TE OGH 2020/2/18 10ObS103/19y

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Veröffentlicht am 18.02.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Dr. Christian Gepart, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1.) 529.659,71 EUR und 2.) Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2019, GZ 10 Rs 120/18t-79, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11. April 2018, GZ 8 Cgs 26/15v-71, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil insgesamt wie folgt lautet:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei für den Zeitraum vom 1. 1. 2013 bis 31. 3. 2018 einen Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege in Höhe von 499.000,32 EUR binnen 14 Tagen zu bezahlen, dies unter Einrechnung der von der beklagten Partei für den Zeitraum vom 1. 12. 2014 bis 31. 3. 2018 allenfalls bereits geleisteten Zahlungen aus dem Titel des Kostenzuschusses für medizinische Hauskrankenpflege.

2. Das Mehrbegehren auf Erstattung von Kosten der intensivmedizinischen und intensivpflegerischen Betreuung des Klägers als Leistung der ausgelagerten Anstaltspflege in Form einer besonderen Art der Hauskrankenpflege in Höhe von 922.659,39 EUR samt 4 % Zinsen aus 529.659,71 EUR seit Klageeinbringung wird abgewiesen.

3. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei in Zukunft intensivmedizinische Hauskrankenpflege im Ausmaß von 24 Stunden täglich zu gewähren hat, solange die Beatmungspflicht (PNS, bei Zwerchfellermüdung mittels Heimrespirators) besteht.

4. Das Feststellungsmehrbegehren wird abgewiesen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.026,36 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten 336,76 EUR USt und 98,40 EUR Barauslagen) und die mit 1.219,34 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 203,22 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 69,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Bezeichnung der ursprünglich beklagten Wiener Gebietskrankenkasse war gemäß §§ 23 Abs 1 und 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf Österreichische Gesundheitskasse zu berichtigen.

Der 1967 geborene Kläger erlitt am 21. 8. 2011 bei einem Sprung in ein Schwimmbecken eine Fraktur des 2. Halswirbels sowie eine Querschnittlähmung. Nach intensivmedizinischer Behandlung und operativer Versorgung der Halswirbelfraktur wurden ihm in der Folge eine Atemkanüle eingesetzt (Tracheostomie) und ein Herzschrittmacher sowie ein Zwerchfellschrittmacher (PNS, Phrenikus-Nerven-Stimulator) implantiert. Nach Aufenthalten in mehreren Spitälern und einer Rehabilitationsklinik, teilweise auch in Deutschland, wurde er am 20. 12. 2012 in häusliche Pflege entlassen. Unterbrochen von stationären Behandlungen und einem Aufenthalt in einem neurologischen Rehabilitationszentrum befindet er sich seither in häuslicher Pflege. Der Heilungsprozess des Klägers ist nicht abgeschlossen. Es kommt zu einer permanenten, wenn auch langsam fortschreitenden Verbesserung der neurologischen Symptomatik. Die Muskelkraft nimmt zu, die Motorik und die Spontanatmung ohne Unterstützung des Zwerchfellstimulators verbessern sich. Ebenso verbessert sich die Sensibilität in unteren Dermatomen (Hautgebieten).

In Österreich gibt es vier Rehabilitationskliniken, die für Tetraplegiker geeignet sind, weiters existieren vier Langzeitbeatmungsstationen. In sämtlichen Einrichtungen gibt es lange Wartezeiten, oft länger als ein Jahr. Jedenfalls ist die Unterbringung in einer Langzeitbeatmungsstation nicht für den Kläger geeignet. In Langzeitpflegeeinrichtungen besteht eine hohe Prävalenz für nosokomiale Infektionen (Krankenhausinfektionen). Diesbezüglich ist der Kläger besonders gefährdet. Die statistische Wahrscheinlichkeit (für eine Infektion) beträgt an Intensivstationen 15 %, bei Langzeitbeatmungsstationen bzw Langzeitpflegestationen zwischen 20 % und 40 %. Dieser Gefahr ist der Kläger bei einer häuslichen Pflege nicht ausgesetzt. In einer Langzeitbeatmungsstation besteht aus personellen und gerätetechnischen Gründen nicht die Möglichkeit eines derart intensiven weiteren Muskelaufbautrainings wie zu Hause, sodass es auf einer solchen Station zu keiner weiteren Besserung der neurologischen Symptomatik kommt. Mangels geringer Erfahrung in Langzeitbeatmungsstationen mit den Besonderheiten einer zwerchfellstimulatorinduzierten Atmung käme es bei Atemschwierigkeiten des Klägers eher zur apparativen Beatmung, was aber einen Rückschritt der bereits erzielten Atemtechnik hervorrufen würde. An einer Langzeitbeatmungsstation käme es zu einer Minderung des Sozial- und Familienlebens, welche aber für die psychische Situation des Klägers besonders wichtig sind.

Beim Kläger ist die häusliche medizinische Intensivkrankenpflege jener einer Anstaltspflege daher deutlich überlegen. Die Kosten der Anstaltspflege würden jene der häuslichen Pflege übersteigen. Jedenfalls solange die Beatmungspflicht (PNS, bei Zwerchfellermüdung mittels Heimrespirators) notwendig ist, ist für den Kläger die Anwesenheit einer Pflegeperson mit der Sonderausbildung für Intensivpflege von 24 Stunden täglich erforderlich. Der Bruttolohn für renommiertes Pflegepersonal mit Zusatzausbildung Intensivpflege liegt bei 40 EUR, teilweise wird er bei 60 EUR angesetzt.

Der Kläger bezieht Pflegegeld der Stufe 7. Das Erstgericht hat die vom Kläger für die 24-stündige Intensivpflege geleisteten Zahlungen für den Zeitraum von Jänner 2013 bis einschließlich März 2018 im Einzelnen festgestellt.

Am 20. 11. 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten der intensivmedizinischen Pflege und Betreuung zu Hause „für den gesamten bisherigen Zeitraum und zukünftig.“

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14. 1. 2015 den Antrag auf Gewährung eines höheren Kostenzuschusses als 23,04 EUR täglich für die Betreuung durch einen gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege mit Intensivpflegeausbildung im Zeitraum vom 21. 12. 2012 bis 30. 11. 2014 ab. Beim Kläger liege ein abgeschlossener Gesundheitszustand vor, der nicht mehr als Krankheit, sondern als Gebrechen zu qualifizieren sei. Der tatsächliche Aufwand der täglichen Betreuungsleistung, der nicht als Pflege, sondern als Anstaltspflege zu qualifizieren sei, betrage zwei Stunden täglich. Für zwei Stunden medizinischer Hauskrankenpflege täglich sei dem Kläger nach Maßgabe der Satzung ein Zuschuss von 23,04 EUR pro Tag
– ausgenommen Tage eines Krankenhausaufenthalts – für den Zeitraum vom 21. 12. 2012 bis 30. 11. 2014 zuzuerkennen, insgesamt daher 14.307,84 EUR.

Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 529.659,71 EUR samt 4 % Zinsen seit Klagseinbringung. Weiters begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, beginnend ab 1. 2. 2015 die Kosten der intensivmedizinischen und intensivpflegerischen Betreuung des Klägers als Leistung der ausgelagerten Anstaltspflege in Form einer besonderen Art der Hauskrankenpflege durch die Beklagte zu übernehmen. Hilfsweise begehrt der Kläger den Zuspruch von monatlich 22.300 EUR ab 1. 2. 2015 als Kosten der intensivmedizinischen und intensivpflegerischen Betreuung als Leistung der ausgelagerten Anstaltspflege in Form einer besonderen Art der Hauskrankenpflege.

Die Beklagte sei verpflichtet, die Kosten der intensivmedizinischen und intensivpflegerischen Betreuung des Klägers als Leistung der Krankenbehandlung zu marktkonformen Preisen zu übernehmen. Die Satzung der Beklagten sehe keine Honorarposition für die beim Kläger erforderlichen Maßnahmen und auch keine vergleichbaren Honorarpositionen vor. Der in der Satzung vorgesehene Pauschalsatz von 11,52 EUR pro Stunde stelle auf den typischen einfachen Fall der Hauskrankenpflege ab, der beim Kläger nicht vorliege. Der Kläger habe für die intensivmedizinische und -pflegerische Betreuung in den Jahren 2013 und 2014 sowie im Jänner 2015 gesamt 529.659,71 EUR aufgewendet. Er erhalte aus Kulanzgründen seit 13. 2. 2013 vom Fonds Soziales Wien eine Direktleistung in Höhe von 12.831,16 EUR für 30 Tage, wovon jedoch das Pflegegeld der Stufe 7 abgezogen werde. Der Kläger sei verpflichtet, diese Kosten zurückzuerstatten, falls er von der Beklagten Ersatz erhalte. Zum Eventualbegehren auf Zuspruch von 22.300 EUR monatlich brachte der Kläger vor, dass er seit 1. 2. 2015 für 24 Stunden täglich 30 EUR pro Stunde an das diplomierte Pflegepersonal gezahlt habe und zahlen müsse.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage für die vor dem 21. 12. 2012 und nach dem 30. 11. 2014 liegenden Zeiträume mangels Zulässigkeit des Rechtswegs. In der Sache hielt die Beklagte an ihrem Standpunkt fest, dass dem Kläger Kostenersatz für medizinische Hauskrankenpflege nach Anhang 6 zu § 36 der Satzung 2011 der (ursprünglich) beklagten Wiener Gebietskrankenkasse gebühre. Bei Annahme der Erforderlichkeit 24-stündiger Intensivbetreuung stünde ihm daher monatlich ein Betrag von 8.294,40 EUR zu (11,52 EUR pro Stunde). Ein außergewöhnlicher Fall, der eine Kostenerstattung nach Marktpreisen rechtfertigen könnte, liege nicht vor. Auch in einem solchen Fall käme nicht eine Kostenerstattung nach Marktpreisen in Frage, sondern nur ein subsidiärer Pflegekostenzuschuss gemäß § 150 Abs 2 ASVG in Höhe von 196,90 EUR pro Tag (§ 38 der Satzung, sogenannter „Wiener Tarif“). Abgesehen davon seien die vom Kläger begehrten Beträge überhöht.

Die Beklagte verkündete dem Wiener Gesundheitsfonds den Streit; ein Beitritt im Rechtsstreit erfolgte nicht.

Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege für den Zeitraum vom 1. 1. 2013 bis 30. 11. 2014 in Höhe von 162.524,16 EUR zu und wies das Mehrbegehren von 367.135,55 EUR ebenso wie das Zinsenbegehren ab. Es stellte fest, dass die Beklagte dem Kläger in Zukunft intensivmedizinische Hauskrankenpflege im Ausmaß von 24 Stunden täglich, solange die Beatmungspflicht (PNS, bei Zwerchfellermüdung mittels Heimrespirators) besteht, zu gewähren habe, und wies das Feststellungsmehrbegehren ab. Das Eventualbegehren wies das Erstgericht mit einem in seine Entscheidung aufgenommenen Beschluss zurück.

Der Kläger habe, jedenfalls solange die Beatmungspflicht bestehe, einen Anspruch auf intensivmedizinische Hauskrankenpflege gemäß § 151 ASVG im Ausmaß von 24 Stunden täglich. Der Kläger habe nach der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse einen Anspruch auf Kostenzuschuss von 11,52 EUR pro Stunde medizinischer Hauskrankenpflege. Damit seien im Ergebnis ca 38 % der beim Kläger tatsächlich erforderlichen Kosten gedeckt, sodass die Satzungsbestimmung als gesetzeskonform anzusehen sei. Der Kläger habe daher Anspruch auf einen Kostenzuschuss von 11,52 EUR pro Stunde für 24 Stunden medizinischer Hauskrankenpflege täglich, dies unter Berücksichtigung der festgestellten Zeiten der stationären Pflege sowie der bereits geleisteten Zahlungen. Dem Feststellungsbegehren auf Übernahme der Kosten für den Zeitraum vom 1. 2. 2015 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung fehle einerseits das Feststellungsinteresse, weil bereits ein Leistungsbegehren erhoben werden könnte. Das Feststellungsbegehren sei nur teilweise berechtigt, weil die Beklagte dem Kläger nur so lange medizinische Hauskrankenpflege zu gewähren habe, als beim Kläger Beatmungspflicht bestehe. Dem Eventualleistungsbegehren stehe die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht, der Berufung des Klägers hingegen teilweise Folge. Es änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es die Beklagte schuldig erkannte, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. 1. 2013 bis 31. 3. 2018 an Kostenerstattung für medizinische Hauskrankenpflege 1.333.923,39 EUR zu zahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung von 43.136,32 EUR sowie der Zinsen wies es ab. Es stellte fest, dass die Beklagte dem Kläger in Zukunft intensivmedizinische Hauskrankenpflege im Ausmaß von 24 Stunden täglich zu gewähren habe, solange die Beatmungspflicht (PNS, bei Zwerchfellermüdung mittels Heimrespirators) besteht. Das Feststellungsmehrbegehren wies das Berufungsgericht ab.

Zur Berufung des Klägers vertrat das Berufungsgericht unter ausführlicher Wiedergabe und Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs zu den hier zu beurteilenden Rechtsfragen die Rechtsansicht, dass die Frage der Gesetzeskonformität des satzungsmäßigen Kostenzuschusses von den Gerichten im Leistungsstreitverfahren selbst zu prüfen sei. Der satzungsmäßige Kostenzuschuss von 11,52 EUR pro Stunde sei bei verfassungskonformer Auslegung nicht für die Bestimmung der Höhe des Kostenersatzanspruchs des Klägers heranzuziehen. Der von der Satzung vorgesehene Zuschuss sei zwar signifikant höher als die in früheren Entscheidungen beurteilten Kostenzuschüsse (8,72 EUR pro Tag in 10 ObS 68/04d und 10 ObS 35/05b, SSV-NF 19/27; 4,36 EUR pro Tag in 10 ObS 67/04g) und ermögliche auch die Berücksichtigung eines nach Stunden unterschiedlich hohen zeitlichen Ausmaßes an Hauskrankenpflege. Entscheidend erscheine jedoch die beim Kläger vorliegende außergewöhnliche Pflegesituation eines beatmungspflichtigen Tetraplegikers, die dadurch gekennzeichnet sei, dass es keine adäquate Behandlungsalternative zur Heimkrankenpflege gebe und eine durchgehende Betreuung durch eine Pflegekraft mit der Sonderausbildung für Intensivpflege nicht nur medizinisch indiziert, sondern für den Kläger überlebensnotwendig sei. Ein Kostenzuschuss von 11,52 EUR pro Stunde entspreche nur einem Viertel des Bruttostundenlohns für (renommiertes) Pflegepersonal und einem Drittel der vom Kläger gezahlten Kosten von 30 EUR netto pro Stunde. Ein solcher Patient benötige jedoch die dauernde Anwesenheit und Betreuung durch eine qualifizierte Pflegekraft. Der satzungsmäßige Kostenzuschuss müsse so ausgestaltet sein, dass er dem Kläger de facto die Inanspruchnahme der für ihn lebensnotwendigen durchgehenden Hauskrankenpflege ermöglicht. Dies sei hier nicht der Fall, weil die für den Kläger notwendige und alternativlose medizinische Hauskrankenpflege mit allen daraus folgenden Konsequenzen mit dem Zuschuss nicht finanziert werden könne.

Dem Kläger stehe daher ausnahmsweise ein Anspruch auf volle Kostenerstattung nach Marktpreisen zu. Dem Einwand der Beklagten, die vom Kläger begehrten Beträge seien überhöht, komme keine Berechtigung zu. An ihrer Rechtsansicht, dem Kläger gebühre der satzungsmäßige Pflegekostenzuschuss bei Pflege in einer nicht über Landesfonds finanzierten Krankenanstalt in Höhe von 196,90 EUR pro Tag – das wäre weniger als der satzungsmäßige Kostenzuschuss für 24 Stunden Hauskrankenpflege – halte die Beklagte in der Berufungsbeantwortung nicht mehr fest. Der Kläger habe daher Anspruch auf Erstattung der tatsächlich von ihm gezahlten Kosten von 480.551,39 EUR für den Zeitraum von Jänner 2013 bis einschließlich November 2014 unter Berücksichtigung der von der Beklagten bereits zuerkannten Zuschüsse.

Der Rechtsweg für die Geltendmachung eines Kostenersatzanspruchs ab dem 1. 12. 2014 stehe dem Kläger entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts offen, weil die Beklagte implizit mit dem angefochtenen Bescheid auch über den diesen Zeitraum betreffenden Antrag des Klägers (abweisend) entschieden habe. Darüber hinaus sei die auf Kostenerstattung ab 1. 12. 2014 gerichtete Klage des Klägers auch als Säumnisklage gemäß § 67 Abs 1 Z 2 lit a ASGG zulässig, weil der Kläger die Kostenübernahme der intensivmedizinischen Hauskrankenpflege in seinem Antrag auch für die Zukunft beantragt habe. Aus diesen Gründen sei auch der Rechtsweg für das Eventualleistungsbegehren des Klägers auf Kostenerstattung für den Zeitraum ab 1. 2. 2015 zulässig. Dem Kläger seien daher auch die von ihm getragenen Pflegekosten für den Zeitraum von Dezember 2014 bis einschließlich März 2018 in Höhe von weiteren 853.372 EUR zuzuerkennen. Verzugszinsen seien für Leistungen aus den Sozialversicherungsgesetzen nicht zuzuerkennen.

Der Berufung der Beklagten hielt das Berufungsgericht entgegen, dass ein Klagebegehren auf Feststellung der Verpflichtung zur Leistung medizinischer Hauskrankenpflege dem Grunde nach zulässig sei, soweit keine Leistungsklage in Betracht komme und die Leistungsverpflichtung von der Beklagten dem Grunde nach
– wie hier – bestritten werde. Es liege auch dann eine notwendige Krankenbehandlung im Sinn des Gesetzes vor, wenn die Behandlung geeignet erscheine, eine Verschlechterung des Zustandsbilds hintanzuhalten, was insbesondere bei Dauerzuständen der Fall sei. Die beim Kläger bestehende und weiter erforderliche Beatmungspflicht begründe daher eine in die Leistungszuständigkeit der Beklagten fallende Leistungsverpflichtung.

Die Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil die Beurteilung des satzungsmäßigen Kostenzuschusses für Hauskrankenpflege bei der hier zu beurteilenden Situation über den Einzelfall hinausgehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten, mit der sie im Ergebnis die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts mit der Maßgabe anstrebt, dass das Begehren auf Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger in Zukunft intensivmedizinische Hauskrankenpflege im Ausmaß von 24 Stunden täglich, solange die Beatmungspflicht (PNS, bei Zwerchfellermüdung mittels Heimrespirators) besteht, zu gewähren habe (Punkt 3. des Urteilsspruchs des Erstgerichts), abgewiesen wird.

Die Revision ist zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Medizinische Hauskrankenpflege ist gemäß § 151 Abs 1 ASVG zu gewähren, wenn und solange es die Art der Krankheit erfordert. Die medizinische Hauskrankenpflege ist ihrer Konzeption nach eine krankenhausersetzende Leistung (vgl § 144 Abs 1 Satz 3 ASVG). Sie stellt eine flankierende Maßnahme zur Bettenreduktion in den Spitälern dar, wobei aus medizinischen, sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten danach getrachtet werden soll, Kranke möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung zu behandeln und stationäre Aufenthalte auf das unumgängliche Ausmaß zu reduzieren (Schober in Sonntag, ASVG10 § 151 ASVG Rz 2).

1.2 Gemäß § 151 Abs 2 ASVG wird die medizinische Hauskrankenpflege durch Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege (§ 12 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz [GuKG]) erbracht, die vom Krankenversicherungsträger beigestellt werden oder mit ihm in einem Vertragsverhältnis stehen oder in einer Vertragseinrichtung tätig sind. Die Tätigkeit kann gemäß § 151 Abs 3 ASVG nur auf ärztliche Anordnung erfolgen und umfasst medizinische Leistungen und qualifizierte Pflegeleistungen, wie die Verabreichung von Injektionen, Sondenernährung und Dekubitusversorgung. Die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung des Kranken gehören nicht zur medizinischen Hauskrankenpflege (§ 151 Abs 3 Satz 3 ASVG). Hat der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner (§ 338 ASVG) oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers in Anspruch genommen, so gebührt ihm gemäß § 151 Abs 4 ASVG Kostenersatz gemäß § 131 ASVG.

1.3 Stehen Vertragspartner infolge Fehlens von Verträgen nicht zur Verfügung, so gilt gemäß § 131b Abs 1 ASVG die Regelung des § 131a ASVG (Kostenerstattung bei Fehlen vertraglicher Regelungen) mit der Maßgabe, dass in jenen Fällen, in denen noch keine Verträge für den Bereich einer Berufsgruppe bestehen, der Versicherungsträger dem Versicherten die in der Satzung festgesetzten Kostenzuschüsse zu leisten hat. Der Versicherungsträger hat gemäß § 131b Abs 1 Satz 2 ASVG das Ausmaß dieser Zuschüsse unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten festzusetzen.

1.4 Für Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege sieht die Kasse gemäß § 36 Z 2 iVm Anhang 6 Z 4 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse 2011 (AVSV Nr 107/2011; ebenso § 38 Abs 1 Z 2 iVm Anhang 6 Z 4 der geltenden Satzung 2016 -1, AVSV Nr. 143/2016 idF der 5. Änderung der Satzung, AVSV Nr 153/2018) pro Besuch Kostenzuschüsse in folgender Höhe vor:

Grundbetrag für Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege bis zur Dauer von 45 Minuten: 8,64 EUR.

Für jede weitere volle Viertelstunde erhöht sich der Kostenzuschuss um 2,88 EUR.

Für eine Stunde medizinischer Hauskrankenpflege errechnet sich daraus ein Kostenzuschuss von 11,52 EUR (ungeachtet der Einschränkung „pro Besuch“, weil der für jede weitere volle Viertelstunde vorgesehene Betrag von 2,88 EUR auf die Stunde gerechnet wiederum 11,52 EUR ergibt).

1.5 Bei der medizinischen Hauskrankenpflege steht gemäß § 151 Abs 2 ASVG die Sachleistungsgewährung im Vordergrund. Ist der Versicherungsträger nicht in der Lage, diese zu gewährleisten, kann nicht nur, sondern muss Anstaltspflege gewährt werden (VfGH V 91/03 VfSlg 17.155 [Pkt 2.2.2]; Felten in Tomandl, SV-System [31. ErgLfg] 233 [2.2.3.3.]). Wenn der Krankenversicherungsträger diese Sachleistung tatsächlich nicht erbringen kann, besteht für den Versicherten die Möglichkeit, sich diese Leistungen auch privat auf seine eigenen Kosten zu besorgen und dafür vom Krankenversicherungsträger Ersatz zu verlangen (RS0115258).

2.1 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Kläger Anspruch auf medizinische Hauskrankenpflege im Sinn des § 151 ASVG hat (ebenso OGH 10 ObS 68/04d, 10 ObS 67/04g). Es bedarf daher im konkreten Fall keiner weiteren Auseinandersetzung mit der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofs, wonach eine im häuslichen Bereich durchgeführte Intensivpflege, für die eigentlich die Unterbringung in einer Krankenanstalt erforderlich wäre, die jedoch medizinisch kontraindiziert ist, keine medizinische Hauskrankenpflege im Sinn des § 151 ASVG ist (VfGH V 91/03 VfSlg 17.155 ua; B 304/05 VfSlg 17.814). Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings im Erkenntnis B 304/05 klargestellt, dass der Zustand eines Betroffenen in einer dem Kläger vergleichbaren Situation jedenfalls als ein der Anstaltspflege zugänglicher Behandlungsfall (und nicht als Asylierungsfall) im Sinn des §§ 133 ff ASVG anzusehen ist (Pkt 2.4.5; anders noch VfGH V 91/03 ua; krit Schrammel, Entscheidungsanmerkung zu VfGH V 91/03, ZAS 2004/39, 230 [232 ff]).

2.2 Unstrittig hat der Kläger einen Anspruch auf Kostenersatz gegenüber der Beklagten, weil diese als Krankenversicherungsträger nicht in der Lage ist, die notwendigen Sachleistungen, die bei der medizinischen Hauskrankenpflege im Vordergrund stehen, zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist der Kostenerstattungsanspruch gemäß den §§ 131, 131a ASVG vom Anspruch auf Kostenzuschuss nach § 131b ASVG zu unterscheiden. Da im konkreten Fall – auch dies ist nicht strittig – gesamtvertragliche Vereinbarungen fehlen (und auch nicht bestanden haben), räumt das Gesetz nicht einen Anspruch auf Kostenerstattung, sondern gemäß § 131b ASVG einen Anspruch auf Kostenzuschuss nach Maßgabe der jeweiligen Satzung ein. Die Beklagte stellt im Revisionsverfahren nicht mehr in Frage, dass sie – in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des Erstgerichts – dem Kläger infolge des Fehlens von Vertragspartnern (wegen Fehlens von Verträgen) gemäß § 131b ASVG satzungsgemäß Kostenzuschüsse in Höhe von 11,52 EUR pro Stunde für eine intensivmedizinische Hauskrankenpflege für 24 Stunden täglich zu leisten hat.

3. Zentral macht die Beklagte in der Revision geltend, dass sie ihrer Leistungsverpflichtung gegenüber dem Kläger durch Zahlung dieses in der Satzung vorgesehenen Kostenzuschusses nachgekommen sei. Es entspreche dem Wesen eines Zuschusses, dass er nur einen Teil der tatsächlich aufgewendeten Kosten ersetze. Der in der Satzung vorgesehene Zuschuss sei wesentlich höher als jener, der in den vom Berufungsgericht zitierten und in der Lehre teilweise abgelehnten Entscheidungen zu beurteilen war. Er decke 28,8 % der Kosten renommierten Pflegepersonals und 38,4 % der dem Kläger entstandenen Kosten. Die für den Regelfall der Hauskrankenpflege vorgesehenen Leistungen korrespondierten daher nunmehr mit dem in der Satzung vorgesehenen Zuschuss. Ein Kostenzuschuss in Höhe von rund 40 % sei bei einer spezifischen Krebsbehandlung oder einer Behandlung durch Psychotherapeuten als ausreichend beurteilt worden. Müsste der Kostenzuschuss in der Satzung so ausgestaltet sein, dass er dem Kläger de facto die Inanspruchnahme der für ihn lebensnotwendigen durchgehenden Hauskrankenpflege ermögliche, wäre die Beklagte verpflichtet, alle satzungsmäßigen Kostenzuschüsse auf die Höhe der jeweiligen Marktpreise anzuheben. Es gebe im Übrigen auch durchaus vergleichbare Tarifpositionen oder zumindest solche, die den erbrachten Leistungen nahekämen: Die medizinische Hauskrankenpflege solle die Anstaltspflege ersetzen. Werde diese wesentlich umfassendere und aufwändigere Leistung nicht in einer landesfondsfinanzierten oder einer Vertragskrankenanstalt in Anspruch genommen, bestehe dafür nur ein subsidiärer Anspruch auf Pflegekostenzuschuss gemäß § 150 Abs 2 ASVG. Auch dieser sei in der Satzung festgelegt und könne hier herangezogen werden.

Sähe man den in der Satzung vorgesehenen Kostenzuschuss nicht als ausreichend an, komme dennoch nicht eine Erstattung von Marktpreisen in Frage. Vielmehr sei ein sozialversicherungsrechtlicher Preis zu erheben, für welchen etwa Vereinbarungen mit Gebietskörperschaften zu berücksichtigen wären, die für ähnliche Leistungen insbesondere im Rahmen der „sozialen Dienste“ in der Sozialhilfe vorzusorgen haben. Dabei wäre der in den betreffenden Tarifen enthaltene Anteil für nicht qualifizierte Pflege, Grundpflege bzw für hauswirtschaftliche Versorgung herauszurechnen, weil diese vom Anspruch nach § 151 ASVG nicht umfasst seien.

4.1 Der vorliegende Fall unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von dem zu 10 ObS 68/04d (und auch zu 10 ObS 67/04g) entschiedenen:

Erstens war in den damaligen Fällen die Alternative zur häuslichen Behandlung des Klägers nur die Unterbringung auf einer Intensivstation. Es stand aber (in 10 ObS 68/04d) fest, dass kein Krankenhaus mit einer Intensivstation den jahrelangen Belag mit einem „Dauerpatienten“ verantwortungsvoll auf sich nehmen konnte. Eine Einrichtung zur Unterbringung beatmungspflichtiger Patienten außerhalb einer Intensivstation, also in einem Einzelzimmer einer normalen Bettenstation, gab es in Österreich nicht. Demgegenüber existieren mittlerweile nach den Feststellungen des Erstgerichts sowohl Rehabilitationskliniken als auch Langzeitbeatmungsstationen, an denen Tetraplegiker aufgenommen werden. Nach den Feststellungen im vorliegenden Fall ist die Anstaltspflege nicht unmöglich, sondern ist dieser lediglich die häusliche Pflege des Klägers „deutlich überlegen“.

Zweitens lag der Kostenzuschuss in den damaligen Fällen an der Untergrenze der dem Versicherten entstandenen Ausgaben für medizinische Krankenpflege (8,72 EUR pro Pflegetag in 10 ObS 68/04d; 4,36 EUR pro Pflegetag in 10 ObS 67/04g), während er im vorliegenden Fall 28,8 % der Bruttokosten renommierten Pflegepersonals und 38,4 % des vom Kläger bezahlten (Netto)Stundenlohns für die ihn betreuenden Intensivmedizinischen Pflegepersonen abdeckt.

4.2 Der Krankenversicherungsträger ist bei der Festsetzung der Höhe der Zuschüsse in der Satzung nicht gänzlich frei. Er hat dabei im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit, aber auch auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten Bedacht zu nehmen (VfGH V 97/03 VfSlg 17.518 [Pkt 2.1]). Bei der Festlegung der Höhe des Kostenzuschusses ist die Art der Leistung und die Notwendigkeit des Umfangs und der Häufigkeit der Leistungserbringung in entsprechender Differenzierung zu berücksichtigen. Zu beachten ist die absolute Höhe der Kostenbelastung des Versicherten sowie ein allfälliges Angebot in eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen. Heranzuziehen sind auch Tarife für vergleichbare Leistungen in Gesamtverträgen (VfGH V 43/09 VfSlg 19.212 [Pkt 4.1 und 4.2]).

4.3 Die Versicherten haben zwar Anspruch auf eine ausreichende Vorsorge, die Krankenversicherung ist aber nicht verpflichtet, dem Versicherten alle denkbaren und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen zu erbringen. Die Krankenversicherungsträger sind nach § 131b ASVG iVm § 131a ASVG nicht verpflichtet, Kostenzuschüsse vorzusehen, welche den Marktpreisen entsprechen, wie sich schon aus der Bedeutung des Begriffs des Kostenzuschusses ergibt (VfGH V 43/09 VfSlg 19.212 [Pkt 4.1 mwH]; Mosler in SV-Komm [242. Lfg] § 131b ASVG Rz 10 mzwH; 10ObS123/00m&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 123/00m SSV-NF 14/89; 10ObS72/05v&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 72/05v SSV-NF 19/54; RS0113972). Allerdings darf der Kostenzuschuss nicht bloß ein geringfügiger, wirtschaftlich kaum ins Gewicht fallender Ersatz sein (VfGH V 97/03 VfSlg 17.518).

4.4 Ein Kostenzuschuss in Höhe von 13 % der tatsächlich aufgewendeten Kosten für Hauskrankenpflege wurde als zu gering angesehen (VfGH V 97/03 VfSlg 17.518). Hingegen wurde der Ersatz von 40 % der Kosten einer spezifischen Krebsbehandlung als ausreichend beurteilt (unter Berücksichtigung einer Kostenbeteiligung des Klägers von 20 % nach § 86 GSVG: 10 ObS 182/08z SSV-NF  23/30). Ein Ersatz der Kosten von rund 50 % wurde für die Behandlung durch Psychotherapeuten als ausreichend angesehen (10 ObS 57/03k SSV-NF 17/72).

5.1 In den zwei schon zitierten, zum vorliegenden Fall vom Sachverhalt her vergleichbaren Fällen einer häuslichen Intensivkrankenpflege (10 ObS 68/04d; 10 ObS 67/04g) gelangte der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass ausnahmsweise der Ersatz der Kosten zu Marktpreisen gebühre. Begründet wurde dies damit, dass in der Satzung des damals in Anspruch genommenen Krankenversicherungsträgers keine Honorarposition und auch keine vergleichbare Position vorgesehen war. Der in der Satzung für medizinische Hauskrankenpflege vorgesehene und oben schon genannte Pauschalsatz pro Pflegetag stelle ganz offensichtlich auf den typischen (einfachen) Fall der Hauskrankenpflege (Verabreichung von Injektionen, Sondenernährung, Dekubitusversorgung) ab und berücksichtige nicht den völlig außergewöhnlichen Fall einer zeitlich ohne Unterbrechung notwendigen medizinischen Behandlung eines Versicherten im häuslichen Bereich. Der satzungsmäßige Kostenzuschuss decke im Ergebnis nur rund 1 % der dem Versicherten entstandenen Kosten der Krankenbehandlung (10 ObS 68/04d) bzw 0,7 % dieser Kosten (10 ObS 67/04g) ab. Dieser Satz sei bei verfassungskonformer Auslegung nicht heranzuziehen.

5.2 Die Entscheidung 10 ObS 68/04d stützt ihre Ansicht unter anderem auf die Meinung von Mazal (Medizinische Hauskrankenpflege – Kostentragungspflicht geklärt? ASoK 2004, 178), der allerdings fordert, in jenen Fällen, in denen eine Anstaltspflege kontraindiziert ist, die Satzungsbestimmungen verfassungskonform auszulegen und vergleichbare Honorarpositionen für die Bestimmung der Höhe des Kostenersatzes heranzuziehen. Nur wenn eine vergleichbare Position nicht existiere, sei auf die Rechtsprechung zum Kostenersatz nach Marktpreisen zurückzugreifen (Mazal, ASoK 2004, 178 [Pkt 3.2]). Weiters beruft sich die Entscheidung auf Marhold (Finanzierung der medizinischen Hauskrankenpflege, Besprechung des Beschlusses des OGH vom 1. 7. 2003, 10 ObS 119/03t, ASoK 2004, 14), der ausführt, dass eine bloß teilweise Kostenerstattung oder ein Kostenzuschuss nur dann sachgerecht wäre, wenn der Versicherte von den angebotenen Möglichkeiten nicht Gebrauch gemacht hätte. Werde die Leistung dem Grunde nach verweigert, sei § 131b ASVG nicht anwendbar.

5.3 Die Entscheidungen 10 ObS 68/04d und 10 ObS 67/04g trafen allerdings in der Lehre weit überwiegend auf Kritik, und zwar insofern, als eine Kostenerstattung nach Marktpreisen für Kosten der häuslichen Intensivkrankenpflege abzulehnen sei, weil es dafür an einer gesetzlichen Grundlage fehle (Pfeil, Aktuelle Rechtsfragen der medizinischen Hauskrankenpflege, 2. Teil, SozSi 2005, 136; Pfeil in SV-Komm [218. Lfg] § 151 ASVG Rz 17 ff; Kletter, Zuschusshöhe für medizinische Hauskrankenpflege, DRdA 2006/13, 137; Helfer, OGH-Entscheidung zur medizinischen Hauskrankenpflege, SozSi 2005, 130; Felten in Tomandl, SV-System [31. ErgLfg] 233 f FN 10 [2.2.3.3.]; Auer-Mayer, Krankenhausersetzende Pflege, in R. Müller, Autonomes Altern? 238 [262]; Mosler in SV-Komm [242. Lfg] § 131b ASVG Rz 10 iVm Rz 13). Insbesondere Pfeil (SozSi 2005, 139) und Kletter (DRdA 2006/13, 143) setzen sich kritisch mit der Meinung von Marhold und der nicht vergleichbaren Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, auf die sich der Oberste Gerichtshof in 10 ObS 68/04d stützte, auseinander.

5.4.1 In einem weiteren, vom Sachverhalt aber nicht vergleichbaren Fall (es ging um die zeitlich begrenzte medizinische Hauskrankenpflege eines an Kurzdarmsyndrom erkrankten Kleinkindes), hielt der Oberste Gerichtshof an seiner Auffassung fest, dass die Bestimmung über den Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege in der damaligen Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse (§ 38 und Anhang 6 Z 3) anzuwenden sei, weil unzweifelhaft Intensivpflege vorliege. Sie sei aber verfassungswidrig (mit dieser Begründung wurde im Beschluss vom 12. 10. 2004 zu 10 ObS 167/03m der Verordnungsprüfungsantrag vom 1. 7. 2003 [erste Entscheidung zu 10 ObS 167/03m] aufrecht erhalten).

5.4.2 Der Verfassungsgerichtshof hob die Wortfolge „die medizinische Hauskrankenpflege (§ 151 ASVG)“ in § 38 sowie Anhang 6 Z 3 der Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse mit dem schon erwähnten Beschluss vom 18. 3. 2005, V 97/03, als verfassungswidrig auf (s dazu oben 4.2 bis 4.4).

5.4.3 In der darauf folgenden Entscheidung in diesem Fall, 10 ObS 35/05b (SSV-NF 19/27), führte der Oberste Gerichtshof aus, dass sich für die inhaltliche Ausgestaltung sowohl der Kostenerstattung als auch eines Kostenzuschusses einerseits ergebe, dass in einen gefundenen Interessenausgleich ohne zwingende Notwendigkeit nicht von außen eingegriffen werden soll (Resch, Kostenzuschuss für außervertragliche Leistungen, Anm zu 10 ObS 123/00m, DRdA 2001/18, 247 [250]). Andererseits sei die Höhe der zustehenden Kostenerstattung bzw des Kostenzuschusses bei Fehlen eines vereinbarten oder durch die Satzung festgelegten Tarifs an vergleichbaren Tarifen in einem entsprechenden Gesamtvertrag auszurichten. Erst dann, wenn eine Vergleichbarkeit mit anderen Tarifpositionen nicht gegeben sei, sei die Höhe des Kostenzuschusses nach einem objektiven Marktpreis zu bemessen.

6.1 Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich von der Anwendbarkeit des in § 36 Z 2 iVm Anhang 6 Z 4 der Satzung der Beklagten normierten Kostenzuschusses auszugehen.

6.2 Die Satzung eines Versicherungsträgers ist ihrer Struktur nach eine Verordnung (RS0053701). Sind die Voraussetzungen für einen im Gesetz eingeräumten Anspruch – wie hier – in einer Verordnung näher determiniert bzw finden sich in dieser nähere Beschränkungen, ist der Anspruch auf Grundlage der Verordnung zu prüfen. Es wäre unzulässig, unter Übergehung einer gehörig kundgemachten Verordnung die die Grundlage bildenden gesetzlichen Bestimmungen als Anspruchsgrundlage heranzuziehen (RS0105188 [T1]). Eine Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung durch die Gerichte selbst kann nur in bestimmten Ausnahmefällen erfolgen (wenn zB der VfGH eine Verordnung bereits aufgehoben hat, aber aus einem anderen Rechtsgrund als dem, auf den ein Amtshaftungsanspruch gestützt wird, hat das Amtshaftungsgericht die Rechtsfrage selbst zu beurteilen, weil der VfGH eine neuerliche Prüfung der Verordnung unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt wegen entschiedener Sache ablehnt: RS0050245 [T3]). Eine solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor, sodass es für die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Gesetzmäßigkeit der hier zu beurteilenden Satzungsbestimmung sei von den Gerichten selbst zu beurteilen, an einer Grundlage fehlt.

6.3 Eine Veranlassung, die Bestimmung des § 36 Z 2 iVm Anhang 6 Z 4 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse 2011 (bzw der Parallelbestimmung in der geltenden Satzung) beim Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig anzufechten, liegt für den Obersten Gerichtshof nicht vor. Weder der Kläger in der Revisionsbeantwortung noch die Beklagte in der Revision regen eine derartige Vorgangsweise an. Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass der Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege in der hier anzuwendenden Satzung (wie auch in der geltenden Fassung) gegenüber den in 10 ObS 68/04d und 10 ObS 67/04g, aber auch in 10 ObS 35/05b entschiedenen Fällen, deutlich erhöht wurde (exakt entsprechend einem Vorschlag von Pfeil, SozSi 2005, 140). Der Kläger weist selbst darauf hin, dass durch diesen Zuschuss 38,4 % der von ihm zu tragenden Kosten einer Intensivpflegekraft gedeckt werden. Dabei handelt es sich um die vom Kläger zu tragenden Nettokosten, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat (Urteil S 19). Der von der Satzung vorgesehene Kostenzuschuss deckt aber auch etwas mehr als ein Viertel des festgestellten Bruttostundenlohns von 40 EUR für (renommiertes) Pflegepersonal, bewegt sich daher auch bei der vom Verfassungsgerichtshof geforderten Durchschnittsbetrachtung nicht an der Untergrenze des vom Kläger tatsächlich zu tragenden Aufwands. Dem Krankenversicherungsträger steht nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB V 97/03) ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Eine Verletzung dieses Spielraums wäre ihm nur dann vorzuwerfen, wenn er bei guter allgemeiner Finanzlage offensichtlich unzureichende Mittel für eine Zuschussregelung vorsieht, ohne plausible Gründe dafür dartun zu können (Kletter, DRdA 2006, 142). Der von der Satzung nunmehr vorgesehene Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege verletzt diesen Spielraum daher nicht offensichtlich (als zumindest „für den Moment“ ausreichend sieht auch Auer-Mayer, Krankenhausersetzende Pflege 262, diese Zuschusshöhe an).

7.1 Wesentlich für diese Beurteilung ist auch, dass, wie sich ja auch aus dem Vorbringen des Klägers im vorliegenden Fall ergibt, der beklagte Krankenversicherungsträger nicht allein leistungszuständig für den Kläger ist. Medizinische Hauskrankenpflege ist wie bereits ausgeführt ihrer Konzeption nach eine krankenhausersetzende – also die Anstaltspflege ersetzende – Leistung (Schober in Sonntag, ASVG10 § 144 Rz 12). Die Anstaltspflege (§ 144 ASVG) hat grundsätzlich in einer über Landesgesundheitsfonds finanzierten Krankenanstalt zu erfolgen (§ 149 Abs 1 ASVG; VfGH B 304/05). Die Länder sind gemäß § 18 KAKuG verpflichtet, für ihre Landesbürger die öffentliche Anstaltspflege zu finanzieren (Felix in Sonntag, ASVG10 § 148 Rz 2). Die Krankenversicherungsträger haben Pauschalbeiträge zur Krankenanstaltenfinanzierung gemäß § 447f ASVG zu leisten. Soweit Leistungen, die mit den Pauschalbeiträgen der Sozialversicherungsträger zur Krankenanstaltenfinanzierung abgegolten sind, in (Gesundheits)Fondskrankenanstalten nicht erbracht worden sind und daraus für die Krankenversicherungsträger Mehrkosten entstanden sind, haben die Krankenversicherungsträger (in diesem Umfang) gemäß § 1042 ABGB Ersatzansprüche gegenüber den in Betracht kommenden Landeskrankenanstaltenfonds (nunmehr: Landesgesundheitsfonds, VfGH B 304/05 [2.6.2 mwH]).

7.2 Bereits Helfer (SozSi 2005, 130) hat herausgearbeitet, dass die Anstaltspflege im Idealfall sämtliche Leistungen aus dem Versicherungsfall der Krankheit erbringt, darüber hinaus aber auch noch weitere Leistungen, die originär nicht der gesetzlichen Krankenversicherung zuzurechnen sind, wie zB Wohnung, Heizung, Betten, Reinigung, Verpflegung etc. Die Anstaltspflege werde seit 1997 von den Versicherungsträgern durch Zahlung eines Pauschalbetrags an die Landesfonds (jetzt: Landesgesundheitsfonds) abgegolten. Diese wären dazu angehalten, die entsprechenden Einrichtungen zur Erbringung der Anstaltspflege bereit zu halten. Wenn sie dies aus ökonomischen Erwägungen nicht täten, weil die Vorhaltung von Betten für so wenige Menschen in der Situation des Klägers zu kostenaufwändig sei, so hätten sie, wenn dennoch ein solcher Fall der erforderlichen Anstaltspflege auftrete, jedenfalls die dafür entstehenden Kosten zu übernehmen.

7.3 Auch Pfeil hat darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn die Anstaltspflege aus besonderen Gründen nicht durchführbar sei, die Kostentragung nicht anders erfolgen könne, als wäre die vorrangig indizierte Anstaltspflege geleistet worden (Kostentragung für häusliche Anstaltspflege, Anm zu VfGH B 304/05, DRdA 2007/28, 281 [287]). Soweit die Notwendigkeit einer häuslichen Intensivpflege auf das Fehlen geeigneter stationärer Einrichtungen zurückgeht, zu deren Vorhaltung die Länder verpflichtet sind, kann dem jeweiligen Krankenversicherungsträger diesbezüglich kein Vorwurf gemacht werden. Pfeil (in SV-Komm [218. Lfg] § 151 ASVG Rz 19) weist dazu mit beachtlichen Argumenten auf die rechtspolitisch unbefriedigende Situation hin, weil insofern
– wie das gerade auch im vorliegenden Fall erkennbar ist – ein Widerspruch zwischen krankenversicherungsrechtlichem Anspruch und krankenanstaltenrechtlich fundierter Kostentragung besteht. Ähnlich hat Mazal bereits 2002 gefordert, dass sich die Politik dem Konflikt zwischen dem Leistungsanspruch und den Finanzierungsmöglichkeiten endlich stellen muss, und dieser Konflikt nicht vor den Gerichten ausgetragen werden sollte (Der Anspruch auf Krankenbehandlung bei chronischen Krankheiten am Beispiel der Behandlung beatmungspflichtiger Kranker, ZAS 2002, 33 [42]).

8. Zutreffend verweist Pfeil (SozSi 2005, 140 f) schließlich auch darauf, dass ein beatmungspflichtiger Tetraplegiker auch als Mensch mit Behinderung anzusehen ist, der anspruchsberechtigt nach den Landes-Behindertengesetzen ist. Davon kann für den Kläger auch gemäß § 3 des Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung in Wien, LGBl 2010/45 (Chancengleichheitsgesetz Wien, CGW) ausgegangen werden. Der Träger der Behindertenhilfe gemäß § 2 Abs 1 CGW, der Fonds Soziales Wien (FSW) erbringt nach dem insofern unstrittigen Vorbringen des Klägers eine Direktleistung von 12.831,16 EUR für 30 Tage, wobei davon das dem Kläger gewährte Pflegegeld der Stufe 7 in Abzug gebracht werde. Zwar ist dieser Anspruch – was sich auch aus dem Vorbringen des Klägers ergibt – subsidiär (vgl § 5 Z 5 CGW). Allerdings ergibt sich auch daraus, dass das österreichische Gesundheits- und Sozialsystem gerade für Grenzfälle wie den Kläger mehrere Verantwortlichkeiten kennt (Pfeil, SozSi 2005, 141), was ebenfalls gegen eine Kostenerstattung nach Marktpreisen durch den Krankenversicherungsträger spricht.

9. Ergebnis: Die Leistungsverpflichtung der beklagten Österreichische Gesundheitskasse für die dem Kläger zu gewährende medizinische Hauskrankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich ist mit dem in § 36 Z 2 iVm Anhang 6 Z 4 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse 2011 (ebenso § 38 Z 2 iVm Anhang 6 Z 4 der geltenden Satzung 2016) festgesetzten Kostenzuschuss von – zusammengefasst – 11,52 EUR pro Stunde normiert.

10.1 Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Zulässigkeit des Rechtswegs für alle hier erhobenen Klagebegehren zu bejahen sei, ist zutreffend und wird von der Revisionswerberin auch nicht mehr in Frage gestellt.

10.2 Das Erstgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger ein Kostenzuschuss entsprechend der anzuwendenden Satzung der (damals beklagten) Wiener Gebietskrankenkasse zusteht. Der darauf beruhende Zuspruch von 162.524,16 EUR für den Zeitraum vom 1. 1. 2013 bis 30. 11. 2014 (Punkt 1. des Urteilsspruchs des Erstgerichts) ist mangels Anfechtung in der Berufung der Beklagten in Rechtskraft erwachsen.

10.3 Für den Zeitraum Dezember 2014 bis einschließlich März 2018 gebühren

Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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