Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** S*****, vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Hellenische Republik*****, vertreten durch die Weber Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 45.391 EUR sA und Feststellung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 26. September 2019, GZ 11 R 94/19b-72, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21. März 2019, GZ 10 Cg 18/15p-68 bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.262,78 EUR (darin 377,13 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der beklagte Staat emittierte griechischem Recht unterliegende Staatsanleihen, die als Wertrechte (Schuldbuchforderungen) im Girosystem der griechischen Zentralbank registriert wurden. Die Teilnehmer an diesem System bedürfen der Zulassung durch den Gouverneur der griechischen Zentralbank. Gemäß Art 6 Abs 4 des griechischen Gesetzes Nr 2198/1994 wird eine Anleihe durch Gutschrift auf dem Konto des Teilnehmers übertragen. Dementsprechend wurden zunächst die Teilnehmer des Girosystems Inhaber und Gläubiger der auch hier gegenständlichen Staatsanleihen. Gemäß Art 6 Abs 2 dieses Gesetzes können die Teilnehmer am Girosystem der griechischen Zentralbank zwar Dritten (Investoren) Rechtspositionen in Bezug auf die Anleihe einräumen; ein solches Rechtsgeschäft wirkt jedoch nur zwischen den Parteien und hat ausdrücklich keine Wirkung für oder gegen die Beklagte.
Der Kläger erwarb vor 2012 über eine inländische Depotbank sechs Staatsanleihen der Beklagten im Nominale von insgesamt 85.000 EUR. Weder er noch seine Depotbank sind Teilnehmer am Girosystem der griechischen Zentralbank.
Am 23. Februar 2012 erließ die Beklagte im Zuge ihrer Staatsschuldenkrise das Gesetz Nr 4050/2012 betreffend „Regeln zur Änderung von Wertpapieren, die vom griechischen Staat emittiert oder garantiert wurden, mit Zustimmung der Anleiheinhaber“. Dieses Gesetz sieht vor, dass die Inhaber bestimmter griechischer Staatsanleihen ein Umstrukturierungsangebot erhalten. Zudem wurde eine Umstrukturierungsklausel eingefügt, die es ermöglicht, dass eine Änderung der ursprünglichen Anleihebedingungen mit qualifizierter Mehrheit des ausstehenden Kapitals beschlossen wird und dann auch für die Minderheit gilt (collective action clause). Nach dem Erlass dieses Gesetzes und nach einer (die vom Gesetz vorgesehenen Quoren übersteigenden) Zustimmung der Anleihegläubiger (Teilnehmer des Girosystems der Griechischen Zentralbank) nahm die Beklagte eine Konvertierung auch der Anleihen des Klägers, der dem Umtausch nicht zugestimmt hatte, vor; dabei wurden seine ursprünglichen Anleihen eingezogen, alle Rechte und Pflichten aus diesen für erloschen erklärt und gegen neue Staatsanleihen mit einem niedrigeren Nominalwert umgetauscht.
Die Vorinstanzen wiesen das auf Vertrag ebenso wie auf Delikt gestützte Begehren des Klägers auf 45.391 EUR an fälligen Rückzahlungen der ursprünglichen Anleihen sowie auch das Begehren auf Feststellung ab, die Beklagte habe für die künftige Rückzahlung der von ihm ursprünglich erworbenen Anleihen nach den jeweiligen Anleihebedingungen zu haften, die keine collective action clause enthalten hätten.
Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil zur Frage einer unterschiedlichen Rechtswahl von zu trennenden Rechtsverhältnissen der Emission von Staatsanleihen als abstraktes Schuldversprechen und eines Übernahmevertrags (subscription agreement) höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Da die Vorinstanzen die inländische Gerichtsbarkeit und die internationale Zuständigkeit bejahten, ist der Oberste Gerichtshof daran gebunden.
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig, sodass sich die Entscheidung auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
1.1. Der Oberste Gerichtshof ist nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0002399 [T2]; RS0043414 [T14]). Fragen der Beweiswürdigung und bereits im Berufungsverfahren erfolglos geltend gemachte Verfahrensmängel erster Instanz können an den Obersten Gerichtshof nicht herangetragen werden (RS0042903 [T2, T7, T8, T10]; RS0069246 [T1, T2]; RS0043414 [T11]; RS0042963).
1.2. Soweit es um die Rechtsanwendung von fremdem Recht in seinem ursprünglichen Geltungsbereich geht, fehlt es an der im § 502 Abs 1 ZPO zugrunde gelegten Leitfunktion des Obersten Gerichtshofs (RS0042948 [T1]). Es ist nämlich nicht dessen Aufgabe, für die Einheitlichkeit oder gar Fortbildung ausländischen Rechts Sorge zu tragen (RS0042940 [T2, T3, T8, T19]).
Eine erhebliche Rechtsfrage kann daher bei Anwendbarkeit fremden Rechts nur dann vorliegen, wenn dieses unzutreffend ermittelt oder eine in dessen ursprünglichem Geltungsbereich in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht missachtet wurde oder dem Rechtsmittelgericht grobe Subsumtionsfehler unterlaufen wären, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssten (RS0042948 [insb T3, T4, T21, T23]; RS0042940 [T9]).
1.3. Der Kläger versucht in seiner Revision, aus zwischen der Beklagten und dritten Anleihegläubigern abgeschlossenen subscription agreements und daraus folgend der Anwendung englischen Rechts abzuleiten, dass durch einseitige Änderung der griechischen Rechtslage nicht in sein Anleiherechtsverhältnis eingegriffen werden könne und das griechische Gesetz über den „hair cut“ (Schuldenschnitt) auf ihn nicht anwendbar sei. Er meint, es könne auch sein, dass die Anleihebedingungen und die Zeichnungsvereinbarungen nicht als getrennte Verträge abgeschlossen würden, sondern als einheitlicher Vertrag; das jeweilige subscription agreement zwischen Beklagter und Emissionsbank sei der einzige Vertrag, der das Rechtsverhältnis zwischen Beklagter und Emissionsbanken umfassend regle.
1.4. Zum einen werden damit keine das inländische Recht betreffende Fragen aufgeworfen, zu denen Stellung zu nehmen der Oberste Gerichtshof aufgerufen ist.
Zum anderen zeigt der Kläger auch sonst keine erheblichen Rechtsfragen im dargelegten Sinne auf, weil er sein Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausführt, indem er nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht. Nach diesem wurden die klagsgegenständlichen Staatsanleihen aufgrund von im griechischen Amtsblatt veröffentlichten Beschlüssen des griechischen Finanzministers begeben und die Emission wurde in offering circulars zusammengefasst, aus denen sich die Anwendung griechischen Rechts ergibt; manche (nicht zwangsläufig die auf die gegenständlichen Anleihen bezogenen) subscription agreements (Übernahmeverträge) sahen die Anwendung englischen Rechts vor.
Ausgehend von dieser Tatsachengrundlage haben die Vorinstanzen den Schluss gezogen, dass subscription agreements und eine darin für ihre Anwendung getroffene Rechtswahl für die Definition der davon getrennt zu betrachtenden Anleihebedingungen und die für diese getroffene Rechtswahl zugunsten griechischen Rechts nicht relevant sind.
Dies hält sich im Rahmen des Gerichten zukommenden Auslegungs- und Bewertungsspielraums; die Frage nach der Vertretbarkeit einer anderen, den Interessen des Revisionswerbers entsprechenderen Auslegung von
– zudem jedenfalls ausländischem Recht unterliegenden (RS0042948, RS0042940) – Vereinbarungen ist schon mangels Vorliegens einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RS0112106 [T2], RS0042936 [T3], RS0042776 [T2]).
1.5. Das Berufungsgericht ist im Einklang mit der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Revisionswerber die Beweisrüge in der Berufung nicht ordnungsgemäß ausgeführt hat, soweit er nur die ersatzlose Streichung einer Feststellung begehrte und nicht angab, aufgrund welcher Umwürdigung bestimmter Beweismittel welche vom angefochtenen Urteil abweichenden Feststellungen angestrebt werden (vgl RS0041835 [T2, T3]).
Soweit die Revision weiterhin Feststellungen bekämpft und entweder deren Entfall oder nunmehr auch „grammatikalisch jeweils ein 'nicht' in den jeweiligen Satz der Feststellungen einzufügen“ beantragt, verkennt sie, dass – wie dargelegt – Tatsachenrügen nicht an den Obersten Gerichtshof heranzutragen sind. Soweit damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens angesprochen werden sollte, ist deren mögliche Relevanz nicht erkennbar.
2.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich zur Frage der Vereinbarkeit des gegenständlichen „Schuldenschnitts“ mit der EMRK bereits wie folgt eingehend geäußert (21. Juli 2016, Zl 63066/14, 64297/14 und 66106/14, Mamatas ua gegen Griechenland; ebenso 8. Februar 2018, 64058/18, Kyrkos ua gegen Griechenland):
Mit Inkrafttreten des griechischen Gesetzes Nr 4050/2012 seien die ursprünglichen Vertragsbedingungen im Wege der Einführung von collective action clauses geändert worden. Investoren, die diesen Änderungen nicht zugestimmt hätten, hätten dadurch eine Verringerung des Nennwerts ihrer Anleihen um 53,5 % hinnehmen müssen. Die Modalitäten, unter denen der Umtausch der Staatsanleihen erfolgt sei, belege die unfreiwillige Teilnahme am Schuldenschnittprozess. Zwar reiche dies nicht aus, um zur Feststellung einer Verletzung von Art 1 1. ZPMRK zu gelangen, doch sei die erzwungene Teilnahme an diesem Prozess zwar nicht als „Eigentumsentzug“ iSd Art 1 1. ZPMRK, jedoch sehr wohl als ein Eingriff in das Eigentumsrecht anzusehen (Mamatas Rn 92 ff). Dieser Eingriff sei gesetzlich vorgesehen (Mamatas Rn 100) und im öffentlichen Interesse erfolgt (Mamatas Rn 101 ff [105]), habe das faire Gleichgewicht zwischen dem allgemeinen Interesse und dem Schutz der Eigentumsrechte der betroffenen Investoren nicht zerstört und diesen keine spezielle und exzessive Last auferlegt. Mit Rücksicht auf den weiten staatlichen Ermessensspielraum in diesem Bereich seien die gegenständlichen Maßnahmen nicht unverhältnismäßig zum gesetzlich verfolgten Ziel gewesen, sodass keine Verletzung des Art 1 1. ZPMRK stattgefunden habe (Mamatas Rn 100 ff; Kyrkos Rn 27). Der EGMR konnte auch keine Verletzung des Gleichheitsprinzips nach Art 14 EMRK iVm Art 1 1. ZPMRK feststellen (Mamatas Rn 122 ff: Kyrkos Rn 36).
Diese Überlegungen gelten sinngemäß auch im Hinblick auf Art 17 GRC.
2.2. Die Revision setzt dem bloß entgegen, dass diese Ausführungen des EGMR nur griechische Staatsbürger beträfen, denen zudem Auswahlverschulden in Bezug auf die von ihnen gewählten unverantwortlichen griechischen Spitzenpolitiker, die die Beklagte an den Abgrund geführt hätten, anzulasten sei. Dem Kläger als Österreicher dürfe hingegen kein Beitrag zur Sanierung des griechischen Staatshaushalts abverlangt werden. Eine solche „rechtsgrundlose und unbegründete Enteignung zugunsten eines fremden Mitgliedsstaates“ verletze den österreichischen ordre public.
2.3. Der Kläger zeigt auch damit keine erhebliche Rechtsfrage auf.
2.3.1. Dass die Vorinstanzen das griechische Recht unrichtig ausgelegt hätten oder die Vorgangsweise der Beklagten dem griechischen Recht widersprochen hätte, wird vom Kläger gar nicht behauptet.
Dass Garantien der EMRK in Bezug auf griechische und österreichische Staatsbürger unterschiedlich auszulegen wären, ist der Entscheidung des EGMR nicht zu entnehmen; warum dies so sein sollte, legt auch die Revision nicht dar.
2.3.2. Unter ordre public versteht man den Rechtssatz, demzufolge eine nach den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts anzuwendende Norm dann nicht heranzuziehen ist, wenn ihre Anwendung das inländische Rechtsempfinden in unerträglichem Ausmaß verletzt (RS0058323). Gegenstand der Verletzung müssen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein (RS0110743). Der ordre public dient primär dem Schutz der inländischen Rechtsordnung, nicht vordergründig der inländischen Rechtssubjekte (RS0016665).
Die Revision zeigt nicht konkret auf, inwiefern die – der EMRK entsprechenden – Maßnahmen der Beklagten Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung oder das inländische Rechtsempfinden in unerträglichem Ausmaß verletzen könnten. Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO stellen sich daher auch in diesem Zusammenhang nicht.
3.1. Es steht fest, dass nur die Teilnehmer des Girosystems der griechischen Zentralbank Inhaber und Gläubiger der auch hier gegenständlichen Staatsanleihen wurden und nur diese Teilnehmer sodann Dritten (Investoren) Rechtspositionen in Bezug auf die Anleihe einräumen konnten, was jedoch nur zwischen jenen Parteien verbindlich war und ausdrücklich keine Wirkung für oder gegen die Beklagte hatte.
3.2. Die behaupteten rechtlichen Feststellungsmängel zum weiteren Inhalt von subscription agreements, aus denen sich Rechte eines Anleiheninhabers wie des Klägers gegenüber der Emittentin ergäben, liegen daher nicht vor.
4.1. Soweit der Kläger Feststellungen zum Verwahrungsort der Wertpapiere vermisst, übersieht er die Feststellungen, wonach es sich bei den Anleihen um entmaterialisierte Wertpapiere handelte. Warum es bei solchen reinen Wert- bzw Buchrechten für die Frage der Zulässigkeit des Schuldenschnitts auf die sachenrechtliche Frage nach dem auf das Recht „am Papier“ (und nicht dem auf das inhaltliche Recht „aus dem Papier“) anzuwendende Recht ankäme, legt die Revision nicht nachvollziehbar dar. Auch dieser von ihr behauptete rechtliche Feststellungsmangel liegt daher nicht vor.
4.2. Feststellungsmängel in Bezug auf ein Tatsachensubstrat für die Beantwortung der Frage nach dem auf die Anleihen anzuwendenden Recht und daraus folgende erhebliche Rechtsfragen, zu deren Beantwortung der Oberste Gerichtshof berufen ist, sind ebenfalls nicht erkennbar. Es ist unstrittig, dass in den der Emission zugrundeliegenden publizierten Beschlüssen und Anleihebedingungen jedenfalls nicht die Anwendung österreichischen Rechts vorgesehen war.
5. Mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E127631European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00233.19X.0221.000Im RIS seit
26.03.2020Zuletzt aktualisiert am
26.03.2020