TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/11 W103 2223917-1

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Veröffentlicht am 11.02.2020
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Entscheidungsdatum

11.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W103 2223917-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2019, Zl. 1017634302-181173536, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG idgF stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 06.12.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am gleichen Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurde. Dabei gab er zusammengefasst an, er sei Inhaber eines bis Ende Dezember 2018 gültigen österreichischen Aufenthaltstitels, sein Hauptwohnsitz liege in Österreich. Er gehöre der Volksgruppe der XXXX sowie dem islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung an und habe sich im Jänner 2009 zur Ausreise aus seinem Herkunftsstaat entschlossen. Im Juni 2009 sei er auf dem Luftweg legal nach Österreich gereist. Zum Grund seiner Flucht führte der Beschwerdeführer aus, er sei von der Behörde in Moskau verfolgt worden. Sein Vater sei XXXX gewesen und habe nach der Wahl von Putin zum Präsidenten begonnen, aktiv gegen die nationalen Republiken in Russland tätig zu werden. Der Vater des Beschwerdeführers sei ein bekannter Föderalist mit großem Einfluss; dies sei für Putin, welcher seine Macht zentral habe ausüben wollen, ein Dorn im Auge gewesen. Putin habe alles unternommen, um den Vater des Beschwerdeführers zu schwächen. 2003, während der Wahlen in ihrer Republik, habe es fünf Mordversuche gegen den Beschwerdeführer gegeben, zwei seiner Securities seien getötet worden. Dies habe sich über die Jahre hinweg gezogen. In weiterer Folge sei es zum Einmarsch russischer Spezialtruppen (FSB) gekommen, welche die Heimatstadt des Beschwerdeführers regelrecht überrollt hätten. Die Familie des Beschwerdeführers habe Ende 2008 verhaftet und nach Moskau gebracht werden sollen. Der Beschwerdeführer habe sich entschlossen, die Heimat zu verlassen, da er Angst gehabt hätte und es immer gefährlicher geworden wäre. Er habe damit auch den Druck, der auf seine Familie ausgeübt worden wäre, mildern wollen; dieser Druck hätte geherrscht, da der Beschwerdeführer selbst politisch aktiv gewesen wäre und mehrere führende Positionen im XXXX innegehabt hätte. Russland hätte bereits versucht, eine Auslieferung seiner Person zu erreichen, das höchste Gericht hätte dies jedoch nicht zugelassen. Im Falle einer Rückkehr würde er sofort verhaftet und im Gefängnis wahrscheinlich umgebracht werden. Der Beschwerdeführer legte seinen im Jahr 2013 ausgestellten russischen Reisepass im Original vor.

Am 08.05.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache sowie seines gewillkürten Vertreters zu den Gründen seiner Antragstellung auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen.

Am 07.06.2019 brachte der gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme sowie ein Konvolut an Belegen zum Vorbringen des Beschwerdeführers ein. In der Stellungnahme wurde insbesondere ausgeführt, dass gegen den Beschwerdeführer in Russland ein Strafverfahren eingeleitet worden wäre, wobei die haltlosen und rein fingierten Vorwürfe im Wesentlichen beinhalten würden, dass der Beschwerdeführer sich im Zuge der Privatisierung von Staatsvermögen bereichert haben solle. Russland habe in weiterer Folge XXXX an die Republik Österreich gestellt. Aufgrund des evidenten ausschließlich politischen Hintergrundes der Strafverfolgung habe der ausführende Staatsanwalt von sich aus den Antrag gestellt, XXXX für unzulässig zu erklären. Diesem Antrag habe das zuständige Landesgericht mit mittlerweile rechtskräftigem Beschluss stattgegeben. Danach habe Russland ein Rechtshilfeersuchen an die Republik Österreich gestellt, wonach ein Strafverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet werden möge; ein diesbezügliches Verfahren sei durch die zuständige Staatsanwaltschaft endgültig eingestellt worden, da kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung vorgelegen hätte. Näher angeführte Erwägungen würden zeigen, dass das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren dazu instrumentalisiert hätte werden sollen, um Druck gegen den Vater des Beschwerdeführers auszuüben. Die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass der Beschwerdeführer nicht willkürliche Behandlung, Folter oder einem unfairen Prozess ausgeliefert bzw. seine Inhaftierung nicht zur Erreichung von politischen Zielen verwendet würde, die in keinem Zusammenhang mit den angeblichen Straftaten stünden, liege daher darin, diesen nicht nach Russland auszuliefern. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner familiären Zugehörigkeit zu einem bekennenden Föderalisten strafrechtlich unter fingierten Vorwürfen belangt werden solle, manifestiere anschaulich das dringende Bedürfnis auf Gewährung politischen Asyls. Der Beschwerdeführer sei zudem wirtschaftlich in Österreich verankert und könnte im Falle einer Rückkehr nach XXXX keine gleichwertige medizinische Versorgung erwarten. Der Beschwerdeführer sei auf eine Therapie mittels starker Antidepressiva, Neuroleptika und Tranquilizer angewiesen. Eine Abschiebung samt der zu erwartenden zwischenzeitig angeordneten Inhaftierung in Russland würde zu einer unzumutbaren gesundheitlichen Belastung, allenfalls sogar zum Tod, des Beschwerdeführers führen. Da für eine Verlängerung des österreichischen Aufenthaltstitels eine persönliche Vorsprache des Beschwerdeführers vor der russischen Botschaft zwecks Verlängerung seines Reisepasses erforderlich sein würde, sei eine solche nicht möglich gewesen.

2. Mit dem nunmehr hinsichtlich Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheid vom 26.08.2019 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte die Identität, Unbescholtenheit und legale Einreise des Beschwerdeführers fest. Eine asylrelevante Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation habe nicht festgestellt werden können.

Der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung aus politischen Gründen im Herkunftsstaat ins Treffen geführt. Dieser sei im XXXX worden, im XXXX habe die Russische Föderation XXXX an Österreich gestellt. Mit Beschluss eines österreichischen Landesgerichts aus dem Jahr 2016 sei die Auslieferung des Beschwerdeführers für unzulässig erklärt worden, da eine politische Motivation für dessen Auslieferung nicht ausgeschlossen werden könne. In der Folge habe die Russische Föderation ein Rechtshilfeersuchen an die Republik Österreich gestellt, wonach ein Strafverfahren eingeleitet werden möge. Ein entsprechendes Verfahren sei durch die Korruptionsstaatsanwaltschaft im XXXX eingestellt worden. Aus dem zuvor erwähnten Beschluss des Landesgerichts XXXX ginge aus Sicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die "Möglichkeit" einer politischen Motivation hervor, doch könnte die Behauptung eines politischen Fluchtgrundes nicht eindeutig belegt werden. Eine Gesundheitsproblematik während einer etwaigen Haft könne daher nicht festgestellt werden. Die gegen den Beschwerdeführer in der Russischen Föderation erhobenen Vorwürfe einer möglichen XXXX seien derart intransparent, dass ein möglicher XXXX bis dato nicht eindeutig entkräftet habe werden können.

Festgestellt werde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zum Entscheidungszeitpunkt eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention mit sich bringen würde. Dessen Rückkehrgefährdung ergebe sich aus dem Beschluss des Landesgerichts XXXX aus XXXX , wonach nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine Auslieferung an die Russische Föderation aus politischen Motiven erfolgen würde.

Der Beschwerdeführer verfüge über eine abgeschlossene Schulbildung sowie ein Diplom als Ingenieur und habe eine Zusatzausbildung an einer Universität XXXX absolviert. Dieser verfüge über langjährige Berufserfahrung im XXXX und sei zudem in der Politik tätig gewesen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Medizinische Versorgung in der Russischen Föderation sei grundsätzlich, auch im Hinblick auf psychische Erkrankungen, gewährleistet. Dieser habe im Bundesgebiet keine Angehörigen, verfüge über keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse und sei in unterschiedlichen Bereichen des Wirtschaftslebens tätig.

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des angeführten Bescheides mit am 27.09.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durch seinen gewillkürten Vertreter eingebrachtem Schriftsatz Beschwerde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, bei richtiger Würdigung der vorgelegten Beweise hätte festgestellt werden müssen, dass der Beschwerdeführer bereits mehrfach regelrechten Terrorangriffen ausgesetzt gewesen wäre, welche ausschließlich darauf gefußt hätten, dass der Beschwerdeführer sich als erklärter Föderalist nicht der zentralen Lenkung in Moskau habe unterwerfen wollen, so wie bereits zuvor sein Vater. Die vorgelegten Beweismittel sowie die eigenen Aussagen des Beschwerdeführers ließen keinen anderen Schluss zu, als dass dessen Leben aufgrund seiner politischen Überzeugung als Föderalist im Herkunftsstaat gefährdet sei. Bei der im Bescheid festgestellten Gefahr einer Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers nach Art. 2, 3 EMRK handle es sich nicht nur um eine solche aufgrund von willkürlicher Gewalt, sondern um gezielte Gewalt, die gerade darauf abziele, die Macht des Vaters des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat zu schwächen. Diesbezüglich werde auf den fingierten XXXX der Staatsanwaltschaft in Moskau verwiesen. Dass entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen rechtlichen Ansicht ein Asylgrund gegeben wäre, sei aufgrund der klar dargelegten politischen Gesinnung des Beschwerdeführers, seiner politischen Vorbelastung durch seinen XXXX gewesen wäre, sowie der gegen den Beschwerdeführer geführten Mordanschläge klar belegt. Ganz Gegenteilig sei kaum ein drastischerer Fall ersinnbar, der zur Asylgewährung führen könnte. Bei richtiger rechtlicher Würdigung hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer daher den Status eines Asylberechtigten zuerkennen müssen.

4. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2019 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch ersichtlichen Personalien, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung und gehört der Volksgruppe der XXXX an. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2009 auf dem Luftweg legal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 04.11.2011 wurde ihm erstmals ein Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erteilt, welcher zuletzt (korrespondierend mit der Gültigkeitsdauer seines russischen Reisedokumentes) bis XXXX verlängert worden war.

Der Beschwerdeführer ist Sohn des XXXX .

Mit rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichts XXXX wurde ausgesprochen, dass eine mit Schreiben der russischen Generalstaatsanwaltschaft begehrte Auslieferung des Beschwerdeführers an den Herkunftsstaat zur Strafverfolgung für unzulässig erklärt werde.

Aus der Begründung jenes Beschlusses ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer im russischen Strafverfahren im Wesentlichen zur Last gelegt werde, von XXXX , Mehrheitsaktienpakete von mehreren damals der XXXX gehörigen Unternehmen aus der XXXX rechtswidrig zu einem deutlich reduzierten Preis ins Eigentum von unter Kontrolle des Betroffenen stehenden Gesellschaften übertragen zu haben, wodurch ein Schaden von XXXX Euro) entstanden wäre, und hierdurch insbesondere das Verbrechen der Aneignung oder Unterschlagung nach Art. 160 des russischen Strafgesetzbuchs begangen zu haben.

Die Generalstaatsanwaltschaft XXXX habe den Antrag gestellt, die Auslieferung des Beschwerdeführers für unzulässig zu erklären, da eine politische Motivation nicht ausgeschlossen werden könne. Dieser Antrag scheine aus Sicht des Landesgerichts berechtigt, zumal sich aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Russischen Föderation ergebe, dass politisch motivierte Verfahren nicht ausgeschlossen werden können. Im gegenständlichen Fall bestünde offenbar ein enger Zusammenhang zwischen dem gegen den Beschwerdeführer anhängigen Strafverfahren und politischen Vorgängen in der Russischen Föderation, weshalb zu besorgen sei, dass das Strafverfahren gegen den Genannten (auch) politisch motiviert sein könne, was wiederum allenfalls ein dem Art. 6 MRK nicht entsprechendes Strafverfahren besorgen lasse.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer mit dem in Rechtskraft erwachsenen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und begründend ausgeführt, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation im Entscheidungszeitpunkt eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für diesen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte

Der Beschwerdeführer hat glaubhaft vorgebracht, dass er sich aus wohlbegründeter Furcht vor landesweiter (auch) politisch motivierter Verfolgung außerhalb seines Herkunftsstaates befindet.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b). Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b).

Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/ russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018 - EASO - European Asylum Support Office (3.2017):

COI-Report Russian Federation -State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussiastate-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichtestaat/# c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-

OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Dasrussische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-

Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-

Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d).

Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51%

zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt. de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

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Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.

         724.    de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/ russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativund Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen.

Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25

Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussiastate-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen "Komitee gegen Folter" kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden,

Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung.

Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).

Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung "Novaya Gazeta" veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussiastate-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 3.8.2018

-

HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 3.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.7.2018): Ein Foltervideo setzt Ermittlungen gegen Russlands Strafvollzug in Gang, https://www.nzz.ch/international/foltervideo-setztermittlungengegen-russlands-strafvollzug-in-gang-ld.1405939, Zugriff 2.8.2018

-

Standard.at (3.11.2017): Putins Beauftragte will Folter in Tschetschenien aufklären,

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https://derstandard.at/2000067068023/Putins-Beauftragte-will-Folter-in-Tschetschenienaufklaeren,

-

Zugriff 3.8.2018

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US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Korruption

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert, um sich selbst zu bereichern (FH 1.2018).

Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, die Regierung bestätigt aber, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind. Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 20.4.2018, vgl. EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im

Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (US DOS 20.4.2018). Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage g

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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