TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/31 W239 2227893-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2020
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Entscheidungsdatum

31.01.2020

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61

Spruch

W239 2227893-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.01.2019 [richtig: 08.01.2020], Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als

unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 31.07.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu seiner Person konnte keine EURODAC-Abfrage durchgeführt werden. Laut VIS-Abfrage verfügte der Beschwerdeführer über zwei finnische Schengen-Visa Typ C; eines gültig von 05.08.2016 bis 05.02.2017 und eines gültig von 23.10.2017 bis 22.10.208. Des Weiteren verfügte er über ein von 18.07.2019 bis 11.08.2019 gültiges Schengen-Visum Typ C, ausgestellt von der italienischen Vertretungsbehörde in Teheran/Iran.

Im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag (31.07.2019) gab der Beschwerdeführer zu Beginn an, er könne der Befragung ohne Probleme folgen. In Österreich befinde sich sein Zwillingsbruder, der anerkannter Flüchtling sei. Ein weiterer Bruder lebe in Zypern. Seine Eltern, seine beiden Schwestern und ein dritter Bruder seien im Iran aufhältig.

Den Entschluss zur Ausreise habe der Beschwerdeführer am 09.02.2019 gefasst; sein Ziel sei Österreich gewesen, da er zu seinem Zwillingsbruder wolle. Er sei am 10.02.2019 aus dem Iran ausgereist und in die Türkei gekommen, wo er vier Monate verbracht habe. Anschließend sei er ein bis zwei Monate in Griechenland gewesen. Dann sei er über Slowenien nach Österreich gelangt. Er sei illegal aus seiner Heimat ausgereist. Nachgefragt, ob er jemals ein Reisedokument besessen habe, erklärte er, er habe einen iranischen Reisepass von der iranischen Botschaft in Russland gehabt. Er sei aber nicht mit diesem Reisedokument ausgereist.

Zu Griechenland gab der Beschwerdeführer an, dass dies kein guter Ort sei und er deswegen nicht dortbleiben habe wollen. Er habe zuvor schon einmal um Asyl angesucht, und zwar in Zypern im Jahr 2007. Er habe sechs Jahre gewartet und keine Befragung gehabt. Etwa sechs Jahre habe er in Zypern gelebt, er habe keine Unterstützung bekommen, es sei kein gutes Land und er wolle nicht dorthin zurück. Zur Frage, ob er jemals ein Visum erhalten habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe zweimal ein finnisches und einmal ein italienisches Touristenvisum erhalten.

Abschließend machte der Beschwerdeführer Angaben zu seinen Fluchtgründen, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, heimlich zum Christentum konvertiert zu sein, sich von seiner Frau getrennt zu haben und Angst zu haben, dass sie ihn an die iranischen Behörden verraten habe.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete in weiterer Folge am 06.09.2019 und am 09.09.2019 ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) an die zypriotische Dublin-Behörde; mangels Erhalt einer Empfangsbestätigung wurde das Informationsersuchen erneut am 23.09.2019 per E-Mail in Zypern gesendet. Mit Antwortschreiben vom 24.09.2019 teilte die zypriotische Dublin-Behörde mit, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers am 18.04.2011 in zweiter Instanz abgewiesen und der Beschwerdeführer am 11.10.2013 aus Zypern ausgewiesen worden sei. Seither sei er nicht mehr in Zypern gewesen.

Am 04.10.2019 richtete das BFA ein Informationsersuchen nach Art. 34 Dublin-III-VO an Griechenland; mit Antwortschreiben vom 26.11.2019 teilte die griechische Dublin-Behörde mit, dass der Beschwerdeführer nicht in den dortigen Datenbanken registriert sei.

Daraufhin richtete das BFA am 07.10.2019 ein auf Art. 12 Abs. 2 oder Abs. 3 Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien und verwies auf die vorliegenden Ergebnisse der VIS-Abfrage, auf die Angaben des Beschwerdeführers und auf das Antwortschreiben Zyperns.

Italien ließ das Aufnahmeersuchen unbeantwortet. Mit Schreiben vom 11.12.2019 teilte das BFA der italienischen Dublin-Behörde mit, dass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO Verfristung eingetreten und die Zuständigkeit auf Italien übergegangen sei.

Nach Durchführung einer Rechtsberatung und in Anwesenheit einer Rechtsberaterin fand am 08.01.2020 die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu Beginn an, dass er sich psychisch und physisch dazu in der Lage sehe, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen. Die Angaben, die er bei der Erstbefragung gemacht habe, seien richtig.

Betreffend etwaige Beweismittel oder Dokumente brachte der Beschwerdeführer vor, er habe Videoaufnahmen und Fotos, die sich auf seinen Fluchtgrund beziehen würden. Er habe einen Brief vom Gericht; ein Foto vom Brief habe er hier. Außerdem wolle ihn eine Firma in Österreich anstellen; er warte nur auf die weiße Karte. Zusätzlich habe er Unterlagen seines Bruders mit. Der Bruder arbeite am Flughafen und zahle hier Steuern. Er führe ein geregeltes Leben. Der Beschwerdeführer wurde sodann aufgefordert, die Unterlagen vorzulegen und die Fotos und Videos, die er am Handy habe, ausgedruckt bzw. auf USB/CD vorzulegen. Dazu erklärte er, er habe auch einen Taufschein, den er jetzt nicht mithabe; diesen werde zusammen mit den anderen Unterlagen nachbringen.

Nachgefragt, ob sich die Beweismittel am Handy auf seinen Fluchtgrund beziehen würden, gab der Beschwerdeführer an, sie stünden in Verbindung mit dem Fluchtgrund. Im Video gehe es um seinen Bruder. Er sei in den zypriotischen Nachrichten gezeigt worden. Zwei Tage lang sei er die Schlagzeile gewesen. Der Beschwerdeführer sei mit einer Russin verheiratet gewesen; sie hätten nach russischem Recht geheiratet, nicht nach iranischem Recht. Sie hätten eine gemeinsame Tochter, die nach wie vor bei der Mutter lebe. Der Grund, weshalb er aus dem Iran flüchten habe müssen, sei seine Frau.

Über Nachfrage erklärte der Beschwerdeführer, die Frau und die Tochter würden sich jetzt in St. Petersburg befinden. Der Beschwerdeführer habe mit den beiden in St. Petersburg gelebt, sei jetzt aber rechtmäßig geschieden. Er habe im Jahr 2007 als Asylwerber in Zypern gelebt und dort im Jahr 2013 seine Frau kennen gelernt. Sie habe ein Kind gehabt, als sie sich kennengelernt hätten. Im Jahr 2014 sei der Beschwerdeführer nach Russland nach St. Petersburg geflogen und sie hätten am XXXX 2014 geheiratet. Die Scheidung sei am XXXX 2017 erfolgt. Befragt, was er nach der Scheidung gemacht habe, schilderte der Beschwerdeführer, dass er zwei Firmen in Russland "gemacht" habe. Seine Frau sei eine sehr bekannte und wichtige Anwältin dort gewesen. Aufgrund ihres Berufs habe sie es geschafft, dass er alles an sie verloren habe. Es sei ihm danach nicht gut gegangen. Er habe beschlossen, in den Iran zurückzukehren, um auf die Beine zu kommen. Er sei ein Geschäftsmann gewesen, ihm sei es gut gegangen. Er habe viele Reisen unternommen und habe Schengen-Visa aus Finnland gehabt. Deswegen habe er auch eine Rundreise durch Europa gemacht. Er sei ca. 15 Mal in Finnland gewesen.

Die Frage, ob er in Finnland Verwandte habe, verneinte der Beschwerdeführer. Sein Zwillingsbruder lebe in Wien. Er habe auch noch einen Bruder in Zypern. Entfernte Familie seines Vaters sei in Deutschland; sie stünden in engem Kontakt. Die Familie lebe schon länger dort. Der Beschwerdeführer nannte die Namen und Geburtsdaten seiner Brüder und erklärte, dass sein Zwillingsbruder in Österreich anerkannter Flüchtling sei und sein Bruder in Zypern bereits seit 2005 dort lebe und noch Asylwerber sei. Mit dem Zwillingsbruder lebe er jetzt im gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer bekomme von der österreichischen Regierung keine Unterstützung. Sein Bruder finanziere ihn.

Nachgefragt, welchen Status er in der russischen Föderation gehabt habe, erklärte der Beschwerdeführer, er habe es - nachdem seine Frau Anwältin gewesen sei - geschafft, ein fünf-Jahres-Visum zu erhalten. Das sei so wie ein Reisepass. Er habe damit reisen und arbeiten können. In diesem Reisepass sei nichts abgestempelt worden. Sein Visum sei noch gültig bis 2012 oder 2022. Er habe aber Angst vor seiner Frau. Eine Verlängerung des Visums würde er nicht bekommen, weil er in den letzten Jahren dort nicht gearbeitet bzw. keine Steuern gezahlt habe.

Dem Beschwerdeführer wurde sodann zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt sei, ihn aufgrund der vorliegenden Zustimmung Italiens dorthin außer Landes zu bringen. Dazu entgegnete der Beschwerdeführer, er sei über die Türkei nach Griechenland, nach Slowenien und von dort nach Graz und Wien gefahren. Er sei auf dieser Reise nie in Italien gewesen. Er habe zwei Reisepässe gehabt, einen iranischen und einen russischen Pass. Die Reisepässe habe er dem Schlepper gegeben. Es sei vereinbart gewesen, dass der Schlepper ihn nach Österreich zu seinem Bruder bringe. Der Beschwerdeführer habe ein österreichisches Visum haben wollen, um damit nach Österreich zu kommen. Der Schlepper habe vorgeschlagen, wie wäre es mit Italien? Er habe gelacht und gemeint, ein österreichisches Visum zu bekommen, sei schwierig. In Italien seien Mafiaverhältnisse. In Griechenland sei dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden, dass für ihn ein italienisches Visum ausgestellt worden sei. Der Schlepper habe dem Beschwerdeführer gesagt, er werde die Reisepässe dem Bruder des Beschwerdeführers schicken. Er habe gesagt, der Beschwerdeführer könne auch den schwierigen Weg gehen. Der Beschwerdeführer habe sich für den schwierigen Weg entschieden und sei in einen Container gebracht worden. So sei er auch nach Österreich gelangt. In Slowenien habe er aussteigen müssen. Er habe gedacht, er sei schon in Wien. Der Schlepper habe gesagt, der Beschwerdeführer müsse noch ein Auto nehmen. Ein slowakisches Ehepaar habe ihn dann mitgenommen; sie hätten russisch gesprochen. Der Beschwerdeführer habe zwar nach Wien wollen, aber sie hätten gesagt, sie könnten ihn nur bis Graz bringen. Der Beschwerdeführer habe 50,-- EUR gezahlt. In Graz habe die Familie ihm dann ein Busticket nach Wien und ein Sandwich gekauft. Am 30.07.2019 sei er in Wien angekommen und am 31.07.2019 habe er sich "angemeldet". Sein Bruder habe ihn in Wien um Mitternacht abgeholt. Die Reisepässe habe der Beschwerdeführer während der Reise nicht bei sich gehabt. Sie seien beim Schlepper oder dem Gehilfen gewesen. Dieser habe weder angerufen, noch sich sonst gemeldet. Der Beschwerdeführer habe nur seinen iranischen Führerschein, den er jetzt aber nicht mithabe; er sei zuhause in der Wohnung.

Vorgehalten, weshalb der Schlepper trotzdem ein Visum besorgen sollte, obwohl sich der Beschwerdeführer angeblich für den schwierigen Weg entschiede habe, meinte der Beschwerdeführer, er habe den Verbindungsmann einmal in der Türkei getroffen. Er habe ihm damals gesagt, dass er nicht nach Italien wolle. Der Verbindungsmann habe gesagt, dass das Visum trotzdem fertig sei. Der Beschwerdeführer habe nicht gewusst, dass es ein Dublin-Verfahren gebe, wenn er italienischen Boden nie berühre, sonst wäre er gleich mit dem Visum ausgereist. Sie hätten gesagt, sie würden das Visum canceln. Der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, dass das auch geschehen sei und das Visum gecancelt worden sei.

Im Protokoll wurde vermerkt, dass der Beschwerdeführer einen Zettel mit handschriftlichen Notizen bei sich hatte und diesen verwendete; es wurde ihm die Frage gestellt, wofür er diesen Zettel benötige, woraufhin er angab, er habe alle Daten aus dem Persischen umgerechnet, und zwar Scheidungsdatum, Heiratsdatum, Taufe usw.

Zu den aktuellen Länderberichten zu Italien gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab. Zur Frage, inwiefern eine Ausweisung nach Italien in sein Privat- oder Familienleben eingreife, brachte der Beschwerdeführer vor, er sei etwa sechs Monate unterwegs gewesen nach Österreich anstatt zwei Wochen. Es sei ihm psychisch nicht so gut gegangen; jetzt gehe es wieder einigermaßen. Die Flüchtlinge hätten in Italien und Griechenland allgemein keine gute Betreuung. Die Länder hätten selber wirtschaftliche Probleme. Der Beschwerdeführer habe anfangs in Österreich zu einem Psychiater gehen wollen, weil er in keiner guten Verfassung gewesen sei. Dafür müsse man sich versichern lassen. Da seine Zukunft ungewiss sei, habe er das noch nicht getan. Es sei klar, dass sein Privatleben durcheinanderkomme. Deshalb wolle er nicht nach Italien gehen. Er habe nach elf Jahren seinen Zwillingsbruder wiedergesehen. Sie seien sich immer sehr nahe gewesen.

Die anwesende Rechtsberaterin stellte keine Fragen und erstattete kein weiteres Vorbringen. Der Beschwerdeführer ergänzte abschließend, dass er nicht als Gast nach Österreich gekommen sei, um sich hier aushalten zu lassen. Er wolle auf eigenen Beinen stehen. Er habe kein gratis Essen haben wollen. Auch wenn es schwierig gewesen sei, habe er versucht, selbst dafür aufzukommen. Obwohl sein Bruder 1.700,-- EUR im Monat verdiene, gehe er regelmäßig Blutspenden, damit er sich etwas dazuverdiene. Der Bruder habe ab und zu Schwindel und es falle ihm schwer, aber beide würden auf eigenen Beinen stehen wollen. Der Beschwerdeführer habe versucht, einen Job zu finden, damit er sofort nach Erhalt der weißen Karte in Berufsleben einsteigen könne. Die Firma, die er gefunden habe, sei in dem Bereich tätig, in dem der Beschwerdeführer gearbeitet habe. Die Firma liefere und montiere. Der Beschwerdeführer habe sogar für den Tag, nach Erhalt der weißen Karte, alles organisiert. Er spreche ganz wenig Deutsch. Seiner Erfahrung nach müsse man viel zuhören, um ein Gefühl für die Sprache zu bekommen. Er spreche Russisch, Griechisch und Englisch. Er habe sich nach einem Sprachkurs erkundigt. Es heiße aber, dass man erst nach Erhalt der weißen Karte einen Kurs besuchen dürfe. Er ersuche, in Österreich bleiben zu dürfen. Er sei nie in Italien gewesen und habe von Anfang an nicht vorgehabt, nach Italien zu reisen.

Zum Akt genommen wurde eine Kopie des handschriftlich verfassten Notizzettels, ein Empfehlungsschreiben einer Transportfirma sowie betreffend den Zwillingsbruder die Kopie dessen Konventionsreisepasses, des Meldezettels und der Bestätigung über die sozialversicherungsrechtliche Meldung.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 08.01.2019 [richtig: 08.01.2020] wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 2 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Lage in Italien traf das BFA folgende Feststellungen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Gesamtaktualisierung am 09.10.2019, unkorrigiert):

Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Im Oktober 2018 gab es mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 (auch als "Salvini-Dekret" bzw. "Salvini-Gesetz" bekannt) einige legislative Änderungen (siehe dazu insbesondere Abschnitte 6. und 7. in diesem LIB, Anm.):

(...)

(AIDA 4.2019; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Mit Stand 27. September 2019 waren in Italien 49.014 Personen in einem Asylerfahren, davon haben 26.240 Personen ihren Asylantrag im Jahr 2019 gestellt (MdI 27.9.2019).

Im Jahre 2019 haben die italienischen Asylbehörden bis zum 7. Juni

42.916 Asylentscheidungen getroffen, davon erhielten 4.605 Personen Flüchtlingsstatus, 2.790 subsidiären Schutz, 672 humanitären Schutz,

2.340 waren unauffindbar und 32.304 wurden negativ entschieden (MdI 7.6.2019). Mit Anfang Oktober 2019 waren in Italien 50.298 Asylanträge anhängig (SN 2.10.2019).

Die Asylverfahren nehmen, inklusive Beschwerdephase, bis zu zwei Jahre in Anspruch (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

-

MdI - Ministero dell'Interno (27.9.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail

-

MdI - Ministero dell'Interno (7.6.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo,

https://www.camera.it/application/xmanager/projects/leg18/attachments/upload_file_doc_acquisiti/pdfs/000/001/795/REPORT_FINO_AL_07.06.2019_.pdf, Zugriff 24.9.2019

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SN - Salzburger Nachrichten (2.10.2019): Zahl der Migrantenankünfte in Italien 2019 stark rückläufig, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/zahl-der-migrantenankuenfte-in-italien-2019-stark-ruecklaeufig-77097958, Zugriff: 9.10.2019

-

USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

Dublin-Rückkehrer

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Mit dieser ist dann ein Termin zu vereinbaren. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 4.2019).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch. Der Rückkehrer könnte aber auch als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert werden. Derartige Fälle wurden 2018 vom Flughafen Mailand Malpensa berichtet (AIDA 4.2019).

2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann der Rückkehrer binnen 12 Monaten ab Suspendierung einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann nur ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 4.2019).

3. Wurde das Verfahren des Antragstellers in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 4.2019). (Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.2. "Dublin-Rückkehrer", Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019). (für nähere Informationen zu diesem Thema siehe Abschnitt 7. "Schutzberechtigte", Anm.) Wenn Dublin-Rückkehrer im Besitz eines humanitären Aufenthaltes waren, der nicht fristgerecht in einen der neuen Aufenthaltstitel umgewandelt wurde, sind sie zum Aufenthalt in Italien nicht mehr berechtigt und damit von der Versorgung ausgeschlossen (SFH 8.5.2019).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

-

SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Non-Refoulement

Medienberichten zufolge wurden 2018 über 100 auf See aufgelesene Migranten nach Libyen zurückgebracht. Italienische Gerichte haben Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen Asylverfahren der besagten Afghanen bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan annulliert (AIDA 4.2019).

Mit Gesetz 132/2018 wurde auch das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten in Italien eingeführt. Da aber bislang keine entsprechende Liste sicherer Herkunftsstaaten beschlossen wurde, wird das Konzept in der Praxis derzeit nicht angewendet (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über ignorierte Versuche Asyl zu beantragen und kollektive Kettenabschiebung nach Slowenien und weiter bis nach Bosnien-Herzegowina (AI 1.3.2019).

Quellen:

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AI - Amnesty International (1.3.2019): Italy: Refugees and migrants' rights under attack: Amnesty International submission for the UN Universal Periodic Review, 34th Session of the UPR Working Group,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2007541/EUR3002372019ENGLISH.pdf, Zugriff 30.9.2019

-

AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019

Versorgung

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als "Salvini-Dekret" bzw. "Salvini-Gesetz" bekannt) gibt es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wird völlig neu organisiert und nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Erstaufnahmeeinrichtungen ("prima accoglienza") werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019) und Vulnerable (mit Ausnahme von UMA) (SFH 8.5.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt ist. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

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Unterbringung, Verpflegung

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Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

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notwendige Transporte

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medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

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Hygieneprodukte

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Wäschedienst oder Waschprodukte

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Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

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Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

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Schulbedarf

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usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).

Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für die Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten). Ebenso eingespart wird psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist. Rechtsberatung und kulturelle Mediation werden reduziert (AIDA 4.2019; vgl. SFH 8.5.2019).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI ("Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati" - Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 4.2019). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben ("neue" humanitäre Titel; siehe dazu mehr in Abschnitt 7. "Schutzberechtigte", Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Nur diejenigen asylsuchenden Personen und Inhaber eines humanitären Status, denen vor dem 4. Oktober 2018 ein Platz in einem SPRAR-Zentrum zugesagt wurde, werden noch in einem SPRAR-Zentrum untergebracht (SFH 8.5.2019). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel ("permesso di soggiorno") übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019). Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, dass die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von €

35/Person/Tag auf € 21/Person/Tag senken sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019). Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, scheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019). Kritiker meinen hingegen, die neuen Vorgaben würden zu einem Abbau von Personal in den Unterbringungseinrichtungen und zur Reduzierung der gebotenen Leistungen führen. Kleinere Zentren würden unwirtschaftlich und zur Schließung gezwungen, stattdessen würden größere, kostensenkende Kollektivzentren geschaffen (SFH 8.5.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (AIDA 4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

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VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Unterbringung

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. Gemäß der Praxis in den Vorjahren erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 4.2019).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als "Hotspots" (gemäß dem sogenannten "Hotspot-approach" der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2018 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina), die zusammen 453 Migranten beherbergten. Zu Identifikationszwecken werden Migranten in den Hotspots oft wochenlang festgehalten, was Kritiker als ungesetzlich bezeichnen (AIDA 4.2019).

Erstaufnahme

Diese soll in den bereits existierenden Zentren (Centri d'accoglienza richiedenti asilo, CARA und Centri di accoglienza, CDA) und in neu festzulegenden Einrichtungen umgesetzt werden. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil erheblich. Derzeit gibt es 14 Erstaufnahmezentren, aber Anfang 2019 hat das Innenministerium verlautbart, die großen Zentren schließen und durch kleinere ersetzen zu wollen, weil diese leichter zu kontrollieren seien. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 9.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. Auch in den CAS ist der Unterbringungsstandard stark von der betreibenden Präfektur abhängig. In der Vergangenheit wurden einige CAS stark für die dortigen Zustände kritisiert. In Zukunft sollen die Ende 2018 veröffentlichten amtlichen Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen (AIDA 4.2019).

Die Erstaufnahmezentren müssen seit Oktober 2018 alle Asylsuchenden, einschliesslich Vulnerabler, mit Ausnahme von UMA, aufnehmen. Die Aufnahmezentren der ersten Stufe haben infolge der neuen Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen mit erheblichen Budgetkürzungen zu kämpfen. Diese Kürzungen führen zu einer Verringerung des Personalbestands und somit einer Verschlechterung der Betreuung der Asylsuchenden (SFH 8.5.2019).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in ein SIPROIMI. Die Erstaufnahmeeinrichtungen bieten keine Integrationsprojekte, wie Berufsorientierung, etc. (AIDA 4.2019).

(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Abschnitt 7. "Schutzberechtigte", Anm.)

Private Unterbringung / NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von karitativen Organisationen bzw. Kirchen. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel. Im April 2017 beherbergten außerdem über 500 Familien in Italien einen Fremden. In einer Initiative der Caritas waren im Mai 2017 rund 500 weitere Migranten privat untergebracht (AIDA 4.2019).

Im Feber 2018 waren in ganz Italien geschätzt mindestens 10.000 Personen von der Unterbringung faktisch ausgeschlossen, darunter Asylwerber und Schutzberechtigte. Sie leben nicht selten in besetzen Gebäuden, von denen mittlerweile durch Involvierung von Regionen oder Gemeinden aber auch viele legalisiert wurden (MSF 8.2.2018). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 4.2019). Auch Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichteten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 13.3.2019).

Mit Stand 30.9.2019 befanden sich in Italien 99.599 Migranten in staatlicher Unterbringung (VB 30.9.2019).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Italien verfügt außerdem über sieben Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 751 Plätzen. Unbegleitete Minderjährige und Vulnerable dürfen nicht in CPR untergebracht werden, Familien hingegen schon. In der Praxis werden aber nur sehr selten Kinder in CPR untergebracht. Wenn Migranten in den Hotspots die Abgabe von Fingerabdrücken verweigern, können sie zu Identifikationszwecken für max. 180 Tage in CPR inhaftiert werden (AIDA 4.2019).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

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MSF - Médecins Sans Frontières (8.2.2018): "Out of sight" - Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 8.10.2019

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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

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VB des BM.I Italien (30.9.2019): Bericht des VB, per E-Mail

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VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Dublin-Rückkehrer

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als "Salvini-Dekret" bzw. "Salvini-Gesetz" bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen ("prima accoglienza"), welche CAS und CARA ersetzen sollen, ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber kein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) vorgesehen ist (AIDA 4.2019).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (MdI 8.1.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Genauer sollen Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung überstellt werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. (AIDA 4.2019).

Bezüglich des Verlustes des Rechtes auf Unterbringung gelten noch immer die Regeln aus dem Dekret 142/2015: Verlässt eine Person unerlaubt eine staatliche Unterbringung, so wird von einer freiwilligen Abreise ausgegangen und sie verliert das Recht auf Unterbringung. Dies gilt auch nach einer Dublin-Rückkehr (SFH 8.5.2019). Die Präfektur kann eine neuerliche Unterbringung verweigern (AIDA 4.2019). Solche Personen sind gegebenenfalls auf private oder karitative Unterbringungsmöglichkeiten bzw. Obdachlosenunterkünfte angewiesen. Hat der Rückkehrer vor der Weiterreise kein Asylgesuch in Italien gestellt und tut dies erst nach der Rückkehr, besteht das Recht auf Unterbringung ohne Einschränkung. Da sich die formelle Einbringung des Antrags aber oftmals über Wochen verzögern kann, kann bis zur Unterbringung eine entsprechende Lücke entstehen (SFH 8.5.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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