Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schöll als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Thomas H***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 23. Oktober 2019, GZ 16 Hv 115/19z-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas H***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, nämlich einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie,
I./ am 28. April 2019 in S***** Nachgenannte durch Versetzen von Faustschlägen gegen das Gesicht am Körper verletzt und dadurch eine schwere Körperverletzung, und zwar eine Verletzung des knöchernen Gesichtsschädels, herbeizuführen versucht hat, und zwar
A./ Sebastian N*****, der einen Nasenbeinbruch erlitt,
B./ Markus F*****, der eine Nasenprellung erlitt,
C./ Johannes K*****, der eine Schwellung im Bereich des linken Ohrs sowie eine Verhärtung des Knorpels der linken Ohrmuschel erlitt,
II./ durch die zu I./C./ genannte Tathandlung eine Körperverletzung an einem Polizeibeamten während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben begangen hat,
III./ Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht hat, und zwar
A./ am 28. April 2019 in S***** Johannes K*****, Moritz R*****, Eva L***** und Thomas Le***** durch die zu I./C./ genannte Tathandlung an seiner Absonderung vom Tatort sowie durch Fußtritte an seiner anschließenden Festnahme und dem Transport in die Anhaltezelle,
B./ am 12. August 2019 in H*****
1./ Thomas Le***** und Martin G***** an der Sachverhaltsaufklärung nach einer Anzeige, indem er sich aus der Fixierung des G***** losriss.
2./ Michael Hu*****, Martin E***** und Martin G***** an seiner Festnahme bzw dem Schließen der Armfesseln, indem er mehrmals versuchte sich aus dem Festhaltegriff gewaltsam loszureißen,
sohin Taten begangen hat, die als Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I.), Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (II.) und Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (III.) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen; sie verfehlt ihr Ziel.
Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat daher das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung des Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810).
Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10, der Sache nach Z 9 lit a; vgl RIS-Justiz RS0132762) zu I./A./ und B./ das Vorliegen der subjektiven Tatseite bestreitet, weil es dem Betroffenen am „diesbezüglichen Vorsatz“ gefehlt habe, übergeht sie die gegenteiligen Konstatierungen (US 3) und verfehlt so den Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit.
Gleiches gilt für die zu I./A./–C./ erhobene Kritik, die bei den Opfern eingetretenen Verletzungen wären keine schweren iSd Gesetzes (§ 84 Abs 4 StGB), vernachlässigt sie doch, dass der Betroffene – nach den Feststellungen (US 3) – durch die Faustschläge „eine Verletzung des knöchernen Gesichtsschädels und somit eine schwere Körperverletzung“ herbeiführen wollte (§ 15 Abs 1 StGB).
Der zu I./C./ und II./ erhobene Einwand, es habe sich um „keine Amtshandlung mehr im eigentlichen Sinn“ gehandelt, übergeht die erstgerichtlichen Konstatierungen zu der zwecks Deeskalation durchgeführten Absonderung des Betroffenen vom Tatort (US 3 f). Dass dies keine Amtshandlung iSd § 269 Abs 1 StGB sei, wird von der Rüge nur behauptet, nicht aber argumentativ aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0116565; RS0099620).
Auch zu III./A./ bestreitet der Rechtsmittelwerber das Vorliegen eines Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 269 Abs 1 StGB), weil es sich um eine „ganz normale Festnahme eines schwer alkoholisierten und körperlich großen und schweren Mannes, der sich reflexartig wehrt“, gehandelt habe. Dem stehen allerdings die Urteilsfeststellungen entgegen, wonach der Betroffene mehrmals in Richtung der Polizeibeamten trat, um seine Festnahme und den Transport in die Anhaltezelle zu verhindern (US 4).
Indem die Rüge zu III./B./2./ meint, die bloße Äußerung des Betroffenen, nicht „ins Gefängnis gehen“ zu wollen, stelle noch keine Tathandlung iSd § 269 Abs 1 StGB dar, übergeht sie die weiteren Konstatierungen, wonach der Betroffene unter Einsatz von erheblicher Körperkraft mit den Armen ausschlug und dadurch versuchte, sich aus dem Festhaltegriff loszureißen (US 5).
Zusammengefasst üben die Ausführungen der Rüge bloß – in diesem Rahmen unzulässige (vgl neuerlich RIS-Justiz RS0099810) – Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter, ohne einen Rechtsfehler aufzeigen zu können.
Soweit die Sanktionsrüge (Z 11) argumentiert, es fehle an einer für die Unterbringung (§ 21 Abs 1 StGB) erforderlichen Anlasstat, ist sie auf das oben Gesagte zu verweisen. Das die Gefährlichkeitsprognose kritisierende Vorbringen, die beim Betroffenen konstatierte Gefährlichkeit sei nur eine Folge der Alkoholisierung und hätte nichts mit dessen Geisteskrankheit zu tun, stellt lediglich einen Berufungsgrund dar (RIS-Justiz RS0119380 [insb T1]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Textnummer
E127636European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00150.19A.0304.000Im RIS seit
26.03.2020Zuletzt aktualisiert am
26.03.2020