TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/29 G305 2192560-1

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Veröffentlicht am 29.11.2019
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Entscheidungsdatum

29.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2192567-1/16E

G305 2192564-1/24E

G305 2192570-1/13E

G305 2192560-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) der XXXX, geboren am XXXX, 2.) der mj. XXXX, geboren am XXXX, 3.) der mj. XXXX, geboren am XXXX, und 4.) des mj. XXXX, geboren am XXXX, alle StA. Irak, 1.) - 3.) vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, 4.) vertreten durch die Rechtsberatung der Caritas der Diözese Graz-Seckau, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 14.03.2018, 1.) Zl. XXXX, 2.) Zl. XXXX, 3.) Zl. XXXX, 4.) Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.02.2019, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkte I. der angefochtenen

Bescheide werden gemäß

§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird 1.) XXXX, geboren am XXXX, 2.) XXXX, geboren am XXXX, 3.) XXXX, geboren am XXXX und 4.) XXXX, geboren am XXXX, der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird 1.) XXXX, geboren am XXXX, 2.) XXXX, geboren am XXXX, 3.) XXXX, geboren am XXXX und 4.) XXXX, geboren am XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerden werden die jeweiligen Spruchpunkte

III. bis VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer 1.) XXXX, geboren am XXXX (im Folgenden: BF1) und ihre Tochter 2.) XXXX, geboren am XXXX (im Folgenden: BF2) reisten gemeinsam mit dem damaligen traditionell geehelichten Ehegatten der BF 1, XXXX, geboren am XXXX (im Folgenden: BY) aus dem Irak aus und stellten am 11.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am gleichen Tag fand eine Erstbefragung vor Organen der LPD

XXXX statt.

In der Erstbefragung gab die BF 1 befragt nach ihrem Fluchtgrund an, dass sie vor dem Krieg geflüchtet sei. Ihre Heimatstadt Mossul sei bombardiert worden, weil eine Gruppe von radikalen Kämpfern die Stadt besetzt gehalten habe. Dies Gruppe heiße "XXXX" oder ähnlich, sie wisse nicht, wer sie seien, aber sie würden die Häuser zerstören und Leute töten, sogar Kinder. Sie habe Angst vor dem Krieg und fürchte Bombardements.

In der Erstbefragung gab die BF 2 befragt nach ihrem Fluchtgrund an, dass Flugzeuge ihre Stadt bombardiert hätten.

2. Am XXXX.2016 wurde die zweite Tochter der BF 1, XXXX, geboren (im Folgenden: BF3), für welche am 11.03.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

Am XXXX.2016 wurde der Sohn der BF 2, XXXX (im Folgenden: BF4), für welchen am 13.09.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

3. Anlässlich einer am 11.07.2017 von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde oder kurz: BFA) durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme gab die BF 1 zusammengefasst zu ihren Fluchtgründen vor, vor dem Krieg geflüchtet zu sein.

Die BF 2 gab in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.07.2017 an, aufgrund des Krieges aus dem Irak geflüchtet zu sein.

4. Mit den hier verfahrensgegenständlichen, jeweils zum 14.03.2018 datierten Bescheiden, 1.) Zl. XXXX, 2.) Zl. XXXX, 3.) XXXX und 4.)

XXXX wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkte I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkte II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 -3 FPG eingeräumt (Spruchpunkte VI.).

5. Mit dem fristgerecht eingebrachten Schriftsatz erhoben die BF 1 - BF 3 gemeinsam durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragten Asyl, allenfalls subsidiären Schutz gewähren; allenfalls einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen; allenfalls die angefochtenen Bescheide zu beheben und zur Ergänzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückverweisen; eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen; allenfalls den Beschwerdeführerinnen einen Aufenthaltstitel erteilen.

In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass die BF 1 Angst vor der Familie ihres Exmannes habe und sie nicht in einem Land leben wolle, in dem sich Frauen nicht frei bewegen könnten und ständig diskriminiert würden. Die BF 1 sei außerdem eine alleinstehende Frau und alleinerziehende Mutter und sei im Irak besonders gefährdet. Die BF 1 sei aufgrund ihrer mangelnden Bildung vor Ausbeutung gefährdet und könne nicht alleine für ihre Kinder sorgen.

Ebenso erhob der BF 4 Beschwerde durch seine rechtliche Vertretung und wies insbesondere auf seinen Gesundheitszustand und die mangelnde medizinische Versorgung im Irak hin. Zudem sei der Umstand, dass er als uneheliches Kind geboren sei, asylrelevant.

6. Die belangte Behörde legte die gegen die vorbezeichneten Bescheide gerichteten Beschwerden, die angefochtenen Bescheide und die Bezug habenden, jeden einzelnen Beschwerdeführer betreffenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vor; hier wurden die Beschwerdesachen der Gerichtsabteilung G305 zur Erledigung zugewiesen.

7. Am 22.02.2019 wurde vor dem erkennenden Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, anlässlich der die einzelnen Beschwerdesachen gemäß § 39 Abs. 1 AVG iVm. § 17 VwGVG zur gemeinsamen Verhandlung miteinander verbunden wurden und in deren Rahmen die BF1 und BF 2 im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache als Parteien in Anwesenheit ihrer Rechtsvertretung einvernommen wurden. Für den BF 4 nahm eine von der BH Graz-Umgebung bevollmächtigte Vertreterin der Rechtsberatung der Caritas teil

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung brachten die BF 1 und BF 2 ergänzend vor, dass die im Irak lebende Familie des BY eine große Gefahr für die Beschwerdeführer darstelle, da sowohl BF 3 als auch BF 4 Kinder des BY seien und ein solches Familienverhältnis im Irak ein Tabu darstelle.

Seitens des erkennenden Richters wurden die im Akt einliegenden Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat in das Verfahren eingebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Seitens der Rechtsvertretung erfolgte keine Stellungnahme und wurde auch keine Frist für eine schriftliche Stellungnahme beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die im Spruch genannten BF 1 - BF 4 sind Staatsangehörige der Republik Irak. Sie gehören der arabischen Volksgruppe an und bekennen sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben. Die Beschwerdeführer stammen aus Mossul und ihre Muttersprache ist Arabisch.

Die BF 1 ist die Mutter von BF 2 und BF 3. BF 2 ist die Mutter von BF 4.

Die BF 1 war im Irak viermal verheiratet. Die BF 2 entstammt der ersten Ehe der BF 1, wobei der Vater noch vor der Geburt der BF 2 verstarb. Die BF 2 wurde sodann von der BF 1 und ihrem zweiten Ehegatten großgezogen. Die BF 1 hat insgesamt sechs Kinder, wobei zwei davon (BF 2 und BF 3) in Österreich leben. Die anderen vier Kinder leben im Irak.

1.2. BF 1 und BF 2 lebten in Mossul in einem Miethaus.

BF 1 hat keine Schulbildung. Sie arbeitete für mehrere Jahre in einem Friseursalon in Mossul und versorgte damit ihre Kinder weitestgehend selbst.

BF 2 besuchte für ein Jahr die Schule. Im Alter von 10 Jahren wurde sie das erste Mal verheiratet und kehrte nach einem Monat wieder zu ihrer Mutter zurück. Wenige Monate später wurde sie erneut verheiratet, wobei ihr zweiter Ehegatte nach wenigen Wochen verschwand.

1.3. BF 1, BF 2 und der vierte traditionell geehelichte Ehemann der BF 1, BY reisten gemeinsam mit der Mutter und den Geschwistern des BY aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage im Jänner 2016 illegal mittels PKW aus dem Irak in die Türkei und von dort weiter Richtung Europa.

BF 1, BF 2 und BY stellten am 11.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

BF 3 wurde am XXXX.2016 in Österreich als Tochter der BF 1 und des BY geboren. BF 4 wurde am XXXX.2016 in Österreich als Sohn der BF 2 geboren. Der Vater des BF 4 steht nicht fest. Für BF 3 und BF 4 wurden die ebenso anhängigen Anträge auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 06.08.2018 wurde dem Kinder- und Jugendhilfeträger Land XXXX, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft XXXX, die gesamte Obsorge für den mj. BF 4 übertragen. Der BF4 ist in einem Kinderdorf im Bundesgebiet untergebracht.

1.4. Zwei Töchter der BF 1 sind verheiratet und leben bei ihren Ehegatten in Mossul. Mit diesen steht die BF 1 fallweise alle drei bis vier Monate in Kontakt übers Internet. Die dritte Tochter der BF 1 lebt bei deren Vater. Die Eltern der BF1 sind verstorben. Der Sohn der BF1 ist obdachlos.

BF 1 verfügt im Irak über Halbgeschwister, welche sie jedoch nie kennenlernte. Weiters leben im Irak Onkel und Tanten der BF 1, wobei die BF 1 zu einer der Tanten väterlicherseits in Kontakt steht.

Den BF1 - BF4 steht im Irak keine Hilfe von ihren Familienangehörigen zur Verfügung. Es ist daher festzustellen, dass die BF1- BF4 im Irak über kein stabiles familiäres Auffangnetz verfügen.

1.5. Gegen den damaligen Ehegatten der BF 1, BY, wurde am 03.08.2016 wegen Gewalt in der Familie ein Betretungsverbot ausgesprochen.

BY tauchte in Folge unter, er weist seit 22.09.2017 keine Wohnsitzmeldung mehr in Österreich auf. Für BY besteht seit 21.12.2017 ein Festnahmeauftrag, sein Asylverfahren wurde am 21.12.2017 vom BFA eingestellt.

Die traditionelle Ehe zwischen der BF 1 und BY ist nicht mehr aufrecht.

Gegenwärtig besteht für die Beschwerdeführer keine Gefahr von Seiten des BY bzw. von dessen Familie im Irak bedroht zu werden.

1.6. Die BF1 und BF2 halten sich seit ihrer Einreise ununterbrochen im Bundesgebiet auf.

Die BF 1 ist strafgerichtlich unbescholten.

Die BF2 wurde am XXXX.2019 vom Bezirksgericht XXXX, XXXX, wegen versuchten Diebstahles von einer Tragetasche mit Obst und Gemüse im Wert von ca. EUR 60,00 in einem Lebensmittelgeschäft unter Vorbehalt der Strafe und einer Probezeit von drei Jahren schuldig gesprochen. Eine Bewährungshilfe wurde angeordnet, es handelt sich um eine Jugendstraftat.

Die BF 1 bis BF 3 sind gesund. Beim BF wurde kurz nach der Geburt die Diagnose Morbus Hirschsprung festgestellt und wurde dieser von 25.08.2016 bis 17.02.2017 stationär im LKH XXXX behandelt. Nach mehreren Operationen muss der BF 4 nicht mehr medikamentös versorgt werden, hat jedoch einen strikten Ernährungsplan einzuhalten.

1.7. Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

1.7.1. Zur allgemeinen Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak.

https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-

stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 19.7.2018

-

CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress. https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf. Zugriff 29.10.2018

-

MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report:

Security in Iraq variable but improving.

https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable

but improving/10061710. Zugriff 30.10.2018

Islamischer Staat (IS)

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018). Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Quellen:

-

Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq,

https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/. Zugriff 30.10.2018

-

CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf. Zugriff 29.10.2018

-

ISW - Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS's Second Resurgence,

https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html. Zugriff 30.10.2018

-

Jamestown Foundation (28.7.2018): Is Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?,

https://iamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/.

Zugriff

30.10.2018

-

Joel Wing - Musings on Iraq (3.7.2018): June 2018 Islamic State Rebuilding In Rural Areas Of Central Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/june-2018-islamic-state-rebuildingin.html, Zugriff 30.10.2018

-

Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-statereturns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018

-

Niqash (12.7.2018): Extremists Intimidate, Harass, Dislocate Locals In Salahaddin, Then Take Over, http://www.niqash.org/en/articles/security/5951/, Zugriff 30.10.2018

-

WP - Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comebackin-iraq-less-than-a-year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-

9d59-dccc2c0cabcf story.html?noredirect=on&utm term=.8ebfcea17e9f, Zugriff 30.10.2018

Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irakstand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 12.10.2018

-

Al Jazeera (21.10.2018): Opposition parties reject vote results in Iraq's Kurdish region, https:// www.aljazeera.com/news/2018/10/opposition-parties-reject-vote-results-iraq-kurdish-region-

181021194012607.html, Zugriff 23.10.2018

-

ANF - ANF News (21.10.2018): Wahlergebnisse in Südkurdistan veröffentlicht,

https://anfdeutsch.com/kurdistan/wahlergebnisse-in-suedkurdistan-veroeffentlicht-7293.

Zugriff

23.10.2018

-

BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (24.1.2018):

Kurdenkonflikt,

https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt.

Zugriff 22.10.2018

-

LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018):

Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum,

http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf.

Zugriff

23.10.2018

-

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.10.2018): Ruling KDP Wins Most Seats In Kurdish Regional Parliament Vote, https://www.rferl.org/a/ruling-kdp-wins-most-seats-inkurdish-regional-parliament-vote/29555348.html. Zugriff 23.10.2018

-

Tagesschau (30.9.2018): Wahl in Irakisch-Kurdistan Ein Parlament. das besser arbeitet?,

https://www.tagesschau.de/ausland/irak-kurden-wahlen-101.html. Zugriff 23.10.2018

1.7.2. Zur Lage von sunnitischen Arabern

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). Es gab zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, die PMF und die Peshmerga (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak.

https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf.

Zugriff 19.7.2018 - USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html. Zugriff 17.8.2018

1.7.3. Zur Lage von Frauen im Irak

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Region Kurdistan: 30 Prozent) verankert (AA 12.2.2018). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene, in Verwaltung und Regierung, weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher, dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind, führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017).

Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.2.2018).

Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 16.1.2018). Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018; vgl. UNIraq 13.3.2013, MIGRI 22.5.2018). Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.2.2018). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 16.1.2018).

Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14 Prozent, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 Prozent (AA 12.2.2018; vgl. ILO 1.2016). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (MIGRI 22.5.2018).

Schätzungen zufolge liegt die Analphabetenrate bei Frauen im Irak bei 26,4 Prozent (UNESCO 18.3.2014). Mehr als ein Viertel von Frauen im Alter von über 15 Jahren können nicht lesen und schreiben (CIA 20.8.2018). In ländlichen Gebieten ist die Rate noch höher (UNESCO 18.3.2014).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018

-CIA (20.8.2018): The World Factbook - Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 31.8.2018

-FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018: Iraq - Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 10.9.2018

-ILO - International Labour Organisation (1.2016): Iraq - Country Fact Sheet,

https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/wcms_444514.pdf, Zugriff 31.8.2018

-K4D - Knowledge, evidence and learning for development (24.11.2017): Women's participation in peacebuilding and reconciliation in Iraq,

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/239-Womens-Participation-in-Peacebuilding-Iraq.pdf, Zugriff 31.8.2018

-MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq,

https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018

-UNESCO - United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (18.3.2014): Literacy for Women - Country Profile:

Iraq, http://litbase.uil.unesco.org/?menu=8&programme=160, Zugriff 31.8.2018

-UNIraq - United Nations Iraq (13.3.2013): Women in Iraq - Factsheet,

https://reliefweb.int/report/iraq/women-iraq-factsheet-march-2013, Zugriff 31.8.2018

Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigung

Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigung Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 20.4.2018), vor dem Frauen nur wenig rechtlichen Schutz haben (HRW 18.1.2018). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, es fehlt jedoch eine ausdrückliche Erwähnung von häuslicher Gewalt (HRW 18.1.2018; vgl. MIGRI 22.5.2018).

Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau "innerhalb gewisser Grenzen" zu bestrafen. Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als "rechtmäßig" interpretiert werden können (MIGRI 22.5.2018; vgl. MRG 11.2015). Nach Artikel 128 Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der "Ehre" oder "vom Opfer provoziert" begangen wurden, ungestraft bleiben bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden (MIGRI 22.5.2018).

Während sexuelle Übergriffe, wie z.B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Dies trifft auch zu wenn das Opfer minderjährig ist (MIGRI 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (MIGRI 22.5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Laut Studien handelt es sich bei denjenigen, die häusliche Gewalt gegen Frauen ausüben, am häufigsten um den Ehemann bzw. den Vater der Frau, gefolgt von Schwiegereltern, Brüdern und anderen Familienmitgliedern (UNFPA 2016; vgl. CSO 6.2012, MIGRI 22.5.2018). Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als "normal" und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen (UNFPA 2016; vgl. MRG 11.2015, MIGRI 22.5.2018). Frauen tendieren dazu häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch um den Täter zu schützen (UNFPA 2016; vgl. MIGRI 22.5.2018). Der Großteil befragter Frauen hatte kein Vertrauen in die Polizei und hielt den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (MIGRI 22.5.2018).

Im Zuge des IS-Vormarschs auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als "Trophäen" an IS-Kämpfer gegeben oder nach Syrien "verkauft" sowie später von ihren Familien "zurückgekauft" wurden (AA 12.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irakstand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018

-

CSO - Central Statistical Organization, Ministry of Planning (6.2012): Iraq Women Integrated Social and Health Survey (I-WISH), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/I-WISH%20Report%20English.pdf, Zugriff 5.9.2018

-

HRW - Human Rights Watch (17.12.2017): Iraq: Parliament Rejects Marriage for 8-Year-Old Girls,

https://www.hrw.org/news/2017/12/17/iraq-parliament-rejects-marriage-8-year-old-girls, Zugriff 29.8.2018

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MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq,

https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018

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MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq:

Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 4.9.2018

-

UNFPA - United Nations Population Fund (2016): The GBV Assessment in Conflict Affected Governorates in Iraq, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/The%20GBV

%20Assesment.pdf, Zugriff 4.9.2018

-

USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018

Schutzmaßnahmen, Schutzeinrichtungen, Frauenhäuser

Der Irak verfügt zurzeit über keinen adäquaten rechtlichen Rahmen, um Frauen und Kinder vor häuslicher, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen bzw. Opfern solcher Gewalt sichere Zufluchtsorte zur Verfügung zu stellen (UNAMI 14.12.2017; vgl. MIGRI 22.5.2018). Die derzeitige Version eines Gesetzesentwurfs zum Familienschutz, der vom Parlament verzögert wird, räumt der Familienaussöhnung eine höhere Priorität als dem Opferschutz ein (UNAMI 14.12.2017).

Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen. Opfer häuslicher Gewalt in Basra berichteten beispielsweise, dass sie Angst hatten sich an Familienschutzeinheiten zu wenden. Sie befürchteten, dass die Polizei ihre Familien unverzüglich informieren würde. Die meisten Familienschutzeinheiten betreiben selbst keine Unterkünfte. "Safe Houses", die von der Regierung und NGOs betrieben werden, sind oft Ziel von Gewalt (USDOS 20.4.2018). Offizielle Schutzeinrichtungen für Frauen, die vor ihren sie misshandelnden Ehemännern fliehen, gibt es keine. In Bagdad wurden Unterkünfte, wo es sie gab, aktiv angegriffen (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die kurdische Regionalregierung hat ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie drei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NGOs betrieben (AA 12.2.2018). Die Angaben zu Frauenhäusern variieren jedoch in den Quellen. USDOS berichtet von einem privat betriebenen und vier staatlichen Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Letztere werden vom Arbeits- und Sozialministerium betrieben (USDOS 20.4.2018). Mark Lattimer spricht von drei Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Um dort aufgenommen zu werden, benötigen Frauen einen Gerichtsbeschluss (Lattimer EASO 26.4.2017). Es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen, die Serviceleistungen sind schlecht (USDOS 20.4.2018; vgl. UNAMI 8.7.2018).

Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert (AA 12.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Einige Frauen werden mangels Notunterkünften obdachlos (USDOS 20.4.2018). Frauen, die in Frauenhäusern oder Notunterkünften untergebracht sind, verfügen nur über wenige Alternativen, abgesehen von einer Eheschließung oder der Rückkehr zu ihren Familien, was oft zu weiterer Bestrafung oder Diskriminierung durch die Familie oder die Gemeinschaft führt (USDOS 20.4.2018; vgl. Lattimer EASO 26.4.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irakstand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018

-

Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meetingreport.pdf, Zugriff 5.11.2018

-

MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq,

https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018

-

UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (14.12.2017):

Report on Human Rights in Iraq: January to June 2017, http://www.refworld.org/docid/5a746d804.html, Zugriff 13.9.2018

-

UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (8.7.2018):

Report on Human Rights in Iraq: July to December 2018, http://www.refworld.org/docid/5b6afc544.html, Zugriff 14.9.2018

-

USDOS - United States Department of State (29.5.2018):

International Religious Freedom Report 2017 - Iraq, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.htm, Zugriff 11.9.2018

Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya)

Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen. Rund 20 Prozent der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren (AA 12.2.2018). Ein Gesetzesentwurf der u.a. die Möglichkeit der Verheiratung von Mädchen im Alter von ab acht Jahren beinhaltet hätte, wurde im Dezember 2017 vom Parlament abgelehnt (HRW 17.12.2017).

Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre. Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von Mädchen, Kinderehen und sogenannte "Ehen auf Zeit" (zawaj al-mut'a) finden im ganzen Land statt. Laut UNICEF waren 2016 rund 975.000 Frauen und Mädchen vor dem 15. Lebensjahr verheiratet, doppelt so viele wie 1990 (USDOS 20.4.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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