Entscheidungsdatum
05.02.2020Norm
AlVG §10Spruch
I419 2220215-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Marc Deiser und Thomas Geiger MBA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des AMS Lienz vom 20.02.2019, Zl. Vers. Nr. XXXX, nach Beschwerdevorentscheidung vom 27.05.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten hat:
"Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurückverwiesen."
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer bezog Notstandshilfe. Mit dem bekämpften Bescheid sprach das AMS aus, dass der Beschwerdeführer seinen Anspruch darauf von 07.02.0219 bis 03.04.2019 verloren habe. Dieser habe eine Arbeitsaufnahme als Mitarbeiter im Sägewerk einer namentlich genannten KG vereitelt. Nachsichtsgründe seien nicht zu berücksichtigen gewesen.
Beschwerdehalber wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer telefonisch Kontakt aufgenommen habe, um ein Bewerbungsgespräch zu vereinbaren. Zu einem persönlichen Gespräch sei es aber trotz seiner Bereitschaft und Willigkeit sowie mehrerer Telefonate nicht gekommen, unter anderem deshalb, weil der Geschäftsführer der KG nicht gewusst habe, wie er den Beschwerdeführer einsetzten könnte. Diesem habe nicht gepasst, dass der Beschwerdeführer unter Kreuzschmerzen leide und bereits ein hohes Alter erreicht habe. Der Beschwerdeführer habe noch nie mit Holz gearbeitet und sei körperlich nicht komplett belastbar, trotzdem habe er die Stelle annehmen wollen.
Mit der Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde abgewiesen. Der Beschwerdeführer sei nicht bereit gewesen, die Beschäftigung anzunehmen und habe dadurch die Anstellung vereitelt, dass er Bedenken geäußert habe, die Arbeit zu schaffen und angegeben habe, andere Stellen in Aussicht zu haben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Verfahrensgang wird festgestellt, wie eben in I. wiedergegeben.
Ferner wird festgestellt:
1.1 Der Beschwerdeführer hat dem AMS im Jänner 2018 einen Befundbericht eines Radiologen übermittelt, wonach er Streckhaltungen (abgeschwächte Biegungen) der Wirbelsäule aufweist (im Bereich von Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, sowie einen Befundbericht eines Neurologen, wonach er an episodischen Spannungskopfschmerzen, einem Zervikalsyndrom (Beschwerden, die von der Halswirbelsäule ausgehen oder diese betreffen) und einem Lumbalsyndrom (Kreuzschmerzen und Rückenschmerzen an der Lendenwirbelsäule) leidet.
In der Betreuungsvereinbarung mit dem AMS vom Oktober 2018 ist als persönlicher Grund für die vorherige Erfolglosigkeit der Arbeitssuche das Alter des Beschwerdeführers vermerkt, wogegen gesundheitliche Einschränkungen nicht erwähnt werden.
1.2 Am 24.01.2019 wies das AMS dem Beschwerdeführer ein Stellenangebot als Mitarbeiter in einem Sägewerk mit dem Aufgabengebiet "Bedienen von Geräten, Maschinen und Anlagen, Sortierung (Qualitätsprüfung), Bedienen der Paketieranlage und Bedienen des Staplers (falls Staplerschein vorhanden)" in Vollzeitbeschäftigung zu. Laut Stellenangebot waren körperliche Belastbarkeit ein Erfordernis und Erfahrung mit Holz von Vorteil.
Der Beschwerdeführer kontaktierte das Unternehmen am 28.01.2019 wie im Stellenangebot angegeben telefonisch und sprach mit Herrn G., wie er dem AMS am selben Tag mit der Nachricht mitteilte, dass er laut Herrn G. vorgemerkt sei. Dieser unterrichtete am 05.02.2019 das AMS ebenso telefonisch davon, dass er den Beschwerdeführer zu einem Vorstellungsgespräch einladen werde.
1.3 Am 07.02.2019 teilte Herr G. dem AMS wieder telefonisch mit, er habe den Beschwerdeführer angerufen, ihm die Stelle angeboten und auf die Frage nach dem Dienstantritt freigestellt, sofort oder binnen eines Monats anzufangen. Dieser habe darauf geäußert, er wisse nicht, ob er die Arbeit schaffe, und hätte zudem "einige andere Sachen in Aussicht". Es wäre ihm also lieber, wenn Herr G. jemanden anderen fände.
Auf Nachfragen von Herrn G. habe der Beschwerdeführer ferner angegeben, seine Aussichten bezögen sich auf Hausmeistertätigkeiten, eine Stelle sei in der Bezirksstadt, und im Sägewerk müsse wahrscheinlich schwer gehoben werden. Dies habe Herr G. verneint, alles laufe maschinell. Der Beschwerdeführer habe weiters von Kreuzschmerzen z. B. nach dem Schneeschaufeln gesprochen. Herr G. habe ihm angekündigt, entgegen seiner Bitte das AMS zu informieren, und zwar dahingehend, dass der Beschwerdeführer kein Interesse an einer Arbeit habe.
1.4 Eine Beschäftigung des Beschwerdeführers in dem Sägewerk kam nicht zustande. Am 12.02.2019 gab der Beschwerdeführer dazu beim AMS einvernommen an, er habe beim Betrieb angerufen und sei von Herrn G. gefragt worden, was er bisher beruflich getan habe und wie alt er sei. Er habe es erklärt und sein Alter mit XXXX Jahren angegeben. Herr G. habe darauf gemutmaßt, der Beschwerdeführer werde ja bald in Pension gehen. Dazu habe er erklärt, das mit 60 oder 62 zu wollen, was von der Regierung abhänge. Darauf habe Herr G. gemeint, es sähe schlecht aus, da der Beschwerdeführer ein Jahr eingelernt werden müsste. Die anschließende Frage nach seinem Gesundheitszustand habe er Herrn G. insofern beantwortet, als er ein Bandscheibenleiden angegeben habe, welches dem AMS bekannt sei. Herr G. habe ihm darauf erklärt, sich die Anstellung des Beschwerdeführers eine Woche lang überlegen zu wollen.
Nach ein paar Tagen habe er Herrn G. wieder angerufen, der ihm erklärt habe, es gäbe noch keine Entscheidung, und er solle sich ein paar Tage später melden. Beim übernächsten Anruf habe er Herrn G. am 07.02.2019 neuerlich erreicht, der ihm die Absicht mitgeteilt habe, ihn als Maschinenführer auf einer neuen Anlage einzustellen, statt eines Slowenen, der nicht entspreche. Eventuell brauche er jemanden mit Staplerschein, den der Beschwerdeführer nicht habe. Anschließend sei das Gespräch zum "Hick-Hack" geworden, weil Herr G. offensichtlich nicht gewusst habe, welchen Mitarbeiter er wirklich brauche.
Zu den verlesenen Angaben von Herrn G. erklärte der Beschwerdeführer, es sei unrichtig, dass er kein Interesse an der Tätigkeit habe. Die Angabe der Stellenausschreibung, wonach körperliche Belastbarkeit erforderlich sei, widerspreche jener von Herrn G., und zudem habe er weder einen Staplerschein noch Erfahrung in Arbeiten mit Holz.
Betreffend berücksichtigungswürdige Gründe brachte der Beschwerdeführer bei dieser Einvernahme vor, er sehe es nicht ein, dass er etliche Male beim Dienstgeber anrufen müsse und dieser ihn vorläufig nur befristet einstellen wollen habe. Überhaupt nicht sehe er ein, dass er seine Bewerbungsunterlagen nicht übermitteln solle und auch nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden sei.
1.5 Anschließend protokolliert wurde die Stellungnahme des AMS, wonach laut Rückmeldung des Service für Unternehmen der Beschwerdeführer eingestellt worden wäre, "ärztliche Atteste liegen bei," und der Bezug mit 06.02.2019 vorläufig eingestellt worden sei.
1.6 Ohne weitere Ermittlungsschritte zu setzen, erließ das AMS den bekämpften Bescheid. Nach Einlangen der Beschwerde veranlasste das AMS eine ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers zur Frage der Zumutbarkeit von dessen Tätigkeit im Sägewerk, zu welchem Zweck es am 01.04.2019 bei Herrn G. telefonisch "bezüglich der genauen Tätigkeit" nachfragte und anschließend außer den angegebenen Tätigkeiten (Latten mit bis 1 kg zwischen Bretter legen, die selbst maschinell geschlichtet würden, Säuberung des Arbeitsplatzes, Schmieren der Maschine) festhielt, es handle sich nach den Aussagen von Herrn G. um keine Tätigkeiten, die "großartige körperliche Anstrengungen" erforderten. Der Beschwerdeführer hätte generell "einfach überhaupt kein Interesse an der Tätigkeit / einer Arbeit gehabt".
Das AMS konfrontierte den Beschwerdeführer, der ladungsgemäß am 03.04.2019 dort erschien, nicht mit diesen Aussagen.
1.7 Das Gutachten wurde sodann am 04. und 09.04.2019 von Dr. St. erstellt, ergab eine geringe Torsionsskoliose (seitliche Verbiegung sowie Drehung der Wirbelsäule) sowie Muskelverspannungen, aber aus arbeitsmedizinischer Sicht keine Einschränkung des Beschwerdeführers bei leichten und mittelschweren Arbeiten, und langte tags darauf beim AMS ein. Dieses händigte dem Beschwerdeführer, der am 15.05.2019 neuerlich geladen dort war, das Gutachten bei diesem Anlass aus, hörte ihn aber weder dazu noch zu seinem Vorbringen an, räumte keine Frist zur Stellungnahme ein, vernahm auch nicht Herrn G., und gab knapp zwei Wochen darauf die Beschwerdevorentscheidung zur Post.
1.8 Es kann nicht festgestellt werden, welchen Inhalt die Telefonate zwischen dem Beschwerdeführer und Herrn G. hatten. Es kann nicht festgestellt werden, warum eine Beschäftigung des Beschwerdeführers in dem Betrieb des Herrn G. nicht zustande kam.
1.9 Es kann nicht festgestellt werden, ob es sich bei der Tätigkeit im Sägewerk um eine Beschäftigung gehandelt hätte, die den körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers entsprochen hätte.
2. Beweiswürdigung:
2.1 Der Verfahrensgang und die Feststellungen außer den Negativfeststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden AMS-Akt sowie den eingeholten Versicherungs- und Meldedaten. Das Gericht geht davon aus, dass nur Ermittlungsschritte stattfanden, die aus dem Akt ersichtlich sind.
2.2. Die Negativfeststellungen in 1.8 ergaben sich aus den widersprüchlichen Angaben zu den Telefonaten des Beschwerdeführers mit dem nicht einvernommenen Zeugen G., speziell jenem finalen vom 07.02.2019, bei dem sogar offen ist, wer den Anruf tätigte. Diese Widersprüche wurden auch nicht bei der Vorbereitung der Beschwerdevorentscheidung mittels Telefonerhebung bei Herrn G. angesprochen (und auch nicht jene zwischen den Angaben in der Stellenanzeige - Erfordernis körperlicher Belastbarkeit - und der Telefonauskunft des Herrn G. vom 01.04.2019, "ohne großartige körperliche Anstrengungen").
Was der Grund für die Nichtanstellung des Beschwerdeführers war, ist deshalb nicht feststellbar, weil der Inhalt der Telefonate nicht feststellbar ist. Selbst der annähernd übereinstimmend berichtete Gesprächsinhalt Bandscheibenleiden / Kreuzschmerzen ist als Ursache schon deshalb nicht festzustellen, weil es nicht klar ist, ob es ein Thema beim ersten Gespräch war (wie der Beschwerdeführer angab), oder beim letzten (wie Herr G. dem AMS telefonisch meldete).
2.3 Die Negativfeststellung in 1.9 betreffend das Entsprechen von vorgesehener Tätigkeit und körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers ergab sich daraus, dass die von Herrn G. angegebene Beschreibung "ohne großartige körperliche Anstrengungen" zwar als gleichbedeutend mit "keine schwere Arbeit" oder gleichbedeutend "höchstens leichte und mittelschwere Arbeiten" verstanden werden kann, und auch mit der im Nachhinein abgefragten Tätigkeitsaufzählung harmoniert, aber inhaltlich nicht dem ursprünglich genannten Erfordernis körperlicher Belastbarkeit entsprechend erscheint.
Dazu kommt, dass laut Stellenausschreibung mit der Tätigkeit das "Bedienen von Geräten, Maschinen und Anlagen" verbunden war, Herr G. jedoch schließlich nur von "der Maschine" sprach, welche automatisch Bretter schlichte, zwischen deren Lagen Latten zu legen seien. Die Tätigkeit, Latten zwischen Bretter zu legen, ist bei durchschnittlicher Begabung wohl auch keine, für die der Beschwerdeführer ein Jahr eingelernt werden müsste, sodass auch diese vom Beschwerdeführer dem Herrn G. zugeschriebene Aussage Zweifel an der Beschaffenheit des Aufgabenbündels der vorgesehenen Stelle weckt.
2.4 Die Übereinstimmung von Tätigkeit und Eignung ergibt sich auch nicht ausdrücklich aus dem eingeholten Gutachten des Dr. St. vom 04. und 09.04.2019. Entgegen den Feststellungen der Beschwerdevorentscheidung hat der begutachtende Arzt nicht auf "dem retournierten Formular" vermerkt, dass der Beschwerdeführer "in der vorgesehenen Tätigkeit voll arbeitsfähig sei". Die (durch Ankreuzen zu gebenden) Antworten im Abschnitt "Schlussfolgerungen des Arztes / der Ärztin" (S. 2) sind unbearbeitet, die Rubrik "Ärztliche Stellungnahme zur Fragestellung des Arbeitsmarktservice:" ist leer. Der in der Beschwerdevorentscheidung zitierte Vermerk findet sich vielmehr (auch mittels Ankreuzen) unter der Überschrift:
"Schlussfolgerung des Arbeitsmarktservice" bei "Einschätzen der Vermittelbarkeit".
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung:
3.1 Zum Anspruchsverlust legt § 10 Abs. 1 AlVG fest, dass eine Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle des AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die auf diese Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert. Das gilt nach § 38 AlVG auch für die Notstandshilfe.
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit dieser im angefochtenen Bescheid verhängten Sanktion ist, dass die zugewiesene Beschäftigung als zumutbar und auch sonst geeignet in Betracht kommt, der Arbeitslose ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet war, das Zustandekommen der Beschäftigung zu vereiteln, und dass dieses Verhalten kausal für das Nichtzustandekommen sowie vorsätzlich darauf gerichtet war.
Wie gezeigt, stehen einander beim vorliegenden Sachverhalt widersprechende Aussage gegenüber. Das Gericht ging unter diesen Umständen nicht davon aus, es wäre feststellbar, dass der Beschwerdeführer die Annahme der angebotenen Stelle erwiesener Maßen vereitelt und die Folgen in Kauf genommen hätte. Bezogen auf den konkreten Arbeitsplatz konnte nicht einmal festgestellt werden, dass er dem Beschwerdeführer zumutbar war, aber selbst in diesem Fall kein Sachverhalt, aus dem sich ergäbe, dass der Beschwerdeführer den Arbeitsantritt vereitelt hätte. Diese Voraussetzung ist aber ist von Amts wegen zu prüfen, genauso wie - bei ihrem Vorliegen - die Vorwerfbarkeit eines solchen kausalen Verhaltens.
3.2 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass dem AMS bereits vor der Erlassung des Bescheids bekannt war, spätestens bei der Niederschrift am 12.02.2019, dass die Aussagen auseinandergingen, und der Beschwerdeführer zudem ein Bandscheibenleiden geltend machte.
Der Beschwerdeführer äußerte dem AMS gegenüber unter anderem, dass er Kreuzschmerzen habe und körperlich nicht voll belastbar sei, und die Stellenausschreibung die körperliche Belastbarkeit als Voraussetzung anführe. Dem AMS lagen auch seit Monaten bereits die Befunde dazu vor.
3.3 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z. 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z. 2).
Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
3.4 Im vorliegenden Fall hat das AMS verkannt, dass einer Entscheidung über den Anspruchsverlust angesichts der bekannten Widersprüche ein Ermittlungsverfahren voranzugehen gehabt hätte, in welchem geklärt wird, welcher der behaupteten Sachverhalte vorliegt.
Die Feststellung wäre anhand der oben angeführten Beweise - Zeugenvernehmung des Herrn G., allenfalls Ergänzung des Gutachtens von Dr. St., Anhörung des Beschwerdeführers zu den Beweisergebnissen - zu treffen gewesen, und zwar nicht nur für die Beschwerdevorentscheidung, sondern bereits als Basis für die Entscheidung, ob überhaupt ein Vereitelungstatbestand erfüllt und damit die Erlassung eines Bescheids geboten ist.
3.5 Das AMS hat demgegenüber lediglich eine Niederschrift aufgenommen, in der die vom Beschwerdeführer angesprochene Frage des Gesundheitszustands vom AMS überhaupt nicht thematisiert und der Aktenvermerk über die telefonischen Angaben des Herrn G. verlesen wurden ("Stellungnahme des Dienstgebers: wurde dem Dienstgeber vorgelesen").
Eine Manuduktion des Beschwerdeführers ist ebenso wenig vermerkt wie die Dauer der Amtshandlung. Herr G. war dabei nicht anwesend wurde weder vorher noch später als Zeuge vernommen, weder zum Inhalt der Tätigkeit noch zum Gesprächsverlauf und zur Ursache des Nichtzustandekommens der Beschäftigung.
3.6 Anschließend erging der angefochtene Bescheid. Der Sachverhalt war bis dahin bloß ansatzweise ermittelt. Das AMS hat somit im Bescheid keine hinreichende Sachverhaltsfeststellung und deswegen keine auf eine solche aufbauende rechtliche Würdigung vorgenommen.
3.7 Daran änderte auch die schließlich vor der Beschwerdevorentscheidung veranlasste Untersuchung des Beschwerdeführers nichts, zumal wie gezeigt Zweifel an den Angaben betreffend die Tätigkeit bestehen, denen weder durch eine Zeugenvernehmung noch durch eine Anhörung des Beschwerdeführers Rechnung getragen worden wäre. Diesem wurde auch keine Frist zur Stellungnahme betreffend das Gutachten des Dr. St. eingeräumt, bevor die Beschwerdevorentscheidung erging, die ihrerseits - wie gezeigt - annimmt, dass Dr. St. auf einem Formular Angaben zur tätigkeitsbezogenen Eignung des Beschwerdeführers gemacht hätte ("voll arbeitsfähig"), die in diesem Formular nicht abgefragt werden. Die ihm als Arzt gestellte Rechtsfrage, ob die Tätigkeit dem Beschwerdeführer zumutbar sei, hat Dr. St. korrekterweise unbeantwortet gelassen.
3.8 Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] "zur bloßen Formsache degradiert" werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).
Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nach § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden" (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
3.9 Wie erwähnt, hat das AMS nur ansatzweise ermittelt. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind auch deshalb nicht gegeben, weil die verwaltungsgerichtliche Entscheidung weder im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, zumal sich Beschwerdeführer, Zeuge G. und AMS-Dienststelle im selben Bezirk befinden, während deren Entfernung zum Gerichtsstandort gut 2,5 Stunden pro Richtung mit PKW bzw. 3,5 Stunden pro Richtung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ausmacht.
Da somit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, waren die Beschwerdevorentscheidung zu ändern, der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Zurückverweisung aus verwaltungsökonomischen und Gründen des Rechtsschutzes nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Fall der mangelhaften Sachverhaltsermittlung.
Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.
Schlagworte
Einvernahme, Ermittlungspflicht, Gesundheitszustand, Kassation,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2220215.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.03.2020