TE Vwgh Erkenntnis 1998/5/26 98/04/0022

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Veröffentlicht am 26.05.1998
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Index

50/01 Gewerbeordnung;

Norm

GewO 1994 §74 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Urban, über die Beschwerde des Ing. P in I, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 5. Dezember 1997, Zl. U-3850/4, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: H GmbH in I, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in I), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. August 1997 als unbegründet abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 5. Dezember 1997 wurde u.a. die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. August 1997, betreffend Genehmigung der gewerblichen Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei (Aufstellung und Betrieb einer mobilen Siebanlage sowie Zwischenlagerung von inertem Aushub und klassiertem Schottermaterial an einem näher beschriebenen Standort), als unbegründet abgewiesen. Hiezu wurde - nach Darstellung des Verfahrensganges - im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe geltend gemacht, von der beantragten Betriebsanlage gehe eine unzumutbare Staub- und Lärmbelästigung aus, wodurch eine Gesundheitsgefährdung gegeben sei und er habe darauf hingewiesen, daß die vorgeschriebenen Auflagen von der mitbeteiligten Partei nicht eingehalten würden. Dem sei entgegenzuhalten, daß vom gewerbetechnischen Sachverständigen u.a. folgendes ausgeführt worden sei: "Wie sich aus dem Probebetrieb bzw. dessen Beobachtung ergeben hat, werden aus der Deponie nur geringfügige Staubemissionen verursacht. Bei projektgemäßer Ausführung und Einhaltung der ... Auflagen ist zu erwarten, daß sich die Emissionssituation nochmals wesentlich verbessert. Die behaupteten Staubbelästigungen sind, wie langfristig beobachtet werden konnte, nicht ausschließlich und eindeutig der bewilligungswerbenden Firma zuzuordnen. Durch die massiven Bautätigkeiten in diesem Großraum, den brachliegenden Ackerflächen und den nicht befestigten Straßenbanketten konnte ... beobachtet werden, daß durch diese Umstände im Zusammenhang mit bereits geringen Windgeschwindigkeiten Staubverfrachtungen aus diesen Flächen stattfinden, die großräumig zu Staubbelästigungen in der gesamten R führen ..."

Dieser Stellungnahme sei das "Protokoll zur Erfassung der Staubimmissionen - Probebetrieb vom 8.7.1996 bis 8.11.1996" zugrunde gelegen. Auch sonst habe sich diese Schlußfolgerung auf einen ausreichenden Befund stützen können. Das Gutachten entspreche den Anforderungen des § 45 AVG. Der Amtsarzt habe in seiner Stellungnahme vom 5. März 1997 abschließend folgendes festgehalten: "Aus amtsärztlicher Sicht sind somit unter strenger Einhaltung aller Auflagen ... bzw. bei bescheidgemäßer Ausführung keine betriebsbedingten Veränderungen hinsichtlich Staubbelastung und Lärmimmission der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse in einem Ausmaß zu erwarten, daß gesundheitsgefährdende oder gesundheitsbelästigende Auswirkungen für den zu schützenden Personenkreis gemäß § 74 GewO befürchtet werden müssen ..." Diese Schlußfolgerung stütze sich auf eine ausführliche Befundaufnahme. Insbesondere sei der Amtssachverständige auf die Stellungnahme des gewerbetechnischen Amtssachverständigen eingegangen. Auch dieses Gutachten entspreche den Anforderungen des § 45 AVG. Der Beschwerdeführer habe sich mit diesen Stellungnahmen nicht auseinandergesetzt und somit deren Schlüssigkeit nicht in Zweifel gezogen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht, "als Nachbar vor unzumutbaren belästigenden, gesundheitsschädigenden und eigentumsgefährdenden Auswirkungen durch die verfahrensgegenständliche Betriebsanlage geschützt zu werden, verletzt". Er bringt hiezu im wesentlichen vor, das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft geblieben, weil die zur Überprüfung der Staubbelastung vorgenommenen Lokalaugenscheine nicht aussagekräftig seien. So sei weder darauf Bedacht genommen worden, ob die Anlage während der Beobachtung in vollem Betrieb gewesen, noch, welche Materialien angeliefert, abgeladen bzw. verarbeitet worden seien, obwohl die in der Anlage verarbeiteten Materialien eine unterschiedliche Staubentwicklung verursachten. Aus der Beschreibung der Anlage gehe hervor, daß täglich mindestens 500 m3 Material verarbeitet würden, was einem Verkehrsaufkommen von 7 Lkw pro Stunde entspreche. In den Aktenvermerken sei jedoch lediglich die Tätigkeit eines einzigen Radladers bei nicht extremen Windverhältnissen dokumentiert worden. Zur Gewinnung repräsentativer Ergebnisse hätte der Vollbetrieb der Anlage über einen längeren Zeitraum, vornehmlich in den Sommermonaten beobachtet werden müssen. Basierend auf dem wirklichen Ausmaß der von der Anlage ausgehenden Staub- und Lärmimmissionen hätte dann ein ärztliches Gutachten eingeholt werden müssen. Wäre das Verfahren ordnungsgemäß geführt worden, hätte sich ergeben, daß der Betrieb der Anlage trotz aller vorgeschriebener Auflagen "gesundheitsgefährdende bzw. gesundheitsbelästigende" Staubimmissionen mit sich bringe und daher nicht genehmigt werden könne. In diesem Zusammenhang werde auch gerügt, daß beim Beschwerdeführer keine wie immer gearteten Befundaufnahmen stattgefunden hätten. Bereits einmal und zwar mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 23. August 1994 sei ein Antrag der mitbeteiligte Partei auf Erteilung der gewerberechtlichen Betriebsanlagengenehmigung für eine ähnliche Sand- und Schotteraufbereitungsanlage abgewiesen worden. Dies mit der Begründung, daß es insbesondere aufgrund der örtlichen Lage und der bekannt ungünstigen Windverhältnisse nicht möglich sei, eine derartige Anlage so zu betreiben, daß die Nachbarn nicht gefährdet bzw. unzumutbar belästigt würden und der Amtsarzt zum Schluß gekommen sei, daß eine massive Exposition von Sand und Stäuben bei den Nachbarn zu Bindehautreizungen und Entzündungen sowie zu Reizungen der oberen Luftwege mit Husten führen könne, was nicht nur beängstigend sei, sondern einer Störung der Gesundheit entspreche. Dieselben Bedenken träfen nach Auffassung des Beschwerdeführers auch auf die dem nunmehrigen Verfahren zugrundeliegende, modifizierte Anlage der mitbeteiligten Partei zu. Während des - trotz der erheblichen Bedenken des Beschwerdeführers genehmigten - Versuchsbetriebes hätten wegen der Emissionen der Anlage die Auflagen laufend verschärft werden müssen. Eine weitere Verschärfung der Auflagen sei nicht mehr möglich; trotz der vorgeschriebenen Auflagen komme es laufend zu einer solchen Staubbelastung, daß an ein Lüften der Räume im Büro des Beschwerdeführers nicht zu denken sei. Das von der mitbeteiligten Partei eingesetzte Kehrfahrzeug sei nicht in der Lage, die Verschmutzung effektiv zu beseitigen. Allein durch die Verschmutzung des vom Kehrwagen zu reinigenden Straßenstückes komme es zu einer solchen Staubentwicklung, daß eine Genehmigung nach § 77 GewO nicht erteilt werden könne. Die belangte Behörde hätte daher aufgrund des durchgeführten Verfahrens zur Feststellung gelangen müssen, daß das gesamte Gebiet, in dem die Anlage der mitbeteiligten Partei errichtet werden solle, bereits ohne den Betrieb dieser Anlage durch "unerträgliche Staubemissionen" belastet und daher grundsätzlich als Deponiestandort ungeeignet sei. Die Belastung durch Sand und Staub erreiche ein Ausmaß, das - wie vom Amtsarzt bereits einmal festgestellt - nicht bloß als eine unzumutbare Belästigung, sondern bereits als eine Gesundheitsstörung zu qualifizieren sei. Darüber hinaus komme es durch von der Anlage ausgehende Schwingungen und Verstaubungen zu einer Gefährdung des Eigentums des Beschwerdeführers. In seinem Büro befänden sich nämlich empfindliche elektrische Anlagen wie Computer, Kopierer und Scanner, die laut Bedienungsanleitung vor Staub, Schmutz, Erschütterungen und Hitze geschützt werden müßten. Durch die ständige Verstaubung seien die Scanner bereits beschädigt worden und hätten repariert werden müssen. Die Benutzung der Liegenschaft als Büro werde durch die ständige Verstaubung unmöglich gemacht. Eine Verwertung der jetzigen Büroräume als Büroräume werde durch den negativen Einfluß der Anlage der mitbeteiligte Partei unmöglich gemacht, was einer Substanzvernichtung gleichkomme.

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1.

das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 250/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die in § 2 Abs. 1 Z. 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2.

die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen ...

Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Die Frage, ob eine nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbare Gefährdung von Leben oder Gesundheit im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 vermieden wird, ist unter Bedachtnahme auf die in der Umwelt bereits gegebenen Gefährdungen zu beurteilen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 13. November 1984, Zl. 84/04/0088). Dieser Beurteilung ist daher die durch das Hinzutreten der durch die beantragte Anlage bewirkten Immissionen zu der - aus anderen Quellen stammenden - Grundbelastung entstehende Gesamtsituation zugrunde zu legen. Maßgeblich ist nicht, wie sich die Veränderung der Gesamtsituation auf Leben und Gesundheit im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 auswirkt; maßgeblich sind vielmehr die Auswirkungen der veränderten Gesamtsituation.

Demgegenüber ist die belangte Behörde - dem Gutachten des gewerbetechnischen und des medizinischen Amtssachverständigen folgend - zur Genehmigungsfähigkeit der beantragten Betriebsanlage gelangt, weil die behaupteten (und auch beobachteten großräumigen) Staubbelästigungen "nicht ausschließlich und eindeutig" der in Rede stehenden Betriebsanlage zuzuordnen seien, diese Anlage vielmehr nur geringfügige Staubemissionen verursache und die solcherart bewirkte Veränderung der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse kein die Gesundheit gefährdendes oder belästigendes Ausmaß aufweise. Die belangte Behörde hat daher, indem sie die Genehmigungsfähigkeit der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei ausschließlich nach dem zu erwartenden (geringfügigen) Ausmaß der Veränderung der örtlichen Verhältnisse beurteilte, es jedoch unterließ, auf die gesundheitlichen Auswirkungen der solcherart veränderten Gesamtsituation im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 einzugehen, die Rechtslage verkannt.

Schon aus diesem Grund erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, was - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung im Umfang des geltend gemachten Beschwerdepunktes zu führen hatte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998040022.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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