Entscheidungsdatum
15.01.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
G314 2226869-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die ACHAMMER & MENNEL Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.11.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots beschlossen (A) und zu Recht erkannt (B):
A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene
Bescheid dahingehend abgeändert, dass es insgesamt neu gefasst zu lauten hat:
"1. Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
2. Gemäß § 70 Abs 3 FPG wird dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt."
C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX wegen Verbrechen nach § 3g VerbotsG zu einer Strafenkombination (unbedingte Geldstrafe und bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe) verurteilt. Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.06.2019 wurde er aufgefordert, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er erstattete keine Stellungnahme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet, die unter § 67 Abs 1 und Abs 3 Z 4 FPG zu subsumieren sei. Der BF habe keine familiären Anbindungen im Bundesgebiet; sein Privatleben stünde dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, zumal er erst seit Oktober 2018 in Österreich gemeldet sei.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, mit der der BF primär die Behebung des angefochtenen Bescheids, eventualiter die Erlassung eines "auf ein Mindestmaß" befristeten Aufenthaltsverbots und die Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs anstrebt. Er zeigt Aktenwidrigkeiten in der Bescheidbegründung auf und begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er in den Jahren 2014 bis 2019 jeweils vom März bis Dezember für ein österreichisches Unternehmen gearbeitet und bis 2018 in von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Quartieren gewohnt habe. Während der Wintermonate habe er in Deutschland gelebt und Arbeitslosengeld bezogen. 2018 habe er mit einem Kollegen eine eigene Wohnung bezogen und sich dort angemeldet. Er habe auch für 2020 wieder eine Einstellungszusage. Ein Aufenthaltsverbot würde ihm seine finanzielle Lebensgrundlage entziehen, weil er altersbedingt keinen anderen Arbeitsplatz finden werde. Sein gesamtes soziales Umfeld sei in Österreich, wo er auch in einem Dartverein aktiv sei. In Deutschland würden nur seine Eltern und Geschwister leben. Der BF habe weder Schriften verbreitet noch öffentlich oder in einer Versammlung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebilligt oder dafür geworben, sondern nur private Chatnachrichten mit Bildern einschlägigen Inhalts verschickt, was er bereue. Es handle sich um eine erste Verurteilung; Sicherheit und Ordnung in Österreich seien dadurch nicht beeinträchtigt. Seit seiner letzten Tat sei bereits geraume Zeit vergangen, in der er sich nichts mehr habe zuschulden kommen lassen. Die Voraussetzungen für die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots seien nicht erfüllt. Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung seines Privatlebens in Österreich überwiege allfällige entgegenstehende öffentliche Interessen. Die Behörde habe die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids nicht einzelfallbezogen, sondern nur mit Gemeinplätzen begründet. Aufgrund der seit den Taten des BF bereits verstrichenen Zeit hätte ihm ein Durchsetzungsaufschub erteilt werden müssen; die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sei nicht notwendig.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie abzuweisen.
Feststellungen:
Der BF kam am XXXX in Deutschland zur Welt. Er ist deutscher Staatsangehöriger; seine Muttersprache ist Deutsch. Er ist geschieden und für einen volljährigen Sohn, für den er Geldunterhalt leistet, sorgepflichtig. Er hat einen Wohnsitz in der deutschen Stadt XXXX. Er leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und ist arbeitsfähig. Er hat kein Vermögen, aber Bankschulden von ca. EUR 35.000.
Der BF ist bei einem Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen beschäftigt und war in den Jahren 2014 bis 2019 jeweils von März bis November oder Dezember in einem österreichischen Unternehmen als XXXX eingesetzt. Während der Wintermonate bezog er Arbeitslosenunterstützung und hielt sich in Deutschland auf, wo auch seine Eltern und Geschwister leben. Er hat eine Einstellungszusage, wonach er ab März 2020 wieder bei seinem früheren Beschäftigerbetrieb eingesetzt werden kann. Im Inland war er von 12.02.2018 bis 21.12.2018 sowie von 04.03.2019 bis 15.11.2019 als Arbeiter bei der Sozialversicherung gemeldet. Er hat in Österreich, wo er seit Oktober 2018 mit Nebenwohnsitz gemeldet ist, einen Freundes- und Bekanntenkreis und ist seit 2017 in einem Dartclub in XXXX aktiv.
Mit dem Urteil des Geschworenengerichts am Sitz des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde der BF wegen Verbrechen nach § 3g VerbotsG (ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen á EUR 4 und einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Es handelt sich um seine erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung. Ihr lag zugrunde, dass er sich der Wiederbetätigung schuldig gemacht hatte, indem er den Nationalsozialismus und die Person Adolf Hitlers verherrlichend, Zielsetzungen der NSDAP unsachlich, einseitig und propagandistisch vorteilhaft darstellend und typisch nationalsozialistische Parolen, Schlagworte und Symbole propagandistisch verwendend einerseits am 31.01.2016 auf seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil ein einschlägiges Foto (Adolf Hitler und Heinrich Himmler mit der Aufschrift "Juden Tach ...!") abgespeichert und andererseits zwischen 25.12.2016 und 28.04.2018 zwei anderen Personen über WhatsApp insgesamt 12 Nachrichten (Textnachrichten sowie Bild- und Videodateien) mit nationalsozialistischen Inhalten versendet hatte (darunter die Aussprüche "Sieg Heil" und "Heil Hitler", Anspielungen auf den Geburtstag von Adolf Hitler, ein Bild eines Reichsadlers mit Hakenkreuz, ein Bild von Adolf Hitler mit Hakenkreuz-Armbinde beim Ausführen des Hitlergrußes etc). Bei der Strafzumessung wurden die bisherige Unbescholtenheit und das Geständnis als mildernd, das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen, die Tatwiederholung und der zweijährige Tatzeitraum dagegen als erschwerend berücksichtigt.
Der BF zahlt die Geldstrafe in Raten ab. Er hat keine familiären oder weiteren privaten Anknüpfungen in Österreich.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen zur Identität des BF sowie zu seinen persönlichen, familiären und finanziellen Verhältnissen beruhen auf den Angaben zu seiner Person im Strafurteil. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Informationen, zumal der BF laut dem Schreiben des Bundeskriminalamts vom 08.08.2019 von Interpol XXXX unter den gleichen Personendaten identifiziert wurde. Deutschkenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft plausibel; es sind keine Hinweise auf andere Sprachkenntnisse aktenkundig.
Mangels anderslautender Informationen ist davon auszugehen, dass beim BF keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und der zuletzt bis November 2019 ausgeübten Erwerbstätigkeit.
Die Feststellungen zur beruflichen Tätigkeit des BF basieren auf seinen Angaben dazu, die durch das Schreiben der in XXXX etablierten XXXX vom 11.12.2019 untermauert werden. Die Angaben zu seiner Erwerbstätigkeit im Strafurteil stehen damit im Einklang. Im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) ist dokumentiert, dass der BF am 19.10.2018 erstmals die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung beantragte; über diesen Antrag wurde bislang noch nicht entschieden.
Die Aufenthalte des BF in Deutschland während der Wintermonate und seine dort lebenden Angehörigen werden anhand des insoweit glaubhaften Beschwerdevorbringens festgestellt. Die Versicherungszeiten des BF in Österreich gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor, seine Wohnsitzmeldung aus dem Zentralen Melderegister. Es ist plausibel, dass der BF während seiner beruflichen Tätigkeit in Österreich Sozialkontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen hat. Sein Engagement im XXXX ergibt sich aus dem mit der Beschwerde vorgelegten E-Mail der Obfrau vom 13.12.2019.
Die Feststellungen zu dem vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts XXXX. Die Verurteilung wird auch durch die entsprechende Eintragung im Strafregister belegt. Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig, zumal seine Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde und nach dem Strafurteil auch in Deutschland keine Eintragungen im Strafregister bestehen. Die Ratenzahlung der Geldstrafe wird vom BF in der Beschwerde schlüssig und nachvollziehbar angegeben, zumal insoweit noch kein Vollzugsdatum im Strafregister ersichtlich ist.
Anhaltspunkte für familiäre oder über die Feststellungen hinausgehende private, gesellschaftliche oder berufliche Bindungen des BF in Österreich bestehen nicht, sodass von deren Fehlen ausgegangen wird.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.
Zu Spruchteil B):
Die Beschwerde zeigt zu Recht mehrere Aktenwidrigkeiten des angefochtenen Bescheids auf. So wird das Aktenzeichen des Strafurteils zum Teil falsch angegeben (XXXX statt richtig XXXX), ebenso die Zahl des Fremdenakts des BF (XXXX statt richtig XXXX). Ebenso ist unrichtig, dass er zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, in Strafhaft angehalten wird und in Kenntnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens weiter delinquierte.
Diese Fehler erreichen aber nicht ein solches Ausmaß, dass sie die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Rückverweisung der Angelegenheit an die Behörde notwendig machen, zumal sich die richtigen Informationen den Verwaltungsakten zweifelsfrei entnehmen lassen.
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den als EWR-Bürger unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten BF zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG) oder wenn der EWR-Bürger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt (§ 67 Abs 3 Z 4 FPG).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe zuletzt etwa VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Mangels eines längerfristigen kontinuierlichen Aufenthalts des BF in Österreich ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.
Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an nationaler Sicherheit, der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Die Ablehnung und das Verbot des Nationalsozialismus und der Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut sind von wesentlicher Bedeutung für das Entstehen der Zweiten Republik und für die österreichische Rechtsordnung (so z.B. VwGH 20.05.2015, Ro 2014/09/0053). So wurde etwa im Zusammenhang mit der Versagung eines Reisepasses ausgesprochen, dass ein unter § 3g VerbotsG zu subsumierendes Verbrechen eine Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich bewirke (siehe VwGH 24.03.1998, 96/18/0475). Die Betätigung im nationalsozialistischen Sinn, wegen der der BF verurteilt wurde, zielt darauf ab, den Rechtsstaat durch das Wiedererstehen des Nationalsozialismus zu gefährden, zumal er in Textnachrichten, Bildern und Videos wiederholt nationalsozialistische Maßnahmen und Ziele unsachlich, einseitig und propagandistisch vorteilhaft darstellte.
Da der BF die Taten über einen Zeitraum von zwei Jahren fortsetzte, besteht eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Derzeit kann noch nicht von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der durch die strafgerichtliche Verurteilung des BF indizierten Gefährlichkeit ausgegangen werden, weil die Taten noch nicht lange zurückliegen und die Geldstrafe noch nicht (vollständig) vollzogen wurde.
Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere der Straftaten, auf das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt, und auf das Gesamtverhalten des BF ist die für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erforderliche aktuelle Gefährdung von öffentlichen Interessen in maßgeblicher Intensität zu bejahen. Seine schwerwiegende Delinquenz legt nahe, dass von ihm auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung iSd § 67 Abs 1 FPG ausgehen wird. Aktuell kann dem BF noch keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.
Der BF hat zwar kein Familienleben im Inland; aufgrund seiner Erwerbstätigkeit und der privaten Bindungen in Österreich greift das Aufenthaltsverbot aber in sein Privatleben ein. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Ans 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der Eingriff in das Privatleben des BF verhältnismäßigist, zumal er auch in Deutschland einen Wohnsitz und familiäre Anknüpfungen hat und aufgrund der Verstöße gegen das VerbotsG ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht. Der BF kann die Kontakte zu in Österreich lebenden Freunden und Bekannten auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Es ist ihm zumutbar, sich außerhalb von Österreich niederzulassen und seine Erwerbstätigkeit anderswo fortzusetzen, zumal er in einem erwerbsfähigen Alter, gesund und alleinstehend ist und sich nie für längere Zeit kontinuierlich im Bundesgebiet aufhielt. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.
Da der BF jedoch erstmals straffällig wurde und sich geständig verantwortete, das Geschworenengericht mit einer im untersten Bereich des Strafrahmens angesiedelten Strafe das Auslangen fand und keine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt werden musste, ist trotz seiner schwerwiegenden Verbrechen kein unbefristetes Aufenthaltsverbot notwendig, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wirksam zu begegnen. Gegen den BF ist daher gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein befristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen, dessen Dauer aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der von ihm zu verantwortenden Verstöße gegen das VerbotsG, die zum Großteil in privaten Chatnachrichten begangen wurden, unter Berücksichtigung der Strafzumessungsgründe und der offenen Probezeit mit fünf Jahren festgelegt wird. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist insoweit in Stattgebung des entsprechenden Eventualantrags in der Beschwerde abzuändern.
Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise der Betroffenen oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist.
Zur Begründung einer Notwendigkeit der sofortigen Ausreise eines Fremden genügt es nicht, dafür auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch ihn zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat; dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren. Die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise als gesetzliche Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung betreffend die Beschwerde gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erfordert also das Vorliegen besonderer Umstände, die mit den Voraussetzungen für die Aufenthaltsbeendigung als solche nicht gleichzusetzen sind (siehe VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0053).
Da der BF die letzten Straftaten nach einer längeren Pause im April 2018 beging und seither nicht mehr straffällig wurde, sondern aktuell auf freiem Fuß ist und in geordneten Verhältnissen lebt, sind solche besonderen Umstände hier nicht erkennbar, zumal das BFA die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht einzelfallbezogen begründete (wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt). Dem BF ist daher in Abänderung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen; Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung hat ersatzlos zu entfallen.
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal das BVwG ohnedies von den Behauptungen des BF zu seinen privaten und beruflichen Anknüpfungen im Inland ausgeht, sodass kein klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet wurde.
Zu Spruchteil C):
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2226869.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.03.2020