Entscheidungsdatum
17.02.2020Index
41/02 StaatsbürgerschaftNorm
StbG §10 Abs1 Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Holl, LL.M. über die Beschwerde des Herrn A. B. (geb.: 1974, StA: Türkei) gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 24.9.2019, Zl. …, betreffend den Antrag vom 20.6.2017 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft
zu Recht:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Bescheid vom 24.9.2019 mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag vom 20.6.2017, eingelangt bei der belangten Behörde am 14.7.2017, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 4 Z 1 StbG abgewiesen wird.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer stellte am 20.6.2017, eingelangt bei der Magistratsabteilung 35 am 14.7.2017, einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 StbG bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Istanbul. Als Hauptwohnsitz gab er eine Adresse in C./Türkei an.
Er berief sich darauf, dass er 1992 die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten habe und aufgrund seines Antrags im Jahr 2012 zur Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit die österreichische Staatsbürgerschaft leider 2015 verloren habe. Im August 2012 sei er in die Türkei gezogen und habe dort eine Baufirma gegründet.
Die belangte Behörde tätigte Behördenabfragen bzgl. allfälliger Vormerkungen des Beschwerdeführers. Es ergaben sich zwei Vormerkungen wegen Abgabenhinterziehung. Weiters ergab sich, dass ein Ermittlungsverfahren wegen §§ 223 Abs. 1, 224 StGB bei der Staatsanwaltschaft D. anhängig war, wo auch der Beschwerdeführer involviert war, sodass das Verfahren gemäß § 38 AVG am 30.11.2017 ausgesetzt wurde.
Im Februar 2019 langten diverse Einkommensunterlagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein.
Die belangte Behörde forderte die entsprechenden Strafakten zu den aufscheinenden Vormerkungen des Beschwerdeführers an. Hieraus ergab sich, dass wegen §§ 223 Abs. 1, 224 StGB am 13.5.2019 ein Strafantrag der Staatsanwaltschaft D. gegen den Beschwerdeführer gelegt wurde. Weiters ergab sich durch die Auskunft des Bezirksgerichts E. vom 12.7.2019, dass gegen den Beschwerdeführer fünf Exekutionsverfahren aus 2012/2013 anhängig sind.
Mit Schreiben vom 7.8.2019 wurde der Beschwerdeführer davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag vom 20.7.2017 aufgrund des anhängigen Strafverfahrens beim Landesgericht D. zur GZ: … gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 StbG abzuweisen.
Mit Schreiben vom 16.9.2019 und vom 23.9.2019 gab der Beschwerdeführer Stellungnahmen ab, wonach er 36 Jahre seines Lebens in Österreich verbracht habe, dort seine Ausbildung gemacht habe, die deutsche Sprache besser beherrsche als die türkische und er sich mehr mit Österreich als mit der Türkei identifiziere. Daher wolle er wieder in Österreich leben. Er ersuche seinen Antrag als „Härtefall“ anzusehen und ihm eine weitere Chance zu geben. In Bezug auf das anhängige Strafverfahren weise er alle Vorwürfe von sich.
Laut Auskunft des Landesgerichts D. vom 24.9.2019 sei die Hauptverhandlung für 8.11.2019 anberaumt worden.
Mit Bescheid vom 24.9.2019, zugestellt am 31.10.2019, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 20.6.2017 gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 iVm Abs. 1 Z 4 StbG ab und begründete dies mit dem anhängigen Strafverfahren wegen §§ 223 Abs. 1, 224 StGB gegen den Beschwerdeführer zur GZ: ….
Mit zwei E-Mails vom 29.10.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er unschuldig sei und legte hierzu Urkunden als Beweismittel vor. Zudem gab er bekannt, dass der Termin für die Hauptverhandlung auf den 13.12.2019 verlegt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 25.11.2019 legte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter rechtzeitig Beschwerde gegen den Bescheid ein. Dabei wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Abweisung nach § 10 Abs. 1 Z 4 StbG zu Unrecht erfolgte. Denn aufgrund des bevorstehenden Termins zur Hauptverhandlung am 8.12.2019 hätte die Behörde mit der Entscheidung zuwarten müssen (mit Verweis auf VwGH 22.8.2006, 2004/01/0591). Zudem sei er zum Tatzeitpunkt im Oktober 2012 bereits in der Türkei gewesen und nicht mehr in Österreich, wodurch er die angelastete Tat nicht begangen haben könne.
Die belangte Behörde erließ keine Beschwerdevorentscheidung und legte den Verfahrensakt samt Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien vor (ha. eingelangt am 10.12.2019).
Mit Schreiben vom 18.12.2019 und vom 7.1.2020 teilte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit, dass dieser durch das Urteil des Landesgerichts D. vom 13.12.2019 zur GZ: … freigesprochen worden sei und legte das Abwesenheitsurteil bei.
Mit E-Mail vom 7.1.2020 wurde durch die belangte Behörde das Abwesenheitsurteil vom 13.12.2019 ebenfalls vorgelegt.
Das Verwaltungsgericht Wien machte eine Abfrage aus dem Zentralen Melderegister, einen Versicherungsdatenauszug, eine Abfrage aus dem Zentralen Fremdenregister und stellte eine Anfrage an das Finanzstrafregister.
Aufgrund der Anfrage des Verwaltungsgerichtes Wien teilte die Bezirkshauptmannschaft E. am 7.2.2020 mit, dass der Erstantrag des Beschwerdeführers vom 15.1.2020 gemäß § 41a Abs. 8 NAG nicht persönlich im Inland gestellt worden sei, sondern durch eine bevollmächtigte Person. Zudem sei er mit Schreiben vom 4.2.2020 über die beabsichtigte Abweisung des Antrags informiert worden.
Mit E-Mail vom 13.2.2020 übermittelte die belangte Behörde ein Schreiben des Beschwerdeführers vom 7.2.2020. Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er am 30.7.2012 aus Österreich ausgereist sei und sich in der Türkei angesiedelt habe. Im Jahr 2015 habe er erfahren, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit verloren habe. Daraufhin habe er einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gestellt. Er sei nun auch vom Landesgericht D. freigesprochen worden, sodass einer Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nichts mehr im Wege stünde. Alle seine vier Kinder würden die österreichische Staatsbürgerschaft haben und drei davon in Österreich leben. Er wolle auch wieder in Österreich leben und hätte eine Zusage für eine Stelle als Bauingenieur bei einer österreichischen Firma zugesagt bekommen. Er ersuche seinen Fall als „Härtefall“ zu betrachten und ihm die Möglichkeit zu geben, wieder mit seiner Familie gemeinsam in Österreich zu leben.
II. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (geb. 1974 in F./Türkei, türkischer Staatsangehöriger) hat am 20.6.2017 bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Istanbul, eingelangt bei der belangten Behörde am 14.7.2017, einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 StbG gestellt.
Der Beschwerdeführer hatte von 20.11.1991 (Verleihung gemäß § 10 Abs. 1 StbG durch die oberösterreichische Landesregierung) bis 24.5.2012 die österreichische Staatsbürgschaft inne. Er verlor die österreichische Staatsbürgerschaft durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gemäß § 27 Abs. 1 StbG.
Der Beschwerdeführer ist seit 1993 mit Fr. G. B. verheiratet und hat vier Kinder, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Er hat in Österreich seine Ausbildung incl. Matura gemacht und bis Juli 2012 im Bundesgebiet gelebt bzw. gearbeitet. Er war Gesellschafter der H. GesmbH, die wegen eines Konkurs 2002 aufgelöst wurde. Er war auch handelsrechtlicher Geschäftsführer und Gesellschafter der K. GmbH, die wegen eines Konkurs 2007 aufgelöst wurde. Weiters war er auch Gesellschafter der L. GmbH, die wegen eines Konkurs 2017 ebenfalls aufgelöst wurde. Zudem war der Beschwerdeführer gewerberechtlicher Geschäftsführer bei sieben Gewerbeinhabern (darunter auch bei seiner Ehegattin) und selbst 1998 Gewerbeinhaber eines Übersetzungsbüros.
Seit August 2012 lebt und hält sich der Beschwerdeführer in der Türkei auf, möchte aber nun wieder nach Österreich zurückkehren. Der im Ausland aufhältige Beschwerdeführer ist derzeit nicht zur Einreise in das oder zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.
Der Beschwerdeführer wurde mit Abwesenheitsurteil des Landesgerichts D. vom 13.12.2019 vom Vorwurf nach §§ 223 Abs. 1, 224 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Der Beschwerdeführer hat sich im Oktober 2012 bereits in der Türkei aufgehalten, sodass die angelastete Tat nicht von ihm begangen werden konnte.
Der Beschwerdeführer hat zwei rechtskräftige, ungetilgte Vormerkungen wegen einer Abgabenhinterziehung a) gemäß § 33 Abs. 2 lit. b FinStrG und b) wegen § 33 Abs. 1 FinStrG:
a) Er ist als der die steuerliche Belange der K. GmbH Wahrnehmende schuldig erkannt worden, vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des Einkommenssteuergesetzes entsprechenden Lohnkonten für das Jahr 2004 eine Verkürzung von Lohnsteuer iHv 2.655,30 und von Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe iHv 398,30, dadurch, dass er ausbezahlte Km-Gelder nicht den gesetzlichen Abgaben unterworfen hat, bewirkt zu haben und dies nicht nur für möglich sondern für gewiss gehalten zu haben. Es wurde über ihn eine Geldstrafe von 900,- Euro (6 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) sowie Kosten von 90,- Euro verhängt.
b) Er ist als Wahrnehmender der steuerlichen Agenden der Ehegattin schuldig erkannt worden, vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegung- und Wahrheitspflicht, nämlich der Abgabe von wahrheitsgemäßen Umsatzsteuer- und Einkommenssteuererklärungen für die Jahre 2009 und 2010 eine Verkürzung an Umsatzsteuer iHv 6.370,- und an Einkommenssteuer iHv 17.920,56 Euro dadurch bewirkt zu haben, dass er erwirtschaftete Umsätze und Gewinne dem Finanzamt gegenüber nicht offen gelegt hat. Es wurde über ihn eine Geldstrafe von 6.600,- Euro (28 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) sowie Kosten von 500,- verhängt.
Diese Geldstrafe wurde bis dato nicht vom Beschwerdeführer entrichtet und für das Finanzamt ist der Beschwerdeführer mangels aufrechter Adresse im Bundesgebiet nicht greifbar gewesen.
Gegen den Beschwerdeführer sind fünf Exekutionsverfahren beim Bezirksgericht E. anhängig und er hat zwei offene Forderungen iHv 358,88 Euro und iHv 865,98 Euro.
III. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zur Antragstellung, zur österreichischen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers bzw. zu deren Verlust, zum Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit sowie zu den persönlichen Daten des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Behördenakt, insbesondere aus dem Auszug aus dem Zentralen Staatsbürgerschaftsregister, dem türkischen Personenstands- und Melderegisterauszug, der vorgelegten Geburts- und Heiratsurkunde und dem Reifeprüfungszeugnis der Höheren Lehranstalt für Bautechnik (Tiefbau) in M.. Der Beschwerdeführer gibt auch selbst zu, dass er im Jahr 2012 um die türkische Staatsangehörigkeit wieder angesucht habe, da er eine Baufirma in der Türkei gegründet habe und mit dem Besitzt der türkischen Staatsangehörigkeit einiges einfacher gewesen sei.
Aus den Auszügen aus dem Firmenbuch und den Auszügen des Gewerbeinformationssystems sind die gesellschaftsrechtlichen bzw. gewerberechtlichen Funktionen des Beschwerdeführers ersichtlich.
Dass der Beschwerdeführer seit August 2012 in der Türkei lebt und dorthin verzogen ist, ergibt sich eindeutig und unzweifelhaft aus dem Antragsformular, seinem Lebenslauf, dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister, dem Versicherungsdatenauszug, den vorgelegten türkischen Meldebestätigungen sowie seinen eigenen Angaben vom 23.2.2019, vom 26.2.2019, vom 16.9.2019, vom 23.9.2019 und vom 7.2.2020.
Auch der Umstand, dass der Bescheid über die österreichische Vertretungsbehörde in Istanbul zugestellt wurde, das Urteil des Landesgerichts D. in Abwesenheit des Beschwerdeführers erging und dieser im Ermittlungsverfahren wegen §§ 223 Abs. 1, 224 StGB laut Strafakt zur GZ: … durch die türkischen Behörden einvernommen wurde, zeigt, dass der Beschwerdeführer in der Türkei aufhältig war bzw. ist.
Aus dem Zentralen Fremdenregister geht hervor, dass der Beschwerdeführer weder ein Visum noch einen Aufenthaltstitel für Österreich hat. Laut Auskunft der Bezirkshauptmannschaft E. vom 7.2.2020 wurde der Erstantrag des Beschwerdeführers vom 15.1.2020 gemäß § 41a Abs. 8 NAG nicht persönlich von ihm im Inland gestellt.
Der Freispruch wegen §§ 223 Abs. 1, 224 StGB ergibt sich aus dem Abwesenheitsurteil des Landesgerichts D. vom 13.12.2019 zur GZ: …. Die zwei Zeugen Hr. A. N. und Hr. P. R. bestätigten nunmehr vor dem Landesgericht, dass nicht der Beschwerdeführer, sondern dessen Cousin Hr. S. B. die angelastete Tat begangen habe. Zur Tatzeit im Oktober 2012 ist der Beschwerdeführer bereits in der Türkei aufhältig gewesen, wie sich auch aus den von ihm vorgelegten Ein- und Ausreisezeiten des Gouverneursamt Istanbul vom 21.10.2019 ergibt.
Die Vormerkungen nach dem FinStrG ergeben sich aus dem Auszug des Finanzstrafregisters vom 10.2.2020 in Zusammenhalt mit den Strafverfügungen vom 21.6.2007 zur GZ: … und vom 22.2.2012 zur GZ: … sowie der Auskunft des Finanzamtes E. vom 22.7.2019.
Die Exekutionsverfahren gegen den Beschwerdeführer ergeben sich aus der Auskunft des Bezirksgerichts E. vom 12.7.2019 …. Die offenen Verbindlichkeiten sind aus dem Auszug des CRIF vom 31.1.2019 ersichtlich.
IV. Rechtsvorschriften
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 –StbG), BGBl. Nr. 311/1985 (WV) idgF., lauten auszugsweise:
„Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn
1. er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;
2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;
3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist;
4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;
5. durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft die internationalen Beziehungen der Republik Österreich nicht wesentlich beeinträchtigt werden;
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;
7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und
8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde.
(…)
(2) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden nicht verliehen werden, wenn
1. bestimmte Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 Z 2, 3, 5, 8, 9 und Abs. 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, vorliegen; § 53 Abs. 5 FPG gilt;
2. er mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung mit besonderem Unrechtsgehalt, insbesondere wegen § 99 Abs. 1 bis 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, wegen § 37 Abs. 3 oder 4 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, § 366 Abs. 1 Z 1 i.V.m. Abs. 2 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, wegen §§ 81 bis 83 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl. Nr. 566/1991, oder wegen einer schwerwiegenden Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005, des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG), BGBl. Nr. 435/1996, oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, rechtskräftig bestraft worden ist; § 55 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG), BGBl. Nr. 52/1991, gilt;
(…)
(4) Von der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1, dem Verleihungshindernis nach Abs. 2 Z 2 sowie in den Fällen der Z 2 auch des Abs. 3 ist abzusehen.
1. bei einem Fremden mit Aufenthalt im Bundesgebiet, der durch mindestens zehn Jahre die Staatsbürgerschaft ununterbrochen besessen und diese auf andere Weise als durch Entziehung (§§ 32 bis 34) verloren hat; (…)
§ 10a. (1) Voraussetzung jeglicher Verleihung der Staatsbürgerschaft ist weiters der Nachweis
1. über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, und
2. von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung und die sich daraus ableitbaren Grundprinzipien sowie der Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes.
(2) Ausgenommen von den Nachweisen nach Abs. 1 sind:
1. Fälle der §§ 10 Abs. 4 und 6, 11a Abs. 2, 13, 57, 58c sowie 59; (…)“
V. Rechtliche Beurteilung
Zunächst wird festgehalten, dass die Wiener Landesregierung hier ihre Zuständigkeit nach § 39 Abs. 2 StbG iVm § 49 Abs. 2 lit. c StbG wahrgenommen hat.
Zum Abweisungsgrund des Bescheids nach § 10 Abs. 1 Z 4 StbG ist auszuführen, dass dieses Erteilungshindernis nicht vorliegt. Denn mit Abwesenheitsurteil des Landesgerichts D. vom 13.12.2019 zur GZ: … wurde der Beschwerdeführer gemäß § 259 Z 3 StPO wegen des Verdachts nach §§ 223 Abs. 1, 224 StGB (Tatzeit Oktober 2012) freigesprochen. Mit dem Freispruch ist dieses Verleihungshindernis weggefallen (vgl. VwGH 22.8.2006, 2004/01/0591 mit Verweis auf die EB zur RV 1283 BlgNR 20.GP 7, wonach die Behörde – wenn absehbar ist, dass das Verfahren einem Ende zugeführt wird – mit ihrer Entscheidung zuzuwarten hat, z.B. wenn die Hauptverhandlung in absehbarer Zeit durchgeführt wird).
Der Beschwerdeführer beruft sich in seinem Antrag vom 20.6.2017 auf § 10 Abs. 4 Z 1 StbG, wonach von der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1, dem Verleihungshindernis nach Abs. 2 Z 2 sowie in den Fällen der Z 2 auch des Abs. 3 bei einem Fremden mit Aufenthalt im Bundesgebiet, der durch mindestens zehn Jahre die Staatsbürgerschaft ununterbrochen besessen und diese auf andere Weise als durch Entziehung (§§ 32 bis 34) verloren hat, abzusehen ist.
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1189 BlgNR 22.GP 6) führen zu dem mit dem BGBl I Nr. 37/2006 eingeführten § 10 Abs. 4 Z 1 StbG (seit 23.3.2006 in Kraft) Folgendes aus (Hervorhebung durch das Verwaltungsgericht Wien):
„Z 1 soll Fremden, die mindestens zehn Jahre Österreicher waren und die Staatsbürgerschaft nicht durch Entziehung verloren haben, die Wiedereingliederung in den Staatsverband erleichtern, indem auf das bisherige Erfordernis einer Wartefrist von einem Jahr verzichtet wird. Um Auslandsverfahren zu vermeiden, wird auf den Aufenthalt in Österreich abgestellt. Ansonsten entspricht die vorgeschlagene Norm dem bisherigen § 12 Z 2.“
Durch das BGBl I Nr. 37/2006 ist zwar das bisherige Erfordernis eines mindestens einjährigen ununterbrochen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet (§ 12 Z 2 StbG idF BGBl. I Nr. 124/1998) weggefallen; dieses wurde jedoch durch das Erfordernis eines Aufenthalts in Österreich ersetzt. Ein Aufenthalt stellt zumindest eine tatsächliche physische Anwesenheit des Fremden im Bundesgebiet, die über einen punktuellen Zeitpunkt hinausgeht, voraus. Eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ist – anders als nach § 10 Abs. 1 Z 1 StbG – aber keine Voraussetzung.
Die Erläuterungen sprechen dafür, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet bereits zum Antragszeitpunkt vorliegen muss, zumal auch die persönliche Antragstellung bei der Behörde gemäß § 19 Abs. 1 StbG zu erfolgen hat (in diese Richtung auch Plunger in Plunger/Esztegar/Eberwein Staatsbürgerschaftsgesetz § 10 Abs. 4 Rz 37). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien entspricht es jedenfalls nicht den Erläuterungen und dem telos des § 10 Abs. 4 Z 1 StbG, wenn der Fremde erst kurz vor (positiver) Beendigung des Verfahrens ins Bundesgebiet einreisen würde.
Im gegenständlichen Fall steht zweifelsfrei fest, dass der Beschwerdeführer mit August 2012 in die Türkei zurückgekehrt ist und sich seither dort aufhält. Daher hat er sich weder im Antragszeitpunkt noch im Entscheidungszeitpunkt im Bundesgebiet aufgehalten, sodass die Voraussetzung gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 StbG keinesfalls erfüllt ist.
Die Prüfung weiterer Erteilungsvoraussetzungen ist sohin nicht mehr erforderlich (insb. § 10 Abs. 1 Z 6 und Z 7 StbG).
Es wird bemerkt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das zum Überraschungsverbot in Beziehung gesetzte Parteiengehör sich nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht aber auf die von der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht vorzunehmende rechtliche Beurteilung erstreckt (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0141, VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0421 mwN). Die Würdigung der von der Partei selbst stammenden Beweismittel bzw. ihres Vorbringens - wie fallbezogen ihr Aufenthalt in der Türkei - und die darauf gestützte rechtliche Beurteilung muss dieser Partei nicht vor der Erlassung des Erkenntnisses zur Kenntnis gebracht werden (vgl. VwGH 9.2.2018, Ra 2017/20/0426 mwN).
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht - ungeachtet eines Parteiantrags - von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und dem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK noch Art 47 GRC entgegenstehen.
Im gegenständlichen Fall konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da unstrittig feststeht, dass sich der Beschwerdeführer seit August 2012 in der Türkei aufhält bzw. lebt und dies eindeutig dem Gesetzeswortlaut des § 10 Abs. 4 Z 1 StbG nicht entspricht. Der Entfall der Verhandlung steht auch weder Art 6 EMRK noch Art 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 26.4.2016, Ra 2016/03/0038, VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0007 mwN; VwGH 10.8.2018, Ra 2018/01/0347 und VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0091, wonach Verfahren in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK bzw. Art 47 GRC fallen).
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Rechtlage des § 10 Abs. 4 Z 1 StbG („Fremden mit Aufenthalt im Bundesgebiet“) liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung - ungeachtet, dass dazu Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt – nicht vor, da im gegenständlichen Fall der Beschwerdeführer weder im Antragszeitpunkt noch im Entscheidungszeitpunkt einen Aufenthalt im Bundesgebiet vorweisen kann (u.a. VwGH 3.7.2015, Ra 2015/03/0041, VwGH 27.8.2014, Ra 2014/05/0007).
Schlagworte
Verleihungshindernis; Wegfall des Verleihungshindernisses; Freispruch; ununterbrochener Aufenthalt; Aufenthalt im Bundesgebiet zum AntragszeitpunktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.152.062.15827.2019Zuletzt aktualisiert am
18.03.2020