TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/7 W103 2222713-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.02.2020
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Entscheidungsdatum

07.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W103 2222713-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , Rechtsanwältin in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2019, Zl. 751699808/190032036, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird gemäß §§ 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf sechs Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 13.10.2005 infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag, welchem im Berufungsverfahren mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 21.01.2008, Zahl:

301.380-C1/10E-IX/49/06, stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt wurde. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigen wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer ins Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte geraten sei, da er seinen Neffen und andere tschetschenische Widerstandskämpfer bei sich aufgenommen hätte und somit einem Personenkreis angehöre, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt werde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen besonders betroffen sei. Aus diesem Grund sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die föderalen Behörden bzw. tschetschenischen Sicherheitskräfte dem Beschwerdeführer - sollte er rückgeführt werden - besondere Aufmerksamkeit widmen würden und er Gefahr liefe, massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein.

2. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge mehrfach straffällig (vgl. dazu die Feststellungen).

3. Infolgedessen leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Aktenvermerk vom 10.01.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein, in welchem am 25.02.2019 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs stattgefunden hat. Der Beschwerdeführer gab im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache zusammengefasst zu Protokoll, seine Muttersprache sei Tschetschenisch, außerdem beherrsche er Russisch und Deutsch. Er sei gesund, nehme jedoch seit 2012 vom Psychologen verordnete Antidepressiva ein. Er sei dazu in der Lage, arbeiten zu gehen, derzeit arbeite er jedoch nicht. Er habe am 01.02.2019 einen Auffrischungskurs zum Schweißer gemacht und sich für eine Anstellung in diesem Beruf beworben. Der Beschwerdeführer sei in Tschetschenien geboren, habe dort elf Jahre lang die Schule besucht, zwei Jahre lang den Wehrdienst geleistet und sei 2005 nach Österreich gekommen. Sein älterer Bruder sowie viele Onkeln und Tanten würden sich noch im Heimatland aufhalten. Im Falle einer Rückkehr habe der Beschwerdeführer Angst vor Kadyrow, sein Asylgrund sei nach wie vor aktuell. Dies wisse er, da dort Chaos herrsche. Sie hätten eine Straße und Krankenhäuser gebaut und wenn die Polizisten zu wenig Geld hätten, würden sie einfach irgendjemanden verhaften. Dies sei bei ihnen immer so gewesen und werde sich auch nicht ändern. Dieses Problem betreffe alle Personen, die sich in Tschetschenien aufhielten. Auf die Frage, ob er auch ein persönliches Problem hätte, wenn er zurückkehren müsste, erklärte der Beschwerdeführer, dass er im Falle einer Abschiebung aus dem Flugzeug springen würde. Auf Wiederholung der Frage, gab der Beschwerdeführer an, er wisse nicht, was dort passiere. Im günstigsten Fall werde er in Moskau vom FSB in Empfang genommen. Außerdem lebe er hier mit seiner Familie, seiner Frau und seinen fünf Kindern. Egal was sei Frau irgendwo sage, das stimme nicht. Der Beschwerdeführer lebe immer zu Hause. Nachgefragt, was seine Frau sagen sollte, erwiderte der Beschwerdeführer, er sei dort nicht gemeldet. Auf die Frage, welche Befürchtungen er im Falle einer Rückkehr in einen anderen Teil seines Heimatlandes hätte, gab der Beschwerdeführer an, da fahre er lieber nach Tschetschenien als nach Russland, da es in Russland noch gefährlicher sei. Für ihn sei es in Russland gefährlich, da man Probleme mit den Behörden bekomme, wenn man in Russland keinen Ausweis hätte. In Österreich habe er eineinhalb Jahre als Schweißer gearbeitet; sonst habe er nichts gemacht. Er habe eine Frau und fünf Kinder im Alter zwischen sieben und neunzehn Jahren in Österreich. Weiters habe er einen Cousin und einen weiteren entfernten Verwandten in Österreich. Sein ältestes Kind mache gegenwärtig Kurse beim BFI, die anderen Kinder gingen alle in die Schule. Seine Frau arbeite nicht. Der Beschwerdeführer sei in keinen Vereinen Mitglied und habe eine Vorstrafe, da er mit seiner Frau gestritten hätte. In Deutschland sei er auch im Gefängnis gewesen, er hätte jedoch niemanden geschleppt. Befragt, weshalb er dann im Gefängnis gewesen wäre, erwiderte der Beschwerdeführe, früher hätte er dies schon gemacht, als er dann festgenommen worden sei, hätte er niemanden geschleppt. Der Beschwerdeführer habe zweimal Menschen geschleppt und sei zweimal erwischt worden. Nach einem Jahr im Gefängnis sei er entlassen worden. Er ersuche um eine Chance, er habe bis zu diesem Fehler nichts gemacht und könne versichern, sich in Zukunft korrekt verhalten zu werden.

Dem Beschwerdeführer wurden sodann die herangezogenen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht; aus der allgemeinen Lage sowie aus seinen persönlichen Merkmalen - so der Vorhalt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - sei nichts ersichtlich, das auf eine Verfolgung im Sinne der GFK oder eine reale Gefahr für sein Leben oder die Gesundheit schließen ließe. Zudem sei es dem Beschwerdeführer zuzumuten, selbst unter durchaus schwierigen Bedingungen am Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung zu suchen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, zumal er auch durch seine in Russland lebenden Angehörigen unterstützt werden könnte. Hierzu gab der Beschwerdeführer an, er werde dagegen Beschwerde einreichen. Er wolle keine weiteren Angaben erstatten und habe alles umfassend vorbringen können. Nach Rückübersetzung seiner Angaben gab der Beschwerdeführer an, er wolle noch hinzufügen, dass man Probleme bekomme, wenn man nicht für Kadyrow arbeite. Der Beschwerdeführer erklärte sodann, die aufgenommene Niederschrift nicht unterschreiben zu wollen, da es nicht seine Muttersprache sei. Auf Vorhalt, dass er zu Beginn der Befragung bestätigt hätte, mit einer Einvernahme in Russisch einverstanden zu sein, erklärte der Beschwerdeführer, er hätte das eh verstanden, er vertraue auch der Dolmetscherin.

Durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurden sodann die Ausfertigungen der in Deutschland erfolgten Verurteilungen des Beschwerdeführers angefordert.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.07.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Bescheid vom 21.01.2008 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und in Spruchpunkt VI. ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zudem wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII.).

Zur Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie zur Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in Österreich straffällig geworden und unter anderem wegen Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Nötigung und gefährlicher Drohung verurteilt worden. Auch weise er in Deutschland zwei Vorstrafen wegen Einschleusens von Ausländern und vorsätzlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln auf. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland hätte er keine Gefährdungs- und Bedrohungslage zu befürchten. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation habe dieser nicht glaubhaft machen können. Im Rahmen seiner Einvernahme habe er lediglich davon gesprochen, Angst vor Kadyrow zu haben, ohne diese Aussage weiter zu konkretisieren. Dieser habe auch gemeint, dass die Probleme, welche er haben würde, alle Menschen in Tschetschenien betreffen würden, sodass es sich um keine gegen ihn persönlich gerichtete Gefährdungslage handle. Da Personen, welche vor 2006 gegen das System gearbeitet hätten, amnestiert worden seien, ergebe sich für die Person des Beschwerdeführers keine Gefährdungslage im Heimatland, zumal er bereits vor 2006 ausgereist sei. Insofern habe sich sowohl die subjektive als auch - wie den Länderinformationen zu entnehmen sei - die objektive Lage in seinem Heimatland maßgeblich geändert. Da eben ehemalige Unterstützer keiner Verfolgung ausgesetzt seien, lasse sich eine enorme Verbesserung der Lage im Heimatland feststellen und habe der Beschwerdeführer auch keine Gefährdungslage mehr zu befürchten. Da sich schließlich aus dem Grund, welcher zur Schutzgewährung geführt hätte, keine aktuelle Gefährdungslage im Falle einer Rückkehr ableiten ließe, sei diesem eine Rückkehr zumutbar. Insofern sei ein Endigungsgrund im Sinne der GFK eingetreten. Da der Beschwerdeführer straffällig geworden wäre, sei die in § 7 Abs. 3 AsylG genannte Frist von fünf Jahren nicht zu berücksichtigen.

Dieser könne seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestreiten, würde dort Arbeitsmöglichkeiten finden und hätte noch familiäre Anknüpfungspunkte im Heimatland. Seitens der Behörde hätten keine exzeptionellen Umstände im Hinblick auf die Russische Föderation festgestellt werden können, die einer in Art. 2 und/oder Art. 3 EMRK genannten Gefährdung gleichzuhalten wären. Es könne nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde. Es lägen keine Hinwiese auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage vor.

Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 hätten sich nicht ergeben.

Der Beschwerdeführer spreche Deutsch, ginge zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung keiner Arbeit nach und lebe laut einem Auszug aus dem ZMR nicht mit seiner Kernfamilie zusammen. Der mit der Rückkehrentscheidung unbestrittener Weise einhergehende Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers sei insofern gerechtfertigt, als bei der Abwägung seiner familiären und privaten Interessen mit jenen der Öffentlichkeit zu Gunsten der Allgeneinheit und zur Sicherung des rechtskonformen Miteinanders zu entscheiden sei, zumal dieser wiederholt wegen unterschiedlicher Straftaten verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer zeige ein negatives Persönlichkeitsbild, eine Fortsetzung seines Aufenthalts stelle eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit dar. Hinsichtlich der Gründe für die Erlassung des Einreiseverbotes wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung, Widerstands gegen die Staatsgewalt, Nötigung, gefährlicher Drohung sowie Einschleusens von Ausländern und vorsätzlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln rechtskräftig verurteilt worden sei. Aufgrund der Schwere seines Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, gerechtfertigt sei. Der Beschwerdeführer habe bislang keine Besserungstendenzen gezeigt, zumal er bereits wiederholt rückfällig geworden wäre.

5. Mit am 19.08.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehrige gewillkürte Vertreterin des Beschwerdeführers fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei kein der in Art. 1 Abschnitt C der GFK angeführter Endigungsgrund eingetreten. Vielmehr hätten sich die Umstände, aufgrund derer der Beschwerdeführer Asyl erhalten hätte, nicht geändert und es sei dem Beschwerdeführer keinesfalls möglich, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Der Beschwerdeführe habe auch versucht, dies während seiner Einvernahme deutlich zu machen, er sei jedoch unzureichend befragt worden. Die belangte Behörde habe zwar allgemeine Feststellungen zum Herkunftsland des Beschwerdeführers getroffen, jedoch keinen ausreichenden Bezug zum Beschwerdeführer und dessen Fluchtgründen hergestellt, sodass letztlich offenbleibe, worin die Verbesserung der Situation im Herkunftsland, die dem Beschwerdeführer eine Rückkehr ermöglichen solle, bestehen würde. Dem Beschwerdeführer komme eine allfällige Amnestie im Jahr 2006 nicht zugute, er habe eine solche auch nicht für sich in Anspruch genommen. Vielmehr sei der Beschwerdeführer bereits aus dem Herkunftsstaat geflohen und hätte in weiterer Folge Asyl in Österreich erhalten. Schon aus diesem Grund habe er im Falle einer Rückkehr mit der umgehenden Verhaftung zu rechnen. Faire, rechtsstaatliche Verfahren seien in dessen Herkunftsstaat nicht zu erwarten. Vielmehr würden völlig unzulässige Mittel wie Misshandlung und Folter zum Einsatz gelangen. Tatsächlich habe sich die Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers weder hinsichtlich seiner Fluchtgründe noch im Allgemeinen verbessert. Im Hinblick auf die Nichtgewährung subsidiären Schutzes ignoriere die belangte Behörde die eigenen Länderfeststellungen; gerade Personen, die in das Herkunftsland zurückkehren, hätten erhebliche Probleme, wirtschaftlich Fuß zu fassen bzw. sich selbst zu versorgen. Der Beschwerdeführer sei kein junger Mann mehr und könne nicht auf die Unterstützung Angehöriger hoffen. Weiters leide er unter einer Depression, die medikamentös behandelt werden müsse, was von der Behörde außer Acht gelassen worden sei. Der Beschwerdeführer sei seit rund vierzehn Jahren durchgehend aufgrund seines Asylantrages bzw. der Gewährung internationalen Schutzes rechtmäßig in Österreich aufhältig. Dessen gesamte Kernfamilie lebe auf Dauer und rechtmäßig in Österreich. Es sei unrichtig, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern nicht im gleichen Haushalt wohne und kein Familienleben führe. Die unterschiedliche Meldeadresse vermöge die Annahme der Behörde, es bestünde kein Familienleben, nicht zu tragen. Weitere Ermittlungen zum Familienleben des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde nicht durchgeführt und auch keine sonstigen Feststellungen dazu getroffen. Der Beschwerdeführer habe während seines Aufenthalts in Österreich viele Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen, sei erwerbstätig gewesen, nehme aktiv am sozialen Leben teil, weise hervorragende Deutschkenntnisse auf und sei selbsterhaltungsfähig. Im Herkunftsland habe er keinerlei relevante bzw. enge Bindungen mehr; zu seinem dort lebenden Bruder habe er lediglich gelegentlich telefonischen Kontakt. Der Beschwerdeführer sei zwar strafgerichtlich nicht unbescholten, doch handle es sich bei den Straftaten um keine schwerwiegenden Delikte, die eine besondere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zur Folge hätten, sondern nur um Vergehen. Der Beschwerdeführer bereue sein Verhalten. Die Behörde habe es verabsäumt, Feststellungen zu den Tatumständen sowie den einzelnen Verurteilungen zu treffen. Vor dem Hintergrund des rund vierzehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalts sowie seiner äußerst engen familiären Bindungen im Bundesgebiet zu den Kindern und der Ehefrau werde deutlich, dass die familiären Interessen des Beschwerdeführers an seinem weiteren Aufenthalt in Österreich allfällige öffentliche Interessen an einer Rückkehrentscheidung jedenfalls überwiegen würden. Eine Rückkehrentscheidung hätte eine dauerhafte Trennung des Beschwerdeführers von seinen Angehörigen zur Folge, welche nicht nur die familiären Interessen des Beschwerdeführers, sondern auch jene der Kinder und der Ehefrau massiv verletzen würde. Der Beschwerdeführer nehme Pflege und Erziehung der Kinder gemeinsam mit der Kindesmutter wahr, sohin bestehe eine enge, vor allem auch emotionale, Bindung der minderjährigen Kinder an ihn, welche nicht über soziale Medien aufrechterhalten werden könne. Hinsichtlich des Einreiseverbotes habe die Behörde lediglich auf die Verurteilung an sich verwiesen, jedoch keine Ausführungen zu Art und Schwere der Straftat sowie dem Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers getroffen, welche für eine gesetzeskonforme Gefährdungsprognose jedoch unabdingbar seien. Tatsächlich sei für den Beschwerdeführer trotz seines Fehlverhaltens eine günstige Prognose zu treffen. Dieser habe sich zur Tat hinreißen lassen und sei festen Willens, die Rechtsordnung künftig einzuhalten. Von ihm ginge sohin keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich aus. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 23.08.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Mit Schreiben vom 18.12.2019 übermittelte der BF div. Unterlagen (A2 und B1 Deutschzeugnise aus dem Jahre 2008 bzw. 2012, einen Versicherungsdatenauszug aus dem hervorgeht, dass es seit 08.06.2019 Notstandshilfe bezieht, sowie Schulbesuchsbestätigungen der Kinder, sowie div. Kursbesuchsbestätigungen über eine Ausbildung als Schweißer).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der Beschwerdeführer stellte infolge illegaler Einreise am 13.10.2005 einen Asylantrag, dem mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 21.01.2008 im Berufungsverfahren stattgegeben wurde, wobei dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl in Österreich gewährt wurde.

Als den für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten - neben Ausführungen zur allgemein relevanten Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien - maßgebenden Sachverhalt stelle der Unabhängige Bundesasylsenat im Wesentlichen fest, ein Neffe des Beschwerdeführers sei während des zweiten Tschetschenienkrieges aktiver Widerstandeskämpfer gewesen. Im September 2005 habe der Beschwerdeführer seinen Neffen und zwei weitere Widerstandskämpfer im benachbarten Haus seines Bruders, der in Norwegen leben würde, übernachten lassen. Bei Tagesanbruch seien russische Sicherheitskräfte gekommen, welche den Neffen und die beiden anderen tschetschenischen Widerstandskämpfer verhaftet hätten. Der Beschwerdeführer sei daraufhin zu seiner Schwester geflüchtet, welche ebenfalls in der Heimatstadt des Beschwerdeführers gelebt hätte. Am nächsten Tag seien russische Sicherheitskräfte zum Haus des Beschwerdeführers gekommen, hätten dieses durchsucht und die Ehefrau des Beschwerdeführers nach dessen Aufenthalt verhört. Noch am selben Tag sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie geflüchtet. Nach seiner Flucht hätten russische Sicherheitskräfte noch den in Tschetschenien wohnenden Bruder zu dessen Aufenthalt verhört. In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei ins Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte gelangt, da er seinen Neffen und andere tschetschenische Widerstandskämpfer bei sich aufgenommen hätte und somit einem Personenkreis angehört hätte, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt werde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen besonders betroffen sei. Aus diesem Grund sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die föderalen Behörden bzw. tschetschenischen Sicherheitskräfte dem Beschwerdeführer besondere Aufmerksamkeit widmen würden und er Gefahr liefe, massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden. Zusammenfassend ergebe sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, einerseits wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Familienzugehörigkeit zu Personen, die mit dem tschetschenischen Widerstand assoziiert werden) und andererseits wegen einer an ethnische Gesichtspunkte anknüpfenden Unterstellung einer den pro-russischen Kräften gegenüber feindlichen politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb der Russischen Föderation aufhalte.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation unverändert aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem beherrscht er Russisch. Der Beschwerdeführer, welcher medikamentöse Behandlung aufgrund einer Depression in Anspruch nimmt, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Im Herkunftsstaat halten sich unverändert ein Bruder sowie mehrere Onkeln und Tanten des Beschwerdeführers auf.

1.3. Der Beschwerdeführer weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

1. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (rechtskräftig seit XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 83 Abs. 1, 15 StGB, § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, welche ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

2. Mit Urteil des Amtsgerichts XXXX (Deutschland) vom XXXX (rechtskräftig seit XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer nach den einschlägigen deutschen Rechtsnormen wegen Einschleusens von Ausländerin in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt.

3. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (rechtskräftig seit XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall, 105 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten verurteilt, welche ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt nachgesehen wurde.

4. Mit Urteil des Amtsgerichts XXXX (Deutschland) vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt. Im Zuge der Strafzumessung wurde erwogen, dass das Vorleben des Beschwerdeführers, sein strafrechtlicher Werdegang, die Tatumstände und seine aktuelle Lebenssituation bei einer Gesamtbewertung keine günstige Sozialprognose mehr rechtfertigen können. Dessen Vorleben sei geprägt durch einschlägige Delinquenz, hohe Rückfallgeschwindigkeit und Bewährungsversagen. Aus dieser Uneinsichtigkeit schließe das Gericht auf gewichtige Persönlichkeitsmängel und eine Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung, aus der sich die Gefahr künftiger Rechtsbrüche ergebe. Besondere Umstände, die eine günstige Zukunftserwartung rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal anhand seines bisherigen Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist.

1.4. Der Beschwerdeführer hat sich während seines rund vierzehnjährigen Aufenthalts Deutschkenntnisse angeeignet und einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Im Bundesgebiet leben seine Ehefrau und die fünf gemeinsamen, zwischen 1999 und 2012 geborenen, Kinder. Der Beschwerdeführer und seine Angehörigen weisen keine Wohnsitzmeldung an der gleichen Anschrift auf. Der Beschwerdeführer ist aktuell nicht selbsterhaltungsfähig und ging während seines Aufenthalts lediglich rund eineinhalb Jahre einer Erwerbstätigkeit als Schweißer nach. Den weit überwiegenden Teil seiner Aufenthaltsdauer hat er durch den Bezug staatlicher Sozialleistungen (Notstandshilfe, Arbeitslosengeldbezug) bestritten. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt und ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen.

Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

...

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Ende 2018 kam es in Tschetschenien wieder zur Verhaftung von Homosexuellen. Laut Angaben des russischen LGBT-Netzwerkes wurden mindestens 40 Frauen und Männer inhaftiert, mindestens zwei sollen im Zuge von Folter getötet worden sein (LGBT Netzwerk 14.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019). Laut dem Leiter des LGBT-Netzwerkes, Igor Kotschetkow, kam es nicht nur zur physischen Bedrohung bis zur Inkaufnahme des Todes der Festgehaltenen, sondern die Sicherheitskräfte sollen auch versucht haben, die Frauen und Männer daran zu hindern, aus der Teilrepublik auszureisen oder vor Gericht zu ziehen (NZZ 18.1.2019, vgl. UN News 13.2.2019). Die Kampagne, deren Muster und auch der Ort der Inhaftierung, eine Anlage in der Stadt Argun, erinnern an eine erste Welle an Verhaftungen von tschetschenischen Homosexuellen vor zwei Jahren. Nach Einschätzung von Menschenrechtsaktivisten gingen die Einschüchterungen, Festnahmen und Gewalttaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender weiter. Im Frühsommer 2017 hatte das Ermittlungskomitee von höchster Stelle in Moskau aus wegen starken internationalen Drucks eine Untersuchung der schwerwiegenden Vorwürfe angeordnet. Diese brachte allerdings nie konkrete Resultate (NZZ 18.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019).

Quellen:

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Russisches LGBT-Netzwerk (14.1.2019): New wave of persecution against LGBT people in Chechnya: around 40 people detained, at least two killed,

https://lgbtnet.org/en/newseng/new-wave-persecution-against-lgbt-people-chechnya-around-40-people-detained-least-two-killed, Zugriff 28.2.2019

-

Nowaja Gaseta (18.1.2019): ,

https://www.novayagazeta.ru/articles/2019/01/16/79205-legitimnye-zhertvy, Zugriff 28.2.2019

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.1.2019): In Tschetschenien hat eine neue Welle der Verfolgung Homosexueller begonnen, https://www.nzz.ch/international/in-tschetschenien-hat-eine-neue-welle-der-verfolgung-homosexueller-begonnen-ld.1452401, Zugriff 28.2.2019

-

UN News (13.2.2019): LGBT community in Chechnya faces 'new wave of persecution': UN human rights experts, https://news.un.org/en/story/2019/02/1032641, Zugriff 28.2.2019

Änderungen seit Mai 2018:

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremist-materials?field_extremist_content_value) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.

Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden.

Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43ee6f3eadfa69f65119c941fa/) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:

"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.

Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.

Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

Quellen:

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ÖB Moskau (23.10.2018): Information per Email

Bewegungsfreiheit bzw. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens.

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Rechtsschutz / Justizwesen

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1. 2. 2.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in W

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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