TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/25 W178 2167612-1

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Veröffentlicht am 25.11.2019
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Entscheidungsdatum

25.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W178 2167612-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Drin Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Herrn XXXX , StA.

AFGHANISTAN, vertreten durch: RA Mag. Wolfgang AUNER, gegen den Bescheid des BFA RD Oberösterreich Außenstelle Linz vom 25.07.2017, Zl. 1046065110-140198876, nach Durchführung einer mündlichen

Verhandlung am 07.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

1. Der Beschwerde wird stattgegeben und Herrn XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG wird festgestellt, dass Herrn XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

2. Die Spruchpunkte II bis IV werden behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführer (Bf) hat am 22.11.2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Neben seinen Personalien gab an, dass er 7 Brüder (er eingeschlossen) und 4 Schwestern habe und dass aus der Provinz Kunduz stamme. Er sei Kfz-Mechaniker gewesen. Er habe vor ca. zwei Jahren Afghanistan verlassen und habe sich in Pakistan aufgehalten. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gibt er an, dass er bei der Armee gedient habe und bei den Franzosen als Automechaniker gearbeitet habe. Die Taliban hätten ihn deswegen von Zuhause entführt und gefoltert. Ihm sei die Flucht gelungen und er habe deswegen seine Heimat verlassen müssen, sonst hätte man ihn getötet.

2. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 10.5.2017 gab er hinsichtlich seines Fluchtgrundes an, dass er bei der afghanischen Armee gearbeitet habe. Er sei sehr zufrieden in seiner Dienststelle gewesen. Von der Familie habe keiner gewusst, dass er bei der Armee sei. Seine Familie sei damit nicht einverstanden gewesen. In seinem Dorf seien sehr viele Taliban, alle Bewohner hätten Angst vor den Taliban. Er habe es irgendwann seinem Vater erzählt, dieser der Mutter und diese habe es weitererzählt. Danach hätten die Verwandten davon erfahren und hätten die Taliban verständigt. Als er in den Ferien (Urlaub) war, habe ihn sein Vater in der Nacht von Zuhause weggeschickt, weil der Vater ihn zu diesen bringen sollte. Die Taliban würden jetzt noch fragen, wo er sei. Sein Bruder habe seine Familie zu ihm nach Pakistan gebracht. Man habe ihn in Afghanistan töten wollen. Ein Bruder seiner Frau sei vor ca. drei Jahren von den Taliban getötet worden. Sie hätten auch die Stadt Kunduz übernommen, vorher seien sie nur im Dorf gewesen. Bezüglich seines Lebenslaufes gab er an, dass er drei Jahre lang die Schule besucht habe (ab 17) und dann Automechaniker gewesen sei, mit eigener Werkstatt. Dann sei er zum Militär gegangen, ca. 2010. Dort sei er ca. 1,5 Jahre gewesen. Dann sei er in die Ferien (Urlaub) gefahren und von dort sei er nach den Schwierigkeiten geflüchtet.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 i.V.m. § 9 BFA VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Es wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen erteilt.

Zur Begründung wurde angeführt, dass der angeführte Fluchtgrund als nicht glaubhaft gewertet werde. Es sei nicht logisch, dass sein Vater die Information über seine Tätigkeit beim Militär an die Mutter weitergegeben habe. Ebenso unglaubwürdig sei, dass ihn seine eigenen Onkeln väterlicherseits ihn an die Taliban verraten hätten und damit nicht nur sein, sondern auch das Leben der restlichen Familie in Gefahr gebracht hätten. Eine gegen ihn persönlich gerichtete Bedrohung durch die Taliban, die er selbst erlebt habe, könne er nicht vorbringen. Als sein Vater angeblich geschlagen worden sei und gezwungen, ihn an die Taliban auszuliefern, habe er sich schon in Pakistan aufgehalten. Auch seine Frau und seine Kinder, die zuerst mit ihm nach Pakistan gereist sind, seien nach Afghanistan zurückgegangen und lebten jetzt ohne Probleme im Heimatland. Es liege daher keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan vor. Bezüglich seiner Rückkehr wird angeführt, dass aufgrund des Nichtvorhandenseins eines Meldewesens in Afghanistan eine tatsächliche Bedrohung gegen seine Person nicht bestünde bzw. ihm die Möglichkeit offenstehe, sich zusammen mit seiner Frau und den Kindern in einer anderen sicheren Provinz Afghanistans niederzulassen. Dies würde auch die finanzielle Situation der Familie zulassen.

4. Dagegen wurde Beschwerde erhoben. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass sowohl der VfGH als auch der VwGH mittlerweile in ständiger Rechtsprechung festgehalten hätten, dass bei Widersprüche der Angaben in einer Einvernahme gegenüber jenen zur polizeilichen Erstbefragung unbeachtlich seien, da ein Verbot der näheren Befragung zu den Fluchtgründen im § 19 Abs. 1 AsylG normiert sei; die diesbezüglichen Diskrepanzen dürfen daher bei der Beweiswürdigung nicht entsprechend gewertet werden, Übrigen habe es keine Steigerung des Vorbringens gegeben, sondern sei in der detaillierten Einvernahme zugestanden worden, dass keine Entführung und Folter durch die Taliban stattgefunden habe. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass es unglaubwürdig sei, wie die Tatsache seiner Militärzugehörigkeit bekannt geworden wäre. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung könne es durchaus so sein, dass innerhalb des engsten Familienkreises eine unbedachte Äußerung gemacht werde und so vertrauliche Informationen ungewollt nach außen dringen würden. Relevant sei im Übrigen allein das Faktum, dass der Beschwerdeführer für das Militär als Mechaniker gearbeitet habe. Übereinstimmend mit den Länderberichten gebe der Beschwerdeführer zudem an, dass nach seiner Ausreise auch Familienmitglieder von den Taliban bezichtigt worden seien und bei seiner Familie nach seinem Verbleib gefragt hätten.

Weiters werden Argumente bezüglich seiner Integration vorgebracht.

5. Am 07. November 2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt. Der Beschwerdeführer wurde einvernommen. Er hat umfangreiche Unterlagen vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Bf

Der Bf heißt XXXX , geboren am XXXX , mit afghanischer Staatsangehörigkeit, aus der Volksgruppe der Pashtunen, mit sunnitischem Religionsbekenntnis. Seine Muttersprache ist Pashtu, er spricht auch Dari, Urdu, Farsi und Hindi. Er stammt aus der Provinz Kunduz, aus der Nähe der Stadt Kunduz.

Er hat in Afghanistan geheiratet und hat vier minderjährige Kinder zwischen 10 und 6 Jahren. Die Frau und die Kinder des Bf leben mit der seiner Familie in Kunduz, derzeit hat der Bf wenig Kontakt zu ihnen. Weitere Verwandte leben in der Herkunftsprovinz.

Der Bf hat im Herkunftsstadt als Jugendlicher drei Jahre die Schule besucht und ist alphabetisiert in seiner Muttersprache. Die Familie betrieb eine Landwirtschaft, der Bf hat in Kunduz als Mechaniker gearbeitet, er hatte eine eigene Werkstatt.

Er hat umfangreiche Deutschkenntnisse, insbesondere im Sprechen und Verstehen.

Er hat in Traun, Oberösterreich, einen Betrieb eröffnet mit der gewerberechtlichen Berechtigung "Fahrzeugservice"; nach den vorgelegten Unterlagen hält er die steuerlichen Vorschriften bei dieser Erwerbstätigkeit ein; er hat dafür eine Betriebsanlagengenehmigung und eine Genehmigung für Probefahrten. Weiters ist der Bf seit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft pflichtversichert. Der Beschwerdeführer beschäftigt in seiner Werkstatt einen Dienstnehmer. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt aus dieser Erwerbstätigkeit.

1.2 Zu den Fluchtgründen:

Der Bf war ab 2010 ca. 1,5 Jahre lang Mitglied der afghanischen Armee und zwar hat in einer Werkstätte. In der Werkstätte wurden auch Fahrzeuge der amerikanischen und französischen damaligen ISAF-Truppen repariert. Sein Militärdienst fand in Helmand, in der Kaserne Grish statt. Bei einem Aufenthalt bei seiner Familie (Urlaub) in der Heimatprovinz Kunduz hat ihm sein Vater mitgeteilt, dass die im Herkunftsgebiet herrschenden Taliban von seiner Militärtätigkeit erfahren hätten und er in Gefahr wäre. Er hat daraufhin das Land verlassen und ist nach Pakistan gereist. Dort hatte ca. zwei Jahre gelebt. Seine Familie lebte in Pakistan mit ihm, diese ist anschließend ohne dem Beschwerdeführer nach Kunduz zurückgekehrt und lebte mit der Familie des Beschwerdeführers dort.

Der Beschwerdeführer hat seine Tätigkeit bei der afghanischen Armee an sich geheim gehalten, sie aber seinem Vater schließlich gegenüber erwähnt. Nach Annahme des Beschwerdeführers hat auch seine Mutter davon erfahren und es nicht geheim gehalten. So haben die im Dorf befindlichen Taliban von seiner Militärtätigkeit erfahren.

In Helmand, wo er als Armeeangehöriger stationiert war und in der Regel die Kaserne nicht verlassen hat, fand ihm gegenüber als Person keine Bedrohung statt. Die Bedrohung bezog sich auf seinen Aufenthalt im Herkunftsstadt in Kunduz und auch auf den Weg dorthin und zurück.

Im Militärcamp, in dem auch französische IASF-Truppen stationiert waren, gab es keine Möglichkeit der Unterbringung von Familien der Soldaten.

Der Beschwerdeführer hat nach dem Verlassen Afghanistans zwei Jahre in Pakistan als Mechaniker gearbeitet.

1.3 Zur Lage in Afghanistan

1.3.1.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019", Kap. 3.19 zur Provinz Kunduz:

Die Provinz Kunduz war schon immer ein strategischer Knotenpunkt. Darüber hinaus verbindet die Provinz Kunduz den Rest Afghanistans mit seiner nördlichen Region und liegt in der Nähe einer Hauptstraße nach Kabul (DW 30.09.2015). Somit liegt die Provinz Kunduz im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan, im Osten an die Provinz Takhar, im Süden an die Provinz Baghlan und im Westen an die Provinz Balkh (UNOCHA 4.2014kd). Die Provinzhauptstadt ist Kunduz (Stadt) (Opr 01.02.1017kd); die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Ali Abad, Chahr Darah (Chardarah), Dasht-e-Archi, (Hazrati) Imam Sahib, Khan Abad, Kunduz und Qala-e-Zal (CSO 2019; vgl. IEC 2018kd, UNOCHA 4.2014kd, Opr 01.02.2017kd, NPS o.D.kd). Die Distrikte Calbad (Gulbad), Gultipa und Aqtash sind neu gegründete Distrikte mit "temporärem" Status (AAN 07.11.2018; vgl. CSO 2019).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kunduz für den Zeitraum 2019 - 2020 auf 1.113.676 Personen, davon 356.536 in der Stadt Kunduz (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai (NPS o. D.kd; vgl. Opr 01.02.1017kd).

Ein Abschnitt der asiatischen Autobahn AH7 führt von Kabul aus durch die Provinzen Parwan und Baghlan und verbindet die Hauptstadt mit der Provinz Kunduz und dem Grenzübergang nach Tadschikistan beim Hafen von Sher Khan (auch Sher Khan Bandar) (MoPW 16.10.2015; vgl. RFE/RL 26.08.2007, IN 24.04.2019, LC 24.04.2019); die Straßenbrücke über den Grenzfluss Panj wurde 2007 eröffnet (RFE/RL 26.08.2007). Eine Autobahn verläuft von Kunduz durch den Distrikt Khanabad nach Takhar und Badakhshan (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014kd, AAN 12.10.2016). Von der ca. 100 km langen Autobahn von Khulm nach Kunduz, welche die Fahrstrecke zwischen den Provinzen Kunduz und Balkh deutlich reduzieren wird, wurden im April 2017 59 km fertiggestellt (TN 12.04.2017; vgl. Technologists 2019), das übrige Teilstück ist in Bau (Technologists 2019). In Kunduz gibt es einen Flughafen; im Jahr 2017 wurde ein Terminal nach internationalem Standard mit einer Kapazität für 1.300 Personen errichtet (LIFOS 26.09.2018; vgl. PAJ 07.03.2018). Stand Juli 2019 gibt es jedoch keinen Linienbetrieb in Kunduz (F24 10.07.2019).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 hat Kunduz den seit 2007 bestehenden Status "schlafmohnfrei" 2018 beibehalten. Obwohl die Anbaufläche in den letzten Jahren gestiegen ist, blieb sie 2018 immer noch unter 100 Hektar, was die UNODC-Schwelle für den Erhalt des "schlafmohnfreien Status" darstellt (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Sicherheitslage der Provinz hat sich in den letzten Jahren verschlechtert (AAN 07.11.2018; vgl. AJ 05.02.2019). Sowohl 2015 als auch 2016 kam es zu einer kurzfristigen Einnahme der Provinzhauptstadt Kunduz City durch die Taliban (UNAMA 24.02.2019) und auch Ende August 2019 nahmen die Taliban kurzzeitig Teile der Stadt ein (BAMF 02.09.2019). Kunduz war die letzte Taliban-Hochburg vor deren Sturz 2001 (RFE/RL o.D.).

Die Taliban waren im Jahr 2018 in den Distrikten Dasht-e-Archi und Chahar Darah aktiv, wo sich die staatliche Kontrolle auf kleine Teile der Distriktzentren und einige benachbarte Dörfer beschränkte (AAN 07.11.2018). Die Taliban hatten laut Quellen im Februar 2019 im Distrikt Dasht-e-Archi eine parallele Schattenregierung gebildet, die einen Distriktgouverneur, Bildungsleiter, Justiz, Gesundheit, Öffentlichkeitsarbeit, Militär und die Finanzkomitees umfasst. Diese Posten werden von jungen Paschtunen und Usbeken aus dem Distrikt besetzt (AAN 26.02.2019). In Ali Abad, Imam Sahib und Khan Abad erreichte die Präsenz der Regierung fast die Hälfte der Distrikte, während die restlichen Teile umstritten waren. Aqtash, Calbad und Gultipa standen, zum Berichtszeitraum November 2018, weitgehend oder vollständig unter der Kontrolle der Taliban (AAN 07.11.2018).

Außerdem soll eine aufständische Gruppe namens Jabha-ye Qariha ("die Front derer, die den Quran auswendig gelernt haben", die Qaris), die als Militärflügel von Jundullah bekannt ist, im Distrikt Dasht-e-Archi aktiv sein. Obwohl Jundullah eine unabhängige Gruppe ist, ist sie mit den Taliban verbündet (AAN 26.02.2019).

In den vergangenen Monaten sind Zellen der Islamischen Staates in der nördlichen Provinz Kunduz aufgetaucht (NYT 14.06.2019; vgl. JF 06.04.2018); auch soll der IS dort Basen und Ausbildungszentren unterhalten (RE 19.03.2018; 27.02.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kunduz in der Verantwortung des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) unter der Führung deutscher Streitkräfte untersteht (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...] Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 337 zivile Opfer (105 Tote und 232 Verletzte) in der Provinz Kunduz. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und IEDs. UNAMA dokumentierte einen anhaltenden Rückgang der zivilen Opfer durch Bodenkämpfe in den Provinzen Kunduz und Laghman, die beide zu den fünf Provinzen gehörten, die 2018 die größte Reduktion ziviler Opferzahlen durch solche Operationen hatten. Für die Provinz Kunduz verzeichnete UNAMA 109 zivile Opfer durch Bodenkämpfe, was einem Rückgang von 31% gegenüber 2017 entspricht (UNAMA 24.02.2019).

Im April 2019 wurde die Sicherheitsoperation Khalid durch die afghanische Regierung gestartet, die sich auf die südlichen Regionen, Nangarhar im Osten, Farah im Westen, sowie Kunduz, Takhar und Baghlan im Nordosten, Ghazni im Südosten und Balkh im Norden konzentrierte (UNGASC 14.06.2019). In Kunduz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte; dabei werden unter anderem auch Aufständische getötet (z.B. XI 31.07.2019; KP 22.07.2019; KP 11.07.2019; KP 07.07.2019; XI 27.01.2019; TN 10.09.2018; TN 08.02.2019; NYTM 01.08.2019; UNAMA 25.03.2019; IE 20.07.2018); und Luftangriffe durchgeführt (z.B. NYTM 01.08.2019; XI 31.07.2019; KP 22.07.2019; KP 11.07.2019; XI 12.05.2019; TN 31.01.2019; XI 27.01.2019; UNAMA 25.03.2019).

Auch kam es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den Sicherheitskräften (z.B. BAMF 02.09.2019; NYTM 01.08.2019;

XI 28.07.2019; XI 10.07.2019; SPI 09.07.2019; SP 30.06.2019; TN 13.04.2019; RG 05.02.2019; TN 10.09.2018). Ende August 2019 starteten die Taliban in Kunduz-Stadt eine Großoffensive mit mehreren Hundert Kämpfern. Dabei konnten sie das Provinzkrankenhaus, die Zentrale der Elektrizitätsversorgung und den dritten Polizeibezirk der Stadt einnehmen. Die Kämpfer verschanzten sich in Häusern und lieferten sich Gefechte mit dem afghanischen Militär (BAMF 02.09.2019; TN 01.09.2019). Schon im April 2019 hatten sie Ziele in der Stadt Kunduz angegriffen, wobei dieser Angriff von den Sicherheitskräften zurückgeschlagen wurde (AT 14.04.2019; vgl. NYT 18.04.2019). Manchmal kommt es durch Talibanaufständische zu sicherheitsrelevanten Vorfällen auf der Verbindungsstraße Kunduz-Takhar (CBS 20.08.2018; vgl. KP 20.08.2018; BN 20.08.2018; AAN 07.11.2018).

Kunduz gehörte zu den Provinzen mit der höchsten Gewaltbereitschaft der Taliban während der Parlamentswahlen 2018 (AAN 07.11.2018). In Qala-e-Zal, Gultipa und Calbad fand die Wahl wegen hoher Sicherheitsrisiken nicht statt (PAJ 27.10.2018; vgl. AAN 07.11.2018).

IDPs und Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 46.312 konfliktbedingt Binnenvertriebene aus der Provinz Kunduz (UNOCHA 28.01.2019). Von UNOCHA wurden für den Zeitraum 01.01. - 30.06.2019

7.854 konfliktbedingt Binnenvertriebene in Kunduz erfasst, die innerhalb der Provinz umsiedelten, sowie in geringem Ausmaß nach Herat (49) gingen (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 meldete UNOCHA 43.638 konfliktbedingt Binnenvertriebene in die Provinz Kunduz, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 8.022 konfliktbedingt in die Provinz Kunduz vertriebene Personen, die aus Kunduz selbst, sowie in geringerem Ausmaß aus Takhar (217) stammten (UNOCHA 18.08.2019). UNOCHA vermerkte im November 2018, dass Kunduz eine der drei Provinzen war, welche die meisten konfliktbedingten Vertreibungen erlebten (UNOCHA 06.12.2018)."

1.3.1.2 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019", Kap. 3.12 zur Provinz Helmand:

Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und grenzt an die Provinzen Nimroz und Farah im Westen, Ghor und Daikundi im Norden sowie Uruzgan und Kandahar im Osten. Im Süden teilt sich Helmand eine 162 Kilometer lange Grenze mit Pakistan entlang der Durandlinie (PAJ o.D.). Helmand ist die größte Provinz Afghanistans (TD 31.05.2016) und gliedert sich in die Distrikte Baghran, Dishu, Garm Ser, Kajaki, Lashkargah, Musa Qala, Nad Ali, Marja (ehemals Teil von Nad Ali (AAN 10.03.2016), Nahr-i-Saraj (Nawa-i-Barikzayi, Nawamish, Nawzad, Reg-i-Khan Nishin, Sangin und Washer. Die Provinzhauptstadt von Helmand ist Lashkargah (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Nach Angaben der afghanischen zentralen Statistikorganisation (CSO) sind Marja und Nawamish sogenannte "temporäre" Distrikte (CSO 2019), da sie nach Verabschiedung der Verfassung von 2004 durch den Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.08.2018).

Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet (AAN 16.08.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). 2018 wurden die Parlamentswahlen in Nawamish jedoch von Lashkargah aus durchgeführt, was Proteste im Distrikt hervorrief (AAN 16.08.2018; vgl. PAJ 29.07.2018). Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi (RY 11.07.2019; vgl. PAJ 10.05.2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019).

Die CSO schätzt die Bevölkerungsanzahl von Helmand im Zeitraum 2019 - 2020 auf 1.420.682 Personen (CSO 2019). Die Mehrheit der Einwohner von Helmand sind Paschtunen, mit einer belutschischen Minderheit im Süden an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan (NPS o. D.) und Hazara in Nawamish im Norden (AAN 16.08.2018). Während die nördlichen Distrikte von Helmand - Baghran, Kajaki und Musa Qala - hauptsächlich von Mitgliedern des Alizai-Stammes bevölkert werden, sind die Distrikte Marja und Nad Ali in ihrer Zusammensetzung heterogener. Dort leben Angehörige der Nurzai, Ishaqzai, Alizai, Alekozai sowie mehrerer kleinerer Stämme. Die Ishaqzai sind angeblich einer der religiös-konservativsten Stämme in ganz Afghanistan (AAN 10.03.2016). Der verstorbene Taliban-Führer Mullah Akhtar Muhammad Mansur gehörte diesem Stamm an (AAN 10.03.2016; vgl. GN 26.12.2015).

Helmand ist von geostrategischer Bedeutung (PAJ o.D.), da ein Abschnitt der Ring Road durch die Distrikte Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer verläuft (AAN 10.03.2016), welcher das Bevölkerungszentrum Herat im Westen mit Kandahar im Osten und schließlich der Hauptstadt Kabul verbindet (TD 31.05.2016; vgl. AAN 10.03.2016). In Lashkargah gibt es einen Regionalflughafen mit Linienflugbetrieb (BFA Staatendokumentation 25.03.2019).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 blieb Helmand 2018 die mit Abstand größte Anbauprovinz für Schlafmohn in Afghanistan und beherbergte 52% der gesamten Anbaufläche des Landes, wenngleich der Schlafmohnanbau in Helmand im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr um 5% sank (UNODC/MCN 11.2018). Die zentrale Rolle der Provinz als Schlafmohnanbaugebiet trägt erheblich zu ihrer strategischen Bedeutung für die Taliban bei: Wer Helmand kontrolliert, wird mit umfangreichen Einnahmen belohnt (AREU 5.2019; vgl. N-TV 23.12.2015; GN 26.12.2015; AAN 10.03.2016).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Helmand zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans (TN 19.06.2019; vgl. KP 24.05.2019). Ein Großteil der Gewalt in Helmand ist auf die Drogenwirtschaft zurückzuführen (AAN 10.03.2016). Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie versuchen terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchzuführen (KP 07.05.2019).

Die Taliban können auf eine große Anzahl an Unterstützern aus der Bevölkerung zurückgreifen (TD 31.05.2016). Neben den Taliban soll auch Al-Qaida in Helmand präsent sein (UNSC 13.06.2019; vgl. LWJ 07.08.2018). Im August 2018 töteten afghanische Sicherheitskräfte sieben Al-Qaida-Mitglieder in Helmand (LWJ 07.08.2018; vgl. AT 07.08.2018). Einer Quelle zufolge sind keine Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Helmand aktiv (TD 26.09.2018).

Neben den regulären afghanischen Streitkräften wie der ANP, der ALP, der ANA sowie regierungsfreundlichen Milizen und den US-Streitkräften soll eine spezielle Abteilung namens Sangorian auf Seite der Regierung in Helmand aktiv sein (JF 11.01.2019; vgl. RFE/RL 15.02.2018). Die Sangorian wurde im Januar 2016 vom Einsatzkommandanten der afghanischen Streitkräfte in Helmand als verdeckte anti-Taliban Miliz mit dem Ziel gegründet, die Taliban zu infiltrieren und von innen zu schwächen. Die Sangorian-Kämpfer sind Einheimische, Taliban-Dissidenten und ehemalige Taliban-Aufständische (JF 11.01.2019). Helmand befindet sich im Verantwortungsbereich des 215. ANA Corps (USDOD 6.2019; MENA FN 16.04.2019), das der Task Force Southwest untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Seit dem Jahr 2017 sind US-Marines wieder in Helmand stationiert, um afghanischen Regierungstruppen von Militärstützpunkten aus zu beraten und um Luftangriffe zu verstärken (LAT 15.11.2017).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...] Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 880 zivile Opfer (281 Tote und 599 Verletzte) in Helmand. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) und Selbstmord- oder komplexe Angriffe (UNAMA 24.02.2019).

Laut einem Bericht des UN-Generalsekretärs war Helmand im Frühjahr 2019 eine der aktivsten Konfliktzonen Afghanistans (UNGASC 14.06.2019). Während des Jahres 2018 und im ersten Halbjahr 2019 führten die US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte Operationen in der Provinz fort (z.B. TN 20.05.2019; TN 27.02.2019;

RFE/RL 25.01.2019; PAJ 04.01.2019; RFE/RL 28.11.2018; vgl. UNSC 13.06.2019), einschließlich Luftangriffen, die Berichten zufolge Schäden unter der Zivilbevölkerung verursachten (z.B. TN 20.05.2019;

RFE/RL 25.01.2019; RFE/RL 28.11.2018). Im Zeitraum von November 2018 bis Februar 2019 haben rund ein Drittel aller Luftangriffe in Afghanistan in der Provinz Helmand stattgefunden (UNGASC 28.02.2019). Im Berichtszeitraum Februar bis Juni 2019 fand die Hälfte aller Luftangriffe in den Provinzen Helmand und Ghazni statt (UNGASC 14.06.2019). Auch werden seit Juni 2018 Offensiven verstärkt in den strategisch wichtigen Distrikten Nad Ali, Nawa, Garm Ser, Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer durchgeführt. Die Taliban wurden so zurückgedrängt, und der Druck auf die Provinzhauptstadt konnte vermindert werden (UNSC 13.06.2019).

In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt (KP 24.05.2019), dabei wurden hochrangige Taliban getötet (TN 08.02.2019; LWJ 02.12.2018) und Gefangene aus Taliban-Gefängnissen befreit (TN 31.05.2019; RFE/RL 05.01.2019; RFE/RL 03.08.2018; RFE/RL 31.05.2018). Die Taliban griffen wiederholt Sicherheitskontrollposten und Sicherheitskräfte an (z.B. TN 02.03.2019; PAJ 13.01.2019; RFE/RL 14.07.2018).

Aktivisten einer 2018 gegründeten Friedensbewegung, deren Mitglieder Männer als auch Frauen sind (RFE/RL 29.03.2018), waren auch im ersten Halbjahr 2019 aktiv und riefen die Konfliktparteien zu einer Beendigung ihrer Frühjahrsoffensiven auf (TN 19.07.2019; vgl. ASN 06.06.2019; RFE/RL 05.06.2019; TN 20.04.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 8.269 aus der Provinz Helmand vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst (6.615) und in Kandahar (1.551) Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA

3.999 aus der Provinz Helmand vertriebene Personen, die hauptsächlich nach Kandahar (3.069) gingen (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 meldete UNOCHA 6.615 Vertriebene in die Provinz Helmand, die alle aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 894 Vertriebene in den Distrikt Lashkargah, die aus der Provinz selbst (insb. Nad Ali/Marja) stammten (UNOCHA 18.08.2019)."

1.3.1 LIB, Stand 13.11.2019, Kapitel "Arbeitsmarkt" Seite 328

Arbeitsmarkt

...........Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen

Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 4.2018).

1.3.2 Auszug aus den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, HCR/EG/AFG/18/02 zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender Kap.II/A/1

Risikoprofile:

1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen.1 Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden.249 Zu den Zivilisten, die gezielt aufs Korn genommen werden, zählen Distrikt- und Provinzgouverneure, Mitarbeiter der Justiz und der Staatsanwaltschaft, ehemalige Polizeibeamte und Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, Religionsgelehrte und religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Raum, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Zivilisten, von denen angenommen wird, dass sie die Werte regierungsfeindlicher Kräften ablehnen, Menschenrechtsaktivisten sowie humanitäres Hilfspersonal und Entwicklungshelfer.

Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2017 schrieb UNAMA 570 gezielte Tötungen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) zu, die 1 032 zivile Opfer (650 Tote und 382 Verletzte) forderten, was 10 Prozent aller zivilen Opfer des Jahres entsprach. Die Anzahl der von AGEs verübten derartigen Anschläge stieg von 483 im Jahr 2016 auf 570 im Jahr 2017 und die Zahl der dabei getöteten Zivilisten erhöhte sich um 13 Prozent.

Im Januar 2018 führten die Taliban drei getrennte Angriffe in Kabul durch, bei denen 150 Zivilisten getötet und mehr als 300 verletzt wurden. In einer öffentlichen Erklärung begründeten die Taliban am 28. Januar 2018 einen dieser Angriffe, jenen auf das Innenministerium, mit folgenden Worten:

"Dieses Ziel war der Feind, und auch die Mitarbeiter des Ministeriums waren die

Hauptleidtragenden."

Am 25. April 2018 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensiven, die Al Khandaq Jihadi Operation san. Wie schon in den Jahren zuvor hieß es darin, die Offensive würde sich "gegen die ausländischen Besatzungskräfte und deren Unterstützer im Land" richten. Trotz des erklärten Ziels der Taliban, "besonders auf den Schutz des Lebens und Besitzes des zivilen Volkes zu achten gibt es immer wieder Berichte, dass die Taliban und andere AGEs gezielt Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte angreifen würden. Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen

1.3.3 Aus EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S 51.f

3. Individuals working for foreign military troops or perceived as supporting them

This profile includes individuals who are associated with the foreign troops present in Afghanistan, such as interpreters, security guards, civilian contractors, administrators and logistics personnel.

Personnel working for foreign military troops, in particular interpreters and security guards are seen as a top priority target by the Taliban. The Taliban have also forced local communities to banish certain families they considered allies of the international forces. Individuals not on the payroll of the foreign forces but doing general maintenance jobs, are not as systematically targeted, although attacks occur [Conflict targeting, 1.2.3].

Risk analysis

The acts to which individuals under this profile could be exposed are of such severe nature that they would amount to persecution (e.g. killing).

Not all individuals under this profile would face the level of risk required to establish well-founded fear of persecution. Interpreters and security guards are regarded as a top priority target and in general, well-founded fear of persecution would be substantiated. For others under this profile, the individual assessment of whether or not there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances, such as: specific role and visibility of the applicant, being on the payroll of foreign troops, origin from a contested area or areas with insurgent presence, etc.

Nexus to a reason for persecution

Available information indicates that persecution of this profile is for reasons of (imputed) political opinion. Exclusion considerations could be relevant to this profile (see the chapter on Exclusion below).

1.3.4 Landinfo report Afghanistan, Taliban¿s Intelligence and intimidation campaign, Stand August 2017, Arbeitsübersetzung des BFA), Kap. 4

Identifizierung von Zielpersonen zur Einschüchterung und Tötung

Insbesondere die Einschüchterung und Identifizierung von Zielpersonen durch die Taliban hängt stark von den Resultaten ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeit ab. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Einschüchterung und Verfolgung nur eine von vielen Aufgaben der Nachrichtendienste sind. Die Taliban-Interviewpartner beschrieben die Aufgaben der Nachrichtendienste wie folgt: Tätigkeit für alle Bereiche der Taliban-Bewegung, Grundlagen für künftige Operationen legen und Gefahren seitens des Feindes abwehren, u.a. durch die Entlarvung feindlicher Informanten. Sie untersuchen auch verdächtige Kollaborateure der Regierung und wählen die Zielpersonen aus der schwarzen Liste aus, die auf die Abschussliste gesetzt werden sollen (dies ist eine Teilmenge der schwarzen Liste, mit denjenigen, die zur Tötung frei gegeben wurden). Eine Ausnahme bildet hier der Nachrichtendienst von Quetta, der nicht zu einer Militär-Kommission gehört und soweit berichtet wurde, keine Zielpersonen auswählt. Außerdem sollen die Dienste ein Auge auf Taliban haben, die sich danebenbenehmen, wenn es also zu Übergriffen gegen die Bevölkerung und Korruption kommt.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach 'fehlverhalten':

a) Politische Feinde: die Anführer und wichtigsten Mitglieder der Parteien und Gruppen, die den Taliban feindlich gesinnt sind; dazu gehören beispielsweise

....

b) Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer 'feindlicher' Regierungen - alle Zivilisten, die für die Regierung oder für westliche diplomatische Vertretungen und andere Einrichtungen arbeiten;

c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges;

....

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft;

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs - praktisch jeder, der den ausländischen Streitkräften in irgendeiner Weise hilft;

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung;

i) Auftragnehmer anderer Länder, die gegen die Taliban sind;

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten;

k) Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern.

Diese Kategorien von Zielpersonen beinhalten eine Reihe von Gruppen, die sich nur schwer genau quantifizieren lassen, aber es dürften mit aller Wahrscheinlichkeit insgesamt mehr als eine Million Menschen sein (die Sicherheitskräfte sind zirka 400.000 bis 450.000 Mann stark, ferner hat die Regierung über 500.000 zivile Mitarbeiter, dazu kommen noch zehntausende von Auftragnehmern).

Anschläge gegen die genannten Personengruppen gibt es seit den Anfängen des Aufstandes (2002). In der Tat war die Ermordung einzelner 'Kollaborateure' 2002-2004, als ihr militärisches Potenzial noch schwach war, die wesentliche Aktivität der Taliban. 2005-2007 begannen die Taliban großangelegte militärische Operationen und die gezielten Morde verloren etwas an Bedeutung. Ab 2007 mussten die Taliban vermehrt Einschüchterungstaktiken anwenden, als sie dem vermehrten militärischen Druck durch die ausländischen Streitkräfte (ISAF) ausgesetzt waren. Eine asymmetrische Taktik sollte die Konsolidierung der Kabuler Regierung verzögern bzw. verhindern.

Mit dem Abzug eines Großteils der ausländischen Streitkräfte im Laufe des Jahres 2014 verschoben sich die Prioritäten für die Taliban wiederum. 2014, als die ausländischen Kräfte kaum noch an den Kampfhandlungen teilnahmen, zeigten die Unterlagen der UNAMA über die zivilen Opfer von gezielten Ermordungen durch die Taliban einen leichten Rückgang um 3,6%, dies war der erste Rückgang seit Beginn der Erhebungen durch die UNAMA 2008. 2015 schnellte die Zahl dann wieder um 10,4% nach oben, 2016 fiel sie stärker als jemals zuvor, um 27,3% (Tabelle 1 unten). Da die Taliban nach übereinstimmenden Berichten zu diesem

Zeitpunkt ihre Operationen ausweiteten und weite Gebiete unter ihre Kontrolle brachten, ist dieser Rückgang sicherlich nicht darauf zurückzuführen, dass sie dazu weniger in der Lage gewesen wären, sondern vielmehr auf einen anderen Fokus und eine Änderung der Strategie: man war weniger daran interessiert, die afghanische Regierung zu unterminieren, als daran, sie direkt zu stürzen. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass viele der 'Kollaborateure', die sich schutzlos fühlten, aus diesen gefährdeten Gebieten flohen und die Taliban somit keine leichten Ziele mehr hatten.

Außer den Personen in den oben genannten Kategorien a), d), e) und

k) bieten die Taliban allen Personen, die sich 'fehlverhalten' die Chance, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen in den Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Dies sehen die Taliban nur dann als Verbrechen an, wenn der Auftragnehmer die Warnungen der Taliban in den Wind schlägt. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperation an die Taliban zu binden. Die Personen der Kategorien b), c), f), g), h), i) und j) können einer 'Verurteilung' durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlichen 'feindseligen' Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen.

Im Laufe der Jahre haben die Taliban eine ausgeklügelte Organisation für ihre nachrichtendienstliche Tätigkeit entwickelt. Die Dienste beschäftigen insgesamt fast 6.000 qualifizierte Mitarbeiter (unter Einschluss der Rasool Shura) und eine Vielzahl von bezahlten und unbezahlten Informanten. Gleichzeitig wirkte sich die zunehmende Zersplitterung der Taliban negativ auf die Entwicklung ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeit aus. Mit Ausnahme der Rasool Shura, haben die anderen Bestandteile der Taliban-Bewegung einen Mechanismus für den Informationsaustausch eingeführt, daher funktioniert das System zur Einschüchterung und Verfolgung von Zielpersonen der Taliban weiterhin landesweit, wenngleich nicht unbedingt immer reibungslos.

1.3.5 Landinfo, 23.08.2017), Arbeitsübersetzung BFA, Afghanistan:

Organisation und Struktur der Taliban, Kapitel 7 (S.17ff.) : das Verhältnis der Taliban zur Bevölkerung

Die Taliban wenden eine Kombination von Zwang und Kooptierung an, um sich die Gunst der Lokalbevölkerung zu sichern. Taliban-feindliche Elemente und Kollaborateure der Regierung werden im Regelfall ermahnt, sich zu bessern oder mit den Taliban zu kooperieren; nach mindestens drei erfolgten Ermahnungen können sie von den Taliban auf die schwarze Liste gesetzt werden. Das Töten von feindlichen Elementen und Kollaborateuren dient als Exempel und soll eine Einschüchterungswirkung entfalten: Die Taliban dotieren ungenügende Ressourcen für gezielte Maßnahmen gegen alle, die sie als Kollaborateure einstufen (derer gibt es nahezu eine Million), doch versuchen sie offensichtlich, die Zentralregierung durch Angstpropaganda zu untergraben und die Menschen davon zu überzeugen, sich für den friktionsfreieren Weg einer Zusammenarbeit mit den Taliban zu entscheiden.

Die Taliban wissen, dass sie mit der afghanischen Regierung nicht konkurrieren können, wenn es um Leistungen für die Bevölkerung und wirtschaftliche Entwicklung geht. Vor allem in entlegenen Gebieten gibt es Bevölkerungssegmente, die entweder von allen positiven Folgen der internationalen Intervention in Afghanistan nach dem Jahr 2001 ausgeschlossen waren, oder deren negative Folgen zu spüren bekommen. Die Masse der Bevölkerung in Gebieten, die vom zunehmenden Wohlstand im Zeitraum 2002 bis 2014 profitierten, sieht die Taliban jedoch als potentielle Bedrohung, die den Zugang zu diesem Wohlstand abschneiden könnte. Ohne eine zumindest indirekte Androhung von Zwang wäre es den Taliban nicht möglich gewesen, ihre sozialen Kontrollmaßnahmen durchzusetzen. In der Zeit nach 2014, als die Regierung zusehends nicht mehr in der Lage war (direkt oder indirekt), Wirtschaftswachstum und Leistungen für die Bevölkerung sicherzustellen, wurde es für die Taliban immer weniger notwendig, Zwang auszuüben.

Die lokalen Talibanmilizen spielen eine Schlüsselrolle in der Vernetzung der Taliban mit den lokalen Gemeinschaften. Talibanteams werden in den Dörfern zumeist über Vermittlung des örtlichen Mullahs nach Einigung mit den Ältesten rekrutiert. Die örtlichen Taliban stehen unter dem Einfluss der Ältesten, sind jedoch dem Gouverneur der Taliban verantwortlich. Die Präsenz örtlicher Taliban in einem Dorf bietet Schutz vor marodierenden Banden, gewalttätigen ausländischen Kämpfern und gebietsfremden Taliban und verschafft den Dorfältesten eine gewisse Mitsprache beim Talibangouverneur. Die Talibanführung behält sich das Recht vor, die Kommandanten dieser Milizen auszuwählen, und die Mullahs vertreten die Interessen der Taliban auf lokaler Ebene.

Auch wenn sich die Taliban darum bemühen, dass ihnen die örtlichen Talibanmilizen Folge leisten, haben sich örtliche Taliban durchaus öfters auf die Seite der Dorfbewohner und gegen ausländische Kämpfer und gebietsfremde Taliban gestellt, etwa dadurch, dass sie NGO-Projekte oder Schulen, die den Vorschriften der Taliban widersprachen, unter ihren Schutz stellten. Nach 2014 war es tendenziell so, dass die Talibanführung den örtlichen Taliban zunehmend die Verantwortung für die Verlegung von Minen übertrug, um zivile Opfer möglichst gering zu halten. Berichten zufolge sei dies das Ergebnis von Lobbying bei den Dorfältesten gewesen, wurde aber auch dadurch ermöglicht, dass nach dem Abzug des Großteils der westlichen Truppen im Jahr 2014 Minen nur mehr in schwindendem Ausmaß eingesetzt wurden. Der Versuch einer strikten Umsetzung der Talibanvorschriften betreffend NGOs und humanitären Zugang beeinträchtigte vielfach die Beziehungen mit den örtlichen Gemeinschaften. Dies war vor allem bei verschiedenen Stämmen in Loya Paktia im Zeitraum 2016-2017 der Fall (Zazai, Mangal, Mandozai, Tanai, Khosti).

Nach den Regeln der Taliban sollten Leiter der Militärkommissionen und Richter nicht lokal rekrutiert werden, alle anderen "Funktionsträger" werden jedoch zumeist lokal rekrutiert. Dadurch sind sie lokal verankert, aber auch in örtliche Stammesfehden und innergemeinschaftliche Dispute involviert. Die negativen Folgen dieser Praxis haben sich mit der zunehmenden internen Zersplitterung der Taliban noch verschärft; die Entscheidung, sich der einen oder anderen Schura anzuschließen, wird oft von Stammes-, Gemeinschafts- und persönlichen Rivalitäten innerhalb der Taliban diktiert.

Die Haltung der Taliban gegenüber örtlichen Traditionen und Bräuchen ist unterschiedlich, im Lauf der Zeit waren sie jedoch eindeutig um Aufgeschlossenheit bemüht. In der Justiz, beispielsweise, ist es nunmehr gängige Praxis, Streitigkeiten und Familienangelegenheiten nach den örtlichen Gepflogenheiten (etwa dem Paschtunwali) von den Ältesten schlichten zu lassen. Die Taliban intervenieren nur dann, wenn derartige Versuche scheitern. Es kommt nicht von ungefähr, dass salafistische Gruppen wie der Islamische Staat die Taliban wegen ihrer "unreinen" islamischen Praktiken kritisieren.

Neben der Kooptierung von Gemeinschaften versuchen die Taliban auch, die Bevölkerung nach Möglichkeit direkt zu beeinflussen, vor allem die jüngere Generation. Zu diesem Zweck rekrutieren sie Lehrer an Schulen und Madrasen und finanzieren darüber hinaus ihre eigenen Madrasen zu Hunderten. Auch bezahlen sie Mullahs in den Moscheen, während sich die Bemühungen der lokalen Talibanmilizen hauptsächlich auf die Beeinflussung und Kontrolle der Bevölkerung konzentrieren. Soziale Medien und das Internet kommen ebenfalls zum Einsatz, spielen aber in der Propagandakampagne der Taliban durchwegs eine sekundäre bzw. untergeordnete Rolle.

Im Lauf der Jahre haben die Taliban ihre Vorschriften betreffend der Bewegungsfreiheit von Frauen und deren Zugang zum Arbeitsmarkt gelockert. Frauen ist es seitens der Taliban heute gestattet, als Lehrerinnen, Krankenschwestern und Ärztinnen zu arbeiten, solange sie sich im Rahmen der Vorschriften der Taliban bewegen, beispielsweise der Geschlechtertrennung. Frauen sollten jedoch stets in der Begleitung eines Familienmitglieds sein, wenn sie sich außer Haus begeben. Mädchenschulen sind nun erlaubt, sofern sie sich den strengen Regeln der Taliban unterwerfen: d.h. Geschlechtertrennung, kein Englischunterricht, Taliban-Curriculum und Lehrbücher, Überwachung durch die Taliban.

Einige Talibananführer vermeinen, die Erbringung von Leistungen sei ein Quell politischer Legitimität. Aufgrund finanzieller Einschränkungen erbringen die Taliban von der Justiz abgesehen nur sehr wenige Leistungen. Die von Haibatullah Akhund im Jahr 2016 getroffene Entscheidung, die Talibankliniken für die Allgemeinheit zu öffnen, wurde aufgrund von finanziellen Engpässen nur bruchstückhaft umgesetzt. Es gab Fälle, in denen die Taliban die einheimische Bevölkerung für spezielle Projekte mit einer Steuer belegten, etwa für den Bau von Straßen. Die von den Taliban angebotene Ausbildung beschränkt sich auf einige hundert Madrasen.

Ansonsten bemächtigen sich die Taliban einfach der staatlichen Leistungen, etwa des Bildungswesens. Sie oktroyieren ihren eigenen Lehrplan, ihre Lehrbücher und Lehrenden, während die Regierung weiterhin die Gehälter und andere Aufwendungen bezahlt. Die Taliban drücken auch Projekten von NGO und humanitären Organisationen ihr Gütesiegel auf. Vielfach entsenden sie - zusätzlich zu den staatlichen Funktionären - ihre eigenen Vertreter zur feierlichen Eröffnung von Projekten. Auch wenn sich das entwicklungsfeindliche Image der Taliban abgeschwächt hat, haftet es ihnen nach wie vor an, schließlich ist es den Dorfältesten sehr wohl bewusst, woher das Geld stammt und sie fürchten, die Mittel könnten versiegen, hätten die Taliban die uneingeschränkte Kontrolle.

Die Bewegungen der Menschen werden von den Taliban in von ihnen selbst beherrschten Gebieten aus Angst vor gegen sie gerichtete Spionagetätigkeiten strengstens kontrolliert. Wer eine entlegene Gegend besucht oder sich von einer Taliban-kontrollierten Zone in eine von der Regierung kontrollierten Zone begibt und wieder zurückkehrt, macht sich verdächtig, es sei denn, er hätte diese Absicht vorab gemeldet. Möglicherweise kommt es zu einem Verhör. Wer das Pech hat, in zeitlicher Nähe zu einer erfolgreichen Razzia gegen die Taliban in ein Gebiet zu reisen, riskiert ernsthaft, als Spion verdächtigt zu werden. Der Besitz von Funkgeräten und Satellitentelefonen würde als belastender Beweis gewertet werden.

1.3.6 Landinfo, 23.08.2017), Arbeitsübersetzung BFA, Afghanistan:

Organisation und Struktur der Taliban, Kapitel 6 (S 16.ff.) :

Befehls- und Kontrollstruktur:

Die Befehls- und Kontrollstruktur der Taliban ist unübersichtlich, auch variiert sie von Schura zu Schura. Innerhalb der Quetta Schura existieren derzeit zwei parallele Befehls- und Kontrollstrukturen.

• Eine wird im Endeffekt über die lokale Kommission von der Rahbari Schura kontrolliert; vor Ort sind es die Schattengouverneure, die eine Schlüsselrolle in diesem System einnehmen. Die Schattengouverneure in den Provinzen haben alle nicht-militärischen Aktivitäten der Taliban in ihren Händen konzentriert, ebenso wie die lokalen Talibanmilizen.

• Die zweite Befehls- und Kontrollstruktur wird von der Militärkommission kontrolliert, die alle mobilen Einsatzkräfte der Quetta Schura Taliban steuert. Davon gibt es zwei Arten: Die erste untersteht der Verantwortung der Militärkommission und wird von ihr vollständig kontrolliert. Diese Einheiten werden zentral kontrolliert und nach den Plänen und Einschätzungen der Militärkommission den verschiedenen Provinzen zugewiesen. Bei der zweiten handelt es sich um halb-autonome Fronten (Loy Mahaz), mit jeweils eigenen Anführern und Befehlsketten. Diese Fronten stimmen sich mit der Militärkommission ab, welche deren Dislozierung und Teilnahme an geplanten Operationen mit ihnen aushandelt.

Als Vermächtnis einer Zeit, als sie von Quetta unabhängig war, hat die Miranshah Schura nun ein anderes System. Eine Militärkommission oder lokale Kommission gibt es nicht, die Gouverneure werden von der lokalen Kommission in Quetta kontrolliert, haben aber keine Kontrolle über die lokalen Milizen der Haqqanis. Stattdessen hat die Miranshah Schura vier Kommissionen eingerichtet, die jeweils für die Verwaltung der lokalen Milizen, der mobilen Einheiten, der "Sondereinheiten" (komplexe Angriffsverbände) und die Minenkampagne zuständig sind. Die Struktur der Rasool Schura ähnelt jener der Quetta Schura, ist jedoch von ihr unabhängig.

Die Schura des Nordens und die Maschhad Schura haben im Gegensatz dazu eine einzige Befehlskette, in der alle Truppenteile der Kontrolle der Militärkommission unterstehen, gleich ob es sich um lokale Milizen oder mobile Vollzeitkräfte handelt. Die Gouverneure, die in den der Kontrolle und dem Einflussbereich dieser beiden Schura unterstehenden Gebieten tätig sind, werden von der Quetta Schura und der Rasool Schura ernannt. Sie werden weitgehend toleriert, haben jedoch keine Verfügungsmacht über die Kräfte dieser beiden Schura.

Den Schattengouverneuren unterstehen im Regelfall einige bewaffnete Gruppen, auch in Gebieten, die von der Maschad Schura oder der Schura des Nordens dominiert werden. Dies erklärt weitestgehend die Gebietsüberschneidungen zwischen der Quetta Schura, der Rasool Schura und anderer Schura wie in Abbildung 1 ersichtlich.

Es gibt einige lose Talibanfronten, die keiner Befehlskette und Kontrolle außer ihrer eigenen unterstehen. Wichtige Beispiele hierfür sind die Fronten Obeidullahs und Zakirs, die vor allem im Süden und Westen Afghanistans operieren. Einige Talibanfronten wurden teilweise oder gänzlich von anderen Organisationen "erobert", so etwa die Organisation Dost Mohammad Mahaz in Ostafghanistan, die nach dem Tod von Dost Mohammed im Jahr 2013 und den nachfolgenden Mitteleinbußen de facto von al-Qaida übernommen wurde. Darüber hinaus gibt es Gruppen sogenannter "freier Taliban", die nur mit ihren eigenen Dörfern befasst sind und keine übergeordnete Führung anerkennen.

Als Ergebnis dieser vorstehend beschriebenen Fragmentierung sind auch je nach Schura unterschiedliche "Verhaltenskodexe" im Umlauf. Informationen zufolge ähneln sie einander und stellen einen Versuch dar, das Verhalten der Taliban zu reglementieren, insbesondere durch die Hintanhaltung von willkürlicher Gewalt und Übergriffen.

Es hängt von den einzelnen Kommandanten ab, inwieweit die Verhaltenskodexe bekannt sind und befolgt werden. Grundsätzlich insistiert die Talibanführung darauf, dass die Kommandanten die Kämpfer mit dem Verhaltenskodex vertraut machen. Aus vor Ort geführten Interviews geht jedoch hervor, dass der durchschnittliche Kämpfer weiß, dass es einen Verhaltenskodex gibt, dessen Inhalte jedoch in der Regel nur sehr vage kennt. Mit der Verbreitung von Wissen über die Verhaltenskodexe tat sich für die Taliban ein Problem auf: viele Kommandanten der Taliban sind völlige Analphabeten bzw. des Lesens und Schreibens nur beschränkt mächtig und können den Kodex deshalb nicht selbst lesen und sich aneignen, geschweige denn an die Masse der Kämpfer weitergeben.

Befragt nach der Einhaltung des Verhaltenskodex durch die Taliban, berichteten Taliban und Dorfälteste über Fälle von Talibankämpfern und Kommandanten bzw. Kadern, die wegen Verletzung der Vorschriften bestraft wurden. Sie konnten aber auch über Episoden berichten, in denen Taliban mit einer offensichtlichen Verletzung des Kodex ungestraft davonkamen. Angesichts des dezentralen Charakters der meisten ihrer Operationen hat die Talibanführung zwangsläufig Mühe, bei ihren Kräften Regeln durchzusetzen. Nur selten erfüllt sich die

Erwartung, dass Dorfbewohner Übergriffe durch Taliban den Talibangerichten bzw.den Gouverneuren oder Leitern der Militärkommission melden, aus Angst, Kritik zu üben. Übergriffe wie z. B. willkürliche Exekutionen "ohne Gerichtsverfahren" werden nach wie vor berichtet, ebenso wie Verletzungen von Vereinbarungen mit NGOs, der unkontrollierte Einsatz von Minen, der Verkauf von Waffen auf dem Schwarzmarkt, die Unterschlagung von im Namen der Taliban erhobenen Steuern, Erpressungen zur persönlichen Bereicherung und sogar Diebstahl. Beschwerden über einen sexuellen Missbrauch von Mädchen wurden jedoch nicht bekannt.

Dorfbewohner erfahren nur selten, wenn Taliban bestraft werden, die beim Verstoß gegen Regeln ertappt wurden. Einige Fälle von Exekutionen sind überliefert; aber meistens würden die schuldigen Taliban nach Pakistan verbracht, ohne dass man je wieder von ihnen hören würde, oder erst nach Jahren wieder auftauchen. Die Fragmentierung hat die Durchsetzung von Regeln innerhalb der Taliban erschwert; Einzelpersonen oder Gruppen, die von einer Schura sanktioniert werden, haben die Möglichkeit, sich einer rivalisierenden Schura anzuschließen.

1.3.7 Einzelberichte zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan.

1.3.7.1 Aus: https://alemarahenglish.com

Nov. 16, (2019Einfügung BVwG ) - Amid ongoing Al Fath operations, Mujahideen carried out 269 operations against enemy troops in 29 provinces across the country.

Details say, operations took place on enemy posts, bases and installations in Helmand, Zabul, Kandahar, Ghor, Farah, Balkh, Kunduz, Badakhshan, Parwan, Uruzgan, Kabul, Paktya, Herat, Ghazni, Laghman, Wardak, Baghlan, Logar, Jowzjan, Badghis, Kunar, Kapisa, Noristan, Saripul and Nangarhar proinvces, killing 409 puppets includin

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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