Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schöll als Schriftführer in der Strafsache gegen Ludwig P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 13. August 2019, GZ 71 Hv 14/19i-61, ferner über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Ludwig P***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A.) und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (B.), des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB (C.1.), nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (C.2.1.) und nach §§ 15, 269 „Abs 2“ StGB (C.2.2.) sowie der Beleidigung nach §§ 115 Abs 1, 117 Abs 2 StGB (D.) schuldig erkannt.
Danach hat er am 19. Dezember 2018 in G*****
A. den gegen ihn einschreitenden Polizisten Maximilian T***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihm mit einem Schlitzschraubenzieher zwei bis drei Mal in den Halsansatz und Brustbereich stach, wobei die Tatvollendung nur deswegen scheiterte, weil T***** eine Stichschutzweste trug, sich wehrte und es ihm unter Mithilfe seiner Kollegin Martina H***** gelang, P***** zu überwältigen;
B. durch die pauschal an die (Mit-)Bewohner des Wohnhauses ***** adressierte Ankündigung: „Ich schlitz euch alle auf! Ihr glaubt wirklich, dass ihr mich verarschen könnt. Dabei verarsche ich euch. Ich tu euch alle in jedem Stockwerk weg – ich lass euch wegtun. Euch alle in der *****. Ich schlitz euch alle auf!“, wobei er dies zehn bis fünfzehn Mal wiederholte, (zumindest) die tatsächlich anwesenden Mario E***** und Pia A***** gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen;
C. Polizeibeamte teils mit Gewalt, teils durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper an Amtshandlungen gehindert (C.1.) oder zu hindern versucht (C.2.1.) sowie „zu einer Amtshandlung zu nötigen“ versucht (C.2.2.), und zwar
1. Maximilian T***** und Martina H***** an der Sachverhaltsaufnahme wegen der von ihm zuvor an die Mitbewohner des Hauses ***** adressierten gefährlichen Drohungen (B.), indem er unmittelbar nach seiner Ankündigung: „Ich stich euch Kiberer ab! Ich mach euch alle! Kommts nur her!“ auf die zu A. beschriebene Weise auf T***** einstach,
2. nach seiner Festnahme in der Polizeiinspektion *****
2.1. den nach seinem Namen und seinem Geburtsdatum fragenden Markus G***** an der Identitätsfeststellung durch die Ankündigung „Halt die Pappn, du lebst eh ned mehr long! Du lebst ned mehr long, do werd i mi drum kümmern!“ und „I kenn Leit, denen sog i des, de werden sich drum kümmern! Du wirst schon sehn!“ sowie
2.2. den nach seiner aktuellen Wohnadresse fragenden Peter Ha***** „zur selbständigen Eruierung derselben“ durch die Ankündigung „Du wast meine Daten eh du Wichser. Schreibs eini, sunst hau i dir ane in die Goschn!“
D. Die Polizistin Romana V***** durch die Äußerung „Schau ned so deppert du Hure!“ vor mehreren Leuten während der Ausübung ihres Dienstes beschimpft.
Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellten Hauptfragen bejaht, die zur Hauptfrage 1. (§§ 15, 75 StGB) gestellten Eventualfragen nach absichtlicher schwerer (§§ 15, 87 StGB) und schwerer Körperverletzung (§§ 15, 84 Abs 4 StGB iVm §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 und § 84 Abs 5 Z 1 StGB) blieben demgemäß unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Mit der Verfahrensrüge (Z 5) kritisiert der Beschwerdeführer die Abweisung seines in der Hauptverhandlung am 13. August 2019 gestellten Antrags auf Beiziehung eines zweiten psychiatrischen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass der Angeklagte „während der Tathandlungen keine Deliktsfähigkeit aufwies“ (§ 11 StGB). Begründend führte die Verteidigung dazu aus, das bereits eingeholte Sachverständigengutachten sei mangelhaft und unbestimmt geblieben, insbesondere habe es das Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht erklären können (ON 60 S 33).
Gemäß § 127 Abs 3 StPO ist ein weiterer Sachverständiger zur Verhandlung beizuziehen, wenn das Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft ist und sich die Bedenken nicht durch Befragung des bestellten Sachverständigen beseitigen lassen. Ein Gutachten ist dann „sonst mangelhaft“, wenn es unschlüssig ist, unklar oder unbegründet ist, den Kriterien der Logik widerspricht oder nicht mit den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft übereinstimmt (RIS-Justiz RS0127942).
Indem die Beschwerde ohne substanziierte Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Erläuterungen des Sachverständigen neuerlich auf die von diesem selbst befundete psychische Erkrankung und die „mittelgradige Berauschung“ des Angeklagten verweist, wird kein Mangel an Befund und Gutachten im Sinn des § 127 Abs 3 StPO aufgezeigt, sondern bloß eine Überprüfung der Expertise in der nicht indizierten Erwartung eines für den Antragsteller günstigen Ergebnisses begehrt, womit der Antrag insofern auf unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS-Justiz RS0117263 [T17]).
Auf das Verhalten des Angeklagten (während der Untersuchungshaft) und in der Hauptverhandlung ist der Sachverständige ausdrücklich eingegangen (ON 60 S 28 ff). Welche der behaupteten Bedenken dadurch nicht aufgeklärt worden wären, legt die Rüge nicht dar (vgl RIS-Justiz RS0102833 [T 3])
Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe als Versuch einer Fundierung des Antrags sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
Die Fragenrüge (Z 6) reklamiert unter Berufung auf das psychiatrische Gutachten, wonach beim Angeklagten eine psychische Krankheit bestehe sowie ein kontinuierlicher Missbrauch von Cannabis und eine mittelgradige Berauschung vorgelegen habe, die Stellung einer Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB).
Gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt vom Beschwerdeführer die deutliche und bestimmte Bezeichnung einerseits der vermissten Frage und andererseits jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, vorliegend somit eines die begehrte Zusatzfrage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0117447). Beruft sich der Angeklagte dabei auf in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse, darf der Nachweis der Nichtigkeit nicht auf Grundlage isoliert herausgegriffener Teile derselben geführt werden, sondern ist das jeweilige Verfahrensergebnis in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0120766).
Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, vernachlässigt sie doch, dass der Sachverständige über Befragen durch die Verteidigung eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung dezidiert ausgeschlossen hat (ON 34, ON 60 S 28 ff), und auch von den in der Beschwerde genannten Zeugen kein in diese Richtung deutendes Verhalten des Angeklagten geschildert wurde (E***** ON 60 S 14; G***** ON 60 S 26 f; A***** ON 60 S 27; H***** ON 60 S 27). Auch mit dem Hinweis auf das „bizarre“ Benehmen des Angeklagten in der Haft und seine Äußerungen in der Hauptverhandlung (vgl dazu neuerlich die Ausführungen des Sachverständigen ON 60 S 28 ff) wird kein Sachverhaltssubstrat genannt, welches indiziert, der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig gewesen, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde folgt (§§ 344, 285i, 498 Abs 3 StPO).
Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E127622European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00006.20A.0304.000Im RIS seit
26.03.2020Zuletzt aktualisiert am
26.03.2020