Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.-Ing. A*****, vertreten durch Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Hellenische Republik, *****, Griechenland, vertreten durch Weber Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 86.135 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 8. August 2019, GZ 2 R 115/19b-46, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in der Entscheidung C-308/17 (Hellenische Republik/Kuhn; EU:C:2018:911) erst jüngst klargestellt, dass der (dortige) Ausgangsrechtsstreit (so wie im vorliegenden Verfahren begehrte auch dort der Kläger von der Beklagten die Zahlung von Zinsen und Nominale der von ihm erworbenen Staatsanleihen mit der Begründung, die Beklagte habe eine eigenmächtige Zwangskonvertierung der Staatsanleihen durchgeführt und damit den in den ursprünglichen Staatsanleihen wurzelnden Anspruch des Klägers in rechtswidriger Weise nicht erfüllt) nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 fällt. Der EuGH führte dazu aus:
36 In Bezug auf den Ausgangsrechtsstreit ist zu ermitteln, ob er auf Handlungen der Hellenischen Republik zurückgeht, die einer Ausübung hoheitlicher Rechte entspringen.
37 Wie der Generalanwalt in den Nr. 62 ff seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich die Ausübung solcher Rechte im vorliegenden Fall sowohl aus der Natur und den Modalitäten der Änderungen der Vertragsbeziehung zwischen der Hellenischen Republik und den Inhabern der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Staatsanleihen als auch aus den außergewöhnlichen Umständen, unter denen diese Änderungen eingetreten sind.
38 Nachdem der griechische Gesetzgeber das Gesetz Nr. 4050/2012 erlassen und dadurch rückwirkend eine [Umstrukturierungsklausel] eingeführt hatte, wurden die Anleihen nämlich durch neue Anleihen mit einem erheblich niedrigeren Nennwert ersetzt. Eine derartige Ersetzung von Anleihen war weder in den ursprünglichen Anleihebedingungen vorgesehen noch in den griechischen Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt der Emission der nach diesen Bedingungen begebenen Anleihen galten.
39 Die rückwirkende Einführung einer [Umstrukturierungsklausel] ermöglichte es der Hellenischen Republik somit, allen Anleiheinhabern eine wesentliche Änderung der finanziellen Bedingungen dieser Anleihen aufzuerlegen, und zwar auch jenen, die mit dieser Änderung nicht einverstanden waren.
40 Außerdem erfolgte der erstmalige Rückgriff auf die rückwirkende Einführung einer [Umstrukturierungsklausel] und die daraus resultierende Änderung der erwähnten finanziellen Bedingungen im außergewöhnlichen Kontext und unter den außergewöhnlichen Umständen einer schweren Finanzkrise. Die Maßnahmen gingen insbesondere auf die im Rahmen eines zwischenstaatlichen Unterstützungsmechanismus bestehende Notwendigkeit zurück, die griechische Staatsschuld umzustrukturieren und die Gefahr des Scheiterns des entsprechenden Umstrukturierungsplans auszuschließen, um den Zahlungsausfall Griechenlands zu verhindern und die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets sicherzustellen. In Erklärungen vom 21. 7. und vom 26. 10. 2011 bekräftigten die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets daher, dass in Bezug auf die Beteiligung des privaten Sektors die Situation der Hellenischen Republik eine außergewöhnliche Lösung erfordere.
41 Der außergewöhnliche Charakter dieser Situation ergibt sich auch daraus, dass gemäß Art 12 Abs 3 des ESM-Vertrags ab dem 1. 1. 2013 alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln enthalten, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist.
42 Somit ist angesichts des außergewöhnlichen Charakters der Bedingungen und der Umstände, unter denen das Gesetz Nr. 4050/2012 erlassen wurde, mit dem die ursprünglichen Anleihebedingungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Staatsanleihen durch Einführung einer [Umstrukturierungsklausel] einseitig und rückwirkend geändert wurden, sowie des mit diesem Gesetz verfolgten im Allgemeininteresse liegenden Ziels festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit auf eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte zurückgeht und aus Handlungen des griechischen Staates in Ausübung dieser hoheitlichen Rechte resultiert, so dass er nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art 1 Abs 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt.
43 Nach alledem ist auf die gestellte Frage zu antworten, dass Art 1 Abs 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass ein Rechtsstreit wie der des Ausgangsverfahrens, den eine natürliche Person, die von einem Mitgliedstaat begebene Anleihen erworben hatte, gegen diesen führt, wobei sich ihre Klage gegen den Austausch der genannten Anleihen gegen Anleihen mit einem niedrigeren Wert richtet, der ihr durch ein vom nationalen Gesetzgeber unter außergewöhnlichen Umständen erlassenes Gesetz auferlegt wurde, mit dem die Anleihebedingungen einseitig und rückwirkend geändert wurden, indem eine [Umstrukturierungsklausel] eingeführt wurde, die es der Mehrheit der Inhaber der betreffenden Anleihen ermöglicht, der Minderheit diesen Austausch aufzuzwingen, nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.
2. Diesem Ausgangsrechtsstreit, den der Oberste Gerichtshof letztlich dahin entschieden hat, dass die Klage mangels internationaler Zuständigkeit österreichischer Gerichte zurückgewiesen wurde (10 Ob 103/18x BKR 2019, 148 [Weller/Wagner, 123] = ecolex 2019/229 [Wittich] = IPRax 2019/38 [Arnold, 385] = EvBl 2019/132 [Arnold/Garber]), lag die ausdrückliche Feststellung der (dort) Vorinstanzen zugrunde, dass die Beklagte in Griechenland Staatsanleihen nach griechischem Recht emittiert habe, die an der Athener Börse gehandelt worden seien. Dass den Vorinstanzen im vorliegenden Fall eine derartige Feststellung nicht möglich gewesen ist und sich der Kläger darauf beruft, tatsächlich seien die hier maßgeblichen Staatsanleihen nach englischem Recht emittiert worden, ändert nichts an der von den Vorinstanzen konstatierten fehlenden internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte:
2.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung (EuGH C-226/13 [Fahnenbrock/Hellenische Republik; EU:C:2015:383; 8 Ob 67/15h; 6 Ob 164/18p EvBl 2019/65 [Ballon] = ZFR 2019/107 [Klauser/Aichberger-Beig]), dass die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse im hier interessierenden Kontext dann vorliegt, wenn die (ursprünglichen) finanziellen Bedingungen der betreffenden Wertpapiere einseitig und nicht auf der Grundlage der Marktbedingungen, die den Handel und die Rendite dieser Finanzinstrumente regeln, vom Staat festgelegt wurden; auch nach der Entscheidung 4 Ob 227/13f besteht eine Immunität Griechenlands hinsichtlich Schadenersatzansprüchen wegen Verstoßes des griechischen Umschuldungsgesetzes gegen höherrangiges Recht.
2.2. Wurden deshalb die verfahrensgegenständlichen Staatsanleihen nach griechischem Recht begeben – worauf sich der Kläger im Übrigen zunächst selbst berufen hat –, fällt der Rechtsstreit nach den Grundsätzen der Entscheidung C-308/17 (Hellenische Republik/Kuhn; EU:C:2018:911) grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO 2012. Wurden die Staatsanleihen hingegen – wie der Kläger nunmehr meint – nach englischem Recht begeben und hätte die Beklagte die Umstrukturierung deshalb gar nicht vornehmen dürfen
– wovon der Kläger ausgeht –, könnte der Kläger zwar möglicherweise Schadenersatzansprüche geltend machen, es wäre jedoch in einem Rechtsstreit zu entscheiden, der „auf eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte zurückgeht und aus Handlungen des griechischen Staats in Ausübung dieser hoheitlichen Rechte resultiert“.
3. Der Kläger beruft sich auch darauf, dass sich nach Art 1 des griechischen Umschuldungsgesetzes 4050/2012 dessen Umstrukturierungsmaßnahmen nur auf Anleihen bezogen habe, die dem griechischen Recht unterliegen und deren Emittent der griechische Staat ist. Daraus ist allerdings für ihn nichts gewonnen, steht doch nicht fest, dass die Staatsanleihen tatsächlich englischem Recht unterlagen. Seine Ausführungen im außerordentlichen Revisionsrekurs bereits aus den vorgelegten Subscription Agreements ergebe sich die Anwendung englischen Rechts auf die Staatsanleihen, sind wiederum nicht zwingend: Es ist zwar unstrittig, dass in den Subscription Agreements die Anwendung englischen Rechts vereinbart wird; es ist aber auch die Rede davon, dass die Beklagte gemäß den Bedingungen dieser Subscription Agreements zustimmt, „die Anleihen zu emittieren“, was dahin verstanden werden kann, dass es neben den Subscription Agreements zusätzlich (vorrangig) einen Emissionsakt geben muss, worauf auch die Beklagte in ihrer Rekursbeantwortung verwiesen hat („die Staatsanleihen wurden aufgrund von Beschlüssen des Wirtschafts- und Finanzministers begeben; in diesen Beschlüssen sind die für alle Staatsanleihen wesentlichen Bedingungen niedergelegt“). Diese Überlegungen stehen auch im Einklang mit der Entscheidung 10 Ob 103/18x, wonach die Beklagte die Staatsanleihen als Wertrechte (Schuldbuchforderungen) ausgegeben habe, die im Girosystem der griechischen Zentralbank registriert worden seien, das auf Konten im Namen der jeweiligen Systemteilnehmer basiere, wobei es für die Teilnehmer an dem System der Zulassung durch den Gouverneur der griechischen Zentralbank bedürfe; gemäß Art 6 Abs 4 des griechischen Gesetzes Nr 2198/1994 werde eine Anleihe durch Gutschrift auf dem Konto des Teilnehmers übertragen, der Dritten (Investoren) Rechtspositionen in Bezug auf die Anleihe einräumen könne.
4. Da somit die EuGVVO 2012 nicht anwendbar ist, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den einzelnen vom Kläger geltend gemachten Zuständigkeitstatbeständen nach dieser Verordnung. Zu prüfen wäre infolge der für den Obersten Gerichtshof bindenden Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit durch die Vorinstanzen zwar das Vorliegen eines Gerichtsstands nach den Bestimmungen des österreichischen Rechts. Auf einen solchen Gerichtsstand hat sich der Kläger jedoch weder ausdrücklich berufen noch einen solchen sonst dargetan (10 Ob 103/18x).
Textnummer
E127639European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00174.19K.0123.000Im RIS seit
26.03.2020Zuletzt aktualisiert am
26.03.2020