TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/16 W124 2152498-1

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Veröffentlicht am 16.12.2019
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Entscheidungsdatum

16.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W124 2152498-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet

abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab er zu seiner Person an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er sei in Iran geboren und habe fünf Jahre die Grundschule besucht. Gemeinsam mit seinem Bruder sei er mit Hilfe eines Schleppers vom Iran in die Türkei gebracht worden, von wo aus sie mit dem Schlauchboot nach Griechenland gelangt seien. Mit der Fähre seien sie nach Athen gereist und anschließend mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch ihnen unbekannte Länder nach Österreich gefahren.

Zu seinen Fluchtgründen führte er an, sein Bruder und er hätten in Afghanistan Probleme mit dem Glauben gehabt. Im Iran würden sie nicht anerkannt werden. Aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan seien sie geflohen.

2. Am XXXX erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt). Zu seiner Person gab er an, er habe im Iran eine afghanische Schule besucht, da er keine Dokumente gehabt habe. Die fünfte Klasse habe er nicht abgeschlossen. In weiterer Folge habe er als Hilfsarbeiter am Bau für einen Afghanen gearbeitet. Seine Familie stamme aus der afghanischen Provinz Uruzgan. Warum seine Familie aus Afghanistan ausgereit sei, wisse er nicht. Er sei im Iran geboren und aufgewachsen. Seit er sich erinnern könne hätten sie am selben Ort gelebt.

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates gab er an, seine Mutter habe ihm gesagt, dass sie wegen ihrer Religion ausgereist seien. Es habe wegen ihrer Religion Krieg gegegeben. Iran habe er verlassen, da er keine Dokumente gehabt habe und keine offizielle Schule besuchen habe dürfen. Er sei sogar einmal von der Polizei festgenommen und geschlagen worden. Gegen Bezahlung sei er wieder freigekommen. Das Leben sei sehr schwer gewesen. Die Iraner hätten die Afghanen schlecht behandelt. In Afghanistan hätte er sich nicht niederlassen können, da es dort keine Sicherheit gebe. Er habe keine Informationen über Afghanistan. Im Fall seiner Rückkehr habe er Angst von den Taliban getötet zu werden.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III.).

Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Am XXXX erhob der BF Beschwerde gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids. Nach Darstellung des Sachverhalts wurde begründend ausgeführt, dass der BF aufgrund seiner Zugehörigkeit zur ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara besonders vulnerabel sei. Hinzu komme, dass er im Iran sozialisiert worden sei und keinen Bezug zum Herkunftsstaat aufweise. Ferner befinde er sich in Östereich in psychiatrischer Behandlung. Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits mehrfach judiziert, dass einer psychischen Erkrankung eines afghanischen Asylwerbers durchaus Asylrelevanz zukommen könne. Es sei zudem allgemein bekannt, dass Kindern und Jugendlichen, die in Afgahnistan auf sich alleine gestellt seien, die Lebensgrundlage in besonders qualifizierter Weise entzogen sei. Bereits im Jahr 2005 sei durch den damals zuständigen UBAS festgestllt worden, dass Kinder und Jugendliche, die auf sich alleine gestellt bzw. verwaist seien, in Afghanistan einer Vielzahl von Gefahren ausgesetzt seien und aufgrund dessen eine soziale Gruppe darstellen würden, die in Afghanistan asylrelevatner Verfolgung ausgesetzt seien. Die drohenden Gefahren seien vielseitig und würden von Entführung zum Zweck der Sklavenarbeit oder der Organentnahme bis hin zur Zwangsrekrutierung oder zum Dasein als Straßenkind reichen. Zudem würden sie häufig Opfer von sexuellem Missbrauch werden. Hinsichtlich der Gefährdung von jungen Afghanen, welche die letzten Jahre außerhalb ihres Heimatlandes verbracht haben, werde auf die Entscheidung des Asylgerichtshofs vom XXXX verwiesen.

6. Mit Schriftsatz vom XXXX beantragte der BF beim zuständigen Bezirksgericht die Beistellung eines Kollissionskurators gemäß § 271

ABGB.

7. Am XXXX langte die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Mit Beschluss des BG XXXX vom XXXX , Zl XXXX , wurde RA XXXX , zum Kollisionskurator für den BF zur Vertretung im Asylverfahren bestellt. Am XXXX erhob der BF im Wege seines Kollisionskurators Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids Beschwerde wegen mangelhafter Sachverhaltsfeststellung, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Begründend wurde ausgeführt, der BF habe vor dem Bundesamt eindeutig vorgebracht, er habe Angst, von den Taliban umgebracht zu werden. Die belangte Behörde hätte aufgrund der Länderfeststellungen wissen müssen, dass es zwischen Hazara (Schiiten) und Taliban (Sunniten) religiöse Konflikte gegeben habe und noch immer gebe. Die Behörde habe den Sachverhalt hinsichtlich dieses Themas jedoch nur mangelhaft festgestellt und sohin gegen die Grundsätze der materiellen Wahrheit und Offizialmaxime verstoßen. Die behördlichen Länderfeststellungen würden überdies sehr wohl Hinweise auf asylrelevante Verfolgungen enthalten. Der BF sei minderjährig und verfüge in Afghanistan weder über familiäre, noch über soziale Anknüpfungspunkte. Er habe kaum Schulbildung. Eine Berufsausbildung habe er nicht absolviert. In Afghanistan würden ihm jegliche Ortskenntnisse fehlen. Laut behördlicher Länderfeststellungen bestehe für Kinder und Jugendliche die Gefahr, Opfer von körperlichen Züchtigungen oder von sexuellem Missbrauch zu werden. Der BF laufe Gefahr, als Straßenkind Opfer von Kinder- bzw. Zwangsarbeit zu werden oder als Lustjunge missbraucht zu werden. Als alleinstehender Minderjähriger sei er extrem gefährdet, in jeglicher Hnsicht ausgebeutet und übervorteilt zu werden. Laut UNHCR-Richtlinien seien auf sich alleine gestellte Kinder, Waisenkinder und Straßenkinder als soziale Gruppe im Sinne der GFK anzusehen, die wohlbegründetete Furcht vor Verfolgung und damit Anspruch auf internationalen Schutz hätten. Ausreichenden Schutz könne der BF im Herkunftsstaat nicht finden, da derartige Angriffe vor allem von Polizisten und Armeeangehörigen ausgehen würden. Zu diesem Themenkomplex seien von der belangten Behörde keine Ermittlungen durchgeführt bzw. keine beweiswürdigenden Erwägungen getroffen worden. Angesichts der dargestellten Umstände könne im Fall des BF nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass er in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheilichkeit zu erwarten habe. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht offen.

9. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde der BF im Wege seines Kollisionskurators aufgefordert, sämtliche medizinische Befunde ab dem XXXX in Vorlage zu bringen.

10. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF im Wege seines Kollisionskurators ein Konvolut an medizinischen Unterlagen in Vorlage.

11. Mit Beschluss vom XXXX wurde XXXX zur Sachverständigen aus dem Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie bestellt. Aus dem Jugendneuropschiatrischen Sachverständigengutachten vom XXXX geht zusammengefasst hervor, dass der BF an einer psychischen Störung leide, der mäßiger Krankheitswert zukomme. Konkret leide er an einer protrahierten depressiven Anpassungsstörung, einer in den schwierigen Lebensumständen begründeten psychogenen Reaktion. Eine medikamentöse Behandlung erscheine aus gutachterlicher Sicht nicht dringend indiziert, eine stützende psychologische Begleitung sei empfehlenswert. Der BF sei voll einvernahmefähig. Von ihm gehe weder eine Fremd-, noch eine Selbstgefährdung aus.

Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF im Wege seines Kollisionskurators die Möglichkeit eingeräumt, binnen drei Wochen zum Gutachten vom XXXX Stellung zu beziehen.

12. Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der BF im Wege seines Kollisionskurators vor, dass eine psychologische Begleitung empfohlen werde, hinsichtlich der Medikamentenbeschaffungsmöglichkeit könne die Gutachterin keine Aussage treffen, was den Rückschluss zulasse, dass benötigte Medikamente in Afghanistan nicht beschaffbar seien. In Zusammenschau mit den bisherigen Verfahrensergebnissen müsse die belangte Behörde bei entsprechender Würdigung dem BF den Status des Asylberechtigten zuerkennen.

13. Mit Ladung vom XXXX wurde dem BF im Wege seines Kollisionskurators ein Konvolut an Länderberichten zur allgemeinen Situation in Afghanistan zur Stellungnahme binnen 14 Tagen übermittelt.

14. Mit Schriftsatz vom XXXX wurden vom BF im Wege seines Kollisionsvertreters ein Konvolut an Integrationsunterlagen in Vorlage gebracht.

15. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Farsi sowie in Anwesenheit zweier Vertrauenspersonen eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

[...]

R: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Farsi.

R an die Dolmetscherin: In welcher Sprache übersetzen Sie für den Beschwerdeführer?

D: Farsi.

R befragt den Beschwerdeführer ausdrücklich zweimal, ob er die Dolmetscherin gut verstehe, dies wird bejaht.

BF gibt an, er spricht einen Hazaraghi-Dialekt und er ist im Iran geboren.

BF wird mit BFV Beratung hinsichtlich der beigezogenen D eingeräumt. BF und BFV teilen nach Beratung mit, dass sie keine Einwände wegen mangelnder Unverständlichkeit der D haben.

R befragt den Beschwerdeführer, ob dieser geistig und körperlich in der Lage ist der heutigen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen. Nun wird der Beschwerdeführer befragt, ob er gesund ist oder ob bei ihm (Krankheiten) und /oder Leiden vorliegen. Diese Fragen werden vom Beschwerdeführer dahingehend beantwortet, dass keine Hindernisgründe oder chronische Krankheiten und Leiden vorliegen. Der Beschwerdeführer ist in der Lage der Verhandlung in vollem Umfang zu folgen.

BF: Ich bin nicht krank und kann die Fragen beantworten.

Dem Beschwerdeführer wird dargelegt, dass er am Verfahren entsprechend mitzuwirken hat bzw. auf die Fragen wahrheitsgemäß zu antworten hat. Andernfalls dies sich entsprechend im Erkenntnis im Bundesverwaltungsgerichtes auswirken würde.

R: Haben Sie noch neue Beweismittel, die Sie beim BFA oder bzw. bei der Polizei noch nicht vorgelegt haben?

BF: Nein.

R: Die Angaben, die Sie bei der Polizei und beim BFA gemacht haben, entsprechen diese der Wahrheit und halten Sie diese aufrecht?

BF: Ja.

[...]

R: Schreiben Sie bitte Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum auf?

BF schreibt auf ein Blatt Papier, welches als Beilage ./A zum Akt genommen wird.

BF wird auf den Widerspruch des im Akt geführten Geburtsdatum von XXXX und des von ihm aufgeschriebenen Geburtsdatums XXXX hingewiesen, dieser gibt an, dass er am XXXX geboren ist und einen Fehler gemacht zu haben.

R: Wo sind Sie geboren?

BF: Im Iran in Teheran.

R: Sie haben eine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA erhoben, können Sie mir sagen, warum Sie gegen den Spruchpunkt III eine Beschwerde erhoben haben, was ist der Hintergrund?

BF: Ich möchte hierbleiben. Ich möchte eine Zukunft haben und arbeiten und ein Leben haben. Ich kenne mich in Afghanistan nicht aus, ich war noch nie dort. Ich habe dort niemanden.

R: Wie lange haben Sie in Afghanistan gelebt?

BF: Ich war noch nie in Afghanistan.

R: Wie viele Geschwister haben Sie?

BF: Ich habe einen Bruder.

R: Wie heißt Ihr Bruder? Schreiben Sie das bitte auf.

BF schreibt auf ein Blatt Papier, welches als Beilage ./B zum Akt genommen wird. Ich kenne sein Geburtsdatum nicht, ich weiß, dass er 28 Jahre alt ist und er heißt XXXX .

R: Wo hält sich Ihr Bruder derzeit auf?

BF: In Wien.

R: Wissen Sie, über welchen Aufenthaltsstatus Ihr Bruder verfügt?

BF: Er ist anerkannter Flüchtling.

R: Haben Sie außer Ihrem Bruder noch andere Geschwister?

BF: Nein.

R: Wo leben Ihre Eltern?

BF: Mein Vater ist im Iran verstorben, meine Mutter ist im Iran.

R: Wo genau ist Ihre Mutter im Iran?

BF: In Teheran in XXXX .

R: Wie geht es Ihrer Mutter?

BF: Es geht.

R: Wann hatten Sie den letzten Kontakt mit Ihrer Mutter?

BF: Vor ca. einem Monat.

R: Wie treten Sie mit Ihrer Mutter in Kontakt?

BF: Ich gehe zu meinem Bruder und dann rufe ich sie an.

R: Rufen Sie Ihre Mutter regelmäßig an?

BF: Einmal oder zweimal im Monat oder alle zwei Monate einmal, nicht regelmäßig.

R: Wie bestreitet Ihre Mutter ihren Lebensunterhalt im Iran?

BF: Sie arbeitet in einem Garten, dort mäht sie den Rasen.

R: Wie haben Sie im Iran Ihren Lebensunterhalt bestritten?

BF: Ich habe meinem Bruder geholfen, wir haben im Garten gearbeitet, wir haben Blumen gegossen...

R: Haben Sie außer dieser Tätigkeit auch noch andere Tätigkeiten verrichtet?

BF: Alles, was mein Bruder gemacht hat, habe ich ihm dabei geholfen.

R: Was hat Ihr Bruder alles gemacht, wo Sie Ihrem Bruder geholfen haben?

BF: Wenn er auf den Baustellen gearbeitet hat, habe ich ihm geholfen, im Garten beim Blumen gießen und weiter.

R: Was heißt und weiter?

BF: Und diese Baustellen.

R: Beim BFA haben Sie gesagt, Sie waren Hilfsarbeiter am Bau und haben dort gemeinsam mit Ihrem Bruder fünf Monate gearbeitet und dann noch alleine sieben Monate als Hilfsarbeiter am Bau.

BF: Ja, das stimmt.

R: Konnten sie mit dem Geld Ihren Lebensunterhalt bestreiten?

BF: Das weiß ich nicht. Das, was ich verdient habe, habe ich meiner Mutter gegeben. Sie hat dann alles verwaltet.

R: Wie waren die Lebensverhältnisse im Iran für Sie bzw. Ihre Familie?

BF: Schwer.

R: Konnten Sie mit dem, was Sie erwirtschaftet haben, leben?

BF: Das weiß ich nicht so, meine Mutter hat das Geld ausgegeben, es war schwierig.

R: Wie lange haben Sie im Iran gelebt?

BF: Ca. 14 Jahre.

R: Wie waren jetzt die Lebensverhältnisse für Sie in diesen 14 Jahren? Konnten Sie dort leben, haben Sie genügend zu essen gehabt?

BF: Das Leben war nicht zufriedenstellend, es war nicht frei.

R: Das war nicht meine Frage, meine Frage war, ob sie mit dem, was Sie dort erwirtschaftet haben, Ihr Auskommen gehabt haben.

BF: Ja, ich konnte davon leben.

R: Wie viel haben Sie dem Schlepper für Ihre Ausreise bezahlt?

BF: Ca. 8 oder 9 Mio. Toma, könnten es gewesen sein. Mein Bruder hat das Geld ausgegeben, ich weiß es nicht genau.

R: Für Sie beide oder für jeden?

BF: Ich glaube jeweils.

R: Woher hatten Sie so viel Geld?

BF: Mein Bruder hat das Ganze erspart und meine Mutter. Alles was wir hatten, haben sie zusammengelegt.

R: Darunter auch Ihr Einkommen, was Sie durch Ihre Arbeit erwirtschaftet haben?

BF: Ja, das ganze Geld hat meine Mutter verwaltet.

R: Ist Ihr Bruder auch im Iran geboren?

BF: Nein, ich weiß es nicht. Aber ich vermute, dass er in Afghanistan geboren ist.

R: Wann ist Ihre Familie, Ihre Eltern, in den Iran gekommen, in welchem Jahr?

BF: Ich weiß es nicht, weil ich ja noch nicht geboren wurde.

R: Haben Sie Ihre Eltern gefragt, wann sie in den Iran gezogen sind?

BF: Nein.

R: Wissen Sie, warum Ihre Eltern in den Iran gezogen sind?

BF: Sie hatten Probleme mit den Taliban.

R: Inwiefern?

BF: Ich weiß es nicht so genau, ich glaube, damals haben die Taliban die Schiiten enthauptet.

R: Woher stammt Ihr Vater, aus welcher Provinz bzw. Distrikt?

BF: Ich weiß, dass wir aus der Provinz Orozan, Distrikt weiß ich nicht.

R: Woher stammt Ihre Mutter, aus welcher Provinz bzw. Distrikt?

BF: Genau weiß ich es nicht, ich weiß nur, dass wir aus der Provinz Orozan stammen.

R: Stammt Ihre Mutter auch aus Orozan?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Wie viel Geschwister hat Ihr Vater?

BF: Das weiß ich nicht, ich glaube, ich habe keine Tanten und Onkel.

R: Wie viele Geschwister hat Ihre Mutter?

BF: Sie hat keine Geschwister, ich glaube, sie sind verstorben oder so.

R: Haben Sie mit Ihren Eltern über deren Fluchtgründe jemals gesprochen?

BF: Ich glaube, ich habe schon gefragt, sie haben gesagt, dass die Taliban Leute enthauptet hätten, deshalb sind Sie geflüchtet.

R: Haben Ihre Eltern konkrete Probleme mit den Taliban gehabt?

BF: Möglicherweise hatten sie eines. Das ist das Problem, dass sie geflüchtet sind, aber ich weiß nichts darüber.

R: Haben Sie über die familiären Verhältnisse, Verwandte, Verstorbene, mit Ihren Eltern gesprochen?

BF: Nein, habe ich nicht.

R: Hat Sie das jemals interessiert, ob Sie Verwandte haben?

BF: Nein, bis jetzt habe ich kein Interesse.

R: Wissen Sie, ob Sie Cousins oder Cousinen haben?

BF: Nein.

R: Was hat Sie dann veranlasst, nicht mehr weiter im Iran zu bleiben, nachdem Sie dort 14/15 Jahre gelebt haben.

BF: Wir hatten Probleme wegen der Aufenthaltsgenehmigung, wir konnten nicht weiterhin dortbleiben, wir waren nicht frei.

R: Hat Ihre Mutter eine Aufenthaltsgenehmigung für den Iran?

BF: Nein.

R: Warum ist Ihre Mutter nicht mit Ihnen geflohen?

BF: Sie ist eine Frau und für sie ist es schwierig und sie ist auch alt.

R: Wie alt ist Ihre Mutter?

BF: Wir hatten so keine Dokumente, ich vermute 65 oder 70 Jahre.

R: Wie alt ist Ihr Vater gewesen, als er verstorben ist?

BF: Ich war sehr klein, als er verstorben ist, ich weiß es nicht.

R: Wie alt waren Sie, als Ihr Vater verstorben ist?

BF: Ich war sehr klein, ich weiß es nicht.

R: Was heißt für Sie, ich war sehr klein?

BF: 2 oder 3 Jahre könnte ich gewesen sein. 3 Jahre alt.

R: In welchem Jahr ist Ihr Vater verstorben?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Was würden Sie befürchten, wenn Sie nach Afghanistan müssten?

BF: Erstens habe ich dort niemanden, zweitens, weiß ich nicht, was mit mir passieren wird, wenn ich dort zurückkehren muss. Dort gibt es keine Sicherheit.

R: Waren Sie schon einmal in Afghanistan?

BF: Nein.

R: Haben Sie eine Frage an den BF?

BFV: Nein.

R: Wollen Sie sonst noch etwas sagen?

BFV: Nein.

R: Wollen Sie noch abschließend etwas sagen?

BF: Nein.

[...]

16. Mit Schreiben vom XXXX wurde dem Bundesverwaltungsgericht von RA

XXXX der Beschluss des BG Mödling vom XXXX , Zl. XXXX , übermittelt. Daraus geht hervor, dass RA XXXX als Kollisionskurator zur Vertretung im Asylverfahren enthoben worden ist, da der BF nunmehr volljährig ist.

17. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF das Länderinformationsblatt Afghanistan vom 13.11.2019 zur Stellungnahme binnen 14 Tagen übermittelt.

18. Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner Vertretung vor, dem aktuellen Länderinformationsblatt, den UNHCR-Richtlinien vom August 2018 sowie dem Bericht zu einer Fact-Finding Mission des Finnish Immigraiton Service vom 15.10.2019 sei zu entnehmen, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara zahlreichen Eingriffen in ihre schützende persönliche Sphäre sowie erheblichen Diskriminierungen ausgesetzt seien. Hinzu trete die Sozialisierung des Beschwerdeführers im Iran sowie in Österreich, welche die Lebenseinstellung des BF nachhaltig geprägt habe. Aufgrund seines liberalen Weltbildes wäre er weiteren Diskriminierungen von konservativen Elementen in Afghanistan ausgesetzt. Die zu befürchtenden Diskriminierungen und Eingriffe in die schützende persönliche Sphäre des BF im Fall der (hypothetischen) Rückkehr des BF in die Herkunftsprovinz seiner Eltern, in welcher die Taliban als auch der ISKP aktiv seien, würden daher die notwendige Intensität einer Verfolgung aus religiösen und ethnischen Motiven erreichen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

1.1.1. Der nunmehr volljährige BF ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Er spricht Farsi mit einem Hazaraghi-Dialekt. Seine Familie stammt aus der afghanischen Provinz Uruzgan und ist vor der Geburt des BF nach in den Iran geflüchtet. Der BF ist im Iran geboren und ist noch nie in Afghanistan gewesen. Er ist jedoch im afghanischen Familienverband aufgewachsen und sozialisert worden. Im Iran hat er fünf Jahre eine afghanische Schule besucht, wobei er die letzte Schulklasse nicht abgeschlossen hat. In der Folge hat er Hilfsarbeiten verrichtet. Im Herkunftsstaat hat der BF keine sozialen Anknüpfungspunkte.

Gemeinsam mit seinem Bruder XXXX flüchtete er schlepperunterstützt vom Iran nach Österreich. Am XXXX stellte er nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom XXXX wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. In Österreich ist der BF unbescholten.

Der Beschwerdeführer leidet an einer protrahierten depressiven Anpassungsstörung.

1.1.2. Es steht nicht fest, dass der BF aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und/oder der Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft in Afghanistan der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt ist. Ferner besteht für ihn kein reales Risiko, dass er aufgrund seines langjährigen Aufenthalts im Iran und/oder in Österreich im Herkunftsstaat verfolgt wird. Ebenso wenig steht fest, dass der BF aufgrund seines Dialekts oder seiner psychiatrischen Erkrankung in Afghanistan der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt ist.

Es kann sohin insgesamt nicht festgestellt werden, dass der BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder zu einer sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder von privaten Dritten verfolgt wird.

1.2. Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Afghanistan vom 13.11.2019:

1.2.1.1. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015), und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für fünf Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14.11.2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden, und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben, und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004, USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert, und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht, und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss, und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.01.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.06.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.01.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.06.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.08.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 08.09.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.08.2019; vgl. NZZ 12.08.2019; DZ 08.09.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, MS 28.01.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigte Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.05.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere Warlords, statt (Qantara 12.02.2019; vgl. TN 31.05.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019).

Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 06.05.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.05.2019).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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