TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/30 W156 2199851-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2019
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Entscheidungsdatum

30.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W156 2199851-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Alexandra KREBITZ über die Beschwerde des A XXXX J XXXX N XXXX , geboren XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Oberösterreich vom 09.05.2018, Zl.: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.08.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 30.10.2015 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, dass er als Lehrer Englischkurse abgehalten habe und die Taliban ihn bedroht hätten.

Am 20.04.2018 wurde der Beschwerdeführer von einem Organwalter des BFA einvernommen. Er gab zusammengefasst dieselben Fluchtgründe an, wie in der Erstbefragung. Zudem gab er an, dass er privat von einem Mann namens Sadat bedroht worden sei. Probleme mit der Polizei oder Behörden brachte er nicht vor, ebenso keine Verfolgung wegen seiner Religion, Rasse, Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit.

2. Mit Bescheid des BFA vom 09.05.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (II.) und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (V.), die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage betrage (VI.).

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Tätigkeit als Englischlehrer in ganz Afghanistan gefährdet, seine Parteizugehörigkeit zur Hezb-e Jonbesh habe diese Feindseligkeit noch verstärkt.

4. Am 29.08.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

Ins Verfahren eingebracht wurden folgende Erkenntnisquellen:

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LIB Afghanistan, letzte Kurzinformation 04.06.2019

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UNHCR Richtlinie 30.08.2018

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EASO Country Guidance Afghanistan 20.06.2018

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, führt den im Spruch genannten Namen, ist Usbeke und sunnitischer Moslem. Er ist in Afghanistan geboren und wuchs in der Provinz Faryab auf. Der Beschwerdeführer besuchte 12 Jahre lang eine Schule und absolvierte eine Matura. Er war als Englischlehrer tätig. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. In Afghanistan hatte der Beschwerdeführer keine Probleme mit staatlichen Behörden oder der Polizei. Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohenden Erkrankung. Im Bundesgebiet leben keine Angehörigen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer ist nach eigenen Angaben verheiratet.

Er hat Deutschkurse besucht und kann sich auf Deutsch verständigen. Der Beschwerdeführer verrichtet gemeinnützige Tätigkeiten. In seiner Freizeit macht er Fitnesstraining, er hat ein paar österreichische Freunde. Der Beschwerdeführer verfügt über Grundkenntnisse der österreichischen Geschichte, Kultur und Politik. Eine strafrechtliche Verurteilung ist im Strafregister zum Entscheidungszeitpunkt nicht evident.

Entfernter Verwandte des Beschwerdeführers sind nach seinen Angaben weiterhin im Herkunftsdorf aufhältig. Zu seiner engeren Familie - die nicht mehr im Heimatdorf lebt- (Vater, Mutter, Gattin) hat er nach eigenen Angaben dzt keinen Kontakt.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte landesweite Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Englischlehrer konnte nicht festgestellt werden. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aktiv einer politischen Partei angehört hat und ihm deshalb Verfolgung drohen würde.

1.3. Zu einer Rückkehr in sein Herkunftsland:

Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Er leidet an keiner lebensbedrohenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.

1.4. Zum Herkunftsland:

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt, die Stadt, in der Verwandte des mj. BF leben. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt.

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. In den letzten Jahren kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich.

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Die Provinz Kabul zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

Laut der aktuellen UNHCR Richtlinie vom 30.08.2019 ist aufgrund der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar.

Provinz Balkh

Hingegen handelt es sich bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar-e Sharif, laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

Provinz Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken.

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat.

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.

Anhänger des IS haben sich im Jahr 2017 in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden.

ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017-15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.

Bei der Provinz Herat (mit Ausnahme der Stadt Herat) handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

Provinz Faryab

Faryab ist eine Provinz im Norden Afghanistans und teilt sich ihre nördliche Grenze mit Turkmenistan. Die Provinz grenzt im Südosten an Sar-e Pul, im Nordosten an Jawzjan, im Süden an die Provinz Ghor und im Westen an die Provinz Badghis. Die Hauptstadt ist Maimana/Maymana City. Faryab hat folgende Distrikte: Pashtun Kot/Pashtunkot, Almar, Qaysar, Khawaja Sahib Posh/Khwajasabzposh, ShirinTagab/Shirintagab, Dawlat Abad/Dawlatabad, Bilchiragh/Bilcheragh, Gorzaiwan/Garziwan, Kohistan/Kohestan (Pajwhok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014), Khan-e-Char Bagh, Maimana/Maymana, Qaramqol, Qorghan, Andkhoy (UN OCHA 4.2014) und seit dem Jahr 2017 auch Ghormach (UNODC 11.2017; vgl. AAN 12.3.2018). Die Mehrheit der Bevölkerung besteht aus Uzbeken (AAN 12.3.2018). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.032.765 geschätzt (CSO 4.2017).

Faryab zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion (UNODC 11.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Faryab spielt für Aufständische eine wichtige Rolle, da sie durch diese Provinz Zugang zu anderen Provinzen in Nordafghanistan erhalten (Pajhwok 14.1.2018). Gemäß Khaama Press zählte Faryab im März 2018 zu den relativ volatilen Provinzen in den nördlichen Regionen des Landes, in der bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen in einer Anzahl von Distrikten aktiv waren (Khaama Press 7.3.2018; vgl. Khaama Press 25.1.2018, Khaama Press 13.1.2018, Khaama Press 26.7.2017).

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018). In Faryab waren die sicherheitsrelevanten Vorfälle signifikanter als in anderen Provinzen. So gelten 3,16% der Bevölkerung Faryabs als Binnenvertriebene (SIGAR 30.1.2018). Auch zählt Faryab zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam (UNAMA 2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 159 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 639 zivile Opfer in der Provinz Faryab (182 getötete Zivilisten und 457 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 7% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Faryab

Kämpfe zwischen den Taliban und Regierungsstreitkräften fanden im Februar und März 2018 in Bilchiragh (Xinhua 10.5.2018) Shirintagab (Xinhua 7.3.2018), Khwajasabzposh, Dawlatabad, Qorghan, Qaysar (Tolonews 15.2.2018) und auf der Maimana-Andkhoi-Route statt (AAN 12.3.2018). In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Tolonews 9.5.2018; vgl. Tolonews 15.3.2018, Xinhua 14.3.2018, Xinhua 7.3.2018, Khaama Press 3.3.2018, Tolonews 15.2.2018, Khaama Press 4.2.2018, Khaama Press 26.7.2017); unter anderem in Form von Luftangriffen (AAN 13.3.2018; vgl. Khaama Press 13.1.2018, Pajhwok 11.1.2018, Khaama Press 4.1.2018, Khaama Press 30.12.2017). Talibanaufständische werden dabei getötet (Xinhua 15.3.2018; vgl. Xinhua 14.3.2018, Khaama Press 7.3.2018; vgl. Khaama Press 13.1.2018, Khaama Press 4.1.2018, Khaama Press 30.12.2017), in manchen Fällen sogar ihre Anführer (Khaama Press 7.3.2018; vgl. Khaama Press 4.2.2018, ST 1.2.2018) und Kommandanten des IS (AAN 15.5.2018). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban (AAN 12.3.2018; vgl. Xinhua 7.3.2018, RFE/RL 6.3.2017); dabei wurden Taliban-Kämpfer getötet (Pajhwok 11.1.2018, Pajhwok 3.2.2017) - in manchen Fällen auch ihre Anführer (Khaama Press 25.1.2018). Hinkünftig sollen 300 amerikanische Soldaten in der Provinz stationiert werden, um den nationalen Regierungsstreitkräften beizustehen (NYT 12.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Faryab

Die Taliban sind in Teilen der Provinz Faryab aktiv (Xinhua 7.3.2018); und zwar in den Distrikthauptstädten und in der Umgebung dieser Städte gelegenen Dörfern der Distrikte Shirintagab, Khwajasabzposh, Dawlatabad, Pashtunkot, Almar, Qaysar, Bilcheragh, Kohestan und Garziwan. Mit Stand März 2018 war der in den letzten Jahren umkämpfte Distrikt Ghormach seit Oktober 2017 unter voller Kontrolle der Taliban (AAN 12.3.2018; vgl. Khaama 13.8.2017). Die übriggebliebenen Distrikte Andkhoy, Khan-e Char Bagh, Qurghan und Qaramqol werden als relativ ruhig eingeschätzt; Talibankämpfer sind hier in abgelegenen Gebieten aktiv, während die Provinzhauptstadt umkämpft ist (AAN 12.3.2018). Die höchste Anzahl an Talibankämpfern befindet sich im Distrikt Pashtunkot, wo sich ein hydroelektrischer Staudamm befindet, der u.a. die Hauptstadt Maymana mit Trinkwasser versorgt (AAN 12.3.2018; vgl. Tolonews 19.2.2018).

Im November 2017 wurde vom afghanischen Geheimdienst die Vermutung geäußert, der Islamische Staat wäre in neun Provinzen, unter anderem Faryab, aktiv (Reuters 23.10.2017; vgl. WT 28.11.2017). So behauptete der IS im April 2017, Anhänger in der Provinz Faryab zu haben (VOA 29.4.2017). Des Weiteren wurden für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 IS-bezogene Sicherheitsvorfälle in der Provinz Faryab gemeldet (ACLED 23.2.2018).

Sichere Einreise

Die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind über den internationalen Flughafen Kabul sicher erreichbar. Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Usbeken

Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans (WSJ 23.1.2017) und macht etwa 9% der Bevölkerung aus (LIP 5.2018). Usbeken sind Sunniten und siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Laschkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Der wohl berühmteste Führer der Usbeken ist Abdul Rashid Dostum (CRS 12.1.2015); ein ehemaliger Warlord, der gleichzeitig der Anführer der usbekischen Minderheit in Afghanistan ist. Mittlerweile ist er erster Vizepräsident Afghanistans (WSJ 23.1.2017). Wenngleich er momentan im Exil in der Türkei verweilt, trägt er diesen Titel nach wie vor (TN 21.2.2018; vgl. FN 14.5.2018).

Die usbekische Minderheit ist im nationalen Durchschnitt mit etwa 8% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus.

Taliban und Aufständische

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Mitarbeiter der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen.

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

Rückkehrer

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Auszug aus der UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018:

Vor dem Hintergrund der Abwägung bezüglich der Relevanz- und Zumutbarkeitsprüfung für Kabul als in Erwägung gezogenes Gebiet für eine interne Flucht- oder Schutzalternative, und unter Beachtung der generellen Situation des Konflikts und der Menschenrechtssituation, sowie deren Auswirkungen auf den breiteren sozio-ökonomischen Kontext, hält das UNHCR eine interne Flucht- oder Schutzalternative für generell nicht verfügbar in Kabul." (S. 10)

[...] im Afghanistan-Kontext wurde die Wichtigkeit der Verfügbarkeit und des Zugangs zu sozialen Netzwerken, dem Existieren von Familie des/der AntragstellerIn oder Mitgliedern seiner/ihrer ethnischen Gruppe, umfangreich dokumentiert. Diesbezüglich kann die Präsenz von Mitgliedern derselben ethnischen Gruppe [...] nicht für sich genommen als Beweis dafür, dass der/die AntragstellerIn in der Lage wäre, bedeutende Unterstützung durch solche Communities zu erlangen; viel eher hängt eine solche Unterstützung in der Regel von spezifischen, bereits existierenden sozialen Beziehungen zwischen AntragstellerIn und individuellen Mitglieder der jeweiligen ethnischen Gruppe ab. Selbst wenn solche sozialen Beziehungen bereits existierenden, muss geprüft werden, ob die Mitglieder dieses Netzwerks in der Lage und willens sind, den/die AntragstellerIn wirklich zu unterstützen [...]." (S. 109)

"Aufgrund begrenzter Jobmöglichkeiten, mangelnder sozialer Schutznetze und schlechter Unterbringungsbedingungen sind Vertriebene nicht nur erhöhten Schutzrisiken in ihrem täglichen Leben ausgesetzt, sondern werden auch in sekundäre Vertreibung und zu negativen Umgangsstrategien wie Kinderarbeit, frühe Heirat, Verminderung von Quantität und Qualität der Ernährung etc. gezwungen." (S. 111)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person:

Die Feststellungen zur Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit, Religion des Beschwerdeführers, zu seiner Familie und zu seiner Abstammung aus der Provinz Faryab stützen sich auf die Angaben im Asylverfahren. Der Beschwerdeführer ist volljährig.

Er leidet an keinen Erkrankungen. Ihm ist die Teilnahme am Erwerbsleben möglich. Die Feststellungen zu seiner Familie beruhen auf den Angaben vor dem BFA und dem BVwG im Rahmen der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zur Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf seinen Angaben vor dem BFA und dem BVwG. Der Beschwerdeführer verfügt über Kenntnisse der deutschen Sprache, Zertifikate über den Abschluss von Deutschkursen sind vorhanden. Zum Entscheidungszeitpunkt waren im Strafregister keine Verurteilungen evident. Die Feststellung zur Aufenthaltsdauer, zur Situation und Integration des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich auf die Aktenlage, insbesondere auf die vorgelegten Unterlagen.

2.2. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wird wie folgt gewürdigt:

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV270 Blg. NR. 18. GP; AB 328 Blg. NR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entnommen wurden):

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck ist, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt (siehe z.B. VwGH 24.06.1999, Zl. 98/20/0435 bzw. VwGH 20.5.1999, Zl. 98/20/0505).

2.2.1. Zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass die Taliban ihn wegen seiner Tätigkeit als Englischlehrer und wegen der Zugehörigkeit zur Partei Heszbe Jonbesh bedroht hätten. Zudem sei er von einem Mann namens "Sadat" bedroht und verletzt worden, weil diesem die nunmehrige Ehefrau des Beschwerdeführers versprochen gewesen wäre.

Einige Angaben des Beschwerdeführers weisen im Verfahrensverlauf Widersprüchlichkeiten auf, die im Folgenden erläutert werden:

In der Befragung vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass er gesehen habe, wie der Direktor von den Taliban ermordet und ein Lehrer von den Taliban entführt worden sei (Protokoll vom 20.04.2018, Seite 6). Später gab der Beschwerdeführer an, dass er nachträglich von seinem Vater erfahren habe, dass der Lehrer entführt wurde (Protokoll mV, Seite 18).

Dass der Beschwerdeführer dies - so wie von ihm geschildert - von seinem Vater telefonisch von seinem Zufluchtsort aus erfahren habe (so auf Seite 18 des Protokolls mV) kann so nicht den Tatsachen entsprechen, da er sich nach eigenen Angaben nach dem Vorfall dort nur ca 1 Stunde aufgehalten haben will und es unwahrscheinlich ist, dass der Vater in dieser Zeit schon so detaillierte Informationen über einen Vorfall, bei dem er selbst nicht dabei war, einholen hätte können.

Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass er ca 1 Woche vor seiner Ausreise den Entschluss zur Flucht getroffen hat (Protokoll, Seite 4). Im Zuge der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass er erst am Tag des angeblichen Vorfalls den Entschluss gefasst habe, Afghanistan zu verlassen (Seite 20). Erst auf Vorhalt gab der Beschwerdeführer an, dass er nach einem angeblichen Angriff des Sadat eine Woche davor den Fluchtentschluss getroffen habe.

Als widersprüchlich erwiesen sich auch die Angaben zu einer möglichen Zugehörigkeit zu einer politischen Partei. Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass er Mitglied gewesen sei und dadurch Probleme hatte (Seite 4). Vor dem BVwG gab er dann an, dass er lediglich als Dolmetscher für die Partei gearbeitet habe und nur Mitglied, aber kein Funktionär gewesen ist (Seite 21).

Lebensfremd ist schließlich der geschilderte Vorgang, wonach die Taliban angeblich direkt bei den Wachen der Schule - also durch den Haupteingang - in das Areal angedrungen sind, wo es ihnen doch nach den Schilderungen des Beschwerdeführers leicht möglich gewesen wäre, an anderen Stellen über eine niedrige Mauer - von den Wachen unbemerkt - auf das Areal zu gelangen.

Zudem ist nach der vom Beschwerdeführer angefertigten Skizze (Beil. 1 zum Protokoll) der von ihm so geschilderte Ablauf des Überfalls nicht nachvollziehbar. Anhand der Skizze stellt sich die Schule als l-förmiges Gebäude dar und konnte der Beschwerdeführer aufgrund der Baulichkeiten die Taliban nicht am von ihm angegebenen Ort beobachten, da nach der Skizze ein Gebäudetrakt zwischen dem Klassenzimmer, in dem sich der Beschwerdeführer befand, und dem Standort der Taliban lag.

Unglaubwürdig sind auch die Angaben des Beschwerdeführers zur Tätigkeit seines Vaters, nachdem auch die Familie des Beschwerdeführers den Heimatort verlassen hat. Es ist nicht lebensnah, dass der Vater über einen Zeitraum von 3 Jahren den Familienunterhalt mit dem Verkauf von Teppichen verdient haben soll, obwohl die gesamte Familie - also auch der Vater - am neuen Aufenthaltsort völlig versteckt gelebt haben soll (Protokoll mV, Seite 8, 9).

Aufgrund der Widersprüchlichkeiten und des persönlichen Eindruckes in der mündlichen Verhandlung kommt die erkennende Richterin zum Ergebnis, dass sich der Sachverhalt nicht so zugetragen hat, wie er vom Beschwerdeführer geschildert wurde.

Die vorgebrachte Verfolgung durch "Sadat" ist eine Verfolgung durch eine Privatperson aus persönlichen Gründen und der Beschwerdeführer hat selbst angegeben, dass er keinen Versuch unternommen hat, sich unter den Schutz staatlicher Behörden zu stellen oder die behauptete Verfolgung bei der Polizei anzuzeigen (arg. "Zu diesen Polizisten gehe ich nicht" Seite 21).

Auch das Vorbringen, das Sadat den Beschwerdeführer an die Taliban als jemanden der Englisch lehrt, verraten haben soll und der Überfall an der Schule von ihm inszeniert worden wäre, ist wenig glaubwürdig, vor allem, wenn nach den Angaben des Beschwerdeführers der Schuldirektor und ein anderer Lehrer zu Schaden gekommen seien, obwohl der Angriff doch ausschließlich ihm gegolten habe.

Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer an eine andere Schule gewechselt haben will, die lediglich 10 Minuten von der alten entfernt gewesen ist, um den angeblichen Bedrohungen des Sadat zu entgehen, ist wenig glaubhaft, ist doch ein Wechsel in unmittelbarer Nähe kein probates Mittel, um einer Verfolgung durch einen vorgeblichen Taliban zu entgehen. Gleiches gilt für den Wechsel des Wohnsitzes von einem Haus des Vaters in das andere Haus des Vaters, die ebenfalls nur etwa 10 Minuten voneinander entfernt sind.

Selbst wenn man dem Vorbringen der Bedrohung durch die Taliban aufgrund der Lehrtätigkeit oder der Dolmetschtätigkeit für eine Partei hypothetisch Glauben schenken würde, so ist an dieser Stelle festzustellen, dass dem Beschwerdeführer keine landesweite Verfolgung durch die Taliban drohen würde. Dem Beschwerdeführer stünde in diesem Fall eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif offen. Zum einen ist nicht hervorgekommen, warum der Beschwerdeführer für die Taliban von einem derart großen Interesse sein sollte, dass sie eine ressourcenaufwändige landesweite Suche nach ihm veranlassen sollten, zum anderen ist notorisch, dass es selbst für die Taliban aufgrund des fehlenden Melderegisters beinahe unmöglich ist, den Aufenthaltsort einer Person in einer Großstadt ausfindig zu machen. Dasselbe gilt für die Verfolgung durch Sadat, zudem wäre es dem Beschwerdeführer zumutbar und möglich gewesen, sich staatlichem Schutz zu unterstellen und seinen Verfolger anzuzeigen.

Dem Beschwerdeführer ist es daher nicht gelungen, eine aktuelle und landesweite Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan glaubhaft zu machen.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Der oben wiedergegebene Länderbericht wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebracht.

Aus den vorliegenden Länderinformationen ist abzuleiten, dass die Lage in Afghanistan generell nach wie vor weder sicher noch stabil ist, dass jedoch hinsichtlich der Sicherheitslage zwischen den verschiedenen Provinzen und innerhalb der Provinzen zwischen den einzelnen Distrikten differenziert werden muss. Auch in der Hauptstadt Kabul sind hauptsächlich Bezirke, in denen sich high-level-targets befinden, von der vermehrten Anschlagstätigkeit regierungsfeindlicher Gruppierungen betroffen, während in reinen Wohngebieten für die Allgemeinbevölkerung eine drastisch erhöhte Anschlagsgefahr aus dem vorliegenden Berichtsmaterial nicht abgeleitet werden kann.

Nach wie vor gibt es Regionen, in denen eine relativ gute Sicherheitslage vorherrscht. Insbesondere in den großen Städten, die unter staatlicher Kontrolle stehen und die über die notwendige Infrastruktur und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts verfügen (etwa Herat und Mazar-e Sharif) und in bestimmten Provinzen (etwa Balkh, Bamyan, Daikundi, Ghor und andere) wird die Sicherheitslage als vergleichsweise gut beschrieben.

So hält etwa EASO (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, abrufbar unter https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf [abgerufen am 21.09.2018], Juni 2018, S. 106 f) nach einer Beurteilung aus Juni 2018 eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e-Sharif, Herat und Kabul für zumutbar für alleinstehende Männer, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gibt. So brächte die Situation der Neuansiedlung gewisse Härten mit sich, allerdings kann EASO zufolge der Schluss gezogen werden, dass derartige Personen in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse, Unterkunft und Hygiene sicherzustellen; dies sofern nicht aus deren persönlichen Umständen auf zusätzliche Vulnerabilitäten zu schließen ist. Die folgenden Umstände, die im gegenständlichen Fall im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geprüft wurden, wären in Betracht zu ziehen: Alter, Geschlecht, Familienstand, Gesundheitszustand, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, Kenntnisse der lokalen Bedingungen, Unterstützungsnetzwerk und Religion. Soweit von Relevanz kann verfügbare Reintegrationsunterstützung auch als zusätzlicher Faktor berücksichtigt werden, welche vorübergehend zur Reintegration in Afghanistan beiträgt (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 105);

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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