Entscheidungsdatum
03.12.2019Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 139 Abs1 Z1Text
Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seine Richter Mag. Dr. Kienast als Vorsitzenden, Mag. Chmielewski als Berichter und Mag. Hornschall als Beisitzerin sowie die Laienrichter Mag. Hassfurther und Herrn Obermüller nach Vorlageantrag der Frau A. B. aufgrund der Beschwerdevorentscheidung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 2, Personalservice, vom 15. Mai 2018, Zl. ..., über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 19. Februar 2019, Zl. ..., den
B e s c h l u s s:
Gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 iVm Art. 89 Abs. 2 iVm Art 135 Abs. 4 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der
ANTRAG
gestellt,
er möge
1. die Zeichenfolge "14," in der Inkrafttretensanordnung des Art. II Z 1 des Beschlusses des Stadtsenates vom 12. Dezember 2017, Pr.Z. 03755-2017/0001-GIF (Änderung des Nebengebührenkataloges 2017 für die Bediensteten der Stadt Wien), Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 51 vom 21.12.2017 als gesetzwidrig aufheben;
2. in eventu
aussprechen, dass die Zeichenfolge "14," in der Inkrafttretensanordnung des Art. II Z 1 des Beschlusses des Stadtsenates vom 12. Dezember 2017, Pr.Z. 03755-2017/0001-GIF (Änderung des Nebengebührenkataloges 2017 für die Bediensteten der Stadt Wien), Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 51 vom 21.12.2017 gesetzwidrig war.
BEGRÜNDUNG
I. Anlassfall:
1. Die Beschwerdeführerin steht seit 24. Februar 1983 in einem Dienstverhältnis zur Stadt Wien und wurde mit Wirksamkeit vom 1. August 1984 der Dienstordnung (damals) 1966 als Sozialarbeiterin unterstellt; sie ist seit 1. Juli 2004 im Fonds Soziales Wien als Sozialarbeiterin beschäftigt.
Sie bezog jahrelang die im – vom Stadtsenat der Stadt Wien beschlossenen – Nebengebührenkatalog zur Kennzahl 831901 für Sozialarbeiterinnen vorgesehene Zulage „Tagesgeld“ zur Kennzahl 8319.
Da die Auszahlung dieser Zulage mit April 2017 geendet hatte und das ihr in den ersten vier Monaten des Jahres 2017 ausbezahlte Tagesgeld sogar als Übergenuss einbehalten worden war, beantragte die Beschwerdeführerin am 4. September 2017 die Feststellung, dass ihr die Zulage „Tagessgeld“ (Kz. 8319) ab Jänner 2017 weiterhin gebührt.
2. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 2, vom 19. Februar 2018 wurde aufgrund des Antrags der Beschwerdeführerin vom 4. September 2017 festgestellt, dass ihr die zuletzt gemäß Punkt 22.) der Beilage A – II/IV/Allg. des Beschlusses des Stadtsenates vom 28. März 2017, Pr.Z. 00804-2017/0001-GIF (Nebengebührenkatalog 2017) in der Fassung des Beschlusses des Stadtsenates vom 17. Oktober 2017, Pr.Z. 03211-2017/0001-GIF vorgesehene Zulage (Tagesgeld) im Hinblick auf den Beschluss des Stadtsenates vom 12. Dezember 2017, Pr.Z. 03755-2017/0001-GIF, mit dem die Zulage „Tagesgeld“ (rückwirkend) mit 1. Jänner 2017 wegfällt, mit Ablauf des 31. Dezember 2017 (Anm. richtig 2016) nicht mehr gebührt.
3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch Ihren rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 15. März 2018 Beschwerde. In der Beschwerde monierte die Beschwerdeführerin insbesondere, dass es sich beim Tagesgeld um ein wohl erworbenes Recht handle und sie "ohne Wenn und Aber" bis zur tatsächlichen Kundmachung (21. Dezember 2017) des Beschlusses des Stadtsenates vom 12. Dezember 2017 Anspruch auf diese Nebengebühr habe.
4. Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 2, Personalservice, erließ eine Beschwerdevorentscheidung vom 15. Mai 2018, ..., deren Spruch wie folgt lautet:
"1. Ihre Beschwerde vom 14. März 2018 gegen den Bescheid der Magistratsabteilung 2 – Personalservice vom 19. Februar 2018, Zl. ..., wird gemäß § 14 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 in der geltenden Fassung, abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruch wie folgt zu lauten hat: 'Auf Grund Ihres Antrages vom 4. September 2017 wird festgestellt, dass Ihnen die zuletzt gemäß Punkt 22.) der Beilage A – II/IV/Allg. des Beschlusses des Stadtsenates vom 28. März 2017, Pr.Z. 00804-2017/0001-GIF (Nebengebührenkatalog 2017) in der Fassung des Beschlusses des Stadtsenates vom 17. Oktober 2017, Pr.Z. 03211-2017/0001-GIF vorgesehene Zulage (Tagesgeld) im Hinblick auf den Beschluss des Stadtsenates vom 12. Dezember 2017, Pr.Z. 03755-2017/0001-GIF mit Ablauf des 31. Dezember 2016 nicht mehr gebührt.'
2. Gemäß § 9 Abs. 1 der Besoldungsordnung 1994 (BO 1994), LGBl. für Wien Nr. 55 in der geltenden Fassung, wird festgestellt, dass Ihnen die zuletzt gemäß Punkt 22.) der Beilage A – II/IV/Allg. des Beschlusses des Stadtsenates vom 28. März 2017, Pr.Z. 00804-2017/0001-GIF (Nebengebührenkatalog 2017) in der Fassung des Beschlusses des Stadtsenates vom 17. Oktober 2017, Pr.Z. 03211-2017/0001-GIF vorgesehene Zulage (Tagesgeld) für den Zeitraum 1. Jänner 2017 bis 28. Februar 2017 aufgrund Empfangenes in gutem Glauben gebührt."
5. Aufgrund dieser Beschwerdevorentscheidung stellte die Beschwerdeführerin rechtzeitig einen Vorlageantrag mit dem Ersuchen, die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vorzulegen.
II. Rechtslage:
1. Die wesentlichen Bestimmungen des Gesetzes über das Besoldungsrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (BO 1994) lauten wie folgt:
"Nebengebühren
§ 33. (1) Neben den Monatsbezügen (§ 3) und den Naturalbezügen (§ 12) können dem Beamten Nebengebühren und einmalige Belohnungen (§ 39) gewährt werden.
(2) Nebengebühren sind:
1.
Gebühren aus Anlaß von Dienstverrichtungen außerhalb der Dienststelle, Dienstzuteilungen und Versetzungen (§ 34);
2.
Entschädigungen für einen sonstigen in Ausübung des Dienstes erwachsenden Mehraufwand (Aufwandentschädigung) (§ 35);
3.
Mehrdienstleistungsvergütungen (§ 36);
4.
Sonderzulagen (§ 37);
5.
Leistungszulagen (§ 37a).
(3) Die Nebengebühren und die einmaligen Belohnungen gemäß § 39 Abs. 2 werden vom Stadtsenat festgesetzt."
"Verordnungserlassung
§ 42a. (1) Verordnungen auf Grund dieses Gesetzes in seiner jeweils geltenden Fassung dürfen bereits von dem Tag an erlassen werden, der der Kundmachung der durchzuführenden Gesetzesbestimmung folgt; sie dürfen jedoch nicht vor den durchzuführenden Gesetzesbestimmungen in Kraft treten.
(2) Sofern eine Verordnung auf Grund dieses Gesetzes für den Beamten begünstigende Vorschriften enthält, kann die Verordnung im Umfang dieser Vorschriften auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden.
(3) Anlagen zu Verordnungen auf Grund dieses Gesetzes können – soweit es sich nicht um Verordnungen der Landesregierung handelt – in der Weise kundgemacht werden, dass sie bei der nach der Geschäftseinteilung für den Magistrat der Stadt Wien für die Ausarbeitung der Verordnung zuständigen Dienststelle zur Einsichtnahme aufliegen. In der Kundmachung des sonstigen Teiles der Verordnung im offiziellen Publikationsorgan der Gemeinde Wien ist auf diese Dienststelle hinzuweisen. Die Kundmachung der Anlagen kann durch andere zweckentsprechende Maßnahmen ergänzt werden."
2. In Punkt 22.) der Beilage A– II/IV/Allg. des Beschlusses des Stadtsenates vom 28. März 2017, Pr.Z. 00804-2017/0001-GIF (Nebengebührenkatalog 2017) in der Fassung des Beschlusses des Stadtsenates vom 17. Oktober 2017, Pr.Z. 03211-2017/0001-GIF, war folgendes normiert:
Zulage
für Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen der MA 10, MA 11, MA 15, MA 40, im Bereich des KAV, für Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen die dem Fonds Soziales Wien zugewiesen sind, für einen Sozialarbeiter/eine Sozialarbeiterin der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft und für Bedienstete der MA 57, die im Rahmen des „24 Stunden Frauen Notrufes“ Dienst versehen
monatlich Kz. 831901 37,87 EUR
Tagesgeld
3. Der Beschluss des Stadtsenates vom 12. Dezember 2017, Pr.Z. 03755-2017/0001-GIF, lautete auszugsweise:
"Artikel I
Der Beschluss des Stadtsenates vom 28. März 2017, Pr.Z. 00804-2017/0001-GIF, ABl. Nr. 14, zuletzt geändert durch den Beschluss des Stadtsenates vom 17. Oktober 2017, Pr.Z. 03211-2017/0001-GIF, ABl. Nr. 43, wird wie folgt geändert:
[…]
14. In der Beilage A-II/IV/ALLG. entfällt Punkt 22.
[…]"
"Artikel II
Es treten in Kraft:
1. Artikel I Z […] 14, […] mit 1. Jänner 2017.
[…]"
III. Zur Zulässigkeit des Antrags:
1. Das Verwaltungsgericht Wien hat die angefochtene Verordnungsbestimmung bei seiner Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden und ist diese sohin für das gegenständliche Verfahren präjudiziell. Da die in Artikel II unter Z 1 genannte Z "14," vom restlichen Teil der Bestimmung und von den übrigen Bestimmungen der Verordnung trennbar ist, wird nur dieser Teil der Verordnung angefochten.
2. Die Anfechtung der Novellierungsanordnung ist hier zulässig, weil die Gesetzwidrigkeit anders nicht beseitigt werden kann. Punkt 22. des Nebengebührenkataloges für die Bediensteten der Stadt Wien wurde durch diese Novellierung rückwirkend aufgehoben. Gegen diese rückwirkende Aufhebung bestehen Bedenken. Da sich die normative Wirkung der Novellierungsanordnung mit Inkrafttreten der Änderung erschöpft, würde eine Anfechtung aufgrund der (bereits erfolgten) Aufhebung ins Leere gehen (VfGH 5. Oktober 2011, G 26/10,).
3. Der Eventualantrag wird für den Fall gestellt, dass der Verfassungsgerichtshof zur Auffassung gelangen sollte, dass der angefochtene Teil der Verordnung bereits außer Kraft getreten ist.
4. Sollte der Verfassungsgerichtshof die angefochtene Zeichenfolge antragsgemäß aufheben bzw. aussprechen, dass diese gesetzwidrig war, hätte das Verwaltungsgericht Wien die Entscheidung des Magistrates der Stadt Wien, dahingehend zu ändern, dass der Beschwerdeführerin die Nebengebühr (Tagesgeld) bis inklusive 21. Dezember 2017 gebührt. Daher ist die Verordnung vom Verwaltungsgericht Wien in der anhängigen Sache unmittelbar anzuwenden und die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Zeichenfolge im Sinne des § 57 Abs. 2 VfGG eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Verwaltungsgericht Wien anhängigen Rechtssache.
IV. Bedenken:
1. Das Verwaltungsgericht Wien hegt das Bedenken, dass sich die rückwirkende Aufhebung der Bestimmung über die Gewährung von Tagesgeld (Punkt 22 der Beilage A – II/IV/Allg.) auf keine gesetzliche Grundlage stützen kann: Bezugnehmend auf VfSlg 18037/2006 führt nämlich Raschauer aus, dass Rückwirkungen bei Verordnungen zwar zulässig sind, jedoch muss der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit ausdrücklich vorsehen (Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5, Rz 799). Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach das Bestehen einer gesetzlichen Grundlage als Voraussetzung für die Zulässigkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung einer Verordnung(sbestimmung) bestätigt (siehe dazu etwa VfGH 12.10.2017, V 1/2017; 12.12.2016, V 57/2016; 2.3.2016, V 82/05).
2. Die vom Stadtsenat auf Grundlage des § 33 Abs. 3 BO 1994 festgesetzten Nebengebühren sind gemäß § 42a BO 1994 mit Verordnung zu erlassen. Gemäß § 42a Abs. 2 BO 1994 kann eine Verordnung auf Grund dieses Gesetzes auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden, sofern sie für den Beamten begünstigende Vorschriften enthält. Damit ist die Möglichkeit der Rückwirkung ausdrücklich auf ausschließlich den Beamten begünstigende Vorschriften beschränkt.
3. Die für die Beschwerdeführerin ersatzlose Streichung der im Beschwerdeverfahren strittigen Auszahlung der Nebengebühr (Tagesgeld, Kz. 831901 im Nebengebührenkatalog 2017 für die Bediensteten der Stadt Wien) stellt offenkundig keine begünstigende Vorschrift dar, weshalb die im Anlassfall präjudizielle Erlassung der genannten rückwirkenden Verordnungsbestimmung gegen § 42a Abs. 2 BO 1994 verstößt.
Schlagworte
Normprüfungsantrag; Verordnungsprüfung; Nebengebühren; Nebengebührenkatalog; Verordnung; Zulage; Rückwirkung; BegünstigungAnmerkung
VfGH v. 28.2.2020, V 3/2020; ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.171.090.7341.2018.3Zuletzt aktualisiert am
13.03.2020