TE Bvwg Beschluss 2020/1/27 G310 2211937-2

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Veröffentlicht am 27.01.2020
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Entscheidungsdatum

27.01.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G310 2211937-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Deutschland, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2018, Zl. XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid

aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) reiste am XXXX.11.2018 zu Besuchszwecken nach Österreich ein. Sein Lebensmittelpunkt befindet sich in Deutschland. Dort leben seine Eltern und seine beiden Geschwister. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er ist als Finanzbeamter tätig und verdient monatlich etwa EUR 2.000,00.

Am XXXX.11.2018 wurde der BF, welcher abgesehen von seinem Aufenthalt in der Justizanstalt XXXX von XXXX.11.2018 bis XXXX.11.2018 über keine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet verfügt, im Bundesgebiet festgenommen. Am XXXX.11.2018 wurde er in Untersuchungshaft genommen und in weiterer Folge mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.11.2018, XXXX wegen §§ 15, 269, 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 StGB zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei diese unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Am 01.12.2018 wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wurde über den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Begründet wurde das Aufenthaltsverbot mit der strafgerichtlichen Verurteilung.

Am XXXX.12.2018 reiste der BF freiwillig nach Deutschland aus.

Gegen den oben angeführten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF ein umfassendes Geständnis abgelegt habe. Aufgrund seiner Alkoholisierung sei es zu der Tat gekommen, wobei dies aus Affekt geschehen sei. Weder in Österreich noch in Deutschland sei der BF bislang strafrechtlich in Erscheinung getreten. Dies sei vom Landesgericht für Strafsachen XXXX berücksichtigt worden. Es sei keine weitere Gefährdung der Allgemeinheit anzunehmen. Er habe sich bereits öfters in Österreich aufgehalten und sei bislang noch nie negativ aufgefallen. Es werde beantragt, das verhängte Aufenthaltsverbot zu beheben oder es auf die Dauer von ein bis zwei Jahren zu verkürzen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vom BFA vorgelegt und langten am 24.01.2020 ein.

Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungsrelevante Widersprüche liegen nicht vor.

Die Identität des BF kann anhand des in Kopie im Akt aufliegenden deutschen Führerscheins und Personalausweises festgestellt werden.

Die (Wohnsitz-) Meldungen des BF gehen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) hervor, seine strafgerichtliche Verurteilung in Österreich aus dem Strafregister.

Die Feststellungen zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben vor dem BFA.

Die Ausreise des BF am XXXX.12.2019 wird durch die Bestätigung des Honorarkonsulats der Republik Österreich in Frankfurt am Main, wo der BF am XXXX.12.2019 erschienen ist, belegt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal gravierende Ermittlungslücken vorliegen.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039, Punkt 2.1. der Entscheidungsgründe, mwN, und daran anschließend die Erkenntnisse VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0052, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, und VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

Vor dem Hintergrund der dargestellten Judikatur ist auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen des BFA noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Das BFA hat es verabsäumt, eine Ausfertigung des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.11.2018 zur GZ. XXXX einzuholen, um verlässlich beurteilen zu können, welcher konkreter Taten der BF rechtskräftig für schuldig erkannt wurde und welche Erschwerungs- und Milderungsgründe für die Sanktion maßgeblich waren. Dies ist jedoch notwendig um nachvollziehbar darlegen zu können, inwieweit die Art und Schwere der verübten Taten sich negativ auf das Persönlichkeitsbild des BF auswirken und so eine gesamtheitliche nachvollziehbare Gefährdungsprognose erstellen zu können. Dafür ist es nämlich nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden (vgl. VwGH 19.05.2015, Ra 2015/21/0001; 19.05.2015, Ra 2014/21/0057, mwN).

Ohne sich mit der Verurteilung des BF näher auseinander zu setzen, kam das BFA dabei zu dem Schluss, dass der BF zu einer beträchtlichen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Dabei wird übersehen, dass das Gericht - ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe - mit einer nicht einmal ein Drittel des Strafrahmens erreichenden Freiheitsstrafe das Auslangen gefunden hat, welche noch dazu zur Gänze bedingt nachgesehen wurde. Inwieweit hier von einer beträchtlichen Freiheitsstrafe gesprochen werden kann, ist aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahren des BFA nicht nachvollziehbar.

Das BFA hat im fortgesetzten Verfahren nach Tätigung der entsprechenden Ermittlungsschritte basierend auf dem heranzuziehenden Gefährdungsmaßstab eine entsprechende Gefährdungsprognose zu treffen um nachvollziehbar darzustellen, inwiefern unter Beachtung des bisherigen Lebenswandels des BF ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von vier Jahren gerechtfertigt ist.

Da zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt.

Darüber hinaus begründete das BFA die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hier nicht fallspezifisch, sondern begnügte sich mit allgemein gehaltenen Textbausteinen, ohne auf den vorliegenden Einzelfall Bezug zu nehmen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Durchsetzungsaufschub und zur aufschiebenden Wirkung ausgeführt, dass gesondert zu begründen ist, inwieweit die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers nach § 86 Abs. 3 FPG (Dursetzungsaufschub, Rechtslage vor Inkrafttreten des FrÄG 2011) geboten sein soll. Die auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Bezug nehmenden Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sind, vermögen die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes nicht zu ersetzen. Gleiches gilt für enthaltenen Überlegungen zum Ausschluss einer aufschiebenden Wirkung der Berufung, weil die aufschiebende Wirkung einer Berufung und die Gewährung eines einmonatigen Durchsetzungsaufschubes von ihren Zwecken und ihren Wirkungen her nicht vergleichbar sind (VwGH 21.11.2006, 2006/21/0171 mwN).

Eine derartige Begründung ist im angefochtenen Bescheid weder hinsichtlich des Durchsetzungsaufschubes noch hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung enthalten.

Diesbezüglich ist zudem darauf zu verweisen, dass diese, anders als im angefochtenen Bescheid angenommen [arg: "ist"], nicht zwingend ist.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2211937.2.00

Zuletzt aktualisiert am

24.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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