TE Lvwg Erkenntnis 2019/12/19 LVwG-S-986/001-2019

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Entscheidungsdatum

19.12.2019

Norm

AuslBG §3 Abs1
AuslBG §28 Abs1 Z1 lita
ARB1/80 Art7 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch die Richterin HR Dr. Grassinger über die Beschwerde von Frau A, vertreten durch Herrn B, Rechtsanwalt, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 25. Februar 2019, Zl. ***, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), nach durchgeführter Beschwerdeverhandlung wie folgt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 25. Februar 2019, Zl. ***, wird aufgehoben.

Das Verwaltungsstrafverfahren hierzu wird eingestellt.

Die ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis an den Verwaltungsgerichtshof ist nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 50 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

§ 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG)

§ 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) iVm

Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Entscheidungsgründe:

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 25.02.2019,
Zl. ***, wurde über die Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG iVm § 3 Abs. 1 leg. cit. nach § 28 Abs. 1 Z 1. leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000,- verhängt und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden angedroht.

Im Spruch dieses Straferkenntnisses wurde es als erwiesen angesehen, dass die Beschwerdeführerin zumindest in der Zeit vom 07.03.2018 bis 09.03.2018 in ***, ***, als Arbeitgeberin die Ausländerin D, geboren ***, Staatsangehörigkeit Türkei, in der Zeit von 07.03.2018 bis 09.03.2018 als Arbeitgeberin im Standort ***, ***, im Kiosk entgegen § 3 AuslBG beschäftigt hat, obwohl für diese weder eine Beschäftigungsbewilligung erteilt noch eine Anzeigebestätigung (§ 3 Abs. 5 AuslBG) ausgestellt wurde, noch diese eine für diese Beschäftigung gültige „Rot-Weiß-Rot-Karte“, „Blaue Karte EU“, Aufenthaltsbewilligung als unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer („ICT“), Aufenthaltsbewilligung als mobiler unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer („mobile ICT“), Aufenthaltsbewilligung „Familieneigenschaft“ mit Zugang zum Arbeitsmarkt (§ 20f Abs. 4), „Niederlassungsbewilligung – Künstler“, „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“, „Aufenthaltsberechtigung Plus“, einen Befreiungsschein (§ 4c) oder einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ oder „Daueraufenthalt – EU“ besaß.

In der dagegen fristgerecht und vollinhaltlich erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin Arbeitgeberin von Frau D sei, die als türkische Staatsangehörige seit 2010 in Österreich lebe und bereits die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsabkommens ARB 1/80 erfülle. Gemäß Art. 7 ARB 1/80 hätten die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörigen türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-     vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorranges das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens 3 Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben,

-     freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens 5 Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

D sei türkische Staatsangehörige und die Ehefrau eines in Österreich dem regulären Arbeitsmarkt angehörigen türkischen Staatsbürgers. Art. 7 des ARB 1/80 stelle bei Familienangehörigen in seinem Wortlaut auf folgende Tatbestandsmerkmale ab:

-    Familienangehörigeneigenschaft

-    „Ankerperson“ ist dem regulären Arbeitsmarkt angehörende türkische(r) Staatsbürger

-    Familienangehörige haben die Genehmigung erhalten, zur „Ankerperson“ zu ziehen,

-    ordnungsgemäßer Wohnsitz im Aufnahmeland für 3 bzw. 5 Jahre.

Die in Art. 7, Abs. 1, erster und zweiter Gedankenstrich AB 1/80 vorgesehenen, zeitlich stufenweise eintretenden, Folgen im Fall des Vorliegens der genannten Tatbestandsmerkmale seien dann

-    Recht sich zu bewerben nach 3 Jahren mit ordnungsgemäßem Wohnsitz bzw.

-    freier Zugang zu jedem Beschäftigungsverhältnis nach 5 Jahren mit ordnungsgemäßem Wohnsitz im Aufnahmeland.

Bezogen auf den konkreten Fall sei festzuhalten, dass D Familienangehörige von E, eines türkischen Staatsbürgers und Inhabers einer „AB-Sonderfälle“ bis 2016 sei.

Frau D selbst habe in Ableitung vom Aufenthaltstitel ihres Ehemannes eine AB-Familiengemeinschaft gemäß § 69 NAG inne, die als Folge des Verlustes der AB-Sonderfälle ihres Ehemannes im September 2016 jedoch nicht mehr verlängert worden sei. Die Beschwerde gegen den entsprechenden Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt – Umgebung habe das Landesverwaltungsgericht Burgenland mit Erkenntnis vom 20.02.2017 abgewiesen. Die dagegen erhobene Revision sei vom VwGH mit Beschluss vom 27.04.2017, ***, zurückgewiesen worden, da zwar nach Ansicht des VwGH ein Anspruch auf Gewährung eines Aufenthaltstitels aus ARB 1/80 abgeleitet werden könne, dies jedoch nicht bedeute, dass gerade der Beschwerdeführerin (gemeint wohl: der Arbeitnehmerin) die versagte AB-Familieneigenschaft erteilt werden müsse, um ihre Rechte aus ARB 1/80 zu wahren. D sei seit 2010 legal in Österreich aufhältig und habe hier einen ordnungsgemäßen Wohnsitz begründet. Im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 69 NAG sei ihr im Jahr 2010 gestattet worden, ihren Aufenthalt bei ihrem in Österreich lebenden und arbeitenden Ehemann zu begründen.

Dies bedeute für den Hintergrund der obigen Ausführung, dass sie gemäß Art. 7 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 seit dem Jahr 2015 das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt habe. Wie der VwGH auch im Beschluss vom 27.04.2017 unter Verweis auf die Judikatur des EuGH festgehalten habe, habe ein Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers nach Art. 7 zweiter Gedankenstrich, ein „individuelles“ Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung, wenn er die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen kann. Zwangsläufig folge daraus auch ein Aufenthaltsrecht, das eine Folge des Zuganges zur Beschäftigung sei und unabhängig davon existiere, ob der Aufnahmestaat einen Aufenthaltstitel formell ausstelle (EuGH, Ergat und Cetinkaya). Das Aufenthaltsrecht stehe daher nach Ansicht des VwGH unmittelbar aus ARB 1/80 zu.

Das Straferkenntnis sei somit in Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bzw. der Rechtsprechung des EuGH zum Aufenthaltsrecht türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu bringen.

Gemäß Art. 7 Abs. 1 des ARB 1/80 „verselbständige“ sich das Recht von Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach Ablauf von 3 Jahren, sodass diese ein individuelles Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt aus dem ARB herleiten könnten, was notwendigerweise das Vorliegen eines korrelierenden Aufenthaltsrechts – das zudem unabhängig vom bestehenden Aufenthaltsrecht des Zusammenführenden sei – voraussetze.

Türkische Familienangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich zukomme, verfügten daher über ein individuelles Recht auf Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, was zwangsläufig auch die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechtes voraussetze, um das aus Art. 7 ARB 1/80 erfließende Recht wahrnehmen zu können (siehe u.a. VwGH 21.11.2011, 2011/18/0025 und VwGH 15.03.2012, 2009/01/0036, EuGH 16.03.2000, C-329/97, Ergat Rz 37 bis 39, sowie EuGH 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya, Rz 29 bis 33).

Daraus folge, dass D bereits seit dem Jahr 2015 gemäß Art. 7 Abs. 1, zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 ein „individuelles Recht“ auf freien Zugang zur Beschäftigung in Österreich gehabt habe und damit als Folge daraus laut Judikatur des EuGH und des VwGH zwangsläufig auch ein Aufenthaltsrecht in Österreich habe.

Zum Zeitpunkt der von belangten Behörde behaupteten Verstöße gegen das AuslBG im März 2018 sei Frau D seit 8 Jahren rechtmäßig in Österreich gewesen und erfülle sie unstrittig bereits die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1, zweiter Gedankenstrich des ARB 1/80. Bis 2016 habe sie auch formell die „AB-Familieneigenschaft“ gemäß § 69 NAG innegehabt und darüber hinaus weiterhin ihren Wohnsitz in Österreich.

Durch die primäre Einräumung eines Rechts auf Zugang zur Beschäftigung auf der Grundlage des ARB 1/80 ab 2015 auf Seiten der Arbeitnehmerin D, könnten der Beschwerdeführerin als deren Arbeitgeberin demgemäß aber nicht Verstöße gegen das AuslBG im März 2018 vorgehalten werden, da die Arbeitnehmerin den Zugang zur Beschäftigung in Österreich im Sinne des ARB 1/80 gehabt habe und somit ihre Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt nicht unrechtmäßig gewesen sei.

Daher lägen die im Straferkenntnis herangezogenen Verstöße in der Person der Beschwerdeführerin nicht vor und seien diese daher auch keine taugliche Begründung für die Verhängung der besagten Strafe.

Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag, eine mündliche Verhandlung mit der Beschwerdeführerin durchzuführen und in der Folge das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben sowie das durchgeführte Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, in eventu die im Straferkenntnis ausgesprochene Strafe auf ein angemessenes Ausmaß zu reduzieren.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat hierzu in Entsprechung des

§ 44 Abs. 1 VwGVG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, in welcher anhand des vorliegenden Aktes, auf dessen Verlesung der Vertreter der Beschwerdeführerin verzichtete, sowie durch Einvernahme der Zeugin D unter Beiziehung einer sprachkundigen Person Beweis erhoben wurde.

Der Vertreter der Beschwerdeführerin verwies weiters auf die Judikatur des VwGH vom 17.06.2019, Zl. ***.

Auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens hatte das erkennende Gericht von folgendem, als feststehend anzusehenden Sachverhalt auszugehen:

Frau D, geboren ***, türkische Staatsangehörige, hat im Zeitraum vom 07.03.2018 bis 09.03.2018 im Kiosk der Beschwerdeführerin als Arbeitgeberin im Standort ***, ***, Arbeitsleistungen gegen Entgelt verrichtet. D, geboren ***, ist seit 30.11.2010 bis dato mit Hauptwohnsitz oder Nebenwohnsitz im österreichischen Bundesgebiet gemeldet. Sie ist die Frau eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörigen türkischen Staatsbürgers, nämlich Herrn E. Sie hatte in Ableitung vom Aufenthaltstitel ihres Ehemannes eine Aufenthaltsbewilligung Familieneigenschaft gemäß § 69 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) inne. Sie ist seit 2010 legal in Österreich und begründete hier ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz, den sie seit 30.11.2010 bis dato innehat. Im Wege der Familienzusammenführung gemäß

§ 69 NAG wurde Frau D im Jahr 2010 gestattet, ihren Aufenthalt bei ihrem in Österreich lebenden und arbeitenden Ehemann zu begründen.

Im Zeitraum der gegenständlich angelasteten Verwaltungsübertretung (07.03.2018 bis 09.03.2018) war Frau D seit knapp 8 Jahren in Österreich rechtmäßig aufhältig und hatte bis 2018 die vorgenannte Aufenthaltsbewilligung Familieneigenschaft inne.

Frau D hatte in Ableitung des Aufenthaltstitels ihres Ehemannes eine
AB-Familieneigenschaft gemäß § 69 NAG inne, die als Folge des Verlustes der
AB-Sonderfälle ihres Ehemannes im September 2016 jedoch nicht mehr verlängert wurde. Die Beschwerde gegen den entsprechenden Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt – Umgebung wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland mit Erkenntnis vom 20.02.2017 ab. Die dagegen erhobene Revision wurde vom VwGH mit Beschluss vom 27.04.2017, ***, zurückgewiesen, da zwar nach Ansicht des VwGH ein Anspruch auf Gewährung eines Aufenthaltstitels aus ARB 1/80 abgeleitet werden könne, dies jedoch nicht bedeute, dass gerade die der Einschreiterin versagte
AB-Familiengemeinschaft erteilt werden müsse, um ihre Rechte aus ARB 1/80 zu wahren.

Mit Bescheid des Arbeitsmarktsevice *** vom 25.07.2018 wurde einem Arbeitgeber gegenüber betreffend die Arbeitnehmerin D im Rahmen der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung einer eingebrachten Beschwerde Folge gegeben und die erfolgte Ablehnung des eingebrachten Antrages auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für die Bezeichnete aufgehoben.

Es wurde dem antragstellenden Arbeitgeber zur Beschäftigung von Frau D für die Zeit vom 30.07.2018 bis 29.07.2019 für die berufliche Tätigkeit bei Vollbeschäftigung die Beschäftigungsbewilligung erteilt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Frau D als Familienangehörige, nämlich Ehegattin von Herrn E, der dem regulären Arbeitsmarkt angehöre (er verfügte über einen bis 09.10.2019 gültigen Befreiungsschein und steht seit 26.03.2018 in einem Dienstverhältnis als Angestellter zu einer HandelsgesmbH) und des hier eingeräumten Rechts, zu ihm zu ziehen, sowie der ihr über den Zeitraum vom 15.11.2010 bis 01.05.2016 erteilten Aufenthaltsbewilligungen jedenfalls die Voraussetzungen des Art. 7 erster Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfülle.

Dieser Sachverhalt ergab sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt,

***, auf dessen Verlesung verzichtet wurde, weiters aus der Abfrage aus dem Zentralen Melderegister, dem Ergebnis der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung, den Ausführungen der Beschwerdeführerin bzw. deren Rechtsvertreter in der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie aus dem im Akt der Behörde befindlichen Bescheid des Arbeitsmarktservice *** vom 25.07.2018.

In rechtlicher Hinsicht wurde hierüber erwogen:

Gemäß Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsabkommens ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörigen türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-    vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorranges, das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens 3 Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

-    freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens 5 Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die verfahrensgegenständlich Beschäftigte, D, ist türkische Staatsangehörige und Ehefrau eines in Österreich dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsbürgers.

Art. 7 ARB 1/80 stellt bei Familienangehörigen in seinem Wortlaut auf folgende Tatbestandsmerkmale ab:

-    Familienangehörigeneigenschaft

-    „Ankerperson“ ist dem regulären Arbeitsmarkt angehörender türkischer Staatsbürger

-    Familienangehörige haben die Genehmigung erhalten, zur „Ankerperson“ zu ziehen

-    ordnungsgemäßer Wohnsitz im Aufnahmeland für 3 bzw. 5 Jahre.

Die in Art. 7 Abs. 1 erster und zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 vorgesehenen zeitlich stufenweise eintretenden Folgen im Fall des Vorliegens der genannten Tatbestandsmerkmale sind

-    das Recht, sich zu bewerben nach 3 Jahren mit ordnungsgemäßem Wohnsitz bzw.

-    freier Zugang zu jedem Beschäftigungsverhältnis nach 5 Jahren mit ordnungsgemäßem Wohnsitz im Aufnahmeland.

Bezogen auf den konkreten Fall ist festzustellen, dass Frau D, die verfahrensgegenständlich Beschäftigte, Familienangehörige von E, eines türkischen Staatsbürgers und Inhabers einer „AB-Sonderfälle“ bis 2016 ist. Sie hatte in Ableitung vom Aufenthaltstitel ihres Ehemannes eine AB-Familiengemeinschaft gemäß § 69 NAG inne, die als Folge des Verlustes der AB-Sonderfälle ihres Ehemannes im September 2016 jedoch nicht mehr verlängert wurde.

Entsprechend höchstgerichtlicher Judikatur (VwGH vom 27.04.2017, Ra 2017/22/0036) verfügen türkische Familienangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 7 erster Satz, zweiter Gedankenstrich ARB zukommt, über ein individuelles Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt, was zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechtes voraussetzt (vgl. die Grönjedic/Hoffmann/Luiten das Assoziationsrecht EWG/Türkei, 2013, Rz E 27 und 34 zu Art. 7 Satz 1 angeführten Urteile des EuGH sowie die Erkenntnisse VwGH vom 21.11.2011, Zl. 2011/18/0025 und vom 15.03.2012, Zl. 2009/01/0036).

Aus der bezeichneten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.04.2017, Zl. Ra 2017/22/0036, ergibt sich eindeutig, dass der Rechtsprechung des EuGH zufolge Familienangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 7 erster Satz, zweiter Gedankenstrich ARB zukommt, ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedsstaat haben. Aus der unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung folgt gemäß höchstgerichtlicher Judikatur nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem Beschluss Nr. 1/80 herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechtes setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechtes voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (vgl. EuGH Cetinkaya Rnr. 31 und Ergat Rnr. 40).

Nach der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist somit das Aufenthaltsrecht eine Folge des Rechtes auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedsstaat; es wird nicht durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begründet, sondern steht den Betroffenen unmittelbar auf Grund des Beschlusses Nr. 1/80 unabhängig davon zu, ob die Behörden des Aufnahmemitgliedsstaates dieses spezielle Dokument ausstellen. Die Aufenthaltserlaubnis hat für die Anerkennung des Aufenthaltsrechtes nur deklaratorische Bedeutung.

Türkische Familienangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 zukommt, verfügen daher über ein individuelles Recht auf Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, was zwangsläufig auch die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechtes voraussetzt, um das aus Art. 7 ARB 1/80 erfließende Recht wahrnehmen zu können.

Da D bereits seit dem Jahr 2015 gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 ein „individuelles Recht“ auf freien Zugang zur Beschäftigung in Österreich hatte und damit als Folge daraus laut Judikatur des EuGH und des VwGH zwangsläufig auch ein Aufenthaltsrecht in Österreich, die Beschäftigte somit zweifelsfrei im Zeitraum der gegenständlich angelasteten Tatbegehung (07.03.2018 bis 09.03.2018) die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 erfüllte, war davon auszugehen, dass die der Beschwerdeführerin angelastete Verwaltungsübertretung von der Beschwerdeführerin nicht begangen wurde, da die Beschäftigung der Arbeitnehmerin D nicht wider die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes erfolgte, somit nicht unrechtmäßig war.

Es war daher das angefochtene Straferkenntnis spruchgemäß aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren hierzu nach § 45 Abs. 1 Z 2 VStG 1991 einzustellen.

Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine

Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche

Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche

Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Arbeitsrecht; Ausländerbeschäftigung; Familienangehörige; Assoziierung Türkei;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2019:LVwG.S.986.001.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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