TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/27 W147 2204931-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.01.2020
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Entscheidungsdatum

27.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W147 2204931-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 4, 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31. Juli 2018, Zl. 1095891709-151816966, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. gemäß §§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016, 8 Abs. 1 AsylG 2005 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und §§ 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, 52 Abs. 9 FPG, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, 55 Abs 1 bis 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste zusammen mit seiner Ehegattin XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2204932-1) unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 20. Oktober 2015 verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer eingangs an, er habe seine Heimat Tschetschenien verlassen, nachdem er im Februar 2015 aus der Ukraine dorthin zurückgekehrt sei, weil Personen, die in der Ukraine studiert hätten, nach Rückkehr in ihre Heimat Tschetschenien massiven politischen Probleme ausgesetzt wären. Aus seinem Freundeskreis seien sechs Personen - welche ebenfalls zuvor ihr Studium in der Ukraine absolviert hätten - bereits festgenommen worden und über ihren Verbleib sei nichts bekannt. Am 5. Oktober 2015 sei der Beschwerdeführer zuhause von ihm unbekannten, maskierten Personen aufgesucht worden. Diese hätten ihn mitgenommen und ihn mit dem Tod gedroht, da es für Menschen, die in der Ukraine studiert hätten kein Platz in Tschetschenien gäbe. Weiters hätten sie ihn mit dem Tod gedroht, sollte er das Land nicht umgehend verlassen. Aus Angst um sein Leben habe er sich zur Flucht aus Tschetschenien entschlossen.

2. Nach Zulassung des Verfahrens gab der Beschwerdeführer im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 3. Mai 2018 im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache eingangs an, er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Außerdem spreche er Tschetschenisch, Ukrainisch, Arabisch und ein wenig Deutsch.

Der Beschwerdeführer führte aus, seine Mutter und seine Geschwister würden in Tschetschenien leben, sein Vater sei bereits verstorben. Er habe oft mit seinen Angehörigen per "WhatsApp" Kontakt und gehe es ihnen unterschiedlich, da sie immer wieder wegen ihm befragt werden würden.

Er sei seit dem XXXX mit XXXX standesamtlich und nach islamischen Recht seit 2. August 2014 verheiratet.

Zu seiner Situation in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er arbeite ehrenamtlich in einem Kulturverein und in einem Flüchtlingsheim, besuche zusammen mit seiner Ehegattin Deutschkurse und lebe von der Grundversorgung sowie von der Caritas.

Zu seinem Ausreisegrund befragt antwortete er, er habe an der islamischen Universität sein Studium absolviert, welches in der Russischen Föderation nicht anerkannt werde. Außerdem sei er bei einer Veranstaltung aufgetreten, wo er sich gegen die Geschehnisse in Syrien und gegen Terrorismus ausgesprochen habe. Er habe gesagt, dass es in Tschetschenien Menschen gebe, die ganz offiziell den "IS" unterstützen würden. Er führte aus, dass Absolventen besagter ukrainischer Universität in der Russischen Föderation als Sekte betrachtet werden würden und sechs seiner Universitätskollegen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien abgeholt worden wären und seither nicht aufzufinden seien. Er habe Drohanrufe erhalten, in denen ihm gesagt worden sei, dass er Tschetschenien verlassen solle, da hier für Leute, die in der Ukraine studiert hätten kein Platz wäre und man ihn ansonsten umbringen würde. Er habe den Verdacht, dass diese Drohungen von den Machthabern oder der Polizei in Tschetschenien ausgegangen seien.

Auf Nachfrage warum der Beschwerdeführer nicht wieder in die Ukraine zurückgekehrt sei, führte er aus, er habe vier Jahre lang in der Stadt XXXX (Ukraine) gelebt und sei nach dem Krieg im März 2014 nach Kiew gezogen. Dort wäre er seitens der Behörden verfolgt worden, weil bei den kriegerischen Auseinandersetzungen die Tschetschenen auf Seiten der Russischen Föderation gegen die Ukraine gekämpft hätten. Am 13. Februar 2015 habe die Polizei in Kiew ihn dann abgeholt, ihm insgesamt 3.000,- US-Dollar abgenommen und ihn geschlagen. Die Behörden hätten gedroht, dass er entweder auf Seiten der Ukraine kämpfen solle, er aus dem Weg geräumt werden würde oder das Land verlassen solle. Er sei 24 Stunden festgehalten worden und nur unter der Bedingung, dass er das Land sofort verlasse, freigelassen worden. Sohin sei er nach Tschetschenien zurückgekehrt, wo er am 5. Oktober 2015 im Morgengrauen von vier bis sechs maskierten Männern aus dem Bett gerissen worden sei. Diese hätten ihm die Augen verbunden und ihn - wie er annehme - in eine Polizeistation gebracht. Dort wäre er bis Mittag festgehalten worden und habe man ihm gesagt, es gebe einen Befehl von Präsident Kadyrov, dass Menschen wie er, die in Kiew studiert hätten, keinen Platz in Tschetschenien hätten. Auf Nachfrage, wie er sich aus dieser Lage befreit habe, sagte der Beschwerdeführer aus, dass es Polizisten gewesen wären, er zwar nicht geschlagen worden wäre, aber ihm mehrfach eindringlich gesagt worden wäre, dass sie ihn umbringen würden, wenn er das Land nicht verlasse. Sie hätten ihn bei einem Wald, in der Nähe des Wohnortes seiner Familie, freigelassen. Auf die Frage, warum er sich nicht in einem anderen Teil der Russischen Föderation angesiedelt habe, antwortete der Beschwerdeführer, der Befehl von Kadyrov laute, nach Menschen wie ihm in ganz "Russland" zu suchen und diese zu verfolgen. Kadyrov habe seine eigenen Gesetze und Leute, die diese ausführen. Er könne jeden beseitigen, der ihm im Wege stehe. Der Beschwerdeführer wisse zwar nicht, ob nach ihm gefahndet würde, er habe aber eine Vorladung von der Polizei erhalten, welche er der belangten Behörde vorlegte. Es gebe keine offizielle und auch keine ausdrückliche Bedrohung mit Tod oder Verfolgung durch die Regierung, Polizei oder Behörden seitens Tschetschenien oder der Russischen Föderation. Nach der Rückkehr in seine Heimat wäre der Beschwerdeführer religiöser Verfolgung ausgesetzt, da die Absolventen der besagten islamischen Universität als Mitglieder einer Sekte angesehen werden würden. Außerdem sei er nicht der radikalen islamischen Überzeugung und habe sich gegen den IS und Terrorismus offen ausgesprochen. Seine Überzeugungen entsprächen nicht "deren" Überzeugungen im religiösen Sinne.

Nach weiterem Vorbringen gefragt, gab der Beschwerdeführer ergänzend an, seine Ehegattin und ihre Familie seien der Gefahr der Blutrache ausgesetzt. Ihr Vater würde sich derzeit in Haft befinden, ihm Menschenhandel vorgeworfen werde und befänden sich unter den Menschen, denen er angeblich Schaden zugefügt habe, Menschen, für die das Gesetz der Blutrache gelte. Aus diesem Grunde habe sich die noch in Tschetschenien befindliche Familie Leibwächter besorgt.

3. Die Ehegattin des Beschwerdeführers (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2204932-1) gab in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Mai 2018 als Fluchtvorbringen die Fluchtgründe ihres Ehegatten wieder und führte noch ihre Furcht vor Blutrache aufgrund ihres - sich in Haft befindlichen - Vaters an.

4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF., bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine ihm im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Gefährdung nicht habe glaubhaft machen können.

Der belangten Behörde sei der Handlungsablauf nicht nachvollziehbar, da die "Fluchtgeschichte" zu wenig detailreich, zu wenig emotional und zu oberflächlich dargestellt worden wäre. Nach Recherche der belangten Behörde sei auch nicht aufgekommen, dass Präsident Kadyrov - wie vom Beschwerdeführer behauptet - öffentlich verlautbaren ließ, dass Personen, die in der Ukraine studiert hätten, keinen Platz in Tschetschenien haben würden und das Land verlassen sollen. Weiters sei nicht schlüssig, warum die Polizei, die den Beschwerdeführer nach eigenen Angaben verfolge, ihm ein Jahr nach dem geschilderten Übergriff der maskierten Polizisten am 5. Oktober 2015, nämlich erst am 3. Oktober 2016, eine offizielle Vorladung ausstellen würden. Die belangte Behörde vertrat die Meinung, wäre der Beschwerdeführer im Visier der Behörden oder des Staates, hätten diese schon viel früher versucht, ihn auf welche Weise auch immer loszuwerden. Daher, so das Argument der belangten Behörde, würde es sich bei dem Schriftstück, welches eine polizeiliche Ladung darstelle, um eine Fälschung handeln. Zudem gehe die belangte Behörde auch bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers von einer innerstaatlichen Fluchtalternative innerhalb der Russischen Föderation aus, weil sich der Beschwerdeführer in anderen Teilen der Russischen Föderation hätte ansiedeln können und so dem Willen des Präsidenten Kadyrow, unter der Annahme dieser hätte tatsächlich gefordert, dass Menschen, die in der Ukraine studiert haben, Tschetschenien verlassen sollen, entsprechen hätte können.

5. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Absatz 2 BFA-VG vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die "ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

6. Mit Schriftsatz vom 28. August 2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid, ficht diesen wegen inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang an.

7. XXXX wurde der Sohn des Beschwerdeführers XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 2210310-1) in Österreich geboren.

8. Am 24. Oktober 2019 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertreterin zu seinem Gesundheitszustand, seinem Fluchtgrund, seinem Leben im Heimatland sowie seinem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Seine Ehegattin wurde ebenfalls einvernommen.

9. Mit am 8. November 2019 eingelangtem Schreiben legt der Beschwerdeführer eine Videoaufzeichnung mit Übersetzungen vor.

10. Mit am 9. Jänner 2020 eingelangtem Schreiben legt der Beschwerdeführer eine Bestätigung über seine ehrenamtliche Tätigkeit und den Besuch eines Deutschkurses vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Verwaltungsakte der belangten Behörde und der herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig, muslimischen Glaubens und stellte am 20. Oktober 2015 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer ist mit XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2204932-1) verheiratet und hat mit ihr den in Österreich geborenen, gemeinsamen Sohn XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 2210310-1).

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Beim Beschwerdeführer wurden im Zuge des Asylverfahrens eine Posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere Depression diagnostiziert. Zudem wurde den Beschwerdeführer in der Urologischen Ambulanz des XXXX St. P. hoher inguinaler Spermaticaligatur li. 03/2017; St. P. symptomatische Varikoele li.; Hepatitis B; Insomnie; Potenzverlust diagnostiziert. Der Beschwerdeführer leidet jedoch an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 20. Oktober 2015 durchgehend im Bundesgebiet. Er hat sich Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat mit Ausnahme seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Sohn, deren Beschwerden mit heutigem Tag ebenfalls als unbegründet abgewiesen wurden, keine Angehörigen im Bundesgebiet, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt. Der Beschwerdeführer ging gelegentlich Beschäftigungen nach und war ehrenamtlich tätig. Er hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 besucht. Darüber hinaus liegen keine sonstigen Hinweise auf eine besonders ausgeprägte und verfestigte Integration hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich vor.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikels 8 EMRK kamen nicht hervor.

1.2. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation wird zunächst prinzipiell auf die im Akt einliegenden und des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen.

Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:

0. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178

Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel.

Wichtige Parteien sind: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern , die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 5.2019a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 14.2.2019b). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die Nicht-Systemopposition unterstützt zwar die parlamentarische Demokratie als Organisationsform der Politik, nimmt aber nicht an Wahlen teil, da ihnen die Teilnahme wegen der restriktiven Regeln oder vermeintlicher Formalfehler versagt wird (Dekoder 24.5.2016).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 8.2019a).

Bei den Regionalwahlen am 8.9.2019 in Russland hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu Protesten geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten alles wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall. Umfragen hatten der Partei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik, https://

www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/ russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019

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CIA - Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

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FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019

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Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau,

https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-beiKundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019

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ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019,

https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-201955603/, Zugriff 30.9.2019

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577? download=true, Zugriff 6.8.2019

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019

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Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

0.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2019 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS

24.1.2019), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert , teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2018). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen zu sein (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z. B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.2.2019, vgl. AA 13.2.2019).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute "föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

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FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

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GKS - Staatliches Statistikamt (24.1.2019): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2019,

https://www.ppn2018.ru/novosti/naselenie-rossii-sokratilos-vpervye-za-10-let.html, Zugriff 6.8.2019

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ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 6.8.2019

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https:// www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 6.8.2019

0.2. Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 19.6.2019, vgl. IOM 6.2014). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat (AA 13.2.2019). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2018).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Er gilt als Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende NordkaukasusRepublik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

-

ACCORD (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-indagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 6.8.2019

-

Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nichtsystem-opposition, Zugriff 23.9.2019

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IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf,

https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-aufld.1356351, Zugriff 6.8.2019

-

ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

-

Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublikdagestan-festgenommen, Zugriff 6.8.2019

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 6.8.2019

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (11.2018): Erfolg der russischen Systemopposition bei den Regionalwahlen, https://www.swp-berlin.org/publikation/russland-wahlerfolg-dersystemopposition/, Zugriff 23.9.2019

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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