TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/19 W252 2158752-1

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Entscheidungsdatum

19.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W252 2158752-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2017, Zl XXXX , nach der Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am Folgetag fand durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Vater vor zwei Jahren auf dem Weg von Kabul nach Ghazni von einer unbekannten Gruppe festgenommen worden sei. Ein Freund sei von ihnen umgebracht und zerstückelt worden und seien die Körperteile nach Kabul geschickt worden. Der Vater des BF sei seitdem vermisst und habe der BF auf Anraten seiner Mutter das Land verlassen.

2. Das Bundesamt veranlasste eine Altersfeststellung des BF. Mit Gutachten eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständen für medizinische Begutachtung im Asylverfahren vom 10.04.2016 wurde ein fiktives Geburtsdatum des BF mit XXXX ermittelt.

3. Der BF wurde am 21.04.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "Bundesamt" oder "BFA") im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass sein Vater Mitglied einer politischen Partei namens XXXX gewesen sei und er jahrelang im Iran gelebt habe. Nach seiner Rückkehr sei er auf dem Weg in sein Heimatdorf verschollen. Von seinen damaligen Begleitpersonen seien Leichenteile zu den Familien nach Kabul geschickt worden. Einige Monate nach dem Verschwinden des Vaters sei der BF von einem Unbekannten verfolgt worden. Aus diesem Grund habe seine Mutter beschlossen, dass die Familie Afghanistan verlasse.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

5. Der BF erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass ihm im Falle einer Rückkehr eine Verfolgung durch die Feinde der Partei, der sein Vater angehöre, als Angehöriger der sozialen Gruppe der Familie zu befürchten habe. Darüber hinaus drohe dem BF eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. aufgrund seines schiitischen Glaubens. Ebenso drohe im Aufgrund seines Asylantragsstellung in Afghanistan Verfolgung, da ihm von extremistischen Gruppen wie den Taliban eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde. Darüber hinaus stelle sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten afghanischen Staatsgebiet als derart prekär dar, dass ihm im Falle einer Rückkehr auch eine Verletzung in seinen von Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten drohe.

6. Mit Schreiben vom 04.11.2019 übermittelte der BF Empfehlungsschreiben der Baptistengemeinde Graz, Erklärung über den Erhalt der Taufe der Baptistengemeinde Graz, sowie ein Schreiben des Kultusamtes zum Austritt aus dem Islam.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.11.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und des Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

8. Mit Eingabe vom 04.12.2019 übermittelte der BF eine Stellungnahme zur Situation der Christen und Konvertiten in Afghanistan, sowie Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu einer Rückkehr nach Afghanistan und verwies darüber hinaus auf weiteres Berichtsmaterial zur Lage in Afghanistan.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.12.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und des Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der auch Zeugen in Bezug auf die Konversion des BF einvernommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und das oben angeführte Geburtsdatum. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde als schiitischer Moslem erzogen. Der BF gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist ledig und hat keine Kinder. Seine Muttersprache ist Dari.

Der BF wurde im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise. Der BF besuchte bis zur elften Klasse die Grundschule in seinem Herkunftsstaat. Danach absolvierte er keine Berufsausbildung aber war als Schneider berufstätig. Im Alter von vier Jahren zog er mit seiner Familie, bestehend aus seinen Eltern und zwei Geschwistern, nach Kabul, wo er ca. zwölf Jahre verbrachte. Der Lebensunterhalt der Familie wurde durch die Erwerbstätigkeit des Vaters und des BF gesichert.

Der BF hat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, da diese bei ihrer gemeinsamen Flucht aus Afghanistan getrennt wurden.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der BF hält sich seit seiner Antragstellung am 25.10.2015 aufgrund der vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Der BF hat bisher mehrere Deutschkurse (ÖSD-Zertifikat A2 vom 09.05.2017, ÖSD-Zertifikat B2 vom 08.02.2019, Spracherwerbsmaßnahme als Vorbereitung für einen Lehrgang der Fachschule für wirtschaftliche Berufe von 13.11.2017 - 30.06.2018, Absolvierung der Integrationsprüfung des ÖIF am 29.06.2018, Absolvierung des Werte- und Orientierungskurses des ÖIF am 05.07.2018, Zertifikat "Zukunft.Bildung.Steiermark" Sprachniveau B1 am 15.02.2019) und ehrenamtliche Tätigkeiten (Straßenreinigung im Rahmen der Holding Graz Jugend am Werk Steiermark GmbH) absolviert, sowie allgemein integrative Maßnahmen (Ausbildung "Nachholung des Pflichtschulabschlusses seit 25.02.2019, Mitwirkung am Verein "gemma!" zur Förderung des interkulturellen Austauschs junger Menschen, "Ausbildung Team Österreich Tafel" vom 13.10.2018, Erste Hilfe Grundkurs in der Zeit vom 25.07.2017 bis 26.07.2017, Sondervortrag Erste Hilfe vom 19.05.2017) gesetzt.

Der BF spielt in seiner Freizeit Fußball, besucht das Fitnessstudio und hat Kontakte zur österreichischen Gesellschaft. Er versteht die Deutsche Sprache und kann sich auf Deutsch unterhalten.

Er hat keine Verwandte im Bundesgebiet, geht keiner Erwerbstätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF ist unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der BF hat sich während seines Aufenthalts in Österreich seit dem Jahr 2017 aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen, von seiner bisherigen Religion, dem Islam, abgewendet. Der BF folgt den islamischen Dogmen nicht mehr und lehnt den konservativen Islam ab.

Er besuchte regelmäßig die internationale Baptistengemeinde in Graz, bis er sich dazu entschied, dem Christentum beizutreten. Er ist bereits zum Taufvorbereitungskurs eingeschrieben und konnte bisher den Kurs aufgrund einer Hautkrankheit nicht eher absolvieren. Die Taufe des BF ist im Mai 2020 geplant, und wurde er bereits zur Taufe zugelassen.

Der BF praktiziert seinen christlichen Glauben, indem er regelmäßig Gottesdienste und Bibelkurse der Baptistengemeinde in Graz besucht, und auch sonst betet, in der Kirchengemeinde mithilft und sein Leben an christlichen Werten ausrichtet. Ebenso berichtet er seinem sozialen Umfeld im Bundesgebiet von der christlichen Glaubenslehre.

Er konnte seinen in Österreich entstandenen Nachfluchtgrund der Konversion zum christlichen Glauben glaubhaft darlegen. Der BF würde diese innere Überzeugung auch bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nach außen tragen, indem er auch versuchen würde, andere Afghanen vom Christentum zu überzeugen.

Er muss daher im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Abwendung vom Islam und der Zuwendung zum Christentum befürchten, belästigt, bedroht, körperlich misshandelt, langjährig inhaftiert oder gar mit dem Tod bestraft zu werden.

Der BF wäre im Falle der Rückkehr nach Afghanistan im gesamten Staatsgebiet aufgrund seiner Religion (konkret seinem Abfall vom islamischen Glauben und seiner Hinwendung zum Christentum) einer Verfolgung ausgesetzt, die vom Staat und Privaten ausgeht.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

1.3.1 Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB 13.11.2019, S. 12). Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (LIB 13.11.2019, S. 13).

1.3.2. Allgemeine Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (LIB 13.11.2019, S. 18). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (LIB 13.11.2019, S. 18-19).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 13.11.2019, S. 23)

Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

1.3.3. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel (LIB 13.11.2019, S. 26).

Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (LIB 13.11.2019, S. 27). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 28).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

1.3.4. Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird ausschließlich durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Die afghanische Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle, speziell in den städtischen Regionen, wo tausende Kultur-, Wohlfahrts- und Sportvereinigungen mit wenig Einschränkung durch Behörden tätig sind (LIB 13.11.2019, S. 256). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 257).

1.3.6. Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 13.11.2019, S. 277).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB 13.11.2019, S. 277).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (LIB 13.11.2019, S. 278).

1.3.6.1. Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt. Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (LIB 13.11.2019, S. 279).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% . In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (LIB 13.11.2019, S. 279-280).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (LIB 13.11.2019, S. 280).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30%. Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB 13.11.2019, S. 280).

1.3.6.2. Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen. Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (LIB 13.11.2019, S. 281).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger.

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (LIB 13.11.2019, S. 281).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden.

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt. Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul. Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (LIB 13.11.2019, S. 281-282).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie. Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren. Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv; bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet. Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (LIB 13.11.2019, S. 282).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremdeninformationssystem, in einen Strafregisterauszug und einen Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme des BF sowie zwei Zeugen in den mündlichen Verhandlungen. Ebenso wurde Einsicht in die zum Akt genommenen Urkunden und in die Stellungnahme vom 04.12.2019 genommen.

2.1. Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des BF gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation, sowie seine Schulbildung und seine Berufserfahrung) und den Verbleib seiner Familie gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben (BFA-Akt, AS 121-123, Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2019 = OZ 9, S. 5-7). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des BF beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung (BFA-Akt, AS 120; OZ 9, S. 4).

Die Feststellungen zum Leben des BF in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die vorgelegten Unterlagen, sowie auf die Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung (OZ 9, S. 7-8).

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen fußen auf den vom BF vorgelegten Kursbestätigungen.

Die Angaben zur mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit und zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung resultieren aus den diesbezüglichen Angaben des BF (OZ 9, S. 8), sowie aus einem aktuellen Auszug aus dem GVS.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug vom 10.12.2019).

2.2. Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

2.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Vorbringen des BF zur Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund seiner in Österreich erfolgten Zuwendung zum Christentum und der Abwendung vom schiitischen Islam aus folgenden Erwägungen als glaubhaft:

Es erscheint durchaus nachvollziehbar und lebensnahe, dass der BF in Österreich angesichts seiner persönlichen Lage und einer damit einhergehenden Hoffnungslosigkeit begonnen hat, sich für die christliche Lehre zu interessieren und schließlich auch seinen Weg zum christlichen Glauben gefunden hat.

In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.12.2019 konnte der BF überzeugend und lebensnahe darlegen, aus welchen Gründen er den Islam ablehnt und das Christentum für den besseren Weg für sich hält. Der BF konnte die Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum darstellen und hob insbesondere hervor, dass das Christentum weniger Zwänge mit sich bringt, als der Islam (OZ 13, S. 6).

Dass der Glaubensabfall und die Zuwendung zum Christentum nur zum Schein erfolgt wären, ist vor dem Hintergrund der persönlichen Glaubwürdigkeit der BF und der zeugenschaftlichen Aussage des leitenden Presbyter der internationalen Baptistengemeinde Graz nicht tragfähig:

So führt dieser im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus, dass ihm durchaus bewusst sei, wonach die Hinwendung zum Christentum für viele Asylwerber zum letzten "Rettungsanker" werde und er selbst daher schon Fälle erlebt habe, in welchen sich Asylwerber Vorteile durch die Hinwendung zum Christentum verschaffen hätten wollen. Hier müsse man jedoch "um Jesus nicht zu verraten" ehrlich mit den Menschen umgehen (OZ 13, S. 11). Diese würden dann nicht zur Taufe zugelassen werden. Der Zeuge legte überzeugend dar, dass der BF hingegen eine innere Umkehr erlebt habe und den christlichen Glauben fortan Verinnerlicht habe. Deshalb habe er mit dem BF auch bereits ein "Übergabegebet" abgehalten, welches beinhalte, dass sich der BF vom alten Glauben oder auch Unglauben abwendet und verspricht Jesus sein ganzes Leben lang treu zu sein. Der Zeuge selbst gibt an, den BF auch im Gottesdienst, im Taufunterricht und in den Bibelstunden erlebt zu haben, wo er stets offene Fragen gestellt habe und die christliche Lehre sehr wissbegierig in sich aufgenommen habe (OZ 13, S. 11). Ausdiesem Grund sei der BF - nach einem Einstimmigen Beschluss der Gemeindeleitung- bereits zur Taufe zugelassen worden und habe er keinerlei Bedenken gegen die Taufe des BF.

Darüber hinaus stützt sich die Glaubwürdigkeit des BF hinsichtlich seiner Zuwendung zum Christentum auch auf den Umstand, dass er die christliche Lehre auch allen Leuten in seiner Umgebung mitteilt, und hierbei - insbesondere bei anderen muslimischen Asylwerbern - bereits negative Erfahrungen im Sinne des Abbruches des Kontaktes mit ihm gemacht hat. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung durch einen Zeugen bestätigt und vom BF so auch selbst angegeben (OZ 13, S. 6 und 12).

Aus Sicht der Richterin ist von einer inneren Überzeugung des BF auszugehen und konnte er auf emotionaler, persönlicher Ebene beschreiben, was ihn zum Christentum gezogen hat und inwiefern ihm der neue Glaube im Alltag hilft.

Auch wenn der BF zum gegenständlichen Zeitpunkt noch kein Taufzeugnis erworben hat, so stellt die Taufe im gegenständlichen Fall ohnehin keinen maßgeblichen Faktor bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des BF dar: Er war bereits für den Taufvorbereitungskurs eingeschrieben, musste diesen jedoch aufgrund einer Erkrankung kurzfristig abbrechen. Für den nächst möglichen Taufvorbereitungskurs ist der BF bereits eingeschrieben und hat die Baptistengemeinde Graz den BF auch bereits zur Taufe zugelassen (OZ 13, S. 6 und 12).

Die Verinnerlichung des christlichen Glaubens wurde ferner nicht nur durch die Aussagen des BF in der mündlichen Verhandlung in überzeugender Weise dargelegt (OZ 13, S. 7-8), sondern konnte auch durch die Aussagen zweier Zeugen - darunter der Leiter der internationalen Baptistengemeinde Graz -, die glaubhaft Auskunft über die tatsächliche Hinwendung des BF zum christlichen Glauben geben konnten, bestätigt werden.

Dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sowohl von staatlicher Seite, als auch von Privatpersonen bis hin zu islamischen Gruppierungen einer Verfolgung aufgrund seines Abfalls vom Islam und seiner Zuwendung zum Christentum ausgesetzt wäre, erscheint somit nachvollziehbar und glaubhaft.

Den Länderberichten zufolge besteht in Afghanistan innerhalb der Bevölkerung eine starke Intoleranz gegenüber Menschen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert sind. Konvertierung oder Apostasie ist nach dem islamischen Recht Afghanistans ein Verbrechen und wird mit dem Tode bestraft. Folglich müssen Apostaten Verfolgung durch afghanische Behörden und Privatpersonen fürchten müssen, wenn ihr Abfall vom Islam bekannt wird. Apostaten haben in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt (insbesondere) durch Familien- und Gemeinschaftsangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen. All dies kann nach den Länderberichten an keinem Ort Afghanistans ausgeschlossen werden, sodass dem BF keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.

Das Vorbringen des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner in Österreich erfolgten Zuwendung zum Christentum ist in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Christen und Konvertiten in Afghanistan, als glaubhaft zu beurteilen.

Für das Bundesverwaltungsgericht steht damit insgesamt unzweifelhaft fest, dass die Hinwendung des BF zum Christentum ernsthaft, nachhaltig und nach außen hin erkennbar erfolgt ist.

Da dem BF bereits aufgrund seiner Zuwendung zum christlichen Glauben Asyl zuzuerkennen war (siehe rechtliche Beurteilung), konnte eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit etwaigen weiteren asylrelevanten Aspekten im Vorbringen des BF unterbleiben.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat

2.3.1. Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Lage in Afghanistan stellt sich im Hinblick auf die aktuellsten Länderberichte diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einsicht in aktuelle Berichte, wie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner aktuellen Fassung) versichert hat. Das in den Feststellungen zur Sicherheits- und teilweise zur sozioökonomischen Lage zitierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation liegt zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor in der Version zum Stand 04.06.2019 vor.

Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden dem BF mit der Ladung bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Kenntnis gebracht. Dem BF wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides - Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, (AsylG) lautet auszugsweise:

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

...

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist es dem BF gelungen, glaubhaft zu machen, sich vom schiitischen Islam abgewendet zu haben und sich dem Christentum zugewandt zu haben. Er müsste im Falle der Rückkehr nach Afghanistan gänzlich aufhören, diesen Glauben zu praktizieren und zum Anschein nach Außen wieder nach den Vorschriften bzw. Gepflogenheiten des schiitischen Islam leben, um nicht Gefahr zu laufen, ernsthafter physischer Übergriffe ausgesetzt zu sein.

In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist (Hinweis E vom 23. Juni 2015, Ra 2014/01/0210, mwN). Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (Hinweis E vom 23. Juni 2015, Ra 2014/01/0117, mwN). Die bloße Behauptung eines "Interesses am Christentum" reicht zur Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion zum Christentum nicht aus (vgl. VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230).

Der BF konnte in Übereinstimmung mit zweier Zeugenaussagen glaubhaft darlegen, sich aus innere Überzeugung dem Islam abgewendet und dem Christentum zugewendet zu haben. Er wurde bereits zur Taufe zugelassen und ist diese Anfang 2020 geplant.

Das Bundesverwaltungsgericht ist der Ansicht, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan, im gesamten Staatsgebiet aufgrund seiner Religion (konkret seiner Abkehr vom islamischen Glauben und seiner Hinwendung zum Christentum) einer Verfolgung ausgesetzt wäre, die vom Staat und Privaten ausgeht. Die Gefahr einer Verfolgung des BF ist daher im vorliegenden Fall auf mehrfache Weise gegeben. Einerseits durch den afghanischen Staat und andererseits auch durch die einfache Bevölkerung, die von traditionell islamischen Vorstellungen geprägt ist; wobei insgesamt vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen davon ausgegangen werden kann, dass der afghanische Staat nicht willens und in der Lage ist, den BF entsprechend zu schützen. Darüber hinaus wäre auch eine Verfolgung durch islamistische Gruppierungen möglich.

Aus den damit in Einklang stehenden in das Verfahren einbezogenen Länderfeststellungen, die auf einer Vielzahl unterschiedlicher und unabhängiger Quellen beruhen, ergibt sich, dass die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, in Afghanistan für Muslime nicht gilt. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen.

In Anbetracht der dargestellten Umstände ist im Beschwerdefall insgesamt davon auszugehen, dass der BF in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung aufgrund religiöser Gründe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat; sich sohin aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, nach Afghanistan zurückzukehren.

3.1.3. Da gegenständlich weder einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorgebracht wurde noch sonst aus dem Akteninhalt ersichtlich ist, und zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht gegeben ist, ist der Beschwerde daher statt zu geben und dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem BF kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
Konversion, Nachfluchtgründe, Religion, Schutzunfähigkeit,
Schutzunwilligkeit, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W252.2158752.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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