TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/13 W167 2224612-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.02.2020

Norm

AuslBG §1 Abs2
AuslBG §3
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W167 2224612-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den die Richterin Mag. Daria MACA-DAASE als Vorsitzende und die fachkundige Laienrichterin Mag. Manuela ECKERSDORFER und den fachkundigen Laienrichter Mag. Johannes Denk als Beisitzer/innen über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, die angefochtene Entscheidung behoben und gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG in Verbindung mit § 1 Absatz 2 lit. l AuslBG bestätigt, dass die Beschwerdeführerin vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am XXXX stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag nach § 3 Absatz 8 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), da sie mit einem Österreicher verheiratet sei.

2. Mit Bescheid vom XXXX lehnte die belangte Behörde den Antrag ab und begründete dies damit, dass keine Aufenthaltskarte (Angehörige von Österreichern) vorgelegt wurde.

3. Gegen diesen Bescheid erhob die vertretene Beschwerdeführerin Beschwerde und führte darin im Wesentlichen aus, dass ihr Ehemann regelmäßig XXXX arbeite und daher seine unionsrechtlichen Grundrechte wahrnehme. Daher sei ihr Antrag als der einer Familienangehörigen eines Unionsbürgers zu prüfen.

4. Am XXXX legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt und Vorlageschreiben dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5. Im Rahmen des Parteiengehörs teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie ihrer Vertreterin die Vollmacht entzogen habe und nahm zum Vorlageschreiben der belangten Behörde Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die drittstaatsangehörige Beschwerdeführerin ist seit XXXX mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet, mit dem sie einen gemeinsamen Wohnsitz in Österreich hat.

2. Der Ehemann der Beschwerdeführerin war von XXXX regelmäßig XXXX erwerbstätig.

3. Die zuständige Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde hat der Beschwerdeführerin trotz Antrags bislang keine Aufenthaltskarte als Angehörige eines Österreichers ausgestellt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Die Erwerbstätigkeit wurde für den festgestellten Zeitraum durch ein Bestätigungsschreiben eines ausländischen Unternehmens betreffend den Tätigkeitsbeginn sowie durch Honorarnoten sowie damit übereinstimmende Kontoausdrucke belegt. Ein Indiz für den gemeinsamen Wohnsitz in Österreich sind die ZMR-Auszüge, wobei im Beschwerdeverfahren keine gegenteiligen Anhaltspunkte hervorgekommen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Stattgabe der Beschwerde

3.1.1. Maßgebliche gesetzliche Bestimmungen im Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) und im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG)

Gemäß § 3 Absatz 8 AuslBG hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Ausländern, die gemäß § 1 Abs. 2 oder aufgrund einer Verordnung gemäß § 1 Abs. 4 vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind, auf deren Antrag eine Bestätigung darüber auszustellen.

Gemäß § 1 Absatz 2 lit. l AuslBG sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf Ausländer, die aufgrund eines Rechtsaktes der Europäischen Union Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen.

Gemäß § 1 Absatz 2 lit. m AuslBG sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf Ehegatten [...] österreichischer Staatsbürger, die zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind.

§ 54 NAG regelt die Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers. Gemäß Absatz 1 sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht. Absatz 7 bestimmt u. a., dass im Fall einer Aufenthaltsehe (§ 30) ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.

3.1.2. Maßgebliche gesetzliche Bestimmungen in der Unionsbürgerrichtlinie

Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, [...] (Unionsbürgerrichtlinie) lautet auszugsweise:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. "Unionsbürger" jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2. "Familienangehöriger"

a) den Ehegatten;

b) bis d) [...];

3. "Aufnahmemitgliedstaat" den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.

"Artikel 3

Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

[...]"

"Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) und c) [...]

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.

(3) und (4) [...]"

"Artikel 23

Verbundene Rechte

Die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, sind ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger aufzunehmen."

"KAPITEL VI

Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit

[...]"

3.1.3. Maßgebliche Judikatur

Mit der Ausstellung der Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG 2005 ist (jedenfalls) die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG durch den Ausländer dokumentiert (worüber über Antrag eine Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG ausgestellt werden kann) und hat der Ausländer damit freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. (VwGH 26.04.2016, Ra 2015/09/0137, Hinweis auf Stammrechtssatz GRS wie 2012/09/0007 E 24. April 2012 RS 2)

Eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG 2005 gehört zu den Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. In diesen Fällen ergibt sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern Kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts. Diese Bescheinigung hat bloß deklaratorische Wirkung. Ein das Aufenthaltsrecht konstitutiv begründender Aufenthaltstitel liegt mit der Aufenthaltskarte damit nicht vor (vgl. E 26. Juni 2012, 2010/22/0035, wonach einer Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG als bloße Anmeldebescheinigung keine Bindungswirkung für die nationale Behörde zukommt). Dies deckt sich im Ergebnis mit den E 4. September 2006, 2006/09/0070, und vom 24. April 2012, 2012/09/0003; diese sehen grundsätzlich nur außerhalb der Freizügigkeitssachverhalte ein Recht auf Aufenthalt (oder Niederlassung) mit einem Aufenthaltstitel mit konstitutiver Wirkung eingeräumt. Im Falle einer Aufenthaltskarte nach § 54 Abs. 1 NAG 2005 "dokumentiert" - also bescheinigt - diese die Berechtigung für Angehörige eines EWR-Bürgers zum Aufenthalt für mehr als drei Monate (und iVm Art. 23 der Richtlinie 2004/38/EG auch zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger). Aus der Aufenthaltskarte ist keine Bindungswirkung für das AMS abzuleiten, sondern stellt die erwähnte Aufenthaltskarte bloß eine Bescheinigung dar. Im Verfahren über die Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG sind die diesbezüglichen Voraussetzungen zu prüfen. Die dafür zuständige Behörde hat darzutun, ob sie die erwähnte Dokumentation/das Vorliegen einer Bescheinigung für die Annahme der Tatbestandsmerkmale als ausreichend erachtet oder nicht. (VwGH 26.04.2016, Ra 2015/09/0137)

Die Art 9 und 10 sowie 7 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG entfalten unmittelbare Wirkung, sodass sie entgegenstehende nationale Regelungen, [...], kraft des dem unmittelbar wirkenden Gemeinschaftsrecht inhärenten Anwendungsvorranges verdrängen. (VwGH 22.01.2009, 2008/21/0671)

Gemäß den Erkenntnissen des VfGH vom 13.10.2007, B1462/06, und vom 16.12.2009, G244/09 ua, genießen auch die oa Angehörigen von Österreichern, sofern Letzere eines ihrer Rechte gemäß Art 21 (Niederlassungsfreiheit) und Art 46 (Arbeitnehmerfreizügigkeit) AEUV in einem anderen EWR-Mitgliedstaat ausgeübt haben und im Anschluss daran wieder nach Österreich zurückkehren, Arbeitnehmerfreizügigkeit und sind daher ebenfalls von der Ausnahmeregelung erfasst. (Deutsch/Nowotny/Seitz, Ausländerbeschäftigungsrecht2, zu § 1 Rz. 30)

Angehörige von "freizügigkeitsberechtigten" Österreicher müssen glaubhaft machen, dass ihre Bezugsperson tatsächlich einen "Freizügigkeitssachverhalt" gesetzt hat (VwGH 11.03.2010, 2007/09/0096). Gemäß § 57 in Verbindung mit § 51 Absatz 1 NAG liegt ein Freizügigkeitssachverhalt vor, wenn die Bezugsperson in einem anderen EWR-Mitgliedstaat (selbständig oder unselbständig) erwerbstätig war, eine Ausbildung an einer anerkannten Bildungseinrichtung absolviert hat oder sich länger als drei Monate dort aufgehalten hat. Diesbezügliche Anhaltspunkte müssen vom Antragsteller vorgebracht werden (VwGH 26.01.2010, 2008/22/0296). (Deutsch/Nowotny/Seitz, Ausländerbeschäftigungsrecht2, zu § 1 Rz. 30)

3.1.4. Für den Beschwerdefall bedeutet das:

Strittig ist im Beschwerdefall, ob die Ausstellung der Aufenthaltskarte deklarativer oder konstitutiver Natur und dementsprechend Voraussetzung für die Erteilung einer Bestätigung gemäß § 8 Absatz 3 AuslBG ist sowie weiters ob der Ehemann der Beschwerdeführerin bereits einen Freizügigkeitssachverhalt gesetzt hat.

§ 3 Absatz 8 AuslBG stellt auf die Verwirklichung eines der in § 1 Absatz 2 AuslBG aufgezählten Ausnahmebestände (lit a bis lit m) ab.

Das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht für Angehörige eines EWR-Bürgers ergibt sich Kraft unmittelbar anwendbarem Unionsrecht. Aufenthaltskarten gemäß § 54 NAG 2005 dokumentieren zwar dieses unionsrechtliche Aufenthaltsrecht, haben als Bescheinigungen aber bloß deklaratorische Wirkung. Aus der Aufenthaltskarte ist auch keine Bindungswirkung für die belangte Behörde abzuleiten, weshalb diese im Verfahren über die Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Absatz 8 AuslBG die diesbezüglichen Voraussetzungen zu prüfen hat und darzutun hat, ob sie die erwähnte Dokumentation/das Vorliegen einer Bescheinigung für die Annahme der Tatbestandsmerkmale als ausreichend erachtet oder nicht (vergleiche dazu VwGH 26.04.2016, Ra 2015/09/0137, oben 3.1.3.)

Es ist daher zu prüfen, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin einen "Freizügigkeitssachverhalt" gesetzt hat. Da er in einem anderen EWR-Staat erwerbstätig war, hat er einen Freizügigkeitssachverhalt gesetzt.

Daher erfüllt die Beschwerdeführerin als seine drittstaatsangehörige Ehefrau und Angehörige im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie die Voraussetzungen gemäß § 1 Absatz 2 lit. l AuslBG und damit die Voraussetzungen des § 3 Absatz 8 AuslBG.

Festgehalten wird, dass auch ein allfälliges Asylverfahren der Beschwerdeführerin im Hinblick auf § 54 Absatz 1 letzter Satz nicht entscheidungsrelevant wäre (vergleiche auch VwGH 17.09.2019, Ra 2019/22/0115).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Das Dokument "Bestätigung gemäß § 3 Absatz 8 AuslbG" ist von der belangten Behörde auszustellen (vergleiche VwGH 09.09.2014, 2013/09/0184). Eines eigenen Ausspruches darüber bedarf es nicht. Diese Verpflichtung der Behörde besteht ex lege (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. überarbeitete Auflage, § 28 VwGVG K 39).

Das Bundesverwaltungsgericht erachtete die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 VwGVG für nicht erforderlich, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde und dem Vorlageantrag geklärt erscheint und eine reine Rechtsfragenbeurteilung vorliegt.

3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Richtlinie, Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W167.2224612.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten