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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art7 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Urban, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in L, gegen den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur", zu Recht erkannt:
Spruch
Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 Ingenieurgesetz 1990 i.V.m. § 42 Abs. 4 VwGG wird der Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 31. Jänner 1997 (eingelangt am 3. Februar 1997) beantragte der Beschwerdeführer beim Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, ihm die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" zu verleihen und führte hiezu im wesentlichen aus, er habe am 3. Oktober 1991 eine näher bezeichnete höhere technische Lehranstalt für Möbel- und Innenausbau mit Reifeprüfung abgeschlossen und er sei seit dem 1. Juni 1992 bei der Firma W. Möbel Ges.m.b.H. als technischer Zeichner "auf Basis Werkvertrag" tätig. Diesem Antrag lag u.a. ein Schreiben der W. Möbel Ges.m.b.H. bei, in dem bestätigt wurde, daß der Beschwerdeführer als freiberuflicher Mitarbeiter in der Vertriebsniederlassung L. tätig sei. Er erstelle mittels CAD-Anlage Einrichtungsplanungen für Produkte der W. Möbel Ges.m.b.H. in den Segmenten Besprechungszimmer, Seminarräume, Sozialräume, Betriebsrestaurants und Kantinen, Wartebereiche, Aufenthaltsräume, Sitzungszimmer, Säle und Büros. Die Planungen würden zum Teil als Skizzen für Mitarbeiter des Außen- bzw. Innendienstes, zum Teil nach Grundrißplänen angefertigt; verschiedentlich sei es auch notwendig, Naturmaße zu nehmen.
Über Aufforderung der Behörde, eine Gewerbeberechtigung vorzulegen, ergänzte der Beschwerdeführer seinen Antrag mit Schriftsatz vom 11. April 1997 dahin, daß er über keine Gewerbeberechtigung verfüge, eine solche aber auch nicht erforderlich sei, weil er ausschließlich für einen Auftraggeber, die W. Möbel Ges.m.b.H. tätig sei und dieser gegenüber auch weisungsgebunden sei. Im übrigen werde die Tätigkeit aufgrund einer Werkvertragsvereinbarung, wie sie nunmehr sozialversicherungspflichtig geworden sei, ausgeführt. Es liege daher eine dienstnehmerähnliche Tätigkeit vor, die entweder als erlaubte selbständige oder unselbständige Tätigkeit qualifiziert werden könne. Zum Beweis beantrage er die Einholung einer Auskunft seines Arbeitgebers.
Diese in der Folge eingeholte Auskunft vom 2. Mai 1997 ergab - vom Beschwerdeführer unwidersprochen -, er werde für seine Tätigkeit monatlich jeweils nach Rechnungslegung entlohnt. Er habe die bedungenen Leistungen persönlich zu erbringen, wobei er sich eigener Betriebsmittel, im kleineren Umfang aber auch der Betriebsmittel seines Auftraggebers bediene. Er sei nicht in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und trage für seine Tätigkeit das Unternehmerrisiko. Er könne seine Arbeitszeit frei, wenn auch in Abstimmung mit dem Auftraggeber regeln. Der Umfang seiner Tätigkeit habe in den letzten Monaten durchschnittlich ca. 80 Stunden monatlich betragen.
Einer Auskunft des Finanzamtes U. vom 29. September 1997 zufolge ist der Beschwerdeführer steuerlich erfaßt. Die Umsätze aus einer selbständigen Tätigkeit seien jedoch als geringfügig zu bezeichnen. So habe der Umsatz im Jahre 1995 S 58.758,-- betragen.
Auch diese Auskunft wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten und blieb von ihm unbestritten.
Mit Schriftsatz vom 5. November 1997 erhob der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerde, in der er ausführte, der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten sei seiner Pflicht zur Entscheidung über seinen Antrag vom 31. Jänner 1997 durch mehr als sechs Monate nicht nachgekommen, sodaß beantragt werde, der Verwaltungsgerichtshof wolle über diesen Antrag entscheiden.
Mit Verfügung vom 18. November 1997 leitete der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 35 Abs. 3 VwGG das Vorverfahren ein und erteilte der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG den Auftrag, innerhalb einer Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen, weil die behauptete Säumigkeit nicht vorliege. Die Frage der Erlaubtheit der Tätigkeit des Beschwerdeführers sei nämlich bislang noch ungeklärt, sodaß eine Entscheidung noch nicht habe getroffen werden können. Der Beschwerdeführer habe auch durch das Unterlassen von substantiellen Äußerungen zum Ermittlungsergebnis jede Bereitschaft vermissen lassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, ... angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde ist nicht von einem Verschulden der säumigen Behörde abhängig, sondern davon, daß diese - aus welchen Gründen immer - über den Antrag nicht binnen sechs Monaten entschieden hat (vgl. die bei Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht (1997) 636 f, referierte hg. Judikatur).
Selbst wenn der Beschwerdeführer daher eine zeitgerechte Entscheidung über seinen Antrag durch die Unterlassung substantieller Äußerungen zum Ermittlungsergebnis be- oder verhindert hätte, könnte dies an der Zulässigkeit der - mehr als sechs Monate nach Einlangen seines Antrages - erhobenen Säumnisbeschwerde nichts ändern. Da die belangte Behörde den versäumten Bescheid auch innerhalb der gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzte Frist nicht erlassen hat, ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung in der Sache gegeben.
Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 Ingenieurgesetz 1990 ist die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" Personen zu verleihen, die
a)
die Reifeprüfung nach dem Lehrplan inländischer höherer technischer oder höherer land- und forstwirtschaftlicher Lehranstalten erfolgreich abgelegt haben und
b)
eine mindestens dreijährige Berufspraxis absolviert haben, die höhere Fachkenntnisse auf dem Fachgebiet voraussetzt, auf dem die Reifeprüfung abgelegt wurde.
Gemäß § 2 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten zur Durchführung des Ingenieurgesetzes 1990, BGBl. Nr. 244/1991 i.d.F. BGBl. Nr. 3/1996, ist als Berufspraxis gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. b des Ingenieurgesetzes 1990 eine berufliche Tätigkeit anzurechnen, wenn sie erlaubt und selbständig oder in einem Dienstverhältnis ausgeübt wurde und im überwiegenden Maße höhere Fachkenntnisse des Fachgebietes voraussetzt.
Für die Qualifikation einer Tätigkeit als Berufspraxis im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. b Ingenieurgesetz 1990 ist zwar nicht entscheidend, ob diese Tätigkeit als Hauptberuf ausgeübt wurde (vgl. dazu das zum Ingenieurgesetz 1973 ergangene hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 1978, VwSlg. 9652/A); gleichwohl ist dafür das Ausmaß, in dem diese Tätigkeit ausgeübt wurde, nicht unerheblich. Die für die Verleihung des Berufstitels "Ingenieur" normierten Voraussetzungen sollen nämlich sicherstellen, daß von einer Person, die diesen Berufstitel führt, sowohl aufgrund ihrer Ausbildung als auch aufgrund ihrer praktischen Erfahrung mit gutem Grund erwartet werden kann, sie sei in der Lage, die ihr überantworteten Fachtätigkeiten ingenieurmäßig auszuführen (vgl. dazu auch die Gesetzesmaterialien RV 1269 Blg.NR XVII. GP,5). Wenn der Gesetzgeber daher die Erwartung des Erwerbs praktischer Erfahrungen an die Ausübung eines (facheinschlägigen) Berufes während einer bestimmten Mindestdauer knüpft, so verbietet sich die Annahme, es käme nicht darauf an, in welchem Ausmaß der Beruf während dieses Zeitraumes ausgeübt wurde, schon aus Gründen sachlicher Konsequenz. Es kann nämlich nicht angenommen werden, das erforderliche Mindestmaß an praktischer Erfahrung lasse sich bereits durch eine in nur geringfügigem Umfang ausgeübte Tätigkeit erwerben. Als Erfüllung der Voraussetzung des § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. b Ingenieurgesetz 1990 ist daher vielmehr nur eine solche Tätigkeit zu werten, die die Arbeitskraft des Betreffenden in einem Ausmaß in Anspruch nimmt (und ihm solcherart praktische Erfahrungen in einem Ausmaß vermittelt), wie dies bei der Ausübung eines Berufes im allgemeinen der Fall ist.
Von dieser Rechtslage ausgehend kann es auf sich beruhen, ob die vom Beschwerdeführer behauptete praktische Tätigkeit im Sinne der obzitierten Verordnung erlaubt und selbständig oder in einem Dienstverhältnis ausgeübt wurde. Selbst wenn diese Voraussetzung nämlich erfüllt wäre, so erweist sich das Ausmaß, in dem diese Tätigkeit unbestrittenermaßen ausgeübt wurde, als so geringfügig - erst in den letzten Monaten reichte es an jenes einer Halbtagsbeschäftigung heran -, daß von einer Berufspraxis im dargelegten Sinn nicht gesprochen werden kann.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung des Berufstitels "Ingenieur" war daher schon aus diesem Grunde abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff insbesondere § 55 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994; daß die Verzögerung der behördlichen Entscheidung im Sinne des § 55 Abs. 3 VwGG ausschließlich auf das Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen wäre, ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen und wurde von der belangten Behörde auch nicht konkret dargelegt.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997040227.X00Im RIS seit
20.11.2000