TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/23 W220 2109213-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2020
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Entscheidungsdatum

23.01.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W220 2109213-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2015, Zahl 831450306-1729530, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 02.12.2019 und 19.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der (zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige) Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 08.10.2013 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein seines vormaligen Rechtsberaters erstbefragt. Dabei gab er zu seinem Fluchtgrund an, Afghanistan aus Angst vor den Taliban verlassen zu haben, welche von ihm verlangt hätten, mit ihnen gemeinsam am Dschihad teilzunehmen. Das habe der Beschwerdeführer nicht gewollt, er hätte lieber später einmal für die afghanische Nationalarmee arbeiten wollen, was nicht möglich gewesen wäre, weil in der Gegend viele Taliban gelebt hätten. Sein Bruder, welcher für die afghanische Nationalarmee gearbeitet habe, sei vor rund zwei Jahren von den Taliban ermordet worden.

Mit gerichtsmedizinischem Gutachten des XXXX wurde auf der Grundlage einer multifaktoriellen Untersuchung des Beschwerdeführers festgestellt, dass dieser zum Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von sechzehn Jahren aufgewiesen habe und daher das im Verfahren von ihm angegebene Alter aus gerichtsmedizinischer Sicht nicht ausgeschlossen werden könne.

Am 21.02.2014 fand eine erste niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinem Geburtsdatum befragt wurde.

Im Zuge des weiteren Verfahrens wurde von dem vom Beschwerdeführer angeführten Geburtsdatum ( XXXX ) ausgegangen.

Am 01.04.2015 fand in Anwesenheit des seinerzeitigen gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Lebensumständen und Fluchtgründen befragt wurde. Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass sein Bruder bei der afghanischen Armee gearbeitet habe und die Taliban sie immer belästigt und vom Vater des Beschwerdeführers verlangt hätten, dass sein Sohn die Arbeit aufgeben und mit ihnen in den Dschihad ziehen solle. Eines Nachts, als die Taliban bei ihnen gewesen wären, habe jemand die Polizei gerufen, welche zwei Taliban getötet hätte; daraufhin hätten die Taliban dem Vater des Beschwerdeführers vorgeworfen, dass er ein Spion sei und die Regierung benachrichtigt habe. Die Familie sei dann nach Pakistan geflüchtet, nur der ältere Bruder des Beschwerdeführers wäre am Herkunftsort verblieben und habe weiter für die Armee gearbeitet. Nach rund drei bis vier Jahren hätte der Bruder des Beschwerdeführers angerufen, dass die Familie zurück an den Herkunftsort kehren könne. Sie seien zurückgekommen und wäre ein paar Monate alles in Ordnung gewesen. Nach einiger Zeit seien die Taliban wiedergekommen, hätten den Vater des Beschwerdeführers getötet und den Beschwerdeführer mitgenommen und ein paar Wochen festgehalten, bis dem Beschwerdeführer die Flucht gelungen sei. Auch sein Bruder habe flüchten wollen, die Taliban hätten ihn jedoch erwischt und ermordet.

Mit oben genanntem Bescheid vom 15.05.2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.05.2016 (Spruchpunkt III.), zuletzt verlängert bis 15.05.2020.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.01.2017, GZl.:

W220 2109213-1, behob das Bundesverwaltungsgericht den oben genannten Bescheid vom 15.05.2015 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Der gegen diesen Beschluss erhobenen außerordentlichen Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gab der Verwaltungsgerichtshof Folge und hob mit Erkenntnis vom 20.06.2017, Zl.: Ra 2017/18/0103, den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.01.2017 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

Am 19.03.2018, 22.01.2019 und 04.04.2019 fanden weitere niederschriftliche Einvernahmen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. In Folge wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 09.04.2019 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 08.10.2013 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und erteilte dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 15.05.2020 (Spruchpunkt II.). Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welcher mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, GZl.: W220 2109213-2, vom heutigen Tag stattgegeben und der angefochtene Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2019 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Behörde aufgehoben wurde.

Am 02.12.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, eingangs welcher der Beschwerdeführer angab, Zweifel an der ausreichenden Verständigungsmöglichkeit mit dem beigezogenen, für die Sprache Paschtu bestellten, allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher zu hegen und die Bestellung eines afghanischen Dolmetschers der Volksgruppenzugehörigkeit der Paschtunen beantragte. Die Verhandlung wurde zu diesem Zweck auf einen neu auszuschreibenden Verhandlungstermin verlegt.

Am 19.12.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines für die Sprache Paschtu bestellten und allgemein beeideten Dolmetschers statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt und unter einem die Gelegenheit geboten wurde, zur aktuellen Situation in Afghanistan eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Paschtunen sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.

Der Beschwerdeführer ist in Afghnistan, in der Provinz Baghlan, geboren und aufgewachsen. Die Mutter, die Schwester und zwei Tanten des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Baghlan; der Beschwerdeführer hat zu seiner Mutter regelmäßigen Kontakt.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er hat in Afghanistan eine Schuldbildung im Umfang von drei bis vier Jahren erhalten. Eine Berufsausbildung hat der Beschwerdeführer nicht absolviert, jedoch in der Landwirtschaft mitgeholfen.

Der Beschwerdeführer ist alleinstehend und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 08.10.2013 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2015 wurde ihm in Österreich subsidiärer Schutz in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.05.2016 erteilt; diese wurde zuletzt bis zum 15.05.2020 verlängert.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan nicht konkret und individuell durch die Taliban bedroht oder verfolgt (worden). Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.

Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht konkret vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, gekürzt auf die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen:

"[...]

Sicherheitslage

Allgemein

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

[...]

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

[...]

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

[...]

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend NichtPaschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen TalibanFigur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die JundullahFraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Baghlan

Baghlan, das sich im Nordosten Afghanistans befindet, grenzt an die Provinzen Bamyan, Samangan, Kunduz, Takhar, Panjshir, Parwan (UNOCHA 4.2014), und in einem sehr kleinen Abschnitt an Balkh (AIMS o.D.).

Baghlan ist in die folgenden 15 Distrikte unterteilt: Andarab, Baghlan-e-Jadeed (auch bekannt als Baghlan-e-Markazi), Burka, Dahana-e-Ghuri, Deh Salah, Dushi, Firing Wa Gharu, Gozargah-e-S. Noor, Khinjan, Khost Wa Firing, Khwaja hejran (Jalga), Nahreen, Pul-e-Hisar, Pul-i-Khumri und Tala Wa Barfak. Die Hauptstadt der Provinz ist Pul-iKhumri (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die zentrale Statistikorganisation Afghanistan (CSO) schätzt die Bevölkerung von Baghlan für den Zeitraum 2019-20 auf 995.814 Personen (CSO 2019). Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan (NPS o.D.).

Baghlan befindet sich auf der Kabul-Nord-Route, welche insgesamt neun Provinzen miteinander verbindet (PAJ o.D.). Dies ist die einzige Trans-Hindukush-Autobahn in Afghanistan und die wichtigste Transitroute zwischen Kabul und dem Norden des Landes (AAN 21.10.2015). Die Sicherheit entlang der Autobahn ist auch bedeutsam für die Energieversorgung Kabuls, da Stromleitungen aus Tadschikistan und Usbekistan entlang dieser verlaufen (AT 29.3.2019; PAJ 14.4.2018; KP 19.3.2018).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Baghlan im Jahr 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. Der Schlafmohnanbau blieb in Baghlan im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 ungefähr gleich (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans;

Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen (KP 20.5.2019;

vgl. KP 11.6.2019, KP 11.4.2019). Im Dezember 2018 erklärte das afghanische Innenministerium (MoI), dass Baghlan zu den Provinzen mit einer hohen Taliban-Präsenz gehört und dass afghanische Streitkräfte in Teilen der Provinz in tödliche Kämpfe verwickelt sind (TN 26.12.2018). Zwischen 2014 und 2018 wurde in Baghlan ein Angriff des ISKP gezählt(CTC 3.12.2018).

Aufseiten der Regierungstruppen liegt Baghlan im Verantwortungsbereich des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...]

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 261 zivile Opfer (68 Tote und 193 Verletzte) in Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 17% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben ( IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

Baghlan liegt im Fokus der im April 2019 von der Regierung beschlossenen "Operation Khalid" (UNGASC 14.6.2019). Seit dem Jahr 2018 führen die ANDSF regelmäßig Operationen in der Provinz durch (KP 20.5.2019; vgl. PAJ 5.11.2018; PAJ 11.9.2018). Bereits im November wurden zusätzliche Sicherheitskräfte vom Verteidigungsministerium als Verstärkung nach Baghlan entsandt (TN 8.11.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und den Taliban finden statt (TN 3.9.2019; vgl. 13.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen im Mai 2019 in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri Sicherheitskräfte an (AJ 5.5.2019) und im September 2019 die Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri selbst (NZZ 1.9.2019) und lieferten sich weitere bewaffnete Zusammenstöße. Die Verbindungsstraßen in die Hauptstadt waren temporär gesperrt (TN 3.9.2019) und waren erst nach großangelegten Sicherheitsoperationen der afghanischen Regierungstruppen wieder eröffnet worden (TN 13.9.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 13.421 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, in den benachbarten Provinzen Parwan, Balkh Panjsher und Bamyan sowie in anderen Provinzen wie Kabul, Kapisa und Khost Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.699 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die in der Provinz selbst verblieben, sowie nach Kabul und Herat gingen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.2018 bis 31.12.2018 meldete UNOCHA 11.928 Vertriebene in die Provinz Baghlan, die alle aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 936 konfliktbedingt nach Baghlan vertriebene Personen, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019).

[...]

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sind sind sunnitische Muslime (MRG o.D.a). Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 13.3.2019). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden (BFA 7.2016; vgl. NYT 10.6.2019) und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA 7.2016).

Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung (BBC 26.5.2016; vgl. RFE/RL 13.11.2018, EASO 9.2016, AAN 4.2011), werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen (EASO 9.2016). Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen (RFE/RL 13.11.2018; vgl. AAN 4.2011, EASO 9.2016). Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (EASO 9.2016).

[...]"

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Verbindung mit dem gerichtsmedizinischen Gutachten des XXXX (vgl. Seite 4 der Niederschrift der Verhandlung; AS 55ff). Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren, da seine Identität - mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente - nicht abschließend geklärt werden konnte.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, der Volksgruppen- und der Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben (vgl. die Seiten 4f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung; AS 163); das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zum Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen sowie dem Kontakt zu diesen, seiner Schulbildung, seiner Berufsausbildung und Berufsausübung, seinen Sprachkenntnissen sowie seinem Familienstand bzw. seinen Familienverhältnissen waren im Wesentlichen gleichlautend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel (vgl. die Seiten 4 und 6f der Niederschrift der Verhandlung; AS 163 bis 165).

Das Datum der Antragstellung sowie die Gewährung von subsidiärem Schutz und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung bzw. deren Verlängerung ergibt sich - ebenso wie die zuvor erfolgte illegale Einreise - aus dem Akteninhalt.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Das Bundesverwaltungsgericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und insbesondere aufgrund des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks der erkennenden Richterin davon aus, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat Afghanistan nicht individuell bedroht oder verfolgt (worden) ist und im Falle der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt ist.

Eingangs ist zu beachten, dass der Beschwerdeführer bei Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie seiner zu seinen Fluchtgründen stattgefundenen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 01.04.2015 minderjährig war und auch die geschilderten Erlebnisse sich demnach auf einen Zeitraum beziehen, in welchem der Beschwerdeführer minderjährig war. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist daher eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und darf die Dichte dieses Vorbringens nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl. zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung insbesondere VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020; 06.09.2018, Ra 2018/18/0150). Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist jedoch auch unter Berücksichtigung seiner damaligen Minderjährigkeit nicht glaubhaft:

Zunächst ist auffällig, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung zwar erklärte, dass die Taliban von ihm verlangt hätten, am Dschihad teilzunehmen, was der Beschwerdeführer nicht gewollt habe (AS 19); eine Entführung der Taliban und eine anschließende lebensbedrohliche Flucht vor denselben, wie er sie erstmals anlässlich der ein halbes Jahr nach der Ersteinvernahme stattgefundenen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorbrachte und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht schilderte (AS 167; Seiten 11f der Niederschrift der Verhandlung), erwähnte der Beschwerdeführer dabei jedoch nicht einmal ansatzweise. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass sein Bruder von den Taliban ermordet worden sei (AS 19); dass auch sein Vater von den Taliban gewaltsam getötet worden wäre, wie der Beschwerdeführer dies nachfolgend vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erörterte (AS 167; Seite 11 der Niederschrift der Verhandlung), führte der Beschwerdeführer hiebei wiederum nicht an. Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert (vgl. zur Verwertbarkeit von Angaben bei der Erstbefragung auch VwGH 17.10.2018, Ra 2018/01/0434; 31.01.2019, Ra 2018/14/0252). Die Verwaltungsbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen. Es wird daher im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf die Fluchtgründe des Beschwerdeführers zu beziehen hatte und dass der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt minderjährig war. Das Faktum, dass der Beschwerdeführer die erstmals in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angeführte gewaltsame Tötung seines Vaters sowie die anschließende Entführung seiner eigenen Person durch die Taliban und seine lebensbedrohliche Flucht vor denselben zuvor nicht einmal ansatzweise erwähnt hatte, ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch angesichts der Intensität derartiger Eingriffe nicht nachvollziehbar und ist dieser Umstand zumindest als (weiteres) Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten.

Hinsichtlich des Todes des älteren Bruders des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit einer angeblichen Tätigkeit für die afghanische Armee tätigte der Beschwerdeführer teils ausweichende Antworten; so führte der Beschwerdeführer etwa auf die Frage der erkennenden Richterin, wann sein älterer Bruder verstorben und wie alt dieser damals gewesen sei, lediglich lapidar an, dessen Alter nicht zu kennen und daher die Frage nicht beantworten zu können (Seite 7 der Niederschrift der Verhandlung). Erst auf mehrmaliges Nachfragen gab der Beschwerdeführer ein ungefähres Alter seines älteren Bruders an, beantwortete jedoch nicht die Frage, wann sein Bruder gestorben sei (vgl. Seite 7 der Niederschrift der Verhandlung). Die näheren Umstände des angeblichen Todes seines älteren Bruders erwähnte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung überdies mit keinem Wort. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl merkte der Beschwerdeführer erst auf die Frage, ob er nun alle seine Fluchtgründe genannt hätte, an, dass sein Bruder auch flüchten hätte wollen; er hätte alles verkaufen wollen, aber die Taliban hätten ihn erwischt und ermordet (AS 169). Wie es dazu gekommen sei, erklärte der Beschwerdeführer jedoch auch vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ebenso wenig wie den Grund dafür, dass sein Bruder nunmehr plötzlich fliehen hätte wollen, obwohl er in der Vergangenheit angeblich stets in Baghlan geblieben sei, während der Rest der Familie nach Pakistan gegangen wäre (vgl. AS 167).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist überdies nicht plausibel. Insbesondere legte der Beschwerdeführer nicht schlüssig dar, weshalb er selbst und seine Familienangehörigen an den Herkunftsort zurückkehren hätten sollen, obwohl der Vater des Beschwerdeführers durch die Taliban mit dem Tod wegen angeblicher Spionagetätigkeit bedroht worden wäre, anstatt in eine größere Stadt in Afghanistan zurückzukehren (vgl. Seite 13 der Niederschrift der Verhandlung); im Speziellen ist nicht erklärlich, weshalb es dem Beschwerdeführer und seinen Familienangehörigen zwar möglich gewesen sein sollte, nach Pakistan zu gehen, wohin bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Bezugspunkte bestanden hätten, es ihnen jedoch nicht möglich gewesen sein sollte, in einer afghanischen Großstadt weiterzuleben, weil sie dort niemanden gekannt hätten und es keine Arbeit für sie gegeben hätte. Weiters schilderte der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen sein älterer Bruder, welcher angeblich bei der afghanischen Armee gearbeitet habe und nur sehr selten daheim am Herkunftsort gewesen sei, zu dem Schluss gekommen wäre, dass der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen nach den Todesdrohungen durch die Taliban wieder an den Herkunftsort zurückkehren hätten können, da "alles in Ordnung gewesen sei (vgl. AS 167)".

Das Vorbringen des Beschwerdeführers war überdies auch teilweise unstimmig. So hatte der Beschwerdeführer etwa vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erklärt, dass im Zuge seiner angeblichen Entführung seine Mutter und seine Schwester geschlagen worden wären (AS 167), während er in der mündlichen Verhandlung auf die ausdrückliche Frage der erkennenden Richterin, ob man seinen übrigen Familienmitgliedern auch etwas angetan hätte, explizit angab, dass seine Mutter, seine Schwester und sein kleiner Bruder verschont worden seien (Seite 13 der Niederschrift der Verhandlung). Es bleibt in diesem Zusammenhang beweiswürdigend festzuhalten, dass sich derartige Ereignisse wohl ganz maßgeblich besonders auch im Gedächtnis eines Jugendlichen, einprägen, wenn sie tatsächlich stattgefunden haben.

Seine angebliche Entführung an sich beschrieb der Beschwerdeführer nur oberflächlich und lediglich auf wiederholtes Nachfragen durch die erkennende Richterin (vgl. Seite 11 der Niederschrift der Verhandlung). Das Vorbringen des Beschwerdeführers war in diesem Punkt auch insofern wiederum unstimmig, als er zunächst konkret angab, die Taliban hätten ihn nach Pakistan zu irgendeiner Madrasa bringen wollen (Seite 11 der Niederschrift der Verhandlung); im Verlauf der weiteren Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer jedoch auf Vorhalt, weshalb die Taliban für den Weitertransport des Beschwerdeführers im Anschluss an die Anhaltung nicht das Auto genommen hätten, zumal man den Beschwerdeführer doch entsprechend seinen eigenen Angaben nach Pakistan bringen hätte wollen, dass er dies nur vermutungsweise angegeben habe und man sie vielleicht nach Pakistan oder an einen anderen Ort innerhalb des Heimatlandes hätte bringen wollen (Seite 12 der Niederschrift der Verhandlung).

Schließlich stellte sich auch nicht als plausibel dar, dass es der Mutter und der Schwester des Beschwerdeführers nach wie vor möglich sein sollte, in Baghlan zu leben (Seite 6 der Niederschrift der Verhandlung), nachdem sowohl der Vater des Beschwerdeführers als auch der ältere Bruder des Beschwerdeführers angeblich von den Taliban getötet worden wären und der Beschwerdeführer selbst durch die Taliban entführt, jedoch anschließend auf lebensbedrohliche Weise vor ihnen geflüchtet sei.

Es ist aufgrund obiger Erwägungen weder glaubhaft, dass die Taliban die Familie des Beschwerdeführers aufgrund einer Tätigkeit des älteren Bruders für die afghanische Armee bedroht haben, noch, dass der ältere Bruder des Beschwerdeführers aufgrund einer solchen Tätigkeit von den Taliban getötet worden ist. Ebensowenig glaubhaft ist, dass die Taliban den Vater des Beschwerdeführers als Spion verdächtigt haben und die Familie des Beschwerdeführers aus diesem Grund nach Pakistan gezogen ist, zumal der jüngere Bruder des Beschwerdeführers einen derartigen mehrjährigen Aufenthalt der gesamten Familie in Pakistan in seinem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niemals angab. Schließlich stellte sich aus oben angeführten beweiswürdigenden Erwägungen als nicht glaubhaft dar, dass der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban gewaltsam getötet oder der Beschwerdeführer von den Taliban entführt wurde.

Dass die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers unter anderem auch aufgrund der Talibanpräsenz als volatil einzustufen ist, geht bereits aus den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen hervor; eine konkret und individuell den Beschwerdeführer treffende aktuelle Verfolgungsgefahr kann allein daraus jedoch nicht abgeleitet werden.

Dabei wird nicht übersehen, dass gemäß den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (welchen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ist, siehe VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mit Verweis auf VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN) für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte befinden oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit dem Islamischen Staat verbundene bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor dieser von AGEs ausgehenden Verfolgung zu bieten, bestehen kann (vgl. die Seiten 59ff der deutschen Version der Richtlinien). Dazu ist jedoch anzumerken, dass auch nach den genannten UNHCR-Richtlinien ein solcher Bedarf nur "abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles" besteht.

Wie oben dargestellt, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er wäre von den Taliban entführt worden, keine Glaubhaftigkeit zu. Das Risikoprofil hat folglich im individuellen Fall des Beschwerdeführers vor Verlassen des Herkunftsstaates nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts zu keiner asylrelevanten Verfolgung geführt; es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt würde. Weiters kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer als junger Mann alleine aufgrund seiner Anwesenheit am Herkunftsort einer Gefahr der Zwangsrekrutierung ausgesetzt wäre und lässt sich das Bestehen einer solchen generellen Gefährdung in Zusammenhang mit einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban, die jeden Mann im wehrfähigen Alter träfe, auch den oben zitierten UNHCR-Richtlinien nicht entnehmen. Dass die Taliban gerade an der Person des Beschwerdeführers ein konkretes Interesse hätten, welches den Beschwerdeführer in besonderem Maße exponieren würde, legte dieser nicht glaubhaft dar.

Es wird auch, wie bereits oben festgehalten, nicht verkannt, dass die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse sich auf Zeitpunkte beziehen, zu denen der Beschwerdeführer minderjährig war und ist dem Bundesverwaltungsgericht bewusst, dass seit der Ausreise des Beschwerdeführers aus seinem Heimatland mittlerweile bereits ein längerer Zeitraum verstrichen ist. Allerdings stellten sich die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtmotiven hinsichtlich wesentlicher Aspekte nicht nur als vage und unplausibel dar, sondern steigerte er sein Vorbringen auch in unzulässiger Weise, weshalb in einer Gesamtschau auch unter Berücksichtigung seiner vormaligen Minderjährigkeit nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer oder einer seiner Familienangehörigen in Afghanistan jemals individuell und konkret aufgrund bestimmter, in ihrer Person gelegener Eigenschaften durch die Taliban bedroht oder verfolgt worden sind bzw. dass der Beschwerdeführer durch die Taliban entführt worden ist. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt ist.

Die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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