TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/7 W161 2214368-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.01.2020
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Entscheidungsdatum

07.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W161 2214368-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für

Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2019, Zl.: 1153245306/170606437, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.09.2019 zu

Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der bei seiner Einreise minderjährige, nunmehr volljährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte am 18.05.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag gab der BF an, er sei am

XXXX in XXXX , Afghanistan geboren und ledig. Seine Muttersprache sei Dari (Neupersisch), er spreche auch mittelmäßig Farsi/Persisch und mittelmäßiges Englisch. Er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Er habe zehn Jahre lang die Grundschule in Paghman besucht. In Afghanistan (Kabul) würden seine Eltern, seine drei Brüder und seine Schwester leben.

Als Fluchtgrund gab der BF an, er habe sich ca. 2-3 Monate vor seiner Ausreise aus Afghanistan in ein Mädchen aus derselben Ortschaft namens XXXX verliebt und diese sich in ihn. Sie hätten noch keine feste Beziehung gehabt. Dann seien seine Eltern zu den Eltern des Mädchens gegangen, um ein Gespräch wegen der Heirat zu führen. Die ganze Familie, besonders die Brüder des Mädchens seien dagegen gewesen und hätten den BF mit dem Umbringen bedroht. Aus diesem Grund habe er sich entschieden, Afghanistan zu verlassen. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor den Familienangehörigen des Mädchens.

3. Am 26.05.2017 wurde beim BF eine Bestimmung des Knochenalters durchgeführt. Als Ergebnis wurde "Schmeling 3. GP 29" festgehalten.

4. Am 29.05.2017 teilte die Rechtsvertretung mit, der BF habe angegeben, dass sein Vater bereits verstorben und seine Mutter Hausfrau sei. Seine Schwester und zwei seiner Brüder seien Schüler. Die Familie wohne in Kabul, der BF habe am Vortag zuletzt Kontakt zu seiner Familie gehabt. Der BF habe 10 Jahre lang die Schule besucht.

5. Am 11.10.2018 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in der Sprache Dari einvernommen. Er gab an, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Er sei am XXXX in der Provinz Kabul, im Bezirk XXXX , im Dorf XXXX geboren. Über Vorhalt, warum er dieses Geburtsdatum nicht bereits in der Erstbefragung angegeben habe, gab der BF an, er habe diesen Darum angegeben, aber der Dolmetscher habe gemeint, dass der XXXX richtig sei und sein Geburtsdatum später in XXXX berichtigt werden würde. Zu seinen Lebensumständen gab der BF an, im eigenen Haus seines Vaters mit seinen Eltern, seiner Schwester und seinen 3 Brüdern im Dorf XXXX aufgewachsen zu sein. Den Stoff der ersten Klasse habe er zu Hause gelernt, von der zweiten bis zu zehnten Klasse habe er die Schule besucht. Er habe auch am Acker des Vaters und fremder Personen landwirtschaftliche Arbeiten verrichtet (Bewässerung, Pflügen). Sein Vater habe überwiegend als Taxifahrer gearbeitet und besitze ein eigenes Taxi. Seine Mutter sei Hausfrau gewesen. Seine Schwester und der kleinste Bruder seien zu Hause, seine anderen beiden Brüder würden in die Schule gehen. Er habe seit 5-6 Monaten keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Das letzte Mal habe sein Vater gesagt, dass sie seinetwegen kaputtgegangen wären. Er glaube, dass der Verwandte, mit dem er Probleme gehabt hätte, seine Kernfamilie unter Drucke gesetzt und ihnen Leid zugefügt habe. Diese Person hätte wissen wollen, wo sich der BF befände. Er habe auch weiterer Angehörige in Afghanistan (ca. 6-7 Personen), habe zu diesen aber keinen Kontakt. Befragt, was einer Familienzusammenführung entgegenstehe, gab der BF an, dass ihm Gefahren seitens seines Verwandten drohen würden. Er habe ein Mädchen aus der Nachbarschaft heiraten wollen und deshalb Probleme. Seine Kernfamilie könne ihn nicht finanziell unterstützen. Sein Vater habe ein Haus, ein kleines Ackerland und sein Taxi, dieser schaffe es gerade noch, die Familie zu ernähren.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF wie folgt an:

" Ich war mit einem Mädchen namens XXXX in XXXX in unserem Ort befreundet. Wir haben uns geküsst und umarmt. Ihr Bruder hat uns gesehen und ist in unsere Richtung gelaufen. Ich habe mich dann gefürchtet und bin weggelaufen. Ich bin dann nach Hause gegangen und ca. 10 Minuten nach meiner Ankunft gab es Geschrei und Aufrufe, dass ich rauskommen sollte. Es waren die Brüder von XXXX . Ich bin jedoch nicht rausgegangen. Als die Aufrufe zunahmen, ist mein Vater, der ein alter Mann ist zur Tür gegangen. Er machte die Tür auf und die Personen draußen sagten: "Hol deinen Sohn. Wenn du das nicht machst, werden wir das Haus betreten und ihn zusammenschlagen." Mein Vater hat den Ernst der Lage und die Gefahr verstanden. Mein Vater sagte zu ihnen: "Gebt meinen Sohn eure Tochter bzw. Mädchen.", d.h. er machte ein Heiratsangebot. Sie verneinten und sagten meinen Vater, dass ich den Namen (gemeint die Ehre) der gesamten Familie beschmutzt hätte und diese nur dadurch wieder hergestellt werden kann, wenn sie mich töten und mein Blut fließt. Sie wollten damit bezwecken, dass die Anwohner mitbekommen würden, dass diese Familie ihre Ehre wiederherzustellen versuchte, indem sie mich töten würden. Ich habe dann bemerkt, dass sie mich tatsächlich umbringen wollen und sah keine andere Möglichkeit als zu fliehen, also ergriff ich die Flucht und bin über die Mauer unseres Hofes hinten geflüchtet. Ich bin dann zum Haus meines Onkels mütterlicherseits geflüchtet. Eine Woche hielt ich mich dort auf. Ich hatte noch Hoffnung, dass die Brüder es sich anders überlegen würden und mir das Mädchen geben würden. Mein Vater kam dann ins Haus meines Onkels mütterlicherseits und sagte mir in Anwesenheit meines Onkels, dass ich von hier verschwinden müsse, denn es gäbe keinen anderen Weg, ohne meinenTod würde die Ehre der Familie nicht mehr hergestellt werden können. Er sagte, dass ich unserer Familie Trauer und Probleme verursacht hätte und deshalb Afghanistan verlassen müsste. Er sagte, dass er ein bisschen Geld für meine Flucht hätte. Im selben Gespräch sagte mein Onkel, dass ich auch nicht länger bei ihm bleiben konnte, denn auch seine Familie wäre jetzt gefährdet. Mein Vater sagte: "Nimm deine Sachen und hau ab. Sie werden dich finden und töten. Sie sind wohlhabend und haben Recourcen und Möglichkeiten um dich zu finden."

Ich nahm meine Sachen und bin in der selben Nacht geflüchtet. Ich war sehr jung, kannte außer Kabul nichts anderes. Mein Vater brachte mich zur Bushaltestelle nach XXXX von dort fuhr ich mit dem Bus nach XXXX . Welcher Vater ist in der Lage seinem Sohn ins Gesicht zu sagen: "Nimm das Geld und verschwinde." Welcher Vater würde wollen, dass sein Sohn 5.000 km weit entfernt von ihm lebt. Wäre die Gefahr nicht so groß, dann hätte er es nicht gewollt. Das sind meine Fluchtgründe.

LA: Was können Sie mir von XXXX berichten? Wie alt war sie?

VP: In meinem Alter. Nachgefragt ca. 15 bis 16 Jahre alt. Sie war meine Freundin und hat mich sehr geliebt. Als sie mir das sagte, habe ich ihr auch gesagt, dass Ihre Familie sehr mächtig ist und ich

Angst habe davor. Sie sagte: "Was kann ich tun ich liebe dich".

LA: Wie haben Sie sich kennengelernt?

VP: Sie hat mich ein paar Mal gesehen als ich einkaufen war und Volleyball spielte. Dann haben wir miteinander gesprochen.

LA: Wie lange kannten Sie XXXX damals?

VP: ca. 10 bis 11 Monate.

LA: War XXXX mit Ihrer Familie verwandt?

VP: Nein. Sie waren Paschtunen.

LA: Wie traten Sie in Kontakt mit ihr?

VP: Wir haben uns draußen getroffen. Ich habe geschaut, ob Leute vor Ort sind. Wir haben uns dann unterhalten.

LA: Wie oft haben Sie sich getroffen?

VP: Mal 3 Mal die Woche. Dann wieder eine Woche nicht.

LA: Wann war der Vorfall mit den Brüdern?

VP: Vor etwas weniger als 3 Jahren.

LA: Können Sie mir eine genaueren Zeitpunkt schildern? Welcher Monat war?

VP: Ich weiß es nicht genau.

LA: War es damals in den Schulferien?

VP: Nein. Es war während der Schulzeit.

LA: Von wann bis wann dauerte ein Schuljahr von Ihnen?

VP: Vom 1. Monat bis zum 9. Monat des Jahres. Die 3 Monate im Winter ist die Schule geschlossen, weil es sehr kalt ist und schneit.

LA: Was sagte Ihre Familie zu dieser Beziehung?

VP: Sie wussten nichts davon, bis Ihre Verwandten vor unserer Haustür standen.

...

LA: Welchen Familiennamen hat diese Familie?

VP: Ich weiß es nicht. Ich hatte keinen Kontakt zu Ihnen, auch nicht den Nachnamen von XXXX .

LA: Haben Sie eine weitere persönliche Verfolgung oder sonstige individuelle Bedrohung von Angesicht zu Angesicht in Afghanistan heute zu behaupten?

VP: Nein.

Vorhalt: Bei der Erstbefragung haben Sie widersprüchliche Angaben gemacht. Sie sprachen, damals davon, dass Ihre Eltern zur Familie Ihrer Freundin gegangen wäre, um ein Gespräch für eine Heirat zu führen. Nehmen Sie Stellung dazu?

VP: Wie ich schon sagte, wie ich im Haus meines Onkels mütterlicherseits war, kam mein Vater zu mir und sagte mir, dass er die Familie des Mädchens gefragt hätte, ob sie mir ihre Tochter zum Heiraten geben würden. Mein Vater hat mir nicht gesagt, dass er zum Haus des Mädchens gegangen wäre, davon weiß ich nichts. Jedoch hatte mein Vater die Verwandten des Mädchens vor unserer Haustüre danach gefragt. Die Erstbefragung erfolgte nachdem ich am selben Tag von 09.00 bis 21.00 unter einem LKW versteckt von XXXX nach XXXX unterwegs war. Ich war sehr hungrig und durstig und mein Rücken hat sehr wehgetan, weil der LKW vibrierte.

LA: Ihre Einvernahme war gleich nach der LKW Fahrt am gleichen Tag?

VP: Ja, ich ging nach Linz und meine Erstbefragung fand dort statt.

LA: Was machte Ihren weiteren Verbleib damals in Afghanistan nun unmöglich?

VP: Ich hatte Angst vor dieser mafiaähnlichen Familie, dass sie mich umbringen, um ihre verletzte Ehre reinzuwaschen.

LA: Wie alt waren Sie zum Zeitpunkt Ihrer Flucht? VP: ca. 15 Jahre alt.

LA: Wie alt war Ihre Freundin zum Zeitpunkt des Vorfalls?

VP: Ca. 15 oder 16 Jahre alt. Ich wollte sie auch nicht sofort heiraten und zuerst meine Ausbildung fertigmachen.

LA: Warum sind Sie nicht in eine andere Provinz gezogen? Afghanistan ist groß. In Afghanistan gibt es kein Meldegesetz. Es wäre schwierig Sie ausfindig zu machen. Was sagen Sie dazu

VP: Ich habe außer in Kabul nirgendwo gelebt. Ich war mir sicher, dass mich diese mächtige Familie auch in einer anderen Provinz finden würde. Ich war jung und ich kannte niemanden. Man hätte mich entführen und meine Eltern erpressen können.

...

LA: Warum können Ihre Angehörigen weiterhin in Afghanistan leben?

VP: Ich weiß nicht, ob meinen Eltern was zugestoßen ist. Ich habe sei 5 bis 6 Monaten keinen Kontakt.

LA: Könnten Sie jetzt wieder in Afghanistan leben?

VP: Nein.

LA: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

VP: Ja. Ich habe alle Fluchtgründe genannt.

LA: Was hätten Sie bei einer hypothetischen Rückkehr in Ihr Heimatland konkret zu befürchten?

VP: Ich befürchte, dass ich von der Familie des Mädchens getötet werde, damit ihre Ehre wieder hergestellt ist.

LA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Herkunftsland zu verlassen, vollständig vorbringen können?

VP: Ja."

Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, staatliche Unterstützung zu bekommen und in einem Asylwerberquartier zu leben. Er habe Deutsch gelernt, Deutschprüfungszertifikate habe er nicht. Er spiele Volleyball und mache Krafttraining. Er habe auch viele Freunde in der Schule. Gearbeitet habe er in Österreich nicht. Er sei Mitglied in einem Volleyballverein. Manchmal gehe er auch Fußballspielen oder Laufen. Er habe eine Beziehung zu einer Österreicherin türkischer Abstammung. Er habe sie beim Krafttraining vor ca. 5 Monaten kennengelernt. Er wolle den Beruf des Automechanikers erlernen und arbeiten.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

Urkunde der Uni XXXX , ausgestellt am 15.01.2018, wonach der BF im Wintersemester 2017/18 im Rahmen der Lehrveranstaltung "Projektorganisation" die Einheiten Fußball, Gymnastik, Kickboxen und Krafttraining regelmäßig besucht habe;

-

Zertifikat der Uni XXXX , ausgestellt am 25.06.2018, wonach der BF im Sommersemester 2018 im Rahmen der Lehrveranstaltung "Projektorganisation" die Sportangebote Fußball, Krafttraining und Schwimmen besucht habe;

-

Zertifikat (Zukunft, Bildung, Steiermark) ausgestellt am 06.07.2018, wonach der BF das Bildungsangebot in den Kompetenzfeldern Deutsch als Zweitsprache, Englisch, Mathematik, Bildungsberatung und Berufsorientierung, Informations- und Kommunikationstechnologie und Lern- und Soziale Kompetenz teilgenommen habe. Das Sprachkompetenzniveau entspreche dem Sprachniveau A1;

-

Teilnahmebestätigung eines Volleyballvereins;

-

Mitgliedsvertrag eines Fitnessstudios;

-

Bewertungsbogen des BF von "Zukunft.Bildung.Steiermark."

6. In weiterer Folge brachte der BF durch seine Rechtsvertreterin eine Stellungnahme ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul verschlechtert habe. Es gäbe vermehrt Anschläge und zivile Oper. Dazu wurde auf zahlreiche Berichte (ua. die UNHCR-Richtlinien und das Gutachten von Friedericke Stahlmann) verwiesen. Dem minderjährigen BF stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) zur Verfügung, zumal dieser außerhalb der Provinz Kabul keine Angehörigen habe. Nach Kabul könne er aus den geschilderten Verfolgungsgründen nicht zurückkehren. Der BF habe mittlerweile auch eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin. Eine solche Lebensweise (Beziehung mit einer Frau, ohne mit dieser verheiratet zu sein) wäre vor dem Hintergrund der in Afghanistan gelebten Tradition absolut geächtet und würde entsprechend geahndet werden. In den afghanischen Großstädten komme es zu enormen Versorgungsschwierigkeiten. Durch die Rekorddürre in Herat und Balkh breche die Landwirtschaft zusammen. Seine Familie könne ihm wegen der drohenden Gefahr keinen Unterschlupf bieten. Berichte bzw. ACCORD-Anfragebeantwortungen würden bestätigen, dass offener Widerstand bzw. ein Bruch mit den Normen der Eheschließung (indem man den Ehepartner/die Ehepartnerin ohne Zustimmung der jeweiligen Familie wähle) dazu führe, dass sich die Familien in der Ehre gekränkt fühlen würden und könne dies verschiedene Reaktionen hervorrufen, die sich sowohl gegen die Frau, als auch gegen den Mann richten können. Sexuelles Fehlverhalten habe drastische Konsequenzen, da es als Verletzung der Familienehre angesehen werde. Die paschtunische Tradition nehme solche Verstöße so ernst, dass der Familie eines Opfers von Ehebruch, Entführung oder Vergewaltigung das Recht zugestanden werde, sieben Angehörige des Täters zu töten. Hauptziel der von Blutrache sei die Person des Täters, es würden aber auch Verwandte zum Ziel werden. Es käme auch nicht auf tatsächlich erfolgte Handlungen an. Vor diesem Hintergrund sei das Vorbringen des BF glaubhaft und sei er in Afghanistan einer Verfolgung aus politischen und religiösen Motiven ausgesetzt. Ihm sei Asyl, ansonsten subsidiärer Schutz zu gewähren. Auch eine Rückkehrentscheidung sei nicht zulässig.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 22.01.2019 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei, sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben bekenne und der Volksgruppe der Tadschiken angehöre. Seine Identität habe nicht festgestellt werden können. Er stamme aus der Provinz Kabul, sei volljährig, ledig und kinderlos. Eine asylrelevante Verfolgung habe er nicht glaubhaft machen können.

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF völlig abstrakte Behauptungen aufgestellt habe. Er habe seine Fluchtgründe in der niederschriftlichen Einvernahme abweichend zur Erstbefragung geschildert. Auch habe er bei einem Beratungsgespräch einmal unschlüssig behauptet, dass sein Vater bereits verstorben wäre, während er bei der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt den Tod des Vaters mit keiner Silbe erwähnt habe. Auch hinsichtlich der zeitlichen Angaben zu seiner Flucht bzw. den Zeitpunkt der angeblichen Bedrohung habe sich der BF in krasse Widersprüche verstrickt. Sein Vorbringen sei nicht plausibel, nicht nachvollziehbar und entspreche nicht der allgemeinen Lebenserfahrung. Es handle sich bloß um ein gedankliches Konstrukt.

Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass der BF jung, gesund und arbeitsfähig sei. Er habe in Afghanistan landwirtschaftliche Tätigkeiten verrichtet und die Schule besucht. Er könne lesen und schreiben. Seine Familie besitze ein Haus und ein Grundstück, wo er bei seiner Rückkehr Unterkunft nehmen könne. Auch eine finanzielle Unterstützung durch seine Familie sei möglich. Bei einer Rückkehr sei er keiner aussichtslosen Lage ausgesetzt. Er leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Er habe die Möglichkeit sich in sicheren Provinzen wie Kabul, Balkh oder Herat niederzulassen. Er könne auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF illegal eingereist sei und keine Familienangehörigen und keine sonstigen relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Er lebe von der Grundversorgung, sei nicht berufstätig und nicht selbsterhaltungsfähig. Er nehme Bildungsangebote wahr, sei Mitglied eines Fitnessclubs und in einem Volleyballverein aktiv. Eine besondere Integrationsverfestigung bestehe nicht.

8. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde wegen unschlüssiger Beweiswürdigung/rechtlicher Beurteilung und in Folge dessen mangelhaftem Ermittlungsverfahren. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das BFA nicht auf das individuelle Vorbringen des BF eingegangen sei. Der BF habe seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen, da er eine heimliche Beziehung mit einem Mädchen geführt habe. Nachdem der Bruder des Mädchens von der Beziehung erfahren habe, hab die Familie des BF einen Heiratsantrag an die Familie von XXXX gemacht. Der Antrag sei mit der Begründung abgelehnt worden, dass der BF die Ehre der gesamten Familie von XXXX beschmutzt habe. Aufgrund der Gefahr einem Ehrenmord zum Opfer zu fallen, habe der BF Afghanistan verlassen müssen. Hinsichtlich der unpräzisen Angaben bei der Erstbefragung wurde angemerkt, dass der BF nach einer langen Reise unter einem LKW nicht in der Lage gewesen sei, von sich aus Details zur Verfolgung zu nennen. Er habe lediglich eine grobe Rahmengeschichte darlegen können, welche nicht in großem Widerspruch zu seinen Angaben bei der niederschriftlichen Einvernahme stehe. Die Erstbefragung habe sich auch nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Weiters wird auf die Praxis der Blutfehde verwiesen. Eine außereheliche Beziehung zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau stelle eine ernste Verletzung der Familienehre, insbesondere der Ehre der Familie der Frau dar. Laut UNHCR sei eine solche Situation sowohl für den Mann, als auch für die Frau gefährlich. Bei einer Rückkehr würde der BF in seinen Heimatregionen durch die Familie von XXXX erkannt werden und könne vom Staat nicht ausreichend geschützt werden. Dem BF sei Asyl, ansonsten subsidiärer Schutz zu gewähren. Auch eine Rückkehrentscheidung sei nicht zulässig, da der BF bereits Integrationsbemühungen gezeigt habe.

9. Am 11.02.2019 legte der BF ein Empfehlungsschreiben von " XXXX " (Wohnen und Begleitung für geflüchtete Jugendliche) vor, worin ausgeführt wurde, dass der BF Deutschkurse (bis A2) besucht habe. Seit November 2018 besuche er eine Übergangsklasse einer höheren technischen Bundeslehranstalt und bereite sich dort auf die Ausbildung in einem technischen Beruf vor. Der BF habe weiters regelmäßig an Workshops, gemeinsamen Aktivitäten und Ausflügen teilgenommen. Er sei ein sehr guter Volleyballer und trainiere in einem Verein.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.09.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF in Anwesenheit seiner Vertreterin ausführlich zu seinen Fluchtgründen, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie seiner Integration in Österreich befragt wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsmitschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

In der Verhandlung wurde Einsicht in drei Röntgenbilder des BF genommen. Aus dem Befund eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 22.03.2018 geht hervor, dass beim BF ein Mehrschicht Spiral-CT des Gehirnschädels (KM) gemacht wurde. Als Ergebnis wurde "Unauffälliges MS-CT des Gehirnschädels. Kein Hinweis auf intrakranielle Blutung, Raumforderung oder Bluthirnschrankenstörung" festgehalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der bei seiner Einreise minderjährige, nunmehr volljährige BF ist ein Staatsangehöriger Afghanistans, bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnit) und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Die Muttersprache des BF ist Dari. Er spricht auch Farsi.

Seine Identität steht nicht fest.

Der BF wuchs in Afghanistan in der Provinz Kabul im Distrikt XXXX im Dorf XXXX auf, wo er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen vier Geschwistern (eine Schwester und drei Brüder) bis zu seiner Ausreise lebte.

Der BF hat seit einigen Monaten keinen Kontakt mehr zu seinen Familienangehörigen in Afghanistan.

Der BF besuchte in Afghanistan bis zur 10. Klasse die Schule und hat auf landwirtschaftlichen Feldern gearbeitet.

Der BF leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit. Er ist arbeitsfähig.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen ist nicht glaubwürdig.

Es ist nicht glaubhaft, dass der BF in Afghanistan eine Beziehung zu einem Mädchen gehabt hätte und er oder seine Familie deshalb einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch die Familie des Mädchens ausgesetzt gewesen wären bzw. seien. Auch ist nicht glaubwürdig, dass die Familie des Mädchens den BF bzw. seine Familienangehörigen deswegen töten wollten bzw. wollen (Blutrache).

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Dem BF droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.

Er hat mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder aufgrund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwo Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.

Der BF war in Afghanistan auch keiner Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt und ist im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keiner konkreten gegen ihn gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.

Der BF hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung iSd GFK glaubhaft gemacht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in sein Heimatdorf XXXX in der Provinz Kabul aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfinden willkürlichen Gewalt im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der BF jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Der BF ist jung, gesund und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif oder Herat - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Er hat eine mehrjährige Schulausbildung und hat in Afghanistan auf landwirtschaftlichen Feldern gearbeitet. Diese Berufserfahrung wird er auch in Mazar-e Sharif oder Herat nutzen können. Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Auch eine grundlegende medizinische Versorgung ist in Herat bzw. Mazar-e Sharif vorhanden.

Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.4. Zum (Privat) Leben des BF in Österreich:

Der unbescholtene BF hält sich seit etwa zwei Jahren und acht Monaten im Bundesgebiet auf. Der BF hat in Österreich nicht gearbeitet. Er bezieht seit seiner Einreise nach Österreich laufend Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF hat bereits Deutschkurse (bis zum Niveau A2) besucht, Bestätigungen über bereits absolvierte Deutschprüfungen hat er allerdings nicht in Vorlage gebracht.

Er gehört keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung in Österreich an. In seiner Freizeit spielt er in einem Verein Volleyball, ist auch anderweitig sportlich aktiv und trifft sich mit Freunden. Er hat weiters an diversen Sport- und Bildungsangeboten, Workshops, Ausflügen und Aktivitäten teilgenommen.

Er besuchte 6-7 Monate lang eine Übergangsklasse einer höheren Bundeslehranstalt, hat die Schule dann aber wieder abgebrochen. Er wohnt mit einem Freund in einer privaten Unterkunft.

Eine nachhaltige Integration des BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden.

Der BF führt hat in Österreich kein zu beachtendes Familienleben und hat auch keine sonstigen engen sozialen Bindungen.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Unter Bezugnahme auf das aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 04.06.2019) und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zu Lage in Afghanistan getroffen:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019

(1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche

Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019). Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reformand Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

...

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019). Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums

Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.

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Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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