Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schöll als Schriftführer in der Strafsache gegen Barbara S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Juni 2019, GZ 51 Hv 98/18f-187, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über den Verfall aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit ihrer gegen den Verfallsausspruch gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Berufung werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Barbara S***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie in W***** und andernorts von 2006 bis zum 31. Dezember 2013 als Geschäftsführerin der S***** GmbH mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gewerbsmäßig Verfügungsberechtigte der St***** in 59 Angriffen (I./) und Verfügungsberechtigte des Ö***** (II./) durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die den genannten Verein und das genannte Unternehmen um einen insgesamt 300.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, indem sie die Genannten durch die Verrechnung von tatsächlich nicht entstandenen Fremdkosten und darauf beruhenden Provisionen sowie von tatsächlich nicht erbrachten Eigenleistungen zur Bezahlung von überhöhten Rechnungsbeträgen in Gesamthöhe von 575.052,54 Euro (US 27 und 30) verleitete.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und Z 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
Entgegen der – ohne Bezugnahme auf die konkrete Fundstelle ausgeführten (vgl aber RIS-Justiz RS0124172) – Verfahrensrüge (Z 4) konnte der in der Hauptverhandlung am 27. Juni 2019 „zum Beweis dafür, dass die Angeklagte die ihr vorgeworfenen Taten nicht zu verantworten hat,“ gestellte Antrag auf „Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens“ (ON 186 S 77 f), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden (ON 186 S 79 f), weil er – auch mit dem Hinweis auf die dem Sachverständigen „umfangreich zur Verfügung gestellten Unterlagen“ und die aus diesen vorzunehmende „Zuordnung der gesetzten Handlungen und Tätigkeiten bezüglich der involvierten Unternehmen“ – nicht erkennen ließ, warum die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lassen sollte, und solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet war (RIS-Justiz RS0118444).
Die Mängelrüge (nominell Z 5 fünfter Fall) bringt mit den Hinweisen auf die dem Gutachten des Sachverständigen Dkfm. Mag. J***** (ON 186 S 27 ff [iVm ON 88, 108, 178 und 184]) zugrunde liegenden, jeweils von der Angeklagten gefertigten Rechnungen der S***** GmbH, in denen keine Fremdkosten angeführt werden, weder eine – Aktenwidrigkeit begründende – (erheblich) unrichtige oder unvollständige Wiedergabe des Inhalts dieser Urkunden (vgl RIS-Justiz RS0099547) noch einen (aus Z 5 dritter Fall relevanten) Widerspruch zwischen den Feststellungen der Tatrichter über entscheidende Tatsachen (US 14 ff) und den dazu (auf US 31 ff) angestellten Erwägungen zur Darstellung. Denn das Erstgericht ging gar nicht von einer detaillierten Aufschlüsselung der entstandenen Fremdkosten durch die Angeklagte aus (US 14 [erster Absatz]). Gleiches gilt für das Vorbringen betreffend das von der Angeklagten als Generalunternehmerin dem Ö***** gelegte Angebot (US 28 ff und 39 ff).
Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) macht das Vorbringen nicht deutlich, weshalb die von den Tatrichtern aus dem Gutachten des Sachverständigen in Verbindung mit den Angaben der Zeugen Günter L***** (US 34 f), Christoph M***** (US 35), Mag. Andrea P***** (US 35 f), Mag. Raoul La***** (US 36 f) und Dr. Roland La***** (US 37) gezogenen Schlussfolgerungen zur Verrechnung von tatsächlich nicht erbrachten Leistungen (vgl US 31 ff, zusammenfassend US 39) sowie jene zur Täuschung der Verantwortlichen des Ö***** (US 29 f und 39 ff) den Kriterien folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS-Justiz RS0099413) widersprechen sollten. Dabei haben die Tatrichter auch die Angaben der Angeklagten berücksichtigt (Z 5 zweiter Fall), sie jedoch als Schutzbehauptungen verworfen (US 33 f) und auch jene der Zeugin Andrea Sc***** nicht als zur Entlastung geeignet erachtet (US 37 f und 41).
Indem die Beschwerdeführerin (nominell aus Z 9 lit a) unter Hinweis auf ihre eigenen Angaben, die von ihr gelegten Rechnungen und die „zivilrechtlichen Grundsätze“ sowie die „getroffenen Vereinbarungen“ für sich günstigere Schlussfolgerungen im Tatsächlichen fordert, beschränkt sie sich darauf, nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts zu bekämpfen.
Das Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu einer fehlenden Täuschung der Verantwortlichen der St***** und zum Vorliegen eines „nicht relevanten Kalkulationsirrtums“ orientiert sich nicht an den gegenteiligen Konstatierungen der Tatrichter (US 11, 13 ff, 28 f und 30) und verfehlt damit den Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).
Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Verteidigung – zurückzuweisen.
Aus deren Anlass war eine dem Ausspruch über den Verfall anhaftende, von der Angeklagten nicht geltend gemachte und sich zu ihrem Nachteil auswirkende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO):
Gemäß § 20 Abs 1 und 3 StGB wurde ein von der Angeklagten „durch die zur Verurteilung gelangten Straftaten“ (sohin über den gesamten Tatzeitraum von 2006 bis zum 31. Dezember 2013) erlangter Geldbetrag in Höhe von 575.052,54 Euro für verfallen erklärt (US 10 und 45).
Damit hat das Erstgericht diese – erst mit 1. Jänner 2011 in Kraft getretene (vgl BGBl I 2010/108) – vermögensrechtliche Anordnung auch auf Erlöse aus vor diesem Zeitpunkt begangene Taten angewandt. Die damals geltende Vorgängerbestimmung (§ 20 StGB idF BGBl I 2002/134 [„Abschöpfung der Bereicherung“]) sah eine Berechnung des abzuschöpfenden Betrags nach dem sogenannten Nettoprinzip, den Ausschluss der Abschöpfung soweit der Bereicherte zur Befriedigung zivilrechtlicher Ansprüche aus der Tat verurteilt oder die Bereicherung durch andere rechtliche Maßnahmen beseitigt wurde (vgl RIS-Justiz RS0129916) und eine – im geltenden Recht nicht übernommene – „Härteklausel“ (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB idF BGBl I 2004/136) vor.
Der Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB) ist bei Realkonkurrenz (auch bei Subsumtionseinheiten nach § 29 StGB) für jede Tat gesondert vorzunehmen (RIS-Justiz RS0119545 [T10]). Da die Tatrichter – ersichtlich mangels Auseinandersetzung mit sämtlichen Voraussetzungen der unterschiedlichen vermögensrechtlichen Anordnungen – keine Feststellungen dazu getroffen haben, ist die Anwendung des Verfalls auf alle erlangten Geldbeträge rechtsfehlerhaft (vgl dazu RIS-Justiz RS0119545 [T5, T8 und T9]), was zur Aufhebung dieses Ausspruchs zwingt.
In diesem Umfang war das Urteil daher aufzuheben, und es war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts zu verweisen (§ 445 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0100271 [T13, T14]).
Mit ihrem auf den Verfallsausspruch bezogenen Rechtsmittelvorbringen war die Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.
Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gerichtete Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E127678European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00137.19I.0304.000Im RIS seit
30.03.2020Zuletzt aktualisiert am
30.03.2020