TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/11 W250 2161245-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.02.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §40 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §35

Spruch

W250 2161245-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Festnahme am 01.06.2017 sowie gegen die Anhaltung im Rahmen der Festnahme von 01.06.2017, 17.00 Uhr, bis 02.06.2017, 11.10 Uhr, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und die Festnahme am 01.06.2017 sowie die Anhaltung im Rahmen der Festnahme von 01.06.2017, 17.00 Uhr, bis 02.06.2017, 11.10 Uhr, für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) stellte am 11.02.2004 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab an, ein Staatsangehöriger Liberias zu sein. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.05.2004 abgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Liberia zulässig ist. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11.05.2007 abgewiesen. Seiner Ausreiseverpflichtung kam der BF nicht nach.

2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 28.09.2010 wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 15 Strafgesetzbuch und § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall und Abs. 3 Suchtmittelgesetz sowie wegen des Vergehens des Gebrauches fremder Ausweise nach § 231 Abs. 1 Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, wovon ein Teil von sieben Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

3. Mit Bescheid einer Bundespolizeidirektion vom 24.02.2011 wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid eines Unabhängigen Verwaltungssenates vom 03.04.2012 keine Folge gegeben.

4. Mit Ladungsbescheid einer Bundespolizeidirektion vom 31.05.2011 wurde der BF zur Regelung seiner Ausreise zu einem bestimmten Termin geladen, dieser Ladung kam der BF nach.

5. Am 21.05.2013 stellte der BF einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 01.09.2014 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.02.2018 abgewiesen.

6. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 12.02.2015 wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 15 Strafgesetzbuch und § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall und Abs. 3 Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wovon ein Teil von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

7. Mit Ladung des Bundesamtes vom 07.10.2015 wurde der BF zu einem bestimmten Termin zur Feststellung seiner Identität durch eine Delegation der liberianischen Vertretungsbehörde geladen. Diesem Termin kam der BF nach, wobei von der liberianischen Vertretungsbehörde festgestellt wurde, dass der BF kein liberianischer Staatsangehöriger sei.

8. Am 01.06.2017 wurde der BF von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Rahmen einer fremdenpolizeilichen Streife an seiner Meldeadresse angetroffen und nach Rücksprache mit dem Bundesamt gemäß § 40 Abs. 1 Z. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen.

9. Am 02.06.2017 wurde der BF einer Delegation der nigerianischen Vertretungsbehörde vorgeführt, wobei der BF als nigerianischer Staatsangehöriger identifiziert wurde. Im Anschluss an diese Vorführung wurde der BF aus der Anhaltung entlassen und ihm gleichzeitig eine Ladung für den 13.06.2017 ausgefolgt.

10. Am 12.06.2017 erhob der BF durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter Beschwerde gegen die Festnahme und die darauffolgende Anhaltung und führte im Wesentlichen aus, dass die Festnahme unverhältnismäßig sei, da der BF behördlichen Ladungen stets nachgekommen und insgesamt kooperativ sei. Er wohne in einem betreuten Flüchtlingsheim, an dessen Adresse er gemeldet sei. Er sei postalisch und im Wege seiner Rechtsvertretung jederzeit erreichbar.

Der BF beantragte die Festnahme und die Anhaltung für rechtswidrig zu erklären und die belangte Behörde zum Kostenersatz zu verpflichten.

11. Das Bundesamt legte am 13.06.2017 den Verfahrensakt vor und gab am 14.06.2017 eine Stellungnahme ab, aus der sich im Wesentlichen ergibt, dass der BF wegen nicht rechtmäßigen Aufenthaltes festgenommen worden sei. Den Ladungstermin für den 13.06.2017, der ihm bei seiner Entlassung am 02.06.2017 bekannt gegeben worden sei, habe der BF nicht befolgt. Es müsse als erwiesen angesehen werden, dass der BF falsche Angaben zu seiner Nationalität und Identität gemacht und seine Mitwirkung an der Feststellung seiner Identität verweigert habe. Das Hauptziel des BF sei die Erlangung einer Duldungskarte und in weiterer Folge eines Aufenthaltstitels. Es sei allgemein bekannt, dass Fremde versuchen, mit falschen Angaben zur Nationalität und Identität in Österreich zu verbleiben und vermeinen, dass sofern kein Heimreisezertifikat erlangt werden könne, von der Behörde zunächst eine Duldungskarte und in weiterer Folge ein Aufenthaltstitel ausgestellt werde. Der Umstand, dass in vielen Fällen wissentlich falsche Angaben gemacht werden, um dadurch die Identitätsfeststellung unmöglich zu machen, werde bewusst eingesetzt, da diese Vorgehensweise als erfolgsversprechend erachtet werde.

Im konkreten Fall habe der BF diese Handlungsweise versucht, wobei die Schwierigkeit entstanden sei, dass der angebliche Herkunftsstaat im Rahmen der Identitätsprüfung die angegebene Nationalität nicht habe bestätigen können. Trotz dieser Entscheidung sei der BF nicht bereit gewesen, mit der Behörde zusammenzuarbeiten und von sich aus eine Richtigstellung bezüglich Nationalität und Identität vorzulegen bzw. anzugeben.

Auf Grund des zufälligen Antreffens des BF im Eingangsbereich eines Grundversorgungsquartieres hätten Maßnahmen gesetzt werden können, um sicherzustellen, dass eine erfolgreiche Identifizierung durch die nigerianische Delegation erfolgen könne. Es sei nicht damit zu rechnen gewesen, dass der BF im Verfahren zur Feststellung der Identität mitwirken werde und habe daher eine Zwangsmaßnahme gesetzt werden müssen, da der Delegationstermin bereits für den 02.06.2017 organisiert gewesen sei.

Das Bundesamt beantragte die Beschwerde als unbegründet abzuweisen bzw. als unzulässig zurückzuweisen und den BF zum Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes der belangten Behörde zu verpflichten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter I.1. bis I.11. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

1.2. Der BF ist ein nigerianischer Staatsangehöriger. In seinem Asylverfahren gab der BF an, dass er liberianischer Staatsangehöriger sei.

1.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.05.2004 wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und gleichzeitig festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Liberia zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11.05.2007 abgewiesen.

1.4. Mit Bescheid einer Bundespolizeidirektion vom 24.02.2011 wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid eines Unabhängigen Verwaltungssenates vom 03.04.2012 keine Folge gegeben.

1.5. Der BF kam sowohl einem Ladungsbescheid einer Bundespolizeidirektion vom 31.05.2011 als auch einer Ladung des Bundesamtes vom 07.10.2015 nach. Sowohl der Ladungsbescheid als auch die Ladung wurden dem Rechtsvertreter des BF zugestellt.

1.6. Nach dem Einlangen der negativen Verbalnote der liberianischen Vertretungsbehörde vom XXXX unternahm das Bundesamt bis 01.06.2017 keine weiteren Versuche, die Staatsangehörigkeit des BF zu klären. Insbesondere wurde der BF nicht zum Bundesamt geladen und es wurden keine Vorbereitungen unternommen, den BF einer Delegation der nigerianischen Vertretungsbehörde vorzuführen.

1.7. Der BF wurde am 01.06.2017 im Zuge einer Kontrolle des Grundversorgungsquartieres, in dem der BF wohnte und an dessen Adresse er seit XXXX nach den Bestimmungen des Meldegesetzes gemeldet war, von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angetroffen. Das Bundesamt verfügte daraufhin die Festnahme des BF nach § 40 Abs. 1 Z. 3 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG.

1.8. Der BF wurde von 01.06.2017, 17.00 Uhr, bis 02.06.2017, 11:10 Uhr, angehalten.

1.9. Dem BF wurde am 02.06.2017 eine schriftliche Ladung für den 13.06.2017 übergeben, seinem Rechtsvertreter wurde diese Ladung nicht zugestellt. Am 12.06.2017 teilte der Rechtsvertreter des BF dem Bundesamt mit, dass der BF den Ladungstermin am 13.06.2017 nicht wahrnehmen werde, da er nicht ordnungsgemäß geladen worden sei. Mit Ladungsbescheid vom 14.06.2017 wurde der BF im Wege seines Rechtsvertreters für den 29.06.2017 zur Einvernahme hinsichtlich der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme geladen. Diesem Termin kam der BF nach.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes, dem vorliegenden Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerden des BF gegen die Bescheide des Bundesamtes vom 01.09.2014 und vom 18.07.2017 betreffend. Der letztgenannte Bescheid betrifft die gegen den BF nunmehr erlassene Rückkehrentscheidung. Einsicht genommen wurde in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister sowie in das Grundversorgungs-Informationssystem.

2.2. Dass der BF nigerianischer Staatsangehöriger ist steht auf Grund des von der nigerianischen Vertretungsbehörde ausgestellten und bis XXXX gültigen Heimreisezertifikates, dessen Kopie sich im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 18.07.2017 betreffend einliegt, fest. Dass der BF im Asylverfahren behauptet hat, dass er liberianischer Staatsangehöriger sei, ergibt sich aus den im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid vom 01.09.2014 einliegenden Protokollen der Einvernahmen des BF.

2.3. Die Feststellungen zu den im Asylverfahren des BF ergangenen Entscheidungen beruhen auf den im Akt des Bundesamtes die Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 01.09.2014 einliegenden Bescheiden des Bundesasylamtes sowie des Unabhängigen Bundesasylsenates.

2.4. Die Feststellungen zu dem gegen den BF erlassenen Aufenthaltsverbot beruhen auf den im Akt des Bundesamtes die Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 01.09.2014 einliegenden Bescheiden einer Bundespolizeidirektion sowie eines Unabhängigen Verwaltungssenates.

2.5. Dass der BF den Ladungen vom 31.05.2011 und vom 07.10.2015 nachkam ergibt sich aus den im Akt des Bundesamtes die Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 18.07.2017 einliegenden Niederschriften, die mit dem BF an den in den Ladungen genannten Terminen aufgenommen wurden. Dass die diesbezüglichen Ladungen jeweils dem Rechtsvertreter des BF zugestellt wurden, ergibt sich aus den jeweiligen Zustellverfügungen.

2.6. Die Feststellungen, wonach das Bundesamt nach der negativen Verbalnote der liberianischen Vertretungsbehörde keinerlei Versuche unternahm die Staatsangehörigkeit des BF festzustellen, er nicht zum Bundesamt geladen wurde und kein Interview des BF bei der nigerianischen Vertretungsbehörde organisiert wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und sämtlichen oben genannten Akten des Bundesverwaltungsgerichtes, die sich auf vom BF eingebrachte Beschwerden beziehen. Keinem dieser Akte sind Hinweise darauf zu entnehmen, dass das Bundesamt seit dem Einlangen der negativen Verbalnote der liberianischen Vertretungsbehörde weitere Verfahrensschritte zur Feststellung der Staatsangehörigkeit des BF oder seiner Außerlandesbringung gesetzt hat.

2.7. Die Feststellungen über die Festnahme des BF beruhen auf dem diesbezüglichen im Verwaltungsakt einliegenden Bericht einer Landespolizeidirektion, die Feststellungen zu den Meldedaten des BF ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister.

2.8. Die Feststellungen zur Dauer der Anhaltung des BF ergeben sich aus dem Verwaltungsakt - insbesondere aus dem Festnahmebericht und dem Entlassungsschein - und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei.

2.9. Die Feststellungen zu der dem BF am 02.06.2017 übergebenen Ladung und dem Schreiben seines Rechtsvertreters an das Bundesamt vom 12.06.2017 ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Dass der BF mit Ladungsbescheid vom 14.06.2017 im Wege seines Rechtsvertreters neuerlich geladen wurde und er diesem Termin nachkam, ergibt sich aus dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 18.07.2017 betreffend.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. - Spruchpunkt I. - Festnahme und Anhaltung

Gemäß § 40 Abs. 1 Z. 3 BFA-VG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 22.08.2019, Ra 2019/21/0063, klargestellt, dass es gemäß den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu § 40 BFA-VG bei der Festnahme nach dieser Bestimmung primär darum geht sicherzustellen, dass die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch die Vorführung des Fremden zum Bundesamt gesichert wird. Darüber hinaus ist § 40 Abs. 1 Z. 3 BFA-VG im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation dahingehend auszulegen, dass die Festnahme einem der in Art. 2 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit genannten Zwecke dienen muss, wobei insbesondere die Konstellation der Z. 7 dieser Verfassungsbestimmung ("wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern") in Betracht kommt.

Im hier zu beurteilenden Sachverhalt fehlt es bereits an dem erforderlichen Sicherungsbedürfnis. Der BF verfügte seit XXXX über eine Meldeadresse - an der er am 01.06.2017 auch festgenommen wurde - und kam insbesondere den Ladungen vom 31.05.2011 und 07.10.2015 nach. Hinweise darauf, dass es der Behörde nicht möglich gewesen war, mit dem BF in Kontakt zu treten, finden sich im Verwaltungsakt nicht und werden vom Bundesamt auch nicht vorgebracht. Soweit vom Bundesamt in der Stellungnahme vom 13.06.2017 relativiert wird, dass der BF seinen Ladungen nachkam, da er auf Grund seiner falschen Angaben zu seinem Herkunftsstaat nicht mit seiner Abschiebung rechnete, so ist dem entgegenzuhalten, dass diese Einschätzung des Sicherungsbedarfes auf allgemeinen Annahmen beruht und durch das Verhalten des BF im besonderen nicht begründet wurde. Zur Untermauerung, dass der Sicherungsbedarf vom Bundesamt zutreffenderweise angenommen wurde, bringt das Bundesamt vor, dass der BF der Ladung vom 02.06.2017 nicht nachgekommen sei. Vom Bundesamt unerwähnt blieb jedoch, dass der BF durch seinen Rechtsvertreters am 12.06.2017 mitteilte, dass der BF den Ladungstermin nicht wahrnehmen werde, da er nicht ordnungsgemäß im Wege seines Rechtsvertreters geladen worden sei. Vor dem Hintergrund, dass bisher sämtliche zitierte Ladungen bzw. Ladungsbescheide - mit Ausnahme der Ladung vom 02.06.2017 - dem BF zu Handen seines Rechtsvertreters zugestellt wurden und damit davon auszugehen ist, dass dem Bundesamt das Vertretungsverhältnis bekannt war, ist die Argumentation des Rechtsvertreters des BF vom 12.06.2017 - ohne eine genauere Prüfung inwieweit tatsächlich ein aufrechtes Vertretungsverhältnis bestand - zum Nichterscheinen des BF nachvollziehbar. Am 29.06.2017 kam der BF einem ihm im Wege seines Rechtsvertreters zugestellten Ladungsbescheid nach. Die Argumentation des Bundesamtes, dass eine Vorführung des BF vor eine Delegation der nigerianischen Vertretungsbehörde nur durch die Festnahme des BF möglich gewesen sei, geht damit ins Leere, zeigte der BF doch trotz seiner nunmehr festgestellten Staatsangehörigkeit seine Kooperationsbereitschaft mit dem Bundesamt. Anhaltspunkte dafür, dass eine Ladung des BF zum Bundesamt zur Feststellung seines Herkunftsstaates aussichtslos geblieben wäre, lassen sich weder dem Verwaltungsakt noch der Stellungnahme des Bundesamtes vom 12.06.2017 entnehmen.

Die Festnahme des BF war daher insgesamt nicht gerechtfertigt, da seine Befragung durch eine Delegation der nigerianischen Vertretungsbehörde auch durch weniger eingreifende Maßnahmen - insbesondere durch seine Ladung zum Bundesamt - erfolgen hätte können. Die Festnahme des BF am 01.06.2017 um 17.00 Uhr und seine darauffolgende Anhaltung bis 02.06.2017, 11.10 Uhr, waren daher rechtswidrig.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist oder (Z 3) wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungsrelevanten Sachverhalt.

3.3. Zu Spruchteil A. -Spruchpunkte II. und III. - Kostenersatz

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde sowohl gegen die Festnahme als auch gegen die daran anschließende Anhaltung Beschwerde erhoben. Sowohl der BF als auch die belangte Behörde haben einen Antrag auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG gestellt.

Der BF ist auf Grund der Stattgabe der Beschwerde obsiegende Partei, weshalb er Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang hat. Der belangten Behörde gebührt als unterlegener Partei kein Kostenersatz.

3.4. Zu Spruchteil B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Anhaltung, Festnahme, Identität, Kooperation, Rechtswidrigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W250.2161245.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten