Entscheidungsdatum
03.09.2019Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
W261 2212873-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , bevollmächtigt vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 14.12.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, bevollmächtigt vertreten durch Herrn XXXX, brachte am 09.03.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung ein. Dabei gab er an, er sei zwischen 1969 und 1975 in Sondererziehungsanstalten der Stadt XXXX physisch und psychisch misshandelt worden und befinde sich seit 2016 in psychotherapeutischer Behandlung.
Die belangte Behörde ersuchte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14.03.2018 um Übermittlung von Unterlagen und näheren Angaben zu den Heimaufenthalten, am 25.09.2018 folgte eine Urgenz der belangten Behörde.
Mit E-Mail vom 29.03.2018 teilte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter unter anderem mit, dass eine Untersuchung bzw. ein Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten angedacht werde. Es bestehe beim Beschwerdeführer seit dem 04.05.2017 eine Arbeitsunfähigkeit. Derzeit sei ein Pensionsverfahren in Bearbeitung, das Verfahren beim Weissen Ring sei abgeschlossen.
Am 07.06.2018 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem VOG. Im diesbezüglichen Formblatt führte er an, dass er zwischen 1965 und 1974 Impfschäden erlitten habe. Er sei durch die "Deportierung" der MA XXXX in die Erziehungsanstalt XXXX gekommen. Zusätzlich sei er im Klinikum " XXXX " und Klinik " XXXX " durch Dr. XXXX und Dr. XXXX einer Impftherapie (z.B. Malaria) ausgesetzt worden. Der Beschwerdeführer habe eine Posttraumatische Belastungsstörung (ICD 43.1) und eine Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD F 62.0) erlitten. Der Beschwerdeführer schloss dem Antrag durch seinen Vertreter Befunde aus den Jahren 1966, 1968 und 1969 an.
Am 07.06.2018 stellte der Vertreter des Beschwerdeführers erneut einen Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem VOG. Diesem schloss er einen Befund über eine klinisch-psychologische Untersuchung vom 21.02.2018 und den Bericht über die Übernahme des Beschwerdeführers und seiner Geschwister in Gemeindepflege an. Demnach sei der Beschwerdeführer am XXXX ins XXXX Heim und am XXXX in das Kinderheim XXXX überstellt worden.
Mit Schreiben vom 08.05.2018 bestätigte der Weisse Ring, dass der Beschwerdeführer eine pauschalierte Entschädigungsleistung im Sinne des § 1 Heimopferrentengesetz (HOG) erhalten habe.
Nach Ersuchen der belangten Behörde übermittelte die Magistratsabteilung XXXX der Stadt XXXX - Wiener Kinder- und Jugendhilfe am 14.08.2018 Kopien der noch vorhandenen Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer.
Am 13.09.2018 stellte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter einen "Devolutionsantrag" gemäß § 73 AVG bezüglich seines am 08.03.2018 bei der belangten Behörde gestellten Antrages auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung, welcher von der belangten Behörde als Säumnisbeschwerde gewertet wurde.
Mit Parteiengehör vom 26.09.2018 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass der Antrag vom 07.06.2018 auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem VOG abgewiesen werden würde, da diese Leistung nur für Handlungen anzuwenden sei, die nach dem 31.05.2009 begangen worden seien. Da sich die vorgebrachten verfahrensgegenständlichen Vorfälle im Heim vor dem 31.05.2009 ereignet hätten, gebe es keine gesetzliche Grundlage für die Bewilligung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.
Nach Ersuchen der belangten Behörde teilte die XXXX Gebietskrankenkasse mit Schreiben vom 24.09.2018 mit, dass keine Daten des Beschwerdeführers für Versicherungszeiten auf Grund von Kranken- bzw. Wochengeld für die Zeiten zwischen dem 01.07.1981 und 31.12.2006 aufliegen würden. Alle übrigen Versicherungszeiten seien für den Zeitraum von 01.07.1981 bis 31.12.2002 lokal nicht mehr abrufbar.
Mit E-Mail Nachricht vom 18.10.2018 teilte der Vertreter des Beschwerdeführers bezüglich des Parteiengehörs vom 26.09.2018 mit, dass sich der Beschwerdeführer bis 19.10.2018 auf Reha befinde würde, es werde Akteneinsicht beantragt. In den Kliniken, in welchen der Beschwerdeführer untergebracht gewesen sei, seien Malariakuren durchgeführt worden.
Am 24.10.2018 erschien der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Vertreter bei der belangten Behörde zur Akteneinsicht und ersuchte um eine Kopie seines Pflegschaftsaktes. Seitens der belangten Behörde wurde auch im Hinblick auf die Säumnisbeschwerde ersucht, so rasch wie möglich die noch ausständigen Unterlagen, insbesondere den Clearingbericht und eine Stellungnahme seiner Psychotherapeutin sowie die Beantwortung der Fragen der Erhebungsschreiben von 14.03.2018 und 25.09.2018 nachzureichen. Am 29.10.2018 wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Kopie des Pflegschaftsaktes übergeben. Dabei wurde er nochmals auf die noch ausständige Beantwortung der im Erhebungsschreiben gestellten Fragen hingewiesen. Der Vertreter des Beschwerdeführers teilte mit, dass er diese bis spätestens 02.11.2018 übermitteln werde.
Zur Überprüfung des Antrages holte die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 23.11.2018 erstatteten Gutachten vom 28.11.2018 kommt der Sachverständige zusammenfassend zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer an einer mittelgradigen Depression leide, die nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die vorgebrachten Misshandlungen im Heim zurückzuführen sei. Der verhältnismäßig kurzen und späten Heimunterbringung würden problematische Familienverhältnisse, der Selbstmord des Vaters, massive Verhaltensauffälligkeiten und Anpassungs- und Eingliederungsschwierigkeiten mit Aufenthalten an kindertherapeutischen Einrichtungen vor der Heimunterbringung entgegenstehen. Dazu kämen negative Ereignisse aus dem weiteren Lebenslauf, wie private und berufliche Misserfolge, jahrelanger Alkoholmissbrauch, jahrelange Arbeitslosigkeit, soziale Isolation, schwere körperliche Erkrankungen und eine prekäre finanzielle Situation. Die Misshandlungen hätten aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht zwar möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand, seien jedoch nicht als wesentliche Ursache anzusehen. Es gebe keinen Hinweis, dass das erlittene Trauma die festgestellte Gesundheitsschädigung vorzeitig ausgelöst oder verschlimmert habe. Es sei davon auszugehen, dass auch ohne die angeschuldigten Ereignisse ein ähnliches depressives Zustandsbild vorliegen würde.
Seitens seiner behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie wurden Befunde des Beschwerdeführers vom 20.02.2018, 09.04.2018 und 02.07.2018 an die belangte Behörde übermittelt.
Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Untersuchung durch den psychiatrischen Sachverständigen eine Auflistung der Krankheiten des Beschwerdeführers der letzten Jahre, erstellt von den behandelnden Ärztinnen für Allgemeinmedizin vom 17.09.2018 und einen psychotherapeutischen Clearingbericht vom XXXX vor.
Mit Schreiben vom 06.12.2018 brachte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.
Mit einem "Einspruch gegen das Briefing" brachte der Beschwerdeführer am 10.12.2018 durch seinen Vertreter im Wesentlichen vor, dass im Sachverständigengutachten nicht festgestellt worden sei, dass die Überlebenden des Wiener Heimkinderskandals Folter ausgesetzt worden seien. Es bestehe eine Verjährungshemmung bei Delikten gegenüber Minderjährigen. Die "Sippenhaftung", die Bezahlung von Schreibmaschinentäterinnen der XXXX für den jahrelangen Aufenthalt in den Sonder- und Erziehungsanstalten der Stadt XXXX sei nicht berücksichtigt worden. Durch diese dubiosen Maßnahmen der XXXX seien die Familienangehörigen des Beschwerdeführers gezwungen worden, zu bezahlen und die Familie sei dadurch komplett zerstört worden. Der Beschwerdeführer werde als "Lügner und Betrüger" dargestellt, weil kein Überlebender der Sondererziehungsanstalt XXXX Angaben über sexuelle Übergriffe des Anstaltslehrers bestätigt habe. Die Ausgangssperre im Heim sei mit sozialer Isolation und Isolationshaft gleichzusetzen und sei als Folter anzusehen. Der vorgelegte Befund der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sei im Gutachten nicht berücksichtigt worden. Der Beschwerdeführer leide an einer schweren Krankheit wie z.B. Zwangsgedanken. Dem Schreiben wurde eine Überweisung an die Gastroenterologische Ambulanz der XXXX vom 06.11.2018 sowie drei Seiten aus dem Pflegschaftsakt angeschlossen.
Mit E-Mail Nachricht vom 12.12.2018 gab der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter eine weitere Stellungnahme zum Parteiengehör ab. Darin führte er aus, es fehle bisher die schriftliche Antwort des Bundesverwaltungsgerichtes nach dem am 13.09.2018 eingelangten "Devolutionsantrag". Die belangte Behörde könne den Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung nicht abweisen, wenn er nie bearbeitet bzw. schriftlich beantwortet worden sei. Weiters wurde in der Stellungnahme vom 12.12.2018 das Vorbringen vom 10.12.2018 teilweise wiederholt. Dem Schreiben wurde der Clearingbericht vom XXXX und ein Ergänzungsbericht zum Clearingbericht vom 28.11.2011 angeschlossen.
Mit angefochtenem Bescheid vom 14.12.2018 wies die belangte Behörde die Anträge des Beschwerdeführers vom 09.03.2018 und 07.06.2018 auf Übernahme der Kosten einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung sowie den Antrag vom 07.06.2018 auf Pauschalentschädigung für Schmerzenzeld gemäß § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 5, § 6a sowie § 10 Abs. 1 VOG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass der Beschwerdeführer im Kinderheim der Stadt XXXX und im Lehrlingsheim der Stadt XXXX physisch und psychisch misshandelt worden sei. Das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer durch mehrere Betreuer im Heim sexuell missbraucht und in der Klinik " XXXX " einer Impftherapie ausgesetzt worden sei, könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Es könne kein Kausalzusammenhang zwischen den festgestellten Misshandlungen im Heim und der mittelgradigen Depression des Beschwerdeführers festgestellt werden. Aus der Biographie des Beschwerdeführers seien mehrere belastende Lebensereignisse zu erheben, wobei nicht mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit abgegrenzt werden könne, welches für das gegenwärtige psychische Zustandsbild überwiegend zu verantworten sei. Mangels Vorliegen einer kausalen Gesundheitsschädigung könnten die Anträge nach dem VOG daher nicht bewilligt werden. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld bereits deshalb nicht erfüllt, weil diese Leistung nur für Handlungen anzuwenden sei, die nach dem 31.05.2009 begangen worden seien, sich die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verbrechen jedoch lange vor dem 31.05.2009 ereignet hätten.
Mit E-Mail vom 24.12.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter, XXXX, gegen diesen Bescheid fristgerecht die als "Nichtigkeitserklärung" bezeichnete Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Darin führte er im Wesentlichen aus, das dem Bescheid zugrunde gelegte Sachverständigengutachten enthalte keine wissenschaftliche Untermauerung der Diagnose und sei nicht schlüssig.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 08.01.2019 zur Entscheidung vor, wo dieser am 14.01.2019 einlangte.
Mit E-Mail vom 14.01.2019 gab der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter eine Beschwerdeergänzung ab, in welcher er zusammengefasst ausführte, die behandelnde Psychiaterin des Beschwerdeführers habe mit Befund vom 20.12.2018 unter anderem eine Depression, affektive Störung und somatoforme Schmerzstörung festgestellt, was sich nicht im Sachverständigengutachten wiederfinde, obwohl die Unterlagen im Akt vorhanden gewesen seien. Ebenso würden sich die Diagnosen derselben Ärztin im Befund vom 20.02.2018 nur teilweise im Sachverständigengutachten finden. Auch der vorgelegte Befund über eine klinisch-psychologische Untersuchung vom 21.02.2018 sei nur teilweise im Sachverständigengutachten erwähnt. Bis in die 1960er Jahre seien Fieberkuren, mit denen tausende Heimkinder mit Malaria und anderen unheilbaren Krankheiten angesteckt und für den Rest ihres Lebens geschädigt worden seien, in Fachkreisen akzeptiert worden. Aus Krankenakten und Aussagen von Betroffenen gehe hervor, dass Jugendliche, die in Heimen untergebracht gewesen seien, in den 1960er Jahren im XXXX mit Malaria infiziert worden seien. Seit Bekanntwerden dieser Praxis untersuche eine Expertenkommission die Hintergründe dieser medizinischen Behandlungen. Der Beschwerdeführer habe sich am 10.12.2018 einer Operation an der Nase unterzogen, weitere Operationen könnten nicht ausgeschlossen werden. Er habe auch einen Krankenhausaufenthalt von 07.01. bis 09.01.2019 wegen eines Polyps am Zökumboden hinter sich.
Mit E-Mail Nachricht vom 17.04.2019 an das Sozialministerium, das Bundesverwaltungsgericht und weitere Institutionen führte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter aus, der Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung vom 08.03.2018 sei bis dato nicht behandelt worden, auch die Frist nach der am 13.09.2018 eingebrachten Säumnisbeschwerde ("Devolutionsantrag") sei nicht eingehalten worden.
Mit zwei weiteren E-Mail Nachrichten vom 23.04.2019 wiederholte der Vertreter des Beschwerdeführers seine Einwendungen der vorangegangenen Eingaben.
Mit zwei weiteren E-Mail Nachrichten vom 25.04.2019 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter als "Einspruch" bezeichnete Beschwerde gegen einen Bescheid der belangten Behörde zum Bundesbehindertengesetz (BBG).
Mit zwei weiteren E-Mail Nachrichten vom 02.05.2019 gab der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter eine Stellungnahme zu einem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien ab.
Mit E-Mail Nachricht vom 08.07.2019 führte der Vertreter des Beschwerdeführers erneut zum "noch nicht behandelten" Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung und nicht behandelten "Devolutionsantrag", sowie zu den Anspruchsvoraussetzungen betreffend nach dem Heimopferrentengesetz aus.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger.
Er wurde am XXXX als zweites von vier Kindern in Wien geboren.
Am XXXX wurden er und seine Geschwister für einige Tage in Gemeindepflege übernommen, da die Mutter zur Geburt des vierten Kindes im Krankenhaus war und sich weder der Vater noch die Großeltern um die Kinder kümmern konnten.
Am XXXX beging der Vater des Beschwerdeführers Selbstmord. Die Mutter heiratete am XXXX erneut. Diese Ehe war von Gewalttätigkeit geprägt, die Polizei musste mehrmals eingreifen, sowohl der Stiefvater des Beschwerdeführers als auch die Mutter waren wegen bereits wegen Gattenmisshandlung vorbestraft.
Der Beschwerdeführer wurde als schwieriges Kind beschrieben. Er ordnete sich bereits im Kindergarten schwer in die Gemeinschaft ein. Nach dem Selbstmord des Vaters kurz vor Schuleintritt wurde der Beschwerdeführer Bettnässer. Nachdem er wegen Rechtschreibschwierigkeiten die zweite Volksschulklasse wiederholen musste, verschlimmerte sich sein aggressives Verhalten in der Schule noch mehr. Die Schwierigkeiten bestanden auch nach dem Wechsel in eine andere Schule. Auch in der Hauptschule wurde er wegen disziplinärer Schwierigkeiten aus der Schule geworfen, kam aber wieder zurück, da er wegen Platzmangel in keiner anderen Schule aufgenommen werden konnte.
Der Beschwerdeführer war im Jahr 1966 für mehrere Wochen in der Heilpädagogischen Abteilung der Universitäts-Kinderklinik untergebracht. Von XXXX bis XXXX wurde er in der psychiatrisch-neurologischen Klinik der Universität XXXX , Station für Kinder und Jugendliche aufgenommen. Danach erfolgte eine ambulante Psychotherapie in der gleichen Klinik.
Am XXXX ersuchte die Mutter des Beschwerdeführers um Überstellung der Kinder in Gemeindepflege, nachdem ihr Ehemann in letzter Zeit so aggressiv gewesen war, dass sie und die Kinder aus Angst vor ihm im Stiegenhaus bzw. auf der Kellerstiege des Wohnhauses übernachtet hätten. Als eine Fürsorgerin die Mutter nach Hause brachte, wurde die Mutter vom Ehemann ordinär beschimpft, geohrfeigt und am Handgelenk verletzt. Die Mutter drohte daraufhin, sich umzubringen und die ganze Familie auszurotten. Die Kinder wurden noch am selben Tag von der Polizei abgeholt. Am XXXX ersuchte das Bezirksjugendamt für den XXXX die Kinderübernahmsstelle der Stadt XXXX um die Übernahme der Kinder in Gemeindepflege. Am XXXX wurde gerichtliche Erziehungshilfe beantragt, als Überstellungsgrund wurde Gefährdung genannt. Mit Beschluss des Jugendgerichtshofes XXXX vom XXXX wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers und seiner Geschwister nachträglich genehmigt.
Der Beschwerdeführer war von XXXX bis XXXX in der Kinderübernahmestelle XXXX untergebracht.
Am XXXX wurde er in das Kinderheim XXXX überstellt, wo er bis XXXX untergebracht war.
Von XXXX bis XXXX war der Beschwerdeführer im Lehrlingsheim XXXX untergebracht.
Es kann mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Kinderheim XXXX und im Lehrlingsheim XXXX physisch und psychisch misshandelt wurde.
Es kann nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer "Malaria-Impftherapie" ausgesetzt wurde und von Betreuern im Heim sexuell missbraucht wurde.
Der Beschwerdeführer leidet an einer mittelgradigen Depression.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen den festgestellten Misshandlungen und dem bestehenden Leiden des Beschwerdeführers kann nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Die Misshandlungen im Heim haben möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand, sind jedoch nicht wesentliche Ursache. Es gibt keinen Hinweis, dass die Misshandlungen im Heim die festgestellte Gesundheitsschädigung vorzeitig ausgelöst oder verschlimmert hat. Das depressive Zustandsbild würde auch ohne die Misshandlungen im Heim vorliegen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen über die Staatsbürgerschaft und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers basieren auf den im Rahmen der gegenständlichen Antragstellung vorgelegten Kopien seines Reisepasses und Staatsbürgerschaftsnachweises.
Die Feststellungen zur familiären Situation des Beschwerdeführers vor der Heimunterbringung, zum Überstellungsgrund sowie zum Beginn und Ende der Heimaufenthalte gründen sich auf die im Verwaltungsakt einliegenden Kopien des Pflegschaftsaktes und dem darin befindlichen Ergebnis der schulpsychologischen Untersuchung vom XXXX , dem Ersuchen des Bezirksjugendamtes für den XXXX um Übernahme in Gemeindepflege vom XXXX und dem Beschluss des Jugendgerichtshofes XXXX vom XXXX .
Die Feststellungen zu den mehrwöchigen Aufenthalten des Beschwerdeführers in der Heilpädagogischen Abteilung der Universitäts-Kinderklinik im Jahr 1966 und der psychiatrisch-neurologischen Klinik der Universität XXXX im Jahr 1969 sowie zur anschließend erfolgten ambulanten psychotherapeutischen Behandlung ergeben sich aus den ebenfalls im Pflegschaftsakt befindlichen Befunden vom XXXX , XXXX und XXXX .
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im Kinderheim XXXX und im Lehrlingsheim XXXX mit Wahrscheinlichkeit physisch und psychisch misshandelt wurde, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Clearingbericht vom XXXX und dem Ergänzungsbericht zum Clearingbericht vom XXXX . Sie sind auch vor dem Hintergrund des notorischen Wissens über massive Missstände in manchen staatlichen und kirchlichen Heimen in den gegenständlich relevanten Zeiträumen, welche auch in diesbezüglichen Studien dokumentiert sind, plausibel und werden durch Aussagen anderer Betroffener, die in den beiden genannten Heimen untergebracht waren, bestätigt, die ähnliche Erlebnisse schilderten.
Dass der Beschwerdeführer auch sexuell missbraucht worden oder Opfer einer "Malaria-Impftherapie" geworden sei, brachte er im Rahmen der Clearinggespräche selbst nicht vor. Diesbezügliche Angaben finden sich lediglich in der klinisch-psychologischen Untersuchung vom 21.02.2018, welche jedoch durch keinerlei objektiven Befunde oder Unterlagen bzw. Aussagen anderer Zöglinge bestätigt wurden. Den mehrmaligen Aufforderungen der belangten Behörde, nähere Angaben zu den vorgebrachten Erlebnissen zu machen und Unterlagen dazu vorzulegen, kam der Beschwerdeführer nur unzureichend nach. Mit der Vorlage einer parlamentarischen Anfrage betreffend die Malariatherapie in der " XXXX " in den 1960er Jahren konnte der Beschwerdeführer nicht belegen, dass er persönlich von solchen "Therapien" betroffen war. In den im Pflegschaftsakt befindlichen Unterlagen aus der genannten Abteilung des XXXX finden sich keine Hinweise auf eine solche Behandlung.
Die Feststellung betreffend das psychische Leiden des Beschwerdeführers gründet sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten vom 28.11.2018, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 23.11.2018.
Aus diesem Gutachten ergibt sich weiters, dass diese Gesundheitsschädigung nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die psychischen und physischen Misshandlungen im Heim zurückzuführen ist. Der Beschwerdeführer kam (abgesehen von der nur wenigen Tage dauernden Unterbringung im Jahr 1960 aufgrund des Spitalsaufenthaltes seiner Mutter) im Alter von 13 Jahren ins Heim und wurde im Alter von 16,5 Jahren wieder in häusliche Pflege entlassen.
Der Sachverständige führte aus, dass dieser verhältnismäßig kurzen und späten Heimunterbringung problematische Familienverhältnisse vor der Unterbringung, der Selbstmord des Vaters, massive Verhaltensauffälligkeiten und Anpassungs- und Eingliederungsschwierigkeiten mit Aufenthalten an kindertherapeutischen Einrichtungen vor der Heimunterbringung entgegenstehen, welche einen größeren Einfluss auf die Entwicklung des Beschwerdeführers und die Entstehung seines Leidens haben. Dies wird durch den Beschluss des Jugendgerichtshofes XXXX vom XXXX , mit welchem die Unterbringung des Beschwerdeführers in Gemeindepflege genehmigt wurde, bestätigt, in welchem ausgeführt wird: "...Die schweren wörtlichen und tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Kindeseltern sind geeignet, die Minderjährigen in ihrer weiteren Entwicklung nachhaltig zu schädigen. Beim mj. XXXX insbesondere konnten derartige psychische Schäden bereits medizinisch festgestellt werden." Dazu würden beim Beschwerdeführer darüber hinaus negative Ereignisse aus dem weiteren Lebenslauf wie private und berufliche Misserfolge, jahrelanger Alkoholmissbrauch, jahrelange Arbeitslosigkeit, soziale Isolation, schwere körperliche Erkrankungen und eine prekäre finanzielle Situation kommen. Zwar haben die Misshandlungen im Heim aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand, sie sind jedoch nicht als wesentliche Ursache anzusehen. Bei Vorliegen mehrerer belastender Lebensereignisse ist nicht mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit abzugrenzen, welches für das Leiden des Beschwerdeführers überwiegend zu verantworten ist. Es besteht kein Hinweis, dass das erlittene Trauma die festgestellte Gesundheitsschädigung vorzeitig ausgelöst oder verschlimmert hat. Auch ohne die angeschuldigten Ereignisse ist davon auszugehen, dass beim Beschwerdeführer ein ähnliches depressives Zustandsbild vorliegen würde.
Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sind nicht geeignet, eine andere Beurteilung herbeizuführen bzw. zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.
Der Sachverständige führte diesbezüglich nachvollziehbar aus, dass die klinisch-psychologische Untersuchung vom 21.02.2018 durch die Dipl. Psychologin XXXX ohne kritisches Hinterfragen - insbesondere betreffend die "Malariatherapie" - die Angaben des Beschwerdeführers übernommen hat. Während der Beschwerdeführer im Rahmen der persönlichen Untersuchung am 23.11.2018 angab, keine Kinder zu haben, ist in der klinisch-psychologischen Untersuchung vom 21.02.2018 von einem 23-jährigen Sohn die Rede. Betreffend eine angeblich bestehende komplexe Posttraumatische Belastungsstörung wies der Sachverständige auch auf die Problematik von Selbstbeurteilungen und Interviews im Kontext mit etwaigen finanziellen Ansprüchen hin, wie dies in der Untersuchung vom 21.02.2018 geschehen ist. Er führt weiters aus, dass lediglich der Minnesota Multiphasic Inventory (MMPI) Test die für eine Begutachtung notwendigen Qualitätskriterien erfülle, welcher von der Psychologin jedoch als nicht aussagekräftig befunden wurde. Dass aufgrund der Aussage des Beschwerdeführers, wonach seine Stimmung zwischen Euphorie und Depression schwanke, auf das Vorliegen einer bipolaren Krankheit geschlossen werde, ist aus fachärztlicher Sicht ebenfalls nicht zulässig. Es wurden sich in der Untersuchung keine weiteren Angaben bezüglich krankheitsspezifischer Auffälligkeiten bzw. eine diesbezügliche Behandlung gemacht. Im letzten Satz der klinisch-psychologischen Untersuchung wird - unabhängig von der syntaktischen Fehlerhaftigkeit - offenbar von der Psychologin selbst die Objektivität des Ergebnisses ihrer Untersuchung angezweifelt:
"Die testpsychologische ist aufgrund einer tendenziellen Beantwortung in Form von einer extremen Zustimmungstendenz nicht aussagekräftig." (vgl. AS 76)
Die Befundberichte der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie XXXX vom 20.02.2018, 09.04.2018 und 02.07.2018 enthalten keine Angaben darüber, worauf sich die Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung, Depressio, affektive Störung und anhaltende somatoforme Schmerzstörung beziehen, und wie diese sich überschneidenden Diagnosen voneinander abgegrenzt werden können. Der Sachverständige führt dazu weiters aus, dass sich in diesen Befundberichten keine Erwähnung des Zeitpunktes der Behandlungsübernahme und des Verlaufes bzw. des Behandlungserfolges findet.
Auch der Clearingbericht vom XXXX ist nur bedingt verwertbar, da er vom behandelnden Psychotherapeuten des Beschwerdeführers erstellt wurde, wodurch die Objektivität nicht gewahrt erscheint. Weiters wurden weitere negative Lebenserfahrungen des Beschwerdeführers darin nicht erwähnt, sondern wurden ausschließlich die Erlebnisse im Heim thematisiert.
Die vorgelegte Auflistung sämtlicher Krankheiten des Beschwerdeführers seitens der behandelnden Ärztinnen für Allgemeinmedizin vom 17.09.2018 enthält keine einzige psychische Erkrankung.
Insoweit der Beschwerdeführer vorbringt, dass die belangte Behörde den Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung nicht abgewiesen habe können, da die belangte Behörde diesen Antrag nie bearbeitet habe bzw. ein diesbezüglicher negativer Bescheid nie ausgestellt bzw. zugestellt worden sei, handelt es sich dabei um ein in sich widersprüchliches Vorbringen, da mit dem angefochtenen Bescheid gerade schon über den Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung abgesprochen wurde.
Der Beschwerdeführer ist dem auf einer persönlichen Untersuchung basierenden Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 28.11.2018 im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 28.11.2018. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes (VOG), lauten:
Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1 (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben, oder
2. ...
3. ...
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind, oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.
Hilfeleistungen
§ 2 Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:
1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;
2. Heilfürsorge
a) ärztliche Hilfe,
b) Heilmittel,
c) Heilbehelfe,
d) Anstaltspflege,
e) Zahnbehandlung,
f) Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955);
2a. Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten;
3. orthopädische Versorgung
a) Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, deren Wiederherstellung und Erneuerung,
b) Kostenersatz für Änderungen an Gebrauchsgegenständen sowie für die Installation behinderungsgerechter Sanitärausstattung,
c) Zuschüsse zu den Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,
d) Beihilfen zur Anschaffung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,
e) notwendige Reise- und Transportkosten;
4. medizinische Rehabilitation
a) Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen,
b) ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe, wenn diese Leistungen unmittelbar im Anschluß oder im Zusammenhang mit der unter lit. a angeführten Maßnahme erforderlich sind,
c) notwendige Reise- und Transportkosten;
5. berufliche Rehabilitation
a) berufliche Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Erwerbsfähigkeit,
b) Ausbildung für einen neuen Beruf,
c) Zuschüsse oder Darlehen (§ 198 Abs. 3 ASVG 1955);
6. soziale Rehabilitation
a) Zuschuß zu den Kosten für die Erlangung der Lenkerberechtigung, wenn auf Grund der Behinderung die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar ist,
b) Übergangsgeld (§ 306 ASVG 1955);
7. Pflegezulagen, Blindenzulagen;
8. Ersatz der Bestattungskosten;
9. einkommensabhängige Zusatzleistung;
10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.
Heilfürsorge
§ 4. (1) Hilfe nach § 2 Z 2 ist nur für Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu leisten. Opfer, die infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 eine zumutbare Beschäftigung, die den krankenversicherungsrechtlichen Schutz gewährleistet, nicht mehr ausüben können, sowie Hinterbliebene (§ 1 Abs. 4) erhalten Heilfürsorge bei jeder Gesundheitsstörung.
(2) Die Hilfe nach § 2 Z 2 hat,
1. wenn das Opfer oder der Hinterbliebene einer gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, freiwillig krankenversichert ist oder ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung besteht, der zuständige Träger der Krankenversicherung,
2. sonst die örtlich zuständige Gebietskrankenkasse zu erbringen. Die im § 2 Z 2 angeführten Leistungen gebühren in dem Umfang, in dem sie einem bei der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse Pflichtversicherten auf Grund des Gesetzes und der Satzung zustehen.
Für Schädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu entrichtende gesetz- und satzungsmäßige Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren sind nach diesem Bundesgesetz zu übernehmen.
(5) Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Opfer oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1, so sind die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die das Opfer oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Sobald feststeht, dass der Träger der Krankenversicherung einen Kostenzuschuss erbringt, kann vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auch eine Direktabrechnung der Kosten mit dem Psychotherapeuten unter Bevorschussung des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung vorgenommen werden, in diesem Fall ist der geleistete Kostenzuschuss vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu vereinnahmen. Eine Kostenübernahme bis zum angeführten Höchstausmaß erfolgt auch, sofern der Träger der Krankenversicherung Kosten im Rahmen der Wahlarzthilfe erstattet.
Pauschalentschädigung für Schmerzengeld
§ 6a (1) Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.
(2) Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt eine einmalige Geldleistung im Betrag von 8 000 Euro; sie beträgt 12 000 Euro, sofern wegen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ein Pflegebedarf im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, besteht.
Inkrafttreten
§16 (10) Die §§ 2 Z 9 und 10, 6a samt Überschrift und 10 Abs. 1 letzter Satz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 40/2009 treten mit 1. Juni 2009 in Kraft. § 6a ist auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die nach dem 31. Mai 2009 begangen wurden.
Der Beschwerdeführer, ein österreichischer Staatsbürger, begehrte im gegenständlichen Verfahren Hilfeleistungen nach dem VOG in Form von einem Ersatz des Verdienstentganges.
Voraussetzung für Hilfeleistungen nach dem VOG ist, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG mit Wahrscheinlichkeit vorliegt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.03.2014, Zl. 2013/09/0181).
Wie bereits zuvor ausgeführt, wurde der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit während seiner Unterbringung im Kinderheim XXXX von XXXX bis XXXX und im Lehrlingsheim XXXX von XXXX bis XXXX durch die psychischen und physischen Misshandlungen der dortigen Erzieher Opfer einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG. Dass der Beschwerdeführer sexuell missbraucht und einer "Malaria-Impftherapie" unterzogen wurde, konnte allerdings nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Wie bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund des Sachverständigengutachtens vom 28.11.2018, an dessen Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit keine Zweifel bestehen, zutreffend ausgeführt wurde, kann jedoch nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die beim Beschwerdeführer festgestellte mittelgradige Depression aus den Vorfällen im Heim resultiert.
Dass ein Zusammenhang nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, also grundsätzlich die Möglichkeit besteht, reicht für die Anerkennung nicht aus. (VwGH 86/09/0085, 19.11.1986, zu § 4 KOVG)
Die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder die Unmöglichkeit, entscheidungsrelevante Tatsachen festzustellen, sind - auch bei amtswegiger Ermittlungspflicht - von dem zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will (VwGH 97/09/0221, 17.05.2000, zu § 4 KOVG).
Es bietet die Gesetzeslage keine Handhabe dafür, dass bei nicht geklärter Ursache einer Gesundheitsschädigung d.h. "im Zweifel" grundsätzlich für den Beschädigten zu entscheiden sei. (VwGH vom 23.09.1993, Zl. 93/09/0221)
Das Beschwerdevorbringen ist - wie unter Punkt II.2. bereits ausgeführt - nicht geeignet, die gutachterlichen Beurteilungen zu entkräften.
Wegen der inhaltsgleichen Rechtslage sind die in der Kriegsopferversorgung zur Kausalitätsbeurteilung entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch im Bereich der Heeresversorgung (VwGH vom 12.04.2000, Zl. 97/09/0358) und des VOG heranzuziehen. (VwGH vom 30.09.2011, Zl. 2008/11/0100 zu VOG)
Die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Bedingung ist jedoch keine Sachverhalts-, sondern eine Rechtsfrage. (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse zu § 2 HVG vom 23.5. 2002, Zl. 99/09/0013 und vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113)
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse zu § 2 HVG vom 23.5. 2002, Zl. 99/09/0013 und vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113) ausgeführt hat, ist bei der Kausalitätsbeurteilung im Bereich der Sozialentschädigungsgesetze von der Theorie der "wesentlichen Bedingung" auszugehen. Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch ein vom Gesetz erfasstes schädigendes Ereignis zurückgehen könnte - erforderlich, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Dies ist das Ereignis dann, wenn es nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung. Die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Bedingung (mittels der genannten Theorie) ist keine Sachverhalts-, sondern eine Rechtsfrage. Die Zurechnung ist im Wesentlichen davon abhängig, dass die aus dem geschützten Bereich stammende Ursache zu einer Verfrühung oder Erschwerung des Schadens führte.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen den festgestellten Misshandlungen und dem bestehenden Leiden des Beschwerdeführers kann nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer war im Alter von 13 bis 16,5 Jahren verhältnismäßig kurz und spät im Heim untergebracht. Demgegenüber standen jedoch bereits vor der Heimunterbringung problematische Familienverhältnisse vor der Unterbringung, der Selbstmord des Vaters und massive Verhaltensauffälligkeiten und Anpassungs- und Eingliederungsschwierigkeiten des Beschwerdeführers mit Aufenthalten an kindertherapeutischen Einrichtungen. Im weiteren Lebenslauf nach dem Heimaufenthalt kommen beim Beschwerdeführer darüber hinaus negative Ereignisse aus dem weiteren Lebenslauf wie private und berufliche Misserfolge, jahrelanger Alkoholmissbrauch, jahrelange Arbeitslosigkeit, soziale Isolation, schwere körperliche Erkrankungen und eine prekäre finanzielle Situation.
Die Misshandlungen im Heim haben möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand, sind jedoch nicht wesentliche Ursache. Es liegt kein Hinweis vor, dass die Erlebnisse im Heim die mittelgradige Depression vorzeitig ausgelöst oder verschlimmert haben. Das depressive Zustandsbild würde auch ohne die Misshandlungen im Heim vorliegen.
Da nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzlich begangene Handlung verursacht wurde, sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form der Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung und der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nicht gegeben.
Darüber hinaus würde auch bei Vorliegen eines Kausalzusammenhangs der Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld abzuweisen sein, da diese Leistung nur für Handlungen anzuwenden ist, die nach dem 31.05.2009 begangen wurden, und sich die vorgebrachten verfahrensgegenständlichen Vorfälle im Heim vor dem 31.05.2009 ereignet haben.
Sohin war spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Im vorliegenden Fall wird eine Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht für nicht erforderlich erachtet, zumal für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt durch Aktenstudium des vorgelegten Fremdaktes, insbesondere auch der Beschwerde, zu klären war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen befanden sich im verwaltungsbehördlichen Fremdakt. Ansonsten waren im gegenständlichen Fall rechtliche Fragen zu klären. Damit liegt ein besonderer Grund vor, welcher auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR eine Einschränkung des Grundrechts auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zulässt. Im Fall Faugel (EGMR 20.11.2003, 58647/00 und 58649/00) wurde ein solch besonderer Grund, der von der Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung entbindet, etwa dann angenommen, wenn in einem Verfahren ausschließlich rechtliche oder höchst technische Fragen zur Diskussion stehen. Dem Bundesverwaltungsgericht liegt auch kein Beschwerdevorbringen vor, welches mit der beschwerdeführenden Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre und konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Diesbezüglich wird auf die angeführte Judikatur unter A) verwiesen.
Schlagworte
Gesundheitsschädigung, Kausalität, Kausalzusammenhang,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W261.2212873.1.00Zuletzt aktualisiert am
19.03.2020