TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/12 W274 2217933-1

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Veröffentlicht am 12.03.2020
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Entscheidungsdatum

12.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2

Spruch

W274 2217934-1/8E

W274 2217932-1/8E

W274 2217933-1/6E

W274 2217935-1/6E

Gekürzte Ausfertigung gemäß § 29 Abs 5 VwGVG

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX (BF1), geb. XXXX , XXXX (BF2), geb. XXXX , mj. XXXX (BF3), geb. XXXX , und mj. XXXX (BF4), geb. XXXX alle iranische Staatsbürger, XXXX , BF3 und BF 4 vertretend durch die Eltern BF1 und BF2, alle vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin, Burggasse 116/17-19, 1070 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 14.3.2019, Zl. 1126574902-161132282 (BF1), 1126573502 - 161132452 (BF2), 1126450807 - 161132533 (BF3) und 1126450905 - 161132657 (BF4), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Den Beschwerden wird Folge gegeben und XXXX (BF1) und XXXX (BF2) gemäß § 3 Abs. 1 AsylG sowie mj. XXXX (BF 3) und mj. XXXX (BF4) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX (BF1), XXXX (BF2), mj. XXXX (BF 3) und mj. XXXX (BF4) damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Bei den BF handelt es sich um eine Familie, die etwa im März 2016 den Iran verließ und zunächst über die Türkei ohne gültige Reisedokumente nach Bulgarien einreiste. Die BF gaben sowohl in Bulgarien als auch in Ungarn Fingerabdrücke ab. In Bulgarien hielt sich die Familie zunächst einen guten Monat lang auf. Danach reiste sie über die "Balkanroute" weiter nach Österreich, wo sie im August 2016 ohne gültige Reisedokumente einreiste. Die BF beantragten in Österreich erstmals am 16.08.2016 nach einem missglückten Einreiseversuch nach Deutschland vor dem PAZ Wels internationalen Schutz.

Der BF1 gab als Fluchtgrund an, die Parteien seien auf einer Reise in die Türkei gewesen und hätten per Telefon erfahren, dass der Schwager der Frau vergiftet worden sei, weil er Christ geworden sei. Der BF1 habe auch vom Islam zum Christentum konvertieren wollen, dabei sei er auch bedroht worden. Nachdem er dadurch Angst bekommen habe, habe er die Türkei, wo er gerade mit der Familie auf Urlaub gewesen sei, verlassen.

Die BF2 gab an, sie habe vom Islam zum Christentum konvertieren wollen, weil sie die Verschleierung nicht eingehalten habe, sie sie zwei Tage eingesperrt und weiter bedroht worden. Wegen der Konvertierung sei auch ihr Bruder vergiftet worden. Nachdem sie Angst um ihr Leben gehabt habe, habe sie ihr Heimatland verlassen.

Der BF1 wurde erstmals am 13.02.2016 vor der Erstaufnahmestelle Traiskirchen vom BFA im Zulassungsverfahren befragt.

Mit Bescheiden des BFA vom 17.01.2017 wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und die Außerlandesbringung angeordnet sowie eine Abschiebung nach Bulgarien für zulässig erklärt.

Dagegen gerichtete Beschwerden wurden mit Erkenntnis des BVwG vom 09.02.2017 abgewiesen.

Am 07.03.2017 erfolgte eine eskortierte Überstellung nach Bulgarien.

Nach Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis des VwGH vom 13.12.2017 das Erkenntnis des BVwG aufgehoben, weil eine Überstellung von vulnerablen Personen zum damaligen Zeitpunkt nach Bulgarien nicht als unbedenklich erachtet wurde.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 12.01.2018 wurde den Beschwerden der Parteien betreffend das Zulassungsverfahren stattgegeben und das Asylverfahren zugelassen.

Die BF reisten etwa im September 2018 neuerlich nach einer "Grenzempfehlung" nach Österreich ein.

Ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz der BF1 und BF2, auch für die BF3 und BF4, wurde am 21.09.2018 vor der Polizeiinspektion Schwechat protokolliert. Der BF1 verwies auf die ursprünglichen Fluchtgründe.

Der BF1 wurde am 09.01.2019 vor dem BFA niederschriftlich vernommen, die BF2 am 19.02.2019. Der BF1 verwies auf eine zwischenzeitlich erfolgte Taufe.

Mit den angefochtenen Bescheiden vom 14.03.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen, die Abschiebung und den Iran für zulässig erklärt und Ausreisefristen gesetzt.

Gegen diese Bescheide richten sich die Beschwerden der BF wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts mit den primären Anträgen, den BF Asyl zu gewähren.

Die Beschwerden sind im Ergebnis berechtigt:

Auf Grund des Akteninhalts im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung und den darin vorgelegten Urkunden steht folgender Sachverhalt fest:

Der BF1 und die BF2 haben etwa 2008 geheiratet. Der Ehe entstammen die minderjährigen BF3 und BF4. Die Familie lebte in der Umgebung von Teheran. Der BF1 war Fleischhauer und Tierzüchter. Die BF1 und BF2 wurden schiitisch-muslimisch erzogen. Die BF2 wurde dreimal in Zusammenhang mit nicht ordnungsgemäßem Tragen des Hijab durch die Behörden beanstandet, zuletzt 2016.

Nicht festgestellt werden konnte eine christliche Vorbringung der BF1 und BF2 im Iran. Insbesondere auf Grund der Behördenprobleme in Zusammenhang mit dem Hijab forderte die BF2 vom BF1 die gemeinsame Ausreise der Familie in Richtung der bereits seit längerem in England lebenden Brüder der BF2.

Im Rahmen der Ausreise Richtung Bulgarien erfolgte dort etwa ein einmonatiger Aufenthalt unter prekären Bedingungen. Der BF1 leidet seit etwa 2008 an Hepathitis, die medikamentös unter Kontrolle gebracht war, auf der Reise durch Europa aber mangels von Medikamenten zu gröberen Problemen führte. In Bulgarien wurden die BF nach einer etwa einwöchigen Haft von einem iranischen Pastor in eine christliche Gemeinde eingeladen, wo sie im Wesentlichen erstmals Kontakt mit christlichen Gottesdienstfeiern hatten.

In Österreich fand der BF1 recht rasch über andere Iraner zu zwei christlichen Gemeinden, deren Namen ihm nicht erinnerlich sind, es dürfte sich um freikirchliche Gemeinden in Wien gehandelt haben. Relativ rasch und nach kurzer Taufvorbereitung erfolgte am 4. Dezember 2016 eine Taufe des BF1 durch "The Church of Acts". Auf dem "Baptism Certificate" ist weder der Ort ersichtlich, noch ein gedruckter Name des Taufspenders. Es handelt es sich um eine in Österreich nicht anerkannte Kirche oder Bekenntnisgemeinschaft. Die BF2 und die Kinder waren bei der "Taufe" nicht dabei. Die BF2 interessierte sich zum damaligen Zeitpunkt nicht für die Aktivitäten ihres Mannes und war mit den Alltagssorgen nach dem als traumatisch erlebten Aufenthalt in Bulgarien und der Reise beschäftigt.

Nach der Rückführung nach Bulgarien besuchten die BF in Sofia in einer gewissen Regelmäßigkeit am Sonntag Gottesdienste in der farsisprachigen Gemeinde jenes Pastors, den sie beim ersten Aufenthalt kennengelernt hatten. Etwa nach acht Monaten reiste die Familie nach Serbien weiter, wo ein mehrmonatiger Aufenthalt in einem Flüchtlingslager an der serbisch-kroatischen Grenze erfolgte. Die BF1 und BF2 besuchten dort gelegentlich Gottesdienste.

Nach der Wiedereinreise nach Österreich kam die Familie etwa nach einem Monat in den kleinen niederösterreichischen Ort Opponitz, wo sie Kontakt zur dortigen römisch-katholischen Pfarre suchte und fand. Es folgte eine Integration in die Pfarrgemeinde, wobei es sich bei der Familie um die einzigen iranischen Kirchenbesucher dort handelt. Die BF3 besucht den katholischen Religionsunterricht und plant heuer zur Erstkommunion zu gehen. Der BF1 und die BF2 besuchen einen individuell gestalteten Taufvorbereitungskurs. Die Taufe des BF1 wurde nach amtlicher Prüfung durch die Organe der katholischen Kirche als nicht gültig erachtet, sodass eine Taufe des BF1 und der BF2 im April 2020 geplant ist. Es sollen dabei auch die Kinder getauft werden. Der BF1 und die BF2 wurden formal als Katechumenen durch die katholische Kirche aufgenommen, Taufpaten bereits benannt. Ein näherer Kontakt mit örtlichen Familien besteht.

Es ist glaubhaft, dass der BF1 und die BF2 den christlichen Glauben soweit angenommen haben, dass sie diesen auch unter geänderten Verhältnissen, wie einer Rückkehr in den Iran, innerlich und äußerlich ausleben würden.

Die Feststellungen beruhen insbesondere auf den ausführlichen Vernehmungen der BF 1 und BF 2 im Rahmen der Gerichtsverhandlung vor dem Hintergrund der einleitend dargestellten Umstände (Ausweisung, Aufenthalte in verschiedenen Ländern). Dabei gelang es vor allem der BF2 sehr klar und deutlich den Weg der Konversion darzustellen. Sie machte nicht den Versuch, dafür Umstände im Iran ins Treffen zu führen. Sie gab klar und nachvollziehbar an, von den Problemen im Zusammenhang mit der Kleidung im Iran genug gehabt zu haben. Sie lernte das Christentum erstmals in Bulgarien kennen und hatte erst im Rahmen des zweiten Bulgarienaufenthalts, durch die dort verbrachte lange Zeit und das Abweichen des tatsächlichen Aufenthalts von den Plänen, Gelegenheit und Grund, sich mit Glaubensfragen, insbesondere mit dem Christentum zu beschäftigen. Gerade angesichts dessen, dass sie auch in Österreich auch zunächst zögerte, hatte der Richter den Eindruck, dass sie die tatsächlichen Verhältnisse unumwunden darstellte. Ein gewisses Glaubenswissen wurde bereits vor dem BFA deutlich und hat sich zwischenzeitlich verstärkt. Zwar liegt keine unmittelbare Zeugenaussage vor. Es wurden aber Urkunden vorgelegt, aus denen sich eine engmaschige "christliche Umgebung" in Opponitz ergibt. Auf Grund der Kleinheit der Gemeinde und der Tatsache, dass es sich um die einzige dort aktive iranische Familie handelt, kann davon ausgegangen werden, dass die Familie "unter Beobachtung steht". Ein individuelles Zeugnis der Integration in die Pfarre ergibt sich aus den ausführlichen Schreiben von Pater Mag. XXXX, der auch vorgesehener Taufspender ist. Durch mehrfache Unterstützungsschreiben auch der Gemeinde Opponitz werden Lebensumstände dargetan, die einer christlichen Lebensweise jedenfalls nicht entgegenstehen. Der BF1 und die BF2 sind unbescholten. Auch die Befragung zur persönlichen Glaubenspraxis (Lieblingsstellen aus der Bibel, persönliches Gebet), machen eine zwischenzeitliche erfolgte innere Konversion glaubhaft.

Rechtlich folgt:

Vor dem Hintergrund der Länderberichte zum Iran liegt daher betreffend den BF1 und die BF2 originär und betreffend die BF3 und den BF4 der Nachfluchtgrund der inneren Konversion vor, sodass die Feststellung von Fluchtgründen im engeren Sinn dahinstehen konnten. Für dieses Verfahren relevante Umstände betreffend den Bruder der BF2 (Tötung im Hinblick auf eine Konversion) kamen nicht hervor.

Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass zur inneren

Konversion insbesondere im Zusammenhang mit Iran gesicherte Rechtsprechung vorliegt und im Wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen waren.

Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.

Schlagworte

Asylberechtigter, Asylgewährung, Familienverfahren,
Flüchtlingseigenschaft, gekürzte Ausfertigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2217933.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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