF: Ich wurde an zwei Stellen am Kopf verletzt, ich habe zwei Narben davongetragen. Eine Narbe befindet sich am Hinterkopf und eine links am oberen Kopfteil.
R: Womit wurden Sie geschlagen?
BF: Mit einem Stock auf den Rücken und mit einem Gewehrkolben am Kopf.
R: Sie müssen ja dann stark geblutet haben, wer hat Ihnen geholfen?
BF: Die Nachbarn.
R: Können Sie mir die Namen der Nachbarn nennen?
BF: Der Mann hieß XXXX und seine Frau XXXX .
...
Erörtert wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, Stand 27.06.2017. Des Weiteren wird ein Bericht des Immigration und Refugee Board of Canada betreffend Informationen über den Ashraf-Clan zum Akt genommen.
Dazu gibt der BFV an: Als verwitwete alleinstehende und ältere Frau ohne Clanschutz gehört die BF einer sozialen Gruppe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention an. Ich lege dazu zwei Auszüge von der Rechtsprechung des BVwG vor. (Diese wird als Beilage F zum Akt genommen.) Die BF wird außerdem auf Grund ihrer unterstellten politischen Gesinnung, wegen der Weigerung ihre Kinder den Al Shabaab zu übergeben, verfolgt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH auf Grund des bereits gewährten subsidiären Schutzes auszuschließen.
[...]
Vorgelegt wurden außerdem Auszüge aus Google-Maps, betreffend das Heimatgebiet der BF. Des Weiteren wurde ein Bericht des ersten Quartals 2017, eine Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project zum Akt genommen.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.12.2019 eine weitere öffentliche, mündliche Verhandlung durch, an der das BFA entschuldigt nicht teilnahm. Befragt nach ihrer in Großbritannien lebenden Tochter gab die BF an, dass diese seit etwa 9 oder 10 Jahren krank und im Spital sei und sie gerne zu ihrer Tochter reisen wolle. Zu den Fluchtgründen befragt machte die BF im Wesentlichen die gleichen Angaben wie in der Beschwerdeverhandlung vom 20.09.2017 und berichtete, dass Männer von Al-Shabaab zu ihr nach Hause gekommen seien und ihre Kinder mitnehmen haben wollen. Daher seien ihr Sohn und ihre Tochter geflüchtet. Die Männer wären insgesamt drei Mal gekommen und hätten sie bedroht und schließlich auch geschlagen. Daher sei auch sie aus Somalia geflohen.
Mit der BF wurde das LIB der Staatendokumentation vom 17.09.2019, Somalia, erörtert.
Dazu gab der BFV wie folgt an:
Die BF ist eine alleinstehende, verwitwete, ältere Frau, die über keine Familienangehörigen in Somalia verfügt; insbesondere über keine männlichen Verwandten, die ihr Schutz bieten könnten. Die BF ist Analphabetin, hat keine Berufsausbildung absolviert und hat in sehr ärmlichen Verhältnissen gelebt. Es besteht daher ein hohes Risiko, dass die BF als IDP im Falle einer Rückkehr in einem entsprechenden Lager gehen müsste und dort Opfer von physischer sowie psychischer, sowie geschlechtsspezifischer Gewalt werden würde. Hiervor kann sie auch ihr eigener Clan nicht schützen. Laut den Länderberichten sind vor allem alleinerziehende Frauen und Kinder innerhalb der bereits als benachteiligten Gruppen der IDPs besonders gefährdet und ergibt sich dadurch für die BF eine aktuelle und maßgebliche Verfolgungsgefahr.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF trägt den Namen XXXX , ist Staatsangehörige von Somalia, Zugehörige zum Clan der Ashraf und Unterclan der Hasan. Sie bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.
Sie wurde am XXXX in XXXX , in XXXX geboren und hat dort bis kurz vor ihrer Ausreise aus Somalia gelebt. Die BF ist Analphabetin, hat keine Schule oder Berufsausbildung absolviert und ist Hausfrau.
Die BF ist verwitwet, ihr Mann ist nach Krankheit im Jahr 2005 in Somalia verstorben. Ihre jüngste Tochter hat Somalia 2005 mit der Cousine der BF verlassen. Seitdem lebt sie in London, Großbritannien, ist verheiratet und hat ein Kind. Aufgrund von Komplikationen bei der Geburt ihres Kindes ist sie krank geworden und derzeit im Spital in London aufhältig. Die BF hat außerdem noch einen Sohn und eine weitere Tochter. Der Aufenthaltsort der beiden Geschwister konnte nicht festgestellt werden. Die BF hat außerdem noch einen Bruder und eine Schwester. Deren Aufenthaltsort konnte nicht festgestellt werden.
Im April 2015 reiste die BF von Mogadischu mit dem Flugzeug nach Istanbul, von wo aus sie über Griechenland ihre Reise nach Europa fortsetzte. Am 21.05.2015 stellte sie daraufhin nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Die BF verfügt sohin über keine Familienangehörigen in Somalia. Die BF muss als alleinstehend, insbesondere ohne männlichen Schutz und ohne ausreichendes familiäres Netzwerk angesehen werden. In diesem Zusammenhang muss weiters davon ausgegangen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr als IDP in ein entsprechendes Lager gehen müsste.
Die BF gehört in Somalia der Gruppe der alleinstehenden Frauen an, denen geschlechtsspezifische Gewalt droht. Eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr ist damit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Somalia gegeben.
Sie ist um eine Integration in Österreich sehr bemüht und in Österreich nicht straffällig geworden. Sie hat Deutschkurse besucht und mehrmals bei Gemeindearbeiten mitgeholfen.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia wird festgestellt:
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).
Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).
Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen "indirekten Staat", in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).
Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).
Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).
Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).
Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).
Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).
Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).
Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).
Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).
Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).
Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance:
Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) - und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).
Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).
Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).
Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed "Lafta Gareen" ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat - der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow - war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans - v.a. in Middle Shabelle - haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle "Haaf" wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed "Haaf" weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019
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AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle:
Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
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AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
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AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail
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Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019
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