TE Bvwg Beschluss 2020/1/27 W235 2201389-1

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Veröffentlicht am 27.01.2020
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Entscheidungsdatum

27.01.2020

Norm

AsylG 2005 §35
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W235 2201389-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Nairobi vom 03.07.2018, Zl. Nairobi-OB/KONS/0482/2018, aufgrund des Vorlageantrages von XXXX , geb. ungeklärt alias XXXX , StA. Somalia, über die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Nairobi vom 18.04.2018, Zl. Nairobi-ÖB/KONS/0297/2018, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1.1. Unter Verwendung des vorgesehenen Befragungsformulars stellte der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, gemeinsam mit seinen drei Geschwistern am 10.04.2017 elektronisch und am 24.07.2017 persönlich bei der Österreichischen Botschaft Nairobi einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG. Vorgebracht wurde, dass er und seine Geschwister die minderjährigen Kinder der somalischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX (= Bezugsperson), seien, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2017, Zl. XXXX , der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden sei.

Dem Antrag wurden nachstehende Unterlagen (in Kopie) beigelegt:

* Auszug aus dem somalischen Reisepass des Beschwerdeführers, dem das Geburtsdatum " XXXX " zu entnehmen ist, ausgestellt am XXXX 2017;

* Geburtsurkunde des Beschwerdeführers (mit englischer Übersetzung) vom XXXX 2017, aus dem das Geburtsdatum " XXXX " ersichtlich ist;

* Identitätsnachweis des Beschwerdeführers (mit englischer Übersetzung), ausgestellt am XXXX 2017, dem das Geburtsdatum " XXXX " zu entnehmen ist;

* Todesbestätigung betreffend den Vater des Beschwerdeführers vom XXXX 2017, demzufolge der Vater des Beschwerdeführers am XXXX 2015 von Banditen erschossen wurde (in englischer Sprache vorgelegt);

* Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2017, Zl. XXXX , mit dem der Bezugsperson der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden war;

* Auszug aus dem Konventionsreisepass der Bezugsperson, Nr. XXXX , ausgestellt am XXXX 2017;

* Asylkarte der Bezugsperson;

* E-Card der Bezugsperson;

* Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom XXXX 2017, mit welchem der Bezugsperson eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs zuerkannt worden war und

* Auskunft aus dem Zentralen Melderegister betreffend die Bezugsperson vom XXXX 2017

1.2. Nach Übermittlung der Einreiseanträge des Beschwerdeführers und seiner Geschwister durch die Österreichische Botschaft Nairobi erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Botschaft den Auftrag zur Durchführung von Abstammungsuntersuchungen.

Dem Gutachten der Sachverständigen des Forensischen DNA-Zentrallabor Wien vom 14.02.2018 ist zu entnehmen, dass die Mutterschaft der Bezugsperson zum Beschwerdeführer und zu seinen Geschwistern praktisch erwiesen ist (Mutterschaftswahrscheinlichkeit von über 99,999 %).

Da aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes die Richtigkeit des vom Beschwerdeführer (und zwei seiner Geschwister [Anm.: dem jüngsten, im Jahr 2007 geborenen Geschwister des Beschwerdeführers wurde ein Einreisevisum ausgestellt]) angegebenen Alters bezweifelt wurde, ersuchte das Bundesamt mit Schreiben vom 12.01.2018 die Österreichische Botschaft Nairobi um Abklärung durch Übermittlung von Röntgenaufnahmen der rechten oder der linken Hand des Beschwerdeführers an das Bundesamt für eine Altersdiagnose.

Am 22.02.2018 teilte das beauftragte Institut, das XXXX , der Österreichischen Botschaft Nairobi das Untersuchungsergebnis des Handwurzelröntgens mit, demzufolge die "hand epiphyses" sowie die "distal radial epiphysis" des Beschwerdeführers geschlossen seien und sohin sein Alter mindestens 19 Jahre betrage.

Mit Schreiben vom 28.02.2018 teilte die Österreichische Botschaft Nairobi dem Bundesamt mit, dass die Röntgenbilder am 21.02.2018 von einem amtsbekannten Arzt aufgenommen worden und der Beschwerdeführer sowie seine beiden Geschwister über 19 Jahre alt seien. Weiters habe der Arzt die Botschaft informiert, dass am darauffolgenden Tag der Dolmetscher, der den Beschwerdeführer und seine Geschwister zum Röntgentermin begleitet habe, in die Praxis des Arztes gekommen sei und versucht habe, diesen zu bestechen, um die Befunde zu ändern.

1.3. Am 14.03.2018 gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG bekannt, dass im gegenständlichen Fall eine Gewährung des Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da der Beschwerdeführer (ebenso wie seine beiden Geschwister) zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits volljährig gewesen sei.

In der bezughabenden Stellungnahme wurde begründend ausgeführt, dass kein relevantes Familienverhältnis im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG vorliege, da sich aus den medizinischen Untersuchungen des XXXX ergeben habe, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine volljährige Person handle und es demnach zum prüfungsrelevanten Zeitpunkt nicht mehr eine minderjährige Person betreffe. Die Bezugsperson habe bereits im Jahr 2015 Somalia verlassen und könne daher nicht von einem Abhängigkeitsverhältnis ausgegangen werden. Ein ungerechtfertigter Eingriff in Art. 8 EMRK liege somit nicht vor. Aufgrund der Erkenntnisse über bedenkliche Urkunden aus dem Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, wonach es möglich sei, jegliches Dokument mit jedem nur erdenklichen Inhalt - auch entgegen wahrer Tatsachen und auch widerrechtlich - zu erlangen, könne keineswegs davon ausgegangen werden, dass bei Berücksichtigung der klinischen Untersuchungsergebnisse die Daten der vorgelegten Unterlagen als gegeben anzunehmen seien. Es sei darauf hinzuweisen, dass für den Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Antragstellung nach dem NAG bestehe.

Dies teilte die Österreichische Botschaft Nairobi dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 19.03.2018 mit und forderte ihn zur Abgabe einer Stellungnahme binnen einer Woche auf.

1.4. Der Beschwerdeführer erstattete durch seine ausgewiesene Vertreterin am 10.04.2018 eine Stellungnahme und führte darin nach Wiederholung des bisherigen Verfahrensganges im Wesentlichen aus, dass die Bezugsperson im Rahmen ihres Asylverfahrens sowie ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme am 09.11.2017 angegeben habe, dass der Beschwerdeführer (und seine beiden Geschwister) ihre leiblichen Kinder seien. Der Beschwerdeführer sei minderjährig und würden die Altersangaben der Bezugsperson mit den Daten der Reisepässe des Beschwerdeführers (und seiner beiden Geschwister) übereinstimmen. Betreffend die jüngste Tochter der Bezugsperson hätten offensichtlich keine Zweifel am Geburtsdatum bestanden und habe diese eine positive Wahrscheinlichkeitsprognose erhalten, sodass davon auszugehen sei, dass die Bezugsperson zum Alter sämtlicher Kinder korrekte Angaben getätigt habe. Gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG habe bei Zweifeln an der Minderjährigkeit eine multifaktorielle Untersuchungsmethode zur Anwendung zu kommen. Bei anhaltenden Zweifeln über die Minderjährigkeit sei zugunsten des Fremden von der Minderjährigkeit auszugehen. Darüber hinaus erfülle das gegenständliche ärztliche Schreiben nicht die Anforderungen an ein Gutachten nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Ein Sachverständigengutachten müsse ausreichend begründet sein. Es müsse dargelegt werden, auf welchem Weg der Sachverständige zu seiner Schlussfolgerung gekommen sei, damit eine Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens vorgenommen werden könne. Das Gutachten müsse einen Befund und ein Gutachten im engeren Sinn enthalten. Auch müssten die Aussagen der Bezugsperson im Asylverfahren berücksichtigt werden. Ein Außerachtlassen dieser Dokumente und Aussagen stelle ein willkürliches Verhalten dar. Dem vorliegenden "Gutachten" sowie der Stellungnahme des Bundesamtes sei nicht zu entnehmen, wie der Sachverständige zu einem Mindestalter des Beschwerdeführers (und seiner beiden Geschwister) von 19 Jahren komme. Das Handwurzelröntgen sei als alleinige Methode ungeeignet, da dieses den Ansprüchen einer multifaktoriellen Untersuchung, der nach der Bedeutung des Begriffes die Heranziehung mehrerer Faktoren zur Beurteilung immanent sei, nicht genüge.

1.5. Nach Weiterleitung dieser Stellungnahme an das Bundesamt durch die Österreichische Botschaft Nairobi führte das Bundesamt in einer Mitteilung vom 17.04.2018 aus, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Begründend wurde darauf verwiesen, dass aufgrund der im Verfahren angegebenen Geburtsdaten des Beschwerdeführers und seiner beiden Geschwister und der durch die Altersfeststellung ermittelten Geburtsdaten derart massive Divergenzen evident geworden seien, dass eine Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung nicht anzunehmen sei. Es seien keine Gründe ersichtlich, dass die nach den aktuellen medizinischen Standards und den vor Ort üblichen Bedingungen ermittelten Ergebnisse der Altersfeststellung in Zweifel zu ziehen wären. Die medizinische Qualifikation der involvierten Ärzte stehe nicht zur Disposition und sei nicht zu hinterfragen. Betreffend somalische Dokumente wurde unter Verweis auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 12.01.2018 ausgeführt, dass die meisten Personen, die nach 1991 in Somalia geboren seien, nie offiziell registriert worden seien. Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiere, erfolge die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der Angaben der antragstellenden Person. Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt von Dokumenten könne von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden. Überdies habe die Bezugsperson Somalia bereits 2015 verlassen, was erkennen lasse, dass sie die Kinder für versorgt gehalten habe und daher kein spezielles Abhängigkeitsverhältnis vorliege.

2. Mit Bescheid der Österreichischen Botschaft Nairobi vom 18.04.2018, Zl. Nairobi-ÖB/KONS/0297/2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG abgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner ausgewiesenen Vertreterin am 15.05.2018 fristgerecht Beschwerde wegen materieller und formeller Rechtswidrigkeit. Begründend wurde unter Verweis auf das bisherige Vorbringen im Wesentlichen ausgeführt, dass die leibliche Mutterschaft der Bezugsperson zum Beschwerdeführer nach den durchgeführten DNA-Tests unzweifelhaft gegeben sei. Einzig strittig sei somit bloß das Alter des Beschwerdeführers bei Antragstellung. Das Bundesamt habe sich mit der entsprechenden Stellungnahme des Beschwerdeführers weder inhaltlich auseinandergesetzt noch seien Ergänzungen zum Ermittlungsverfahren vorgenommen worden. Auch sei nicht darauf eingegangen worden, weshalb die gleichbleibenden Angaben der Bezugsperson zum Alter des Beschwerdeführers (und seiner beiden Geschwister) für unglaubhaft erachtet werden würden. Die Regelung des § 13 Abs. 3 BFA-VG und die Anforderungen an ein Altersgutachten seien gegenständlich nicht erfüllt worden. Es liege kein multifaktorielles Altersfeststellungsgutachten, sondern lediglich ein "monofaktorielles" Gutachten (Handwurzelröntgen) vor. Dieses "Gutachten" sei weder nachvollziehbar noch genüge es den Ansprüchen an eine Nachvollziehbarkeit. Es beschränke sich im Wesentlichen auf die Feststellung, dass ein Handwurzelröntgen durchgeführt und, dass als Mindestalter 19 Jahre festgestellt worden sei. Die Behörde habe es unterlassen, ergänzende Ermittlungsschritte zu setzen. Das Verfahren sei somit, da es in einem zentralen Punkt das wesentliche Vorbringen des Beschwerdeführers gänzlich außer Acht lasse und zudem die Regelung des § 13 Abs. 3 BFA-VG und die Anforderungen an ein Altersgutachten in keiner Weise erfüllt worden seien, mit relevanten Verfahrensmängeln belastet.

Neben einem Auszug aus dem Reisepass des Beschwerdeführers waren der Beschwerde seine Geburtsurkunde und sein Identitätsnachweis nunmehr auch in deutscher Übersetzung beigelegt.

4.1. Am 16.05.2018 erteilte die Österreichische Botschaft Nairobi einen Verbesserungsauftrag mit der Begründung, dass der Beschwerde die Geburtsurkunde, der Identitätsnachweis und die Todesbestätigung des Vaters des Beschwerdeführers entgegen der Rechtsmittelbelehrung in deutscher Übersetzung nicht angeschlossen waren.

4.2. In der Folge übermittelte der Beschwerdeführer im Wege seiner ausgewiesenen Vertreterin die deutsche Übersetzung der Todesbestätigung seines Vaters und gab darüber hinaus an, dass die deutsche Übersetzung der Geburtsurkunde und des Identitätsnachweises bereits der Beschwerde angefügt gewesen sei.

5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 03.07.2018, Zl. Nairobi-OB/KONS/0482/2018, wies die Österreichische Botschaft Nairobi die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG nach Wiederholung des Verfahrensganges im Wesentlichen mit Verweis auf die Bindungswirkung der Vertretungsbehörde an die Wahrscheinlichkeitsprognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl als unbegründet ab. Ergänzend wurde angeführt, dass die Vertretungsbehörde die Ansicht des Bundesamtes, dass eine Familieneigenschaft nicht vorliege, teile. Laut der durchgeführten DNA-Analyse handle es sich beim Beschwerdeführer zwar um den leiblichen Sohn der Bezugsperson, allerdings habe das Altersfeststellungsgutachten ergeben, dass dieser volljährig sei. Die Untersuchungsergebnisse seien schlüssig und würden miteinander in Einklang stehen. Keinesfalls könne - wie vom Beschwerdeführer vorgebracht - von einem "unwissenschaftlichen" Gutachten ausgegangen werden. Wenn die Untersuchung zur Altersfeststellung definitiv von einem Mindestalter von 19 Jahren ausgehe, der Beschwerdeführer gemäß dem vorgelegten Reisepass aber erst Jahre später die Volljährigkeit erreichen würde, sei jedenfalls von unrichtigen Angaben im vorgelegten Dokument auszugehen. Es handle sich daher mit hoher Wahrscheinlichkeit um von einer berechtigten Behörde ausgestellte, echte Dokumente unwahren Inhalts. Es sei jedenfalls von der Volljährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung auszugehen und bestehe sohin keine Familienangehörigkeit im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG.

6. Am 09.07.2018 stellte der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Vertreterin gemäß § 15 VwGVG einen Vorlageantrag, in welchem im Wesentlichen auf das bisherige Vorbringen verwiesen wurde. Ergänzend wurde betreffend die Ausführung der Behörde, die Untersuchungsergebnisse würden miteinander in Einklang stehen, darauf verwiesen, dass es lediglich ein einziges Untersuchungsergebnis - nämlich ausschließlich ein Handwurzelröntgen - gebe und somit nicht mehrere Ergebnisse vorlägen, die miteinander in Einklang stünden.

7.1. Mit E-Mail des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2018 wurde das Bundesamt um Mitteilung ersucht, welche Gutachten konkret zur Altersfeststellung eingeholt und ob die Röntgenbilder nach Österreich geschickt wurden.

7.2. Am 11.09.2018 teilte das Bundesamt mit, dass nur ein Handwurzelröntgen eingeholt und kein multifaktorielles Altersfeststellungsgutachten in Auftrag gegeben wurde sowie, dass ein Röntgenbild nach Österreich gesendet wurde und dem Akt im Original beiliegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 9 Abs. 3 FPG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen der Vertretungsbehörden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG durch Beschluss.

2. Zu A)

2.1. Gesetzliche Grundlagen:

2.1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

§ 11 Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

(1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragsteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragsteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs. 1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung ist auch die Rechtsmittelinstanz anzugeben.

(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§ 33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.

(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Visums D auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.

(7) Der Fremde hat im Antrag auf Erteilung eines Visums D den jeweiligen Zweck und die beabsichtigte Dauer der Reise und des Aufenthaltes bekannt zu geben. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Antragsteller, ausgenommen die Fälle des § 22 Abs. 3 FPG, trotz Aufforderung und Setzung einer Nachfrist kein gültiges Reisedokument oder gegebenenfalls kein Gesundheitszeugnis vorlegt oder wenn der Antragsteller trotz entsprechenden Verlangens nicht persönlich vor der Behörde erschienen ist, obwohl in der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.

(8) Minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Erteilung eines Visums selbst beantragen.

§ 11a Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

(1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinne des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

§ 12 Sonderbestimmungen für Minderjährige für das 3. bis 6. und 12. bis 15. Hauptstück

(4) Gelingt es dem Fremden nicht, eine behauptete und auf Grund der bisher vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zweifelhafte Minderjährigkeit, auf die er sich in einem Verfahren nach dem 3. bis 6. und 12. bis 15. Hauptstück beruft, durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen, kann die Landespolizeidirektion im Rahmen einer multifaktoriellen Untersuchungsmethodik zur Altersdiagnose (§ 2 Abs. 1 Z 25 AsylG 2005) auch die Vornahme radiologischer Untersuchungen, insbesondere Röntgenuntersuchungen anordnen. Jede Untersuchungsmethode hat mit dem geringst möglichen Eingriff zu erfolgen. Die Mitwirkung des Fremden an einer radiologischen Untersuchung ist nicht mit Zwangsmittel durchsetzbar. Bestehen nach der Altersdiagnose weiterhin begründete Zweifel, so ist zu Gunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit auszugehen. Behauptet ein Fremder, ein bestimmtes Lebensjahr noch nicht vollendet zu haben und daher minderjährig zu sein, so ist - außer im Fall offenkundiger Unrichtigkeit - unverzüglich mit dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger Kontakt aufzunehmen.

§ 26 Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Fremden ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.

2.1.3. Die maßgeblichen Bestimmung des BFA-VG lautet:

§ 13. Mitwirkung eines Fremden

(3) Gelingt es dem Fremden nicht, eine behauptete und auf Grund der bisher vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zweifelhafte Minderjährigkeit, auf die er sich in einem Verfahren vor dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht beruft, durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen, kann das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen einer multifaktoriellen Untersuchungsmethodik zur Altersdiagnose (§ 2 Abs. 1 Z 25 AsylG 2005) auch die Vornahme radiologischer Untersuchungen, insbesondere Röntgenuntersuchungen, anordnen. Jede Untersuchungsmethode hat mit dem geringst möglichen Eingriff zu erfolgen. Die Mitwirkung des Fremden an einer radiologischen Untersuchung ist nicht mit Zwangsmittel durchsetzbar. Bestehen nach der Altersdiagnose weiterhin begründete Zweifel, so ist zu Gunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit auszugehen.

2.1.4. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG lauten:

§ 75 Abs. 24 Übergangsbestimmungen

[...]§§ 17 Abs. 6 und 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, nicht anzuwenden. Auf Verfahren gemäß § 35, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, ist § 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 weiter anzuwenden. [...]

Da die Antragstellung im gegenständlichen Verfahren am 10.04.2017 elektronisch bzw. am 24.07.2017 persönlich erfolgt ist und das Verfahren sohin jedenfalls vor dem 01.06.2016 nicht anhängig war, ist § 35 AsylG in der aktuellen Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 anzuwenden.

§ 35 Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018)

(1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

2.2. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12.11.2014, Zl. Ra 2014/20/0029 (unter Verweis auf sein Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG ausgeführt:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden."

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN sowie VfSlg. 14.421/1996 und 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel:

"Verwaltungsverfahren Band I2", E 84 zu § 39 AVG).

2.3. Im vorliegenden Fall erweist sich die bekämpfte Entscheidung in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

2.3.1. Wie in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die österreichischen Vertretungsbehörden in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG an die Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Prognose einer Gewährung des Status eines Asylberechtigten bzw. eines subsidiär Schutzberechtigten gebunden. Die Nachprüfung dieser Wahrscheinlichkeitsprognose nach negativer Mitteilung des Bundesamtes durch die Botschaft kommt daher nicht in Betracht. Es würde auch dem Zweck der Erteilung dieses Einreisetitels zuwiderlaufen, dem Familienangehörigen einer asyl- oder subsidiär schutzberechtigten Ankerperson im Hinblick auf die voraussichtliche Gewährung von Asyl bzw. subsidiären Schutz die Einreise zu ermöglichen, wenn das zur Beurteilung des Antrages auf internationalen Schutz zuständige Bundesamt die Schutzgewährung für nicht wahrscheinlich erachtet (vgl. VwGH vom 16.12.2014, Zl. 2014/22/0034; vom 17.10.2013, Zl. 2013/21/0152 sowie vom 19.06.2008, Zl. 2007/21/0423).

Innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012 - geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems steht es allerdings dem Bundesverwaltungsgericht offen, auch die Einschätzung des Bundesamtes über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, was voraussetzt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Mitteilung auch entsprechend begründet und dem Antragsteller Gelegenheit geboten wird, davon Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung nehmen zu können (vgl. VwGH vom 01.03.2016, Ro 2015/18/0002).

Auch wenn es sich bei der Mitteilung des Bundesamtes um keinen Bescheid handelt, der selbstständig angefochten werden kann (vgl. VwGH vom 06.10.2010, Zl 2008/19/0527), setzt die Möglichkeit einer Überprüfung der Richtigkeit dieser Prognose durch das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls voraus, dass dieser Mitteilung in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen ist, aus welchen Gründen das Bundesamt die Zuerkennung des beantragten Schutzstatus für nicht wahrscheinlich hält.

2.3.2. Im vorliegenden Fall gibt der Beschwerdeführer an, das leibliche minderjährige Kind der als Bezugsperson angeführten somalischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX , zu sein, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2017, Zl. XXXX , der Status einer Asylberechtigten zuerkannt wurde. Ein durchgeführter DNA-Test ergab unzweifelhaft die leibliche Abstammung des Beschwerdeführers von der Bezugsperson. Strittig blieb im Verfahren sohin lediglich das Alter des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung. Ein Handwurzelröntgen hat ein Alter von zumindest 19 Jahren ergeben; ein multifaktorielles Altersfeststellungsgutachten wurde hingegen nicht durchgeführt.

Die Behörde wies den Einreiseantrag des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, dass er bereits volljährig und somit kein Familienangehöriger im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG sei. Die Volljährigkeit ergebe sich aus dem durchgeführten Handwurzelröntgen. Ferner wurde ausgeführt, dass die Echtheit und Richtigkeit bzw. der Wahrheitsgehalt von somalischen Dokumenten von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden könne.

2.3.3. Im Hinblick auf die Bedenken der Behörde hinsichtlich Echtheit und Richtigkeit der vorgelegten Urkunden (Reisepass, Geburtsurkunde, Identitätsnachweis) ist zunächst festzuhalten, dass dies allein eine Abweisung des Einreiseantrags nicht zu begründen vermag. In einem solchen Fall hat die Behörde andere Nachweise für das Bestehen bzw. Nichtbestehen der Familienangehörigeneigenschaft einzuholen; darunter fallen etwa Niederschriften von Einvernahmen der Bezugsperson, deren zeugenschaftliche Einvernahme sowie die Durchführung von DNA-Tests und/oder Altersfeststellungsgutachten.

Betreffend das zur Altersfeststellung durchgeführte Handwurzelröntgen ist festzuhalten, dass dieses keine multifaktorielle Altersdiagnose darstellt und der im Akt erliegende Untersuchungsbericht des XXXX vom 21.02.2018 vor dem Hintergrund der in der Judikatur entwickelten Anforderungen nicht als Sachverständigengutachten zu qualifizieren ist. Es handelt sich bei dem angegebenen Bericht lediglich um eine ärztliche Auskunft, welche im gegenständlichen Verfahren - neben den vorgelegten Urkunden und dem Parteivorbringen - zur Beurteilung des Sachverhalts herangezogen wurde.

Zum Erfordernis der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die multifaktorielle Altersdiagnose dann angeordnet werden soll, wenn weder aus den bisher vorliegenden Ermittlungsergebnissen hinreichend gesicherte Aussagen zur Volljährigkeit bzw. Minderjährigkeit eines Antragstellers gezogen werden können noch ein Antragsteller seine behauptete Minderjährigkeit durch geeignete Bescheinigungsmittel nachweisen kann. Liegen jedoch Ermittlungsergebnisse vor, die die Annahme der Volljährigkeit eines Antragstellers bei Asylantragstellung rechtfertigen, so ist weder verpflichtend von Amts wegen eine multifaktorielle Altersdiagnose anzuordnen noch kommt die Zweifelsregel zugunsten Minderjähriger zur Anwendung (vgl. VwGH vom 19.06.2018, Ra 2018/20/0251; mit Hinweis auf VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/19/0007 und vom 28.03.2017, Ra 2016/01/0267).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 25 AsylG ist eine multifaktorielle Untersuchungsmethodik ein auf drei individuellen medizinischen Untersuchungen (insbesondere körperliche, zahnärztliche und Röntgenuntersuchung) basierendes Modell zur Altersdiagnose nach dem Stand der Wissenschaft. Den erläuternden Bemerkungen zu § 13 Abs. 3 BFA-VG ist darüber hinaus zu entnehmen, dass eine Altersdiagnose auf der Grundlage eines Untersuchungsmodells zu erfolgen hat, das sich auf drei individuelle medizinische Untersuchungen stützt und eine radiologische Untersuchung alleine keineswegs ausreichend ist (siehe RV 1803 XXIV. GP). Als Verfahren zur Altersfeststellung werden von der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik der Deutschen Gesellschaft folgende Untersuchungen empfohlen: Röntgenuntersuchung der linken Hand, Panoramaschichtröntgen des Gebisses und eine körperliche Untersuchung.

Die Angaben der Bezugsperson zum Alter ihres jüngsten Kindes (geb. 2007) wurden offenkundig für zutreffend erachtet und in der Folge wurde auf die Durchführung einer Altersfeststellung verzichtet. Die nach den stets gleichbleibenden Angaben der Bezugsperson, die durch die vorgelegten Dokumente bestätigt wurden, in den Jahren 2003 (Beschwerdeführer) bzw. 2004 und 2005 (seine beiden Geschwister) geborenen weiteren Kinder der Bezugsperson wurden hingegen zur Altersfeststellung einem Handwurzelröntgen unterzogen, welches bei allen dreien dasselbe Ergebnis brachte; nämlich, dass diese "zumindest 19 Jahre alt" seien. Eine konkrete, spezifizierte bzw. individualisierte Aussage zum Alter des Beschwerdeführers und zu jenem seiner beiden Geschwister ist den vorgelegten Schreiben des XXXX vom 21.02.2018 nicht zu entnehmen, was keine hinreichend gesicherte Aussage zum Alter - auch in Hinblick auf die zu berücksichtigenden Standardabweichungen - darstellt. Wenngleich der Unterschied vom angegebenen Alter des Beschwerdeführers und dem durch das Handwurzelröntgen ermittelten Alter relativ groß ist und der in den Raum gestellte Bestechungsversuch an dem die Untersuchung durchführenden Arzt Indizien für die Annahme der Behörde, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung bereits volljährig war, darstellen könnten, kann im gegenständlichen Fall nicht mit einem bloßen Handwurzelröntgen das Auslangen gefunden werden, um eine hinreichend gesicherte Aussage zum Alter des Beschwerdeführers bei Antragstellung treffen zu können.

Obwohl im vorliegenden Fall aus den vorliegenden Ermittlungsergebnissen keine hinreichend gesicherte Aussage zum Alter des Beschwerdeführers, die die Annahme der Volljährigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung rechtfertigen würde, getroffen werden konnte, unterlies es die Behörde, ein multifaktorielles Altersgutachten einzuholen. Das Ergebnis des durchgeführten Handwurzelröntgen stellt zwar ein nicht unbedeutendes Indiz dar, ist jedoch alleine nicht ausreichend, um die Volljährigkeit des Beschwerdeführers zweifelsfrei feststellen zu können. Ferner ist an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass sich das Bezug habende Röntgenbild nicht im Akt befindet.

Im fortgesetzten Verfahren wird die Behörde die notwendigen weiteren Ermittlungen zur Klärung des tatsächlichen Alters des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung durch ein multifaktorielles Altersfeststellungsgutachten zu veranlassen und in der Folge entsprechende Feststellungen zu treffen haben; dies unter Anführung der konkret durchgeführten Untersuchungen und der dabei herangezogenen Methoden.

2.3.4. Das Bundesverwaltungsgericht weist noch auf die Spezifika und auf die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen zur Frage der Voll- bzw. Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.

2.4. Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war dieser Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen.

3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W235.2201389.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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