Entscheidungsdatum
03.02.2020Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W154 2228006-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Tunesien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2020, Zahl: 1255579405/200076778, zu
Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO i.V.m. § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.
III. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.
IV. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Tunesien, gelangte illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 15.12.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die erkennungsdienstliche Behandlung des BF ergab, dass dieser am 07.12.2019 in Rumänien im Zuge einer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt worden sei.
Am 19.12.2019 wurde ein Konsultationsverfahren mit Rumänien eingeleitet. Infolge Verfristung (Zustimmung durch Zeitablauf) wurde die Zuständigkeit Rumäniens zur Durchführung des Asylverfahrens des BF gemäß Art. 18 (1) (b) i.V.m. Art. 25 (2) der Dublin III-Verordnung erkannt.
Am 23.12.2019 wurde das BFA seitens der Justizanstalt Wiener Neustadt in Kenntnis gesetzt, dass der BF am 22.12.2019 festgenommen und mit 23.12.2019 gegen ihn die Untersuchungshaft angeordnet wurde.
Am 21.01.2020 wurde der BF vom Landesgericht Wiener Neustadt (Zl:52 Hv1/20v) nach den §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2 zweiter Fall und 241e Abs. 1 erster Fall sowie 229 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt, wovon ein Teil der verhängten Strafe unter der Einhaltung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21.01.2020, Zl. 1255579405 - 191283886, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Rumänien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 (1) (b) i.V.m. Art. 25.2 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Rumänien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Diese Entscheidung wurde dem BF persönlich am 22.01.2020 zugestellt. Die Abschiebung des BF ist gegenwärtig für den 24.02.2020 geplant.
Der BF wurde am 21.01.2020 aus der Justizanstalt Wiener Neustadt entlassen und in Vollziehung eines gegen den BF erlassenen Festnahmeauftrages am selben Tag in Verwaltungsverwahrungshaft genommen.
Am 22.01.2020 wurde der BF zur möglichen Anordnung der Schubhaft niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er nicht nach Rumänien abgeschoben werden wolle, da Rumänien schrecklich sei, das Camp sei schmutzig, es gebe Mäuse und Ungeziefer. In Österreich verfüge er über keine Familienangehörigen, in seinem Heimatland würden seine Eltern und drei Geschwister leben, er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Zu Österreich habe er hinsichtlich Arbeit, Ausbildung usw. keine Anknüpfungspunkte. In seinem Heimatland habe er ein Diplom als Maler und Anstreicher erworben, er habe gearbeitet und davon gelebt. Gegenwärtig würde er über lediglich € 50 verfügen. Bankomat-oder Kreditkarte habe er keine. Die Frage, wie er sich seinen Aufenthalt in Österreich finanzieren könne, beantwortete der BF dahingehend, dass er gekommen sei, um als Maler zu arbeiten. Auf die Frage, warum er eine Woche, nachdem er Österreich betreten habe, bereits straffällig geworden sei, antwortete der BF, dass er etwas Alkohol getrunken habe, später habe ihn die Polizei wegen Diebstahls festgenommen. Das Gericht habe gesagt, er sei nicht schuldig, dies wurde auf der Kamera gesehen. Er sei zum ersten Mal in Österreich, ein Visum oder einen Aufenthaltstitel in einem Land der EU oder im Schengenraum besitze er nicht. Er sei weder krank noch benötige er einen Arzt oder Medikamente. Auf die Frage, warum er nicht legal nach Österreich eingereist sei, obwohl er einen gültigen Reisepass besitze, antwortete der BF, dass ein Visum ca. € 7000 kosten würde, also mehr als der Schlepper. Abschließend betonte der BF nochmals, nicht nach Rumänien zurückkehren zu wollen.
Mit dem oben im Spruch angeführten Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde über den BF gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Überstellungsverfahrens angeordnet. Dieser Bescheid wurde dem BF am 22.01.2020, um 10.10 Uhr, persönlich zugestellt.
Die belangte Behörde stützte dabei die Fluchtgefahr auf § 76 Abs. 3 Z 6 und 9, ging aufgrund der Straffälligkeit des BF von der Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Schubhaft aus und versagte aufgrund der finanziellen Situation des BF und der Tatsache, dass aufgrund seines bisherigen Verhaltens ein beträchtliches Risiko des Untertauchens bestehe, die Anordnung gelinderer Mittel.
Gegen den gegenständlichen Schubhaftbescheid erhob der BF durch seine Rechtsvertretung am 27.01.2019 rechtzeitig Beschwerde. Die Beschwerde geht im Wesentlichen davon aus, dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall die Erforderlichkeit der Schubhaft unzureichend und nicht nachvollziehbar begründet habe. Die Beschwerde geht insgesamt davon aus, dass keine Fluchtgefahr bestehe. Der BF beantragte in der Beschwerdeschrift durch seine Rechtsvertretung die Schubhaftnahme und die bisherige Anhaltung für rechtswidrig zu erklären, weiters auszusprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF nicht vorliegen würden, den bekämpften Bescheid zu beheben, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, sowie den Verfahrenskostenersatz.
Auf Ersuchen der zuständigen Gerichtsabteilung wurden dem Bundesverwaltungsgericht in Folge vom BFA die Verwaltungsakten elektronisch übermittelt. Die belangte Behörde erstattete im Beschwerdeverfahren eine Stellungnahme, in der sie in der Zusammenfassung des Sachverhaltes insbesondere auf das ungebührliche Verhalten des BF in der Schubhaft hinwies, wobei sie ausführte, dass sich der BF vom 23.01.2020 bis 24.01.2020 im Hungerstreik befunden habe, und am 25.1.2020 aufgrund des Schluckens von Rasierklingen ins AKH ausgeführt und anschließend in die Sicherheitszelle im Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel verlegt habe werden müssen. Am 26.01.2020 begann der BF neuerlich einen Hungerstreik. Die belangte Behörde führte des Weiteren aus, dass die Inschubhaftnahme des BF notwendig gewesen sei, da der BF mittellos und unterstandslos sei und nach der Entlassung aus der Haft in der Justizanstalt Wiener Neustadt die Gefahr des Untertauchens gegeben gewesen sei. Bei der meldeamtlichen Registrierung an der Adresse der Justizanstalt Wiener Neustadt könne nicht von einem aufrechten Wohnsitz - wie der BF in der Beschwerde andeutete - ausgegangen werden. Darüber hinaus führte der BF auch mehrmals in der niederschriftlichen Einvernahme am 22.1.2020 aus, dass er "auf keinen Fall wieder zurück nach Rumänien möchte". Die belangte Behörde verwies auch darauf, dass der BF beim Verschlucken der Rasierklingen verlautbarte, dies getan zu haben, weil er nicht mehr im Polizeianhaltezentrum angehalten werden möchte. Dadurch würde die Gefahr des Untertauchens bzw. Fluchtgefahr ebenfalls weiter verstärkt. Die Missachtung der österreichischen Rechtsordnung durch den BF würde durch die strafrechtliche Verurteilung und der Haft bereits wenige Tage nach der Einreise bzw. Antragstellung auf internationalen Schutz weiter untermalt. Die Behörde müsse also davon ausgehen, dass sich der BF dem Verfahren bzw. der Rücküberstellungen nach Rumänien entziehen würde bzw. untertauchen würde. Zur Sicherung der Überstellung nach Rumänien seien gelindere Mittel in diesem Fall nicht zielführend, so die belangte Behörde weiter.
Das Bundesamt beantragte, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen und festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, und den BF zum Aufwandersatz zu verpflichten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.
Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.
Die Identität des BF steht fest.
Die erkennungsdienstliche Behandlung des BF ergab, dass dieser am 07.12.2019 in Rumänien im Zuge einer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt worden ist.
Der BF stellte am 15.12.2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21.01.2020, Zl. 1255579405 - 191283886, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Rumänien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 (1) (b) i.V.m. Art. 25.2 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Rumänien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Diese Entscheidung wurde dem BF persönlich am 22.01.2020 zugestellt. Die Rückführung des BF nach Rumänien ist für den 24.02.2020 geplant.
Mit dem oben im Spruch angeführten Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde über den BF gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Überstellungsverfahrens angeordnet. Dieser Bescheid wurde dem BF am 22.01.2020 persönlich zugestellt.
Der BF befindet sich seit 22.01.2020 fortlaufend in Schubhaft. Diese wird derzeit im Polizeianhaltezentrum Wien, Hernalser Gürtel, vollzogen.
Der BF war von 16.12.2019 bis zu seiner Unterbringung in Untersuchungshaft am 23.12.2019 in Grundversorgung untergebracht. Danach war der BF lediglich behördlich untergebracht. Darüber hinaus war der BF in Österreich meldebehördlich nicht erfasst.
Der BF verfügt in Österreich über keine festen familiären und sozialen Bindungen, keine gesicherte Unterkunft und weist keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes vor. Er geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.
Der BF wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 23.12.2019 wegen Fluchtgefahr und Tatbegehungsgefahr in Untersuchungshaft genommen und in Folge strafgerichtlich verurteilt.
Aufgrund seines Vorverhaltens ist zu erwarten, dass der BF eine Entlassung dazu benützt werden würde, unterzutauchen und im Verborgenen den Aufenthalt fortzusetzen bzw. sich der Ausweisung zu entziehen.
Der BF ist haftfähig.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zum Sachverhalt:
Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
Zum Entscheidungszeitpunkt bestehen keine Hinweise darauf, dass das zu sichernde Verfahren und die damit verbundene Überstellung des BF nach Rumänien nicht innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraums durchgeführt werden könnten.
Dass der BF nicht österreichischer Staatsbürger ist, ergibt sich - wie auch die Feststellung zur Asylantragstellung in Rumänien - aus einer IZR Abfrage.
Die Feststellung zur Identität des BF ergibt sich daraus, dass der BF einen Reisepass in Vorlage bringen konnte.
Die Feststellung zur Unterbringung des BF in Grundversorgung ergibt sich aus einem GVS-Auszug.
Die Feststellung zur meldeamtlichen Erfassung des BF in Österreich ergibt sich aus einer Anfrage zum Zentralen Melderegister.
Die Feststellung der Unterbringung in Untersuchungshaft sowie die strafgerichtliche Verurteilung des BF ergeben sich aus dem Gerichtsakt.
Die Feststellungen zu den persönlichen Lebensumständen des BF in Österreich (Fehlen einer steten Unterkunft, Mittellosigkeit) beruhen auf den Angaben des BF vor der belangten Behörde und den entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Der BF ist diesen Feststellungen weder in der Einvernahme am 22.01.2020 noch in der Beschwerde substantiiert entgegengetreten. Die Feststellungen hinsichtlich der familiären und sozialen Bindungen beruhen darauf, dass der BF in der Einvernahme am 22.01.2020 angab, ledig und kinderlos zu sein. Auch das Fehlen einer Unterkunft des BF spricht nicht für die soziale Verankerung des BF in Österreich.
Die Feststellung zum vermuteten Untertauchen des BF nach Haftentlassung ergibt sich aus dem Verwaltungsakt. Sie wird dadurch untermauert, dass der BF zum einen über keinen ordentlichen Wohnsitz und sonstige soziale Anbindung in Österreich verfügt und zum anderen während der Anhaltung in Schubhaft massiv ungebührliches und unkooperatives Verhalten der Behörde gegenüber gesetzt hat, um seine Freilassung aus der Schubhaft zu erwirken. So trat der BF zweimal in den Hungerstreik und behauptete vor dem Antritt des zweiten Hungerstreiks, Rasierklingen geschluckt zu haben, was die Ausführung des BF in ein Krankenhaus sowie seine weitere Unterbringung in einer Sicherheitszelle notwendig machten. Nach der Behauptung des Schluckens der Rasierklingen gab der BF explizit an, dass er dies deshalb gemacht habe, weil er nicht mehr im Polizeianhaltezentrum bleiben möchte.
Es kann aus dem bisherigen Verhalten des BF heraus geschlossen werden, dass er, auf freiem Fuß belassen, sich einer Überstellung nach Rumänien zu entziehen versuchen wird, sodass die getroffene Maßnahme als erforderlich anzusehen ist. Aus seinem bisherigen Verhalten kann nicht gefolgert werden, dass der BF freiwillig nach Rumänien ausreisen wird.
Hinsichtlich der Hafttauglichkeit stützt sich die Feststellung auf die Tatsache, dass bis zum Entscheidungszeitpunkt keine gegenteiligen Informationen an das Gericht ergangen sind und es im Rahmen des Verfahrens auch keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Beschwerden des BF gab.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zu Spruchpunkt I. ( Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft):
3.1.1. Gesetzliche Grundlage:
Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:
"Schubhaft
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."
Die Dublin III-VO trat mit am 19. Juli 2013 in Kraft und ist gemäß Art. 49 leg.cit. auf alle Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem 1. Jänner 2014 gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Im - gegenüber der Dublin II-VO neuen - Art. 28 Dublin III-VO ist die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung im Dublin-Verfahren geregelt. Allfällige entgegenstehende Bestimmungen des nationalen Fremdenrechts sind, sofern keine verordnungskonforme Interpretation möglich ist, demgegenüber unanwendbar. Solange die Dublin III-VO gegenüber einem Drittstaatsangehörigen angewendet wird, darf Administrativhaft zur Sicherung deren Vollzugs nur nach Art. 28 leg.cit. verhängt werden und nicht etwa nach anderen Bestimmungen des nationalen Rechts, da sonst der Schutzzweck der gegenständlichen Regelung vereitelt wäre (Filzwieser/Sprung, Die Dublin III-Verordnung, 223).
Gemäß Art. 28 Dublin III-VO dürfen die Mitgliedstaaten zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird. Die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs darf, wenn der Asylwerber in Haft ist, einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Dublin-Verfahren führt, ersucht in diesen Fällen um eine dringende Antwort, die spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs erfolgen muss. Die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt, sobald diese praktisch durchführbar ist, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten.
"Fluchtgefahr" definiert Art. 2 lit. n Dublin III-VO als das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.
Zwar dürfen die Mitgliedstaaten die zum Vollzug von EU-Verordnungen erforderlichen innerstaatlichen Organisations- und Verfahrensvorschriften bereitstellen. Um der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts willen ist jedoch der Rückgriff auf innerstaatliche Rechtsvorschriften nur in dem zum Vollzug der Verordnung notwendigen Umfang zulässig. Den Mitgliedstaaten ist es in Bezug auf Verordnungen des Unionsrechts verwehrt, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Änderung ihrer Tragweite oder eine Ergänzung ihrer Vorschriften zum Inhalt haben. Es besteht ein prinzipielles unionsrechtliches Verbot der Präzisierung von EU-Verordnungen durch verbindliches innerstaatliches Recht. Eine Ausnahme von diesem Verbot besteht nur dort, wo von der Verordnung eine nähere Konkretisierung selbst verlangt wird (Öhlinger/Potatcs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht³, 2006,138 f.).
Eine derartige Ausnahme liegt vor, wenn Art. 2 lit. n Dublin III-VO dem Gesetzgeber aufträgt, Kriterien für Vorliegen von Fluchtgefahr zu regeln (Filzwieser/Sprung, Die Dublin III-Verordnung, 94). § 76 Abs. 2a FPG sieht solche Kriterien vor. Vor dem Hintergrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 28 Dublin III-VO hätte die belangte Behörde die Schubhaft jedoch jedenfalls auch nach dieser Bestimmung verhängen müssen. Die über das Vorliegen der Fluchtgefahr, Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit (vgl. Erwägungsgrund 20 Dublin III-VO) hinausgehenden Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft nach Art. 28 Abs. 3 Dublin III-VO hat die belangte Behörde aber nicht geprüft.
§ 77 Gelinderes Mittel
Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1
FPG.
Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.
Zur Judikatur:
3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig" (VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, "weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese 'Einstellungsänderung' durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken)." (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).
"Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde" (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
"Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird" (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
Eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert, kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führen, dass unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes des Fremden und der bisherigen Dauer der Schubhaft die Anwendung gelinderer Mittel ausreichend gewesen wäre (im Zusammenhang mit behaupteter Haftunfähigkeit wegen psychischer Beschwerden vgl. VwGH 05.07.2012, Zl. 2012/21/0034; VwGH 19.04.2012, Zl. 2011/21/0123; VwGH 29.02.2012, Zl. 2011/21/0066). Der Krankheit eines gemeinsam geflüchteten Familienmitglieds kann insofern Bedeutung zukommen, als eine sich aus der Erkrankung ergebende Betreuungsbedürftigkeit auch die Mobilität der übrigen Familienmitglieder einschränken und damit die Gefahr eines Untertauchens in die Illegalität vermindern könnte (vgl. VwGH vom 28.02.2008; Zl. 2007/21/0391).
In seiner Judikatur zu § 77 FPG 2005 ging der Verwaltungsgerichtshof bisher davon aus, dass der UVS als Beschwerdeinstanz im Schubhaftbeschwerdeverfahren nach der Bejahung eines Sicherungsbedarfs bei seiner Entscheidung zwar die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG 2005 an Stelle der Schubhaft im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen hat, diesem allerdings keine Zuständigkeit zur Entscheidung darüber, welches der im § 77 Abs. 3 FPG 2005 demonstrativ aufgezählten gelinderen Mittel anzuwenden wäre, zukommt. Deren Auswahl blieb vielmehr der Fremdenpolizeibehörde vorbehalten (vgl. VwGH 20.10.2011, Zl. 2010/21/0140; VwGH 28.05.2008, Zl. 2007/21/0246). Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die einer Übertragung dieser Judikatur hinsichtlich des mit Ausnahme der neuen Absätze 8 und 9 weitgehend unveränderten § 77 FPG auf das seit 01.01.2014 anstelle des UVS zuständige Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich entgegenstehen würden.
3.1.3. Im vorliegenden Fall geht das Gericht von erheblicher Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 28 Dublin - III - Verordnung aus. Das Verfahren hat ergeben, dass der BF im Rahmen einer Freilassung in Österreich einen Aufenthalt im Verborgenen wählen würde, zumal der BF explizit im Verfahren angegeben hat, nicht nach Rumänien überstellt werden zu wollen, und des Weiteren in der Schubhaft ungebührliches und unkooperatives Verhalten der Behörde gegenüber durch zweimaligen Hungerstreik und der Vorgabe, Rasierklingen geschluckt zu haben, gesetzt hat, um seine vorzeitige Freilassung zu erwirken.
Weiters hat der BF bereits in Rumänien einen Asylantrag gestellt (§ 76 Abs. 3 Z 6 FPG). Darüber hinaus sind gegenwärtig die Kriterien der Ziffern 9 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt. Die Behörde ist daher zu Recht vom Bestehen eines erheblichen Sicherungsbedarfes ausgegangen.
3.1.4. Darüber hinaus ist die Verhältnismäßigkeit der Inschubhaftnahme nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ebenso gegeben. Betrachtet man die familiären und sozialen Verhältnisse des BF so zeigt sich, dass hier bisher keine konkret schützenswerten Anknüpfungspunkte entstanden sind. Der BF verfügt in Österreich auch über keine geeigneten Unterkunft- und Einkommensmöglichkeiten, weshalb in Hinblick darauf und auf das bisherige Verhalten des BF im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit somit den öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Rechtsordnung gegenüber den privaten Interessen des BF der Vorrang einzuräumen ist, dies nicht zuletzt auch aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des BF.
3.1.5. Eine Verhängung eines gelinderen Mittels wurde zu Recht ausgeschlossen. Der BF verfügt nicht über wesentliche Vermögensmittel, weshalb eine Sicherheitsleistung nicht in Frage kommt. Da aufgrund des bisherigen - oben geschilderten - Verhaltens des BF ein beträchtliches Risiko des Untertauchens besteht, würde die Verhängung eines gelinderen Mittels im Sinne einer konkreten Zuweisung einer Unterkunft und/oder einer Meldeverpflichtung nach Ansicht des Gerichtes nicht zu einer Sicherung der Abschiebung führen, hat sich der BF doch bereits während der Schubhaft nicht besonders kooperativ den Behörden gegenüber gezeigt, womit daher der Sicherungszweck dieser gelinderen Mittel vereitelt würde.
3.1.6. Die gegenständlich angeordnete Schubhaft erweist sich daher auch als "ultima ratio" und wird die Schubhaft auch weiterzuführen sein. Auf Grund des vorher Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl Sicherungsbedarf, als auch Verhältnismäßigkeit gegeben ist und die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht erfolgversprechend zu beurteilen war. In diesem Sinne ist auch das Kriterium der "ultima ratio" im vorliegenden Schubhaftverfahren gegeben.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):
Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Da die BF aktuell in Schubhaft angehalten wird, war auch über die Fortsetzung der Schubhaft innerhalb einer Woche abzusprechen.
Die soeben angeführten Erwägungen haben in inhaltlicher Hinsicht aufgrund ihrer Aktualität und ihres Zukunftsbezuges - es sind keine die Frage der Rechtmäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft ändernden Umstände erkennbar - auch den Ausspruch der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft zur Folge.
Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
3.3. Zu Spruchpunkt III. Kostenbegehren):
Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die Verwaltungsbehörde vollständig obsiegte und in der Beschwerdevorlage den Kostenersatz beantragte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu.
3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt werden. Eine Einvernahme des BF konnte daher unterbleiben.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Außerlandesbringung, Dublin III-VO, Fluchtgefahr, öffentlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W154.2228006.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.03.2020