TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/29 W232 2209789-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.11.2019
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Entscheidungsdatum

29.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W232 2209791-1/10E

W232 2209788-1/10E

W232 2209789-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1)

XXXX alias XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX alias XXXX , geb. XXXX und

3)

XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2018, zu den Zlen. 1) 1111850405-160546518, 2) 1111830805-160546160 und 3) 1159183102-170793091 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX alias XXXX , XXXX alias XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 und XXXX alias XXXX , XXXX alias

XXXX und XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 29.11.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer reiste gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten sie am 17.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 18.04.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nach dem AsylG 2005 statt. Der Erstbeschwerdeführer gab an, am XXXX geboren zu sein.

Dabei gaben sie an, Staatsangehörige Afghanistans zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glauben zu haben. Sie seien nach islamischen Recht verheiratet und hätten Afghanistan vor zwei Monaten verlassen. Zu seinen Fluchtründen gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, vor ca. einem Jahr gegen den Willen seiner Familie seine jetzige Frau nach islamischem Recht geheiratet zu haben. Er habe sich gegen den Willen der Familie durchgesetzt und habe unter großen Schwierigkeiten seine Entscheidung verteidigt. Nach der Heirat sei seine Frau von Familienmitgliedern belästigt und auch bedroht worden. Deshalb hätten sie beschlossen Afghanistan zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, dass seiner Frau etwas passieren könnte. Er habe sich, jedoch nicht seine Frau, verteidigen können. Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihrem Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass sie ihren Mann vor ca. einem Jahr nach islamischem Recht geheiratet habe, wobei die Familie ihres Mannes gegen diese Heirat gewesen sei. Ihre Schwiegermutter habe sie psychisch zerstört, sie sei ständig belästigt worden und habe die Befürchtung gehabt, dass ihr die Familie ihres Mannes etwas antue. So hätten sie beide beschlossen, Afghanistan zu verlassen. Bezüglich ihrer Rückkehrbefürchtungen im Falle einer Rückkehr brachte sie vor, dass sie Angst davor habe, dass ihr die Familienangehörigen ihres Mannes wegen dieser Heirat etwas antun würden.

3. Mit Verfahrensanordnung vom 28.07.2016 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass dem Erstbeschwerdeführer für das weitere Verfahren das Geburtsdatum XXXX zugewiesen werde, da sich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens dieses als spätestmögliches fiktives Geburtsdatum ergebe.

4. Die Drittbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte ihre Mutter, die Zweitbeschwerdeführerin, im Wege der gesetzlichen Vertretung am 06.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz für ihn. Dabei wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Dem Antrag wurden die Kopie eines Meldezettels und eine Geburtsurkunde beigelegt sowie die Beurkundung betreffend die Anerkennung des Erstbeschwerdeführers als Vater durch die Mutter.

5. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.05.2018 gab der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie Afghanistan verlassen hätten, da sich seine Familie gegen seine Frau gestellt habe, weil er seine Frau gegen den Willen seiner Familie ausgesucht habe. Seine Frau, die Zweitbeschwerdeführerin, sei in deren Haus nicht frei gewesen, sie sei ausgebeutet worden und habe schwer im Haus seiner Eltern gearbeitet. Sie habe nicht nach eigenem Wunsch ihre Eltern besuchen können. Während der Erstbeschwerdeführer bei der Arbeit gewesen sei, wäre seine Frau schikaniert und geschlagen worden. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten aus Liebe geheiratet. Er sei in der schwächeren Position gewesen und habe er sie nicht verteidigen können. Sein Vater habe ihm sein Geld weggenommen und nichts davon für den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ausgegeben, weshalb eine Feindschaft entstanden sei. Sie hätten sich von seiner Familie und von Afghanistan getrennt. Die Zweitbeschwerdeführerin sei mit ihrer Geduld am Ende gewesen und habe Geld von ihren Schwiegereltern genommen, sei in ihr Elternhaus gegangen und habe den Erstbeschwerdeführer ins Elternhaus bestellt. Aufgrund dieser Erlebnisse hätten sie den Entschluss zur Ausreise gefasst.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Wesentlichen im Rahmen der niederschriftlichen Befragung am selben Tag wie der Erstbeschwerdeführer vor, dass sie von der Familie ihres Mannes sehr schlecht behandelt worden sei. Ihr Schwiegervater sei besonders streng religiös gewesen und habe sie nicht hinausgehen dürfen. Wenn sie hinausgegangen sei, habe sie eine Burka tragen müssen. Im Haus der Familie ihres Mannes habe sie wie ein Dienerin arbeiten müssen und sei, wenn sie die Hausarbeiten nicht richtig ausgeführt habe oder ein Missgeschick passiert sei, geschlagen worden. Es sei ihr vorgeworfen worden ihren Mann aus Liebe geheiratet und bereits vor der Hochzeit gekannt zu haben. Der Schwiegervater habe ihre Rechte genommen. Ihr Mann habe draußen arbeiten und dem Schwiegervater das Geld geben müssen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe zu Hause Arbeiten verrichten müssen. Sie sei schikaniert und geschlagen worden. Es sei ihr nicht erlaubt gewesen in ihr Elternhaus zu gehen. Ihr Mann habe sie gegen den Willen der Familie in das Elternhaus für ein oder zwei Tage gebracht. Sie habe gesehen, wo ihr Schwiegervater das Geld aufbewahrt habe. Sie habe das Geld genommen, damit sie mit ihrem Mann von dort flüchten könne, um ein ruhiges Leben zu haben. Sie habe ein Taxi genommen und sei zu ihren Eltern gegangen. Ihr Mann sei bei der Arbeit gewesen und habe sie ihn angerufen und gesagt, dass er nach der Arbeit zu ihren Eltern kommen solle. Sie habe gesagt, dass sie genug vom Leben habe und, dass er in ein bis zwei Tagen das Geschäft verkaufen solle. Folglich seien sie geflohen. Ihr Vater habe ihr gesagt, dass sie der Schwiegervater umbringen würde, weil sie das Geld gestohlen habe. Zu den Fluchtgründen ihrer Tochter, der Drittbeschwerdeführerin, befragt, brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass sie nicht wolle, dass ihre Tochter solche Erlebnisse wie sie habe. Ihre Tochter solle eine gute Zukunft haben.

6. Mit Bescheiden vom 18.10.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkte VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass den Beschwerdeführern in Afghanistan Verfolgung drohe. Den Angaben der Beschwerdeführer werde kein Glauben geschenkt, weil es dem Amtswissen widerspreche, in sich widersprüchlich sei und der allgemeinen Lebenserfahrung widerspreche. Aufgrund der momentanen Sicherheitslage sei eine Rückkehr in ihre Heimatprovinz Kabul ohne Risiken nicht möglich. Mazar-e Sharif sei relativ stabil und sei jedenfalls sicher über den Flughafen zu erreichen. Die Beschwerdeführer hätten familiären Anschluss in Kabul und Kontakt zu deren Verwandte in Kabul und könnten von diesen im Falle einer Rückkehr unterstützt werden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden. Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan dort einer realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung oder der Gefahr der Folter ausgesetzt seien bzw. deren Leben auf sonstige Weise gefährdet wäre. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass für die minderjährige Drittbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorgerbacht und jene Fluchtgründe der Eltern nicht glaubhaft seien. Zum Privat- und Familienleben wurde ausgeführt, dass die Erst- bis Zweitbeschwerdeführer seit 2016 in Österreich aufhältig seien und die Drittbeschwerdeführerin im Jahr 2017 in Österreich geboren sei. Die Beschwerdeführer würden über keine weiteren Verwandten oder sonstigen Angehörigen in Österreich verfügen. Die Erst- bis Zweitbeschwerdeführer hätten das Deutschniveau A1 erreicht, würden allesamt Leistungen aus der Grundversorgung beziehen und könnten keine engen Kontakte zu Personen, die zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt seien noch besondere soziale Kontakt, die die Beschwerdeführer an Österreich bänden, festgestellt werden.

7. Gegen diese Bescheide langte am 16.11.2018 eine Beschwerde ein. Darin wurde im Wesentlichen das Fluchtvorbringen wiederholt und auf die schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul verwiesen. Zudem wurde auf die schwierige Situation für Rückkehrer, insbesondere jene die keinerlei Kontakte mehr hätten, hingewiesen. Dabei wurde auf einen Bericht von Stahlmann von März 2017 sowie auf die UNHCR Guidelines vom 30.08.2018 verwiesen. Zudem wurde moniert, dass die Behörde keine nachvollziehbaren Erwägungen im Rahmen der Beweiswürdigung in den angefochtenen Bescheiden getroffen habe. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die Zweitbeschwerdeführerin westlich orientiert wäre, was sich bereits aus ihrem Verhalten in Afghanistan verdeutliche. Die Zweitbeschwerdeführerin sei vor der Familie des Erstbeschwerdeführers weggelaufen und habe mit dem traditionellen afghanischen Frauenbild gebrochen. Zudem sei die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich wesentlich eigenständiger, als sie es in Afghanistan sein dürfte. Sie gehe alleine spazieren und habe Kontakt zu Männern. Die Zweitbeschwerdeführerin bemühe sich die deutsche Sprache zu lernen und helfe bei Gemeindefesten mit. Sie wähle ihre Kleidung selbst aus und kleide sich modern. Sie treffe in Österreich ihre eigenen Entscheidungen und wolle in der Zukunft eine Ausbildung machen und arbeiten gehen. An Österreich schätze sie besonders, dass sie hier als Frau dieselben Rechte wie ein Mann habe. Zudem sei es auch in Österreich nicht unüblich, dass eine Mutter bei ihrem eineinhalb Jahre altem Kind zu Hause bleibe und sich um dieses kümmere, woraus keine mangelnde westliche Orientierung abgeleitet werden könne. Sie habe sich in Österreich bereits sehr gut integriert und dürfte sie all die Freiheiten, die sie in Österreich angenommen habe, nicht in Afghanistan ausführen. Sie wolle ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben führen. Die gesamte Grundeinstellung der Zweitbeschwerdeführerin, ihr Auftreten sowie ihr Charakter würden nur den Schluss zulassen, dass sie westlich orientiert sei. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin würden sich um die Kindererziehung kümmern und würden deren Tochter, der Drittbeschwerdeführerin, ein freies Leben ermöglichen wollen, sodass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen könne. Im Falle einer Rückkehr sei zu prognostizieren, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Falle ihrer nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan als westlich orientierte Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität ausgesetzt sein würde. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative wurde darauf verwiesen, dass jedenfalls die soziale und wirtschaftliche Existenz am Ort der innerstaatlichen Schutzalternative sichergestellt sein müsse. Es müsse möglich sein, ein relativ normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum zu führen. Für die Beschwerdeführer würde keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan bestehen, da sie der Gruppe der schiitischen Hazara angehören würden und lange im Ausland gelebt und deren Kind im Ausland geboren worden sei und wäre die Zweitbeschwerdeführerin als afghanische Frau westlich orientiert. Die Familie verfüge über kein soziales Netzwerk, da sie von der Familie des Erstbeschwerdeführers mit dem Tode bedroht worden sei und ihnen somit keine Unterstützung zukommen lassen würden, sondern eine Gefahr von Seiten der Familie des Erstbeschwerdeführers ausgehe, zumal sein Vater über gute Kontakte verfüge und die Beschwerdeführer überall aufspüren könnte. Auch an die Familie der Zweitbeschwerdeführerin könnten sich die Beschwerdeführer nicht wenden, weil sie dort von der Familie des Erstbeschwerdeführers gefunden würden, weshalb die Beschwerdeführer weder in Kabul noch in einem anderen Landesteil Afghanistan sicher wären und sich keine Existenzgrundlage aufbauen könnten. Sie würden unweigerlich in eine Notlage geraten.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.11.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin für die Drittbeschwerdeführerin ausführlich zu ihren Fluchtgründen, ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat, ihrer Integration und zu ihrem Nachfluchtgrund befragt wurden. Zu den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten wurde eine Möglichkeit zu Stellungnahme eingeräumt. Vorgelegt vom Beschwerdeführervertreter und als Beilage ./A zum Akt genommen wurden Unterlagen zur Integration.

9. Am 25.11.2019 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführer ein, worin im Wesentlichen erneut auf die westliche Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin sowie auf die Bedrohung der Familie des Erstbeschwerdeführers hingewiesen wurde, weshalb eine innerstaatliche Fluchtalternative ausgeschlossen sei. EASO gehe zudem davon aus, dass im Fall der afghanischen Großstädte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat die Gefahr eines ernsthaften Schadens aufgrund des allgemeinen Gewaltniveaus nicht bestehe. Aus dem LIB 2019 ergebe sich, dass eine Neuansiedlung in den drei genannten Städten nur dann zumutbar sein könne, wenn es starke, familiäre oder soziale Netzwerke gebe, die bei der Arbeitsplatzsuche oder sonstigen ökonomischen Problemen unterstützend beistehen könnten. Bei den Beschwerdeführern handle es sich um eine Familie mit einer etwa zweijährigen Tochter, der Erstbeschwerdeführer wäre der alleinige Familienernährer und auf Grund dessen würde noch eine weitere Verschärfung im Falle einer Rückkehr bestehen. Für die gemeinsame Tochter wäre somit der Zugang zu Existenzmittel in einem Ausmaß bedroht, dass eine Verletzung der Art. 2, 3 EMRK in besonderem Maße anzunehmen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der Anträge auf internationalen Schutz vom 17.04.2016 und vom 06.07.2017, der Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.11.2019, der eingebrachten Stellungnahme vom 22.11.2019, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem sowie in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX und ist am XXXX geboren. Die Zweitbeschwerdeführerin, XXXX alias XXXX , ist am XXXX und die Drittbeschwerdeführerin, XXXX , ist am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer sind Staatsbürger von Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und sprechen Dari. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet.

Der Erstbeschwerdeführer ist in der Stadt Kabul, im Distrikt XXXX in der Provinz Kabul geboren. Er ist in jungen Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran verzogen und wieder nach Kabul zurückgekehrt, wo er bis zu seiner Ausreise in XXXX gewohnt hat. Er besuchte vier Jahre lang die Schule und arbeitete als Schneider.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist im Iran, in Isfahan, geboren und als kleines Kind gemeinsam mit ihren Eltern zurück nach Afghanistan gegangen, wo sie in Kabul, in XXXX gelebt hat, bis sie ihren Mann geheiratet hat und zu ihm verzogen ist. Sie besuchte fünf Jahre lang die Schule.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben vor ihrer Ausreise im Haus der Familie des Erstbeschwerdeführers gelebt. Die Beschwerdeführer verfügen beide über gemeinsame weitschichtige familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul, zumal die Beschwerdeführer miteinander verwandt sind (Cousins). Es leben die Eltern sowie fünf Brüder und eine Schwester des Erstbeschwerdeführers in Kabul. Die Eltern, eine Schwester und fünf Brüder der Zweitbeschwerdeführerin leben ebenfalls in Kabul. Es besteht kein Kontakt zur Familie des Erstbeschwerdeführers. Die Zweitbeschwerdeführerin steht in regelmäßigem Kontakt mit ihren Eltern.

Die Eltern sowie die Brüder und deren eigenen Familien der Zweitbeschwerdeführerin sind alle verheiratet und haben Kinder; sie leben allesamt im selben Haus zusammen, wo den Beschwerdeführern kein Wohnraum zur Verfügung steht. Die Beschwerdeführer können sich keine Unterstützung ihrer Familien - zum einen mangels Willens, zum anderen mangels Lage - erwarten. Die Beschwerdeführer verfügen in Afghanistan über keinerlei Besitztümer.

Der Erstbeschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Frau, der Zweitbeschwerdeführerin unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten sie am 17.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die in Österreich geborene minderjährige Drittbeschwerdeführerin wurde am 06.07.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin wird im Asylverfahren durch ihre Mutter, der Zweitbeschwerdeführerin, vertreten.

Die Beschwerdeführer sind gesund.

Es kann in Bezug auf das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden, dass diese in Afghanistan aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurden. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan sind die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt.

Die weiblichen Beschwerdeführerinnen (Zweitbeschwerdeführerin und Drittbeschwerdeführerin) wären im Herkunftsstaat auch allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret die Beschwerdeführer als Angehörige der Volksgruppe der Hazara bzw. dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre bzw. eine solche im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer halten sich erst seit 17.04.2016 und die Drittbeschwerdeführerin seit ihrer Geburt im Juni 2017 in Österreich auf. Es konnte nicht glaubhaft dargelegt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin während dieses relativ kurzen Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht wenig Deutsch und kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und Ihr Kind. Sie bewegt sich in einem sehr kleinen Radius in Österreich. In Afghanistan war sie nicht berufstätig, sie hat sich primär um den Haushalt gekümmert.

Die Beschwerdeführer haben vor ihrer Ausreise in Kabul gelebt. In Afghanistan besteht Schulpflicht, wo ein Schulangebot faktisch auch vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund besteht keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn die Erst- bis Zweitbeschwerdeführerin ihrer Tochter, der Drittbeschwerdeführerin, eine grundlegende Bildung zukommen lassen. Ebenso wenig besteht die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn die Zweitbeschwerdeführerin eine zwangsweise Verheiratung ihrer Tochter ablehnt.

Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte im August 2018 gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer einen Workshop. Zudem wurden zwei Empfehlungsschreiben für die Zweitbeschwerdeführerin vom 24.10.2019 und vom 25.10.2019 sowie zwei Deutschkursbestätigung Niveaustufe A1 vom 04.12.2018 und 04.03.2019 in Vorlage gebracht. In Österreich verdient sich die Zweitbeschwerdeführerin etwas durch Reinigungsarbeiten in privaten Haushalten dazu (ca. einmal pro Monat).

Die Zweitbeschwerdeführerin hat am 01.03.2019 an der Integrationsprüfung A1 teilgenommen, diese jedoch nicht bestanden. Der Erstbeschwerdeführer besuchte einem Workshop und einen Kurs, Basisbildung Oberösterreich, absolviert. Er war eine Woche gemeinnützig beschäftigt bei der Gemeinde gegen einen Anerkennungsbeitrag von € 5,-- pro Stunde. Er hat das ÖSD-Zertifikat A1 am 06.12.2017 positiv absolviert und an einem Werte und Orientierungskurs teilgenommen. Die Beschwerdeführer sind nicht selbsterhaltungsfähig und leben von der Grundversorgung. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin pflegen in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen, die sie aus ihrer Unterkunft und der Nachbarschaft kennen. Die Beschwerdeführer sind keine Mitglieder von Vereinen.

Der Herkunftsort der Beschwerdeführer ist Kabul (wobei darauf zu verweisen ist, dass sie sich angesichts der persönlichen und vor allem familiären Verhältnisse neu in Kabul ansiedeln müssten), welche laut den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 zu jenen Provinzen zählt, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr bestehen kann, dass der Antragsteller ernsthaften Schaden an Leib und Leben im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte, vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist. In ihrer Herkunftsprovinz sind nach den aktuellen Länderinformationen Aufständische tätig, und es kann nicht mit maßgeblicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführer als Zivilisten ernsthaften Schaden an Leib und Leben im Falle einer Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz nehmen könnten. Diese Beurteilung deckt sich auch mit den UNHCR-Richtlinien zur Beurteilung des Internen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan vom 30.08.2018, wonach angesichts der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Situation Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative in der Regel nicht verfügbar ist. Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz in Afghanistan ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit. Bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist in seinem Bescheid davon ausgegangen, dass die Lage in Kabul derzeit nicht als ausreichend sicher beurteilt werden könne. Die Beschwerdeführer können nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile, wie die Stadt Mazar-e-Sharif, verwiesen werden.

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 04.06.2019 (Schreibfehler teilweise korrigiert):

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

* Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als

zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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