TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/4 W222 2014521-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2019
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Entscheidungsdatum

04.11.2019

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W222 2014521-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nepal, vertreten durch XXXX , Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 1

und Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein nepalesischer Staatsangehöriger, stellte am 05.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2014, Zl. 820161300-2026235, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nepal (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nepal zulässig ist und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28.06.2017, GZ. XXXX , gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat: "Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wird nicht erteilt." Die Entscheidung erwuchs am 29.06.2017 in Rechtskraft.

Am 17.07.2017 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG und brachte ein Konvolut an Integrationsunterlagen in Vorlage.

Mit Schreiben vom 04.12.2018 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführer binnen 14 Tagen zu einer schriftlichen Stellungnahme auf sowie zur Vorlage von Identitätsdokumenten in eventu der Stellung eines Heilungsantrages gemäß § 4 AsylG-DV.

Am 21.12.2018 langte die schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers mit einem Konvolut an Integrationsunterlagen ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.02.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 17.07.2017 gemäß § 55 AsylG 2005 idgF ab (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nepal zulässig sei (Spruchpunkt III.), und die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde zu Spruchpunkt I ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich habe, zumal seine Frau und sein Sohn im Herkunftsland leben würden. Ferner wurde sinngemäß aufgezeigt, dass sich der Beschwerdeführer ausschließlich aus Leistungen der Grundversorgung seinen Lebensunterhalt finanziere, er zwar Bemühungen zeige sich zu integrieren, allerdings sei ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus stets bewusst gewesen, weshalb das entstandene Privatleben in den Hintergrund rücke. In Summe seien die Bindungen zu Österreich im Vergleich zu jenen des Herkunftsstaates relativ schwach ausgeprägt und es könne nicht von einer umfassenden Integrationsverfestigung ausgegangen werden, die die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK rechtfertige.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde, worin im Wesentlichen geltend gemacht wurde, dass dem Beschwerdeführer angesichts seiner über 7-jährigen Aufenthaltsdauer, seiner sprachlichen sowie gesellschaftlichen Integration, der Vorlage eines arbeitsrechtlichen Vorvertrages, seiner Berufserfahrung als Koch und seiner zahlreichen Kontakte zu ÖsterreicherInnen zumindest ein Aufenthaltsrecht aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG zu gewähren sei.

Mit Schreiben der ausgewiesenen Rechtsvertretung, eingelangt beim Bundes-verwaltungsgericht am 14.05.2019, 28.05.2019, 05.07.2019 und 13.09.2019, wurden weitere Integrationsunterlagen übermittelt sowie um Mitteilung zum Verfahrensstand ersucht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nepal. Er hat 12 Jahre die Schule besucht sowie zwei Jahre studiert. In seiner Heimat hat er als Lehrer, und in einem Hotel gearbeitet. Im Bundesgebiet verfügt er über keinerlei Familienangehörige.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten, gesund und arbeitsfähig. Er lebt seit Februar 2012 durchgehend in Österreich.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 05.02.2012 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2014 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nepal abgewiesen und der Beschwerdeführer wurde unter einem aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nepal ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2017 als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer tätigte stets gleichbleibende Angaben zu seinen Personendaten, konnte diese aber nicht mittels Identitätsdokumente untermauern, noch konnte bis dato ein Heimreisezertifikat erwirkt werden.

Am 17.07.2017 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

Der Beschwerdeführer ist seit 07.03.2012 durchgehend aufrecht gemeldet, wobei er zuvor von 08.02.2012 bis 06.03.2012 in der XXXX betreut wurde und Unterkunft fand.

Sein Lebensunterhalt wird durch die Grundversorgung XXXX getragen und er lebt seit 13.02.2013 durchgehend an selber Adresse.

Der Beschwerdeführer hat seit dem Jahr 2014 unzählige gemeinnützige Tätigkeiten für Asylwerbende für den Magistrat der Stadt XXXX geleistet.

Am 28.07.2014 bestand der Beschwerdeführer die ÖSD-Prüfung der A2 Grundstufe Deutsch. Im Zeitraum vom 30.04.2019 bis 13.06.2019 absolvierte der Beschwerdeführer einen Deutsch-/ Integrationskurs auf dem Niveau B1/1. In weiterer Folge besuchte der Beschwerdeführer den Folgekurs, der am 07.10.2019 endete.

Dem Beschwerdeführer wurde für die Zeit vom 29.11.2016 bis 15.05.2017 durch das Arbeitsmarktservice XXXX eine Beschäftigungsbewilligung als Koch erteilt. Weitere Anträge wurden abgelehnt.

Am 18.12.2018 schloss der Beschwerdeführer einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag als Koch mit der XXXX OG in XXXX ab.

Der Beschwerdeführer engagiert sich für den NRNA Non-Resident Nepali Association Verein in XXXX und ist seit März 2019 ehrenamtlich im Freiwilligennetz XXXX tätig. Er verfügt über einen großen Bekannten- und Freundeskreis in Österreich.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Verfahrensablauf ergeben sich aus den Verwaltungs- und Gerichtsakten.

Die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand, seiner Schulbildung und Berufstätigkeit ergeben sich aus seinen Angaben vor der Verwaltungsbehörde.

Die Feststellungen zum Familien- und Privatleben in Österreich und in Nepal einschließlich allfälliger Aspekte einer Integration des Beschwerdeführers in Österreich, ergeben sich aus seinen Angaben vor der Verwaltungsbehörde, den schriftlichen Eingaben im Beschwerdeverfahren, den vorgelegten Bescheinigungsmitteln und den amtswegig eingeholten Auskünften im gegenständlichen Verfahren.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ist dem Strafregisterauszug vom 03.10.2019 zu entnehmen.

Die Feststellungen zur aufrechten durchgehenden Meldung in Österreich und der Erwerbstätigkeit als Koch, ist dem Melderegisterauszug vom 03.10.2019 sowie dem Sozialversicherungsauszug vom 08.10.2019 zu entnehmen.

Hinsichtlich der Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers wird hervorgehoben, dass er nach dem Erwerb des A2 Diploms gewillt war, seine Deutschkenntnisse zu verbessern, indem er jüngst einen B1 Kurs besuchte und dies mittels Teilnahmebestätigung untermauern konnte.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nach Erlangung eines Aufenthaltstitels beruflich tätig werden wird und im Zuge dessen selbsterhaltungsfähig sein wird, ergibt sich aus der Vorlage des arbeitsrechtlichen Vorvertrages.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z 1).

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Seine Entscheidung hat es an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

Zu A)

Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG lautet wie folgt: "(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Der Begriff des Familienlebens ist jedoch nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstige nahen Angehörigen in Österreich. Die Rückkehrentscheidung stellt daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familienlebens dar.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055). Ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt kann den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet - unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände - ein großes Gewicht verleihen (vgl. VwGH 10.05.2011, Zl. 2011/18/0100, mwN). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zuletzt VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325; auch VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249; 30.08.2011, 2008/21/0605; 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; 30.06.2016, Ra 2016/21/0165). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist aber auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005; 23.02.2017, Ra 2016/21/0340). Zu den Umständen, die ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechen, zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, eine zweifache Asylantragstellung, unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren, sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005). "Im Ergebnis bedeutet das, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer" (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).

Im vorliegenden Fall hält sich der Beschwerdeführer seit Februar 2012 - sohin seit mehr als siebeneinhalb Jahren - im österreichischen Bundesgebiet auf und war durchgehend im Zentralen Melderegister gemeldet. Angesichts dieser langjährigen Aufenthaltsdauer kann nicht die Rede davon sein, dass der unbescholtene Beschwerdeführer die Zeit seines Aufenthalts überhaupt nicht genützt hätte, um sich in Österreich zu integrieren. Der Beschwerdeführer hat nachweislich Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 erworben, zumal er eine ÖSD-Deutschprüfung für dieses Niveau bestand und in weiterer Folge durch die Absolvierung weiterer Deutschkurse auf dem Niveau B1, den Willen zeigte, seine Deutschkenntnisse zu verbessern um so seine Integration zu vertiefen. Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer einen - auch aus österreichischen Staatsangehörigen bestehenden - Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut hat, wie sich aus den in Vorlage gebrachten Unterstützungs- und Referenzschreiben ergibt. Der Beschwerdeführer erhielt während seines Aufenthalts in Österreich, durch eine befristete Beschäftigungsbewilligung als Koch, die Möglichkeit einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Weitere Anträge (vom 26.07.2016 und 12.04.2017) wurden durch das Arbeitsmarktservice XXXX abgelehnt. Nichtsdestotrotz wird damit aufgezeigt, dass der Beschwerdeführer gewillt ist, am österreichischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sich ein eigenständiges Leben in Österreich aufzubauen und selbsterhaltungsfähig zu sein. Als weiteres Beweismittel hiezu brachte der Beschwerdeführer einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag in Vorlage.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt Einstellungszusagen in Zusammenhang mit einem langjährigen Aufenthalt Bedeutung zu (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168; VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0165).

Zulasten des Beschwerdeführers wiegt zwar, dass er seit der rechtskräftigen Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutzes in Österreich verblieb, allerdings zeigte er sich den österreichischen Behörden gegenüber stets kooperativ und weist keine Meldelücken auf, sodass er auch immer für die österreichischen Behörden greifbar war.

Zwar hat der Beschwerdeführer seinen Bezug zum Herkunftsland, wo er aufgewachsen ist und den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat, nicht verloren, zumal er dort über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Da sich der Beschwerdeführer jedoch seit mehr als siebeneinhalb Jahren in Österreich aufhält, hier einen Freundessowie Bekanntenkreis aufgebaut hat, ehrenamtlich engagiert ist, bereits als Koch berufstätig war, er gewillt ist in Zukunft vollzeitig zu arbeiten, bereits einen Vorvertrag vorzulegen vermochte und über gute Deutschkenntnisse verfügt, sind die Bindungen zum Herkunftsstaat vor diesem Hintergrund zu relativieren.

Angesichts der dargestellten integrationsbegründenden Umstände und der Aufenthaltsdauer ist vor dem Hintergrund der höchstgerichtlichen Judikatur von einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich auszugehen, weshalb die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß § 81 Abs. 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

§ 14a Abs. 4 NAG idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 lautete: "Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

2. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt,

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder

4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzt.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) beinhaltet das Modul 1."

Das Modul 1 dient gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG (idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017) dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung. Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat gemäß § 14 Abs. 3 NAG (idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017) der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen. Ziel des Deutsch-Integrationskurses (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) ist gemäß § 7 Abs. 1 Integrationsvereinbarungs-Verordnung die Erreichung des A2-Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, wie im Rahmencurriculum für Deutsch-Integrationskurse (Anlage A) beschrieben. Den Abschluss des Deutsch-Integrationskurses bildet gemäß § 7 Abs. 2 leg. cit. eine Abschlussprüfung, zumindest auf dem A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, durch den ÖIF.

Im vorliegenden Fall ist - wie zuvor erörtert - die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten. Da der Beschwerdeführer auch Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 im Sinne des § 14a Abs. 4 NAG (idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017) iVm § 81 Abs. 36 NAG nachweisen konnte (durch das am 28.07.2014 ausgestellte Diplom einer ÖSD zertifizierten Einrichtung für das Niveau A2), erfüllt er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung, weshalb ihm gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen war.

Das Bundesamt hat den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen, der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, im gegenständlichen Fall erfüllt. Der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung reicht aber bei sonstigem Vorliegen der Voraussetzung des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht aus, um eine Verhandlungspflicht zu begründen (vgl. VwGH 22.11.2006, Zl. 2005/20/0406 und viele andere).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltsdauer, Aufenthaltstitel,
Deutschkenntnisse, Integration, Privatleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W222.2014521.2.00

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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