TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/22 G307 2222652-1

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Veröffentlicht am 22.02.2020
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Entscheidungsdatum

22.02.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2222652-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, geb. StA.: Rumänien, vertreten durch den Verein Menschenrechte in 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.08.2019, Zahl: XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

Im Rahmen einer Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (VEB) vom 15.05.2019 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) am vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Leoben (im Folgenden: BFA) von der in Aussicht genommenen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Kenntnis gesetzt und er zugleich aufgefordert, Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und gesetzten Integrationsschritten binnen zu tätigen.

Hiezu erstattete der BF mit Schreiben vom 24.05.2019, beim BFA eingelangt am selben Tag, eine Stellungnahme.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein 2jähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.)

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde der Rechtsvertretung (RV) des BF vom 19.08.2019, welche am selben Tag bei der belangten Behörde eingebracht wurde. Darin wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und das gegen den BF erlassene Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbot zu verringern, in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu behebend die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen sowie zur gebotenen Ergänzung des mangelhaft gebliebenen Ermittlungsverfahrens gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG anzuberaumen.

Das BFA legte die Beschwerde und den dazugehörigen Verwaltungsakt dem BVwG am 20.08.2019 vor, wo diese am 22.08.2019 einlangte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist rumänischer Staatsbürger, ledig, frei von Sorgepflichten, ist mit der rumänischen Staatsbürgerin, XXXX, geboren am XXXX, liiert und lebt mit dieser seit 23.10.2017 im gemeinsamen Haushalt.

Der BF reiste im Jahr 2013 erstmalig nach Österreich ein und hält sich hier seit Juni 2013 durchgehend auf. Seit dem 04.06.2013 ist der BF im Bundesgebiet gemeldet. Die Eltern des BF leben in Rumänien, sein Lebensmittelpunkt liegt in Österreich.

1.2. Der BF ist seit 13.01.20202 bei der XXXX im Arbeiterdienstverhältnis beschäftigt. Von 01.10.2015 bis 31.10.2019 war er selbständig im Bereich der Personenbetreuung tätig und auch bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft versichert.

Daneben war er jeweils vom 23.11.2018 bis 24.11.2018, vom 07.12.2018 bis 09.12.2018, vom 14.12.2018 bis 15.12.2018, am 19.01.2019, vom 20.04.2019 bis 21.04.2019 sowie vom 04.05.2019 bis 05.05.2019 geringfügig bei der XXXX in XXXX beschäftigt.

1.3. Der BF ist arbeitsfähig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF an irgendwelchen Krankheiten leidet oder über Deutschkenntnisse eines bestimmten Niveaus verfügt.

1.4. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2019 wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 4 StGB zu einer 10monatigen Freiheitsstrafe, bedingt auf 3 Jahre verurteilt.

Im Zuge dieser Verurteilung wurde der BF für schuldig befunden, er habe mit seinem Bruder am XXXX.2019 in XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter XXXX vorsätzlich am Körper verletzt, indem sie (sein Bruder und er) diesem mehrere Faustschläge und Tritte versetzt und dieses Verhalten auch noch fortgesetzt hätten, als das Oper am Boden gelegen sei (Monokelhämatom rechts, Orbitbaodenfraktor rechts, Verletzungen der Unterlippe).

Als mildernd wurden dabei der bisher ordentliche Lebenswandel sowie das Teilgeständnis, als erschwerend die Tatbegehung in Gesellschaft gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF das beschriebene Verhalten gesetzt und die angeführten Tathandlungen begangen hat.

2. Beweiswürdigung

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Aufenthalt und Meldung im Bundesgebiet seit 2013 getroffen wurden, ergeben sich diese aus dem Vorbringen in der Stellungnahme und Beschwerde und dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister.

Der BF legte einen auf seinen Namen lautenden rumänischen Personalausweis vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind und der auch im ZMR-Auszug des BF Niederschlag findet.

Die Verurteilung folgt dem im Akt einliegenden Urteil des LG XXXX sowie dem Amtswissen des BVwG durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die aktuell wie die bisher ausgeübten Beschäftigungen folgen dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges, dem zwischen dem BF und XXXX abgeschlossenen Werkvertrag über Leistungen in der Personenbetreuung und der von XXXX am XXXX.2017 ausgestellten, an XXXX gerichteten, Rechnung.

Da der BF derzeit einer Beschäftigung nachgeht, ist von dessen Arbeitsfähigkeit auszugehen. Hinweise auf das Vorliegen einer Krankheit fanden sich nicht und wurde vom BF dahingehend auch nichts eingeworfen.

Die Beziehung mit XXXX hat der BF im Rechtsmittel und der Stellungnahme vorgebracht und wird die gemeinsame Haushaltsführung durch die ZMR-Daten bestätigt, zumal beide an derselben Adresse gemeldet sind.

Der BF legte keine Bescheinigungsmittel für das Vorliegen von Deutschkenntnissen eines bestimmten Niveaus vor.

Wie in der Beschwerde zutreffend behauptet, wurde die gegen den BF verhängte Freiheitsstrafe nur bedingt ausgesprochen. Zudem befindet sich der BF in einer Lebensgemeinschaft und geht einer Erwerbstätigkeit nach.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens war der Beschwerde stattzugeben, dies aus folgenden Gründen:

Für den BF, der aufgrund seiner rumänischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, kommt der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1., 1. Satz FPG für Unionsbürger zur Anwendung, weil er sich durchgehend seit weniger als 10 Jahren in Österreich aufgehalten hat. Er befindet sich seit Juni 2013 im Bundesgebiet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl dazu etwa VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039).

Die Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist dann gegeben, wenn vom Fremden auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

In diesem Zusammenhang weist das erkennende Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass es die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen hat (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die belangte Behörde hat grundsätzlich und zutreffend den § 67 FPG als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogen. Sie hat jedoch verkannt, dass vorliegend nicht von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erhebliche Gefahr gesprochen werden kann. So wurde gegen den BF zwar eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten ausgesprochen, diese jedoch ausschließlich auf 3 Jahre bedingt. Es handelte sich gegenständlich um die erste Verurteilung des BF.

Maßgeblich ist gegenständlich aber nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern, dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich die BF hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

Das bekämpfte Aufenthaltsverbot wurde auf § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegründet. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in der Dauer von höchstens zehn Jahren (u.a.) gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Nach dem letzten Satzteil des § 66 Abs. 1 FPG ist eine Ausweisung von EWR-Bürgern, die bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Es muss also eine Gesamtbetrachtung stattfinden, um eine Gefährlichkeitsprognose abgeben zu können. Bei der für den BF zu erstellenden Gefährdungsprognose steht dessen (einzige) Verurteilung zu einer bedingten, 10monatigen Freiheitsstrafe wegen schwerer Körperverletzung im Mittelpunkt der Betrachtung. Nun wird nicht verkannt, dass es sich bei dem vom BF begangenen Delikt um einen Angriff gegen das Rechtsgut "körperliche Unversehrtheit" handelt. Unter Anwendung des § 67 Abs. 1 und 2 FPG kann das erkennende Gericht dem vorliegenden Fall jedoch keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Republik gefährdet, abgewinnen.

Dem Opfer wurden zwar Tritte und Faustschläge auf dessen Körper versetzt, wodurch es einen Bluterguss im Bereich der rechten Augenhöhle, einen Bruch des rechten Augenhöhlenbodens sowie Verletzungen an der Unterlippe erlitt, die Tathandlung wurde jedoch nicht als so schwerwiegend angesehen, dass die Strafe (oder auch nur ein Teil davon) unbedingt ausgesprochen wurde.

Auch im Lichte der in § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung der privaten und familiären Interessen des BF mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen ist zu berücksichtigen, dass er seit nahezu 7 Jahren durchgehend in Österreich aufhält, berufstätig ist und eine Beziehung mit führt. Setzt man die Schwere der Tat und die Gefährdungsprognose im Sinne des Gesamtverhaltens in Relation, so fällt diese Abwägung für den BF günstig aus. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes war unter diesen Umständen nicht aufrechtzuerhalten.

Im Ergebnis und vor dem Hintergrund der zu Beginn zitierten VwGH-Judikatur erweist sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorliegend somit nicht als verhältnismäßig.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.5. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in Bezug auf § 41 Abs. 7 AsylG 2005 in der Fassung bis 31.12.2013 unter Berücksichtigung des Art. 47 iVm. Art. 52 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) ausgesprochen, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde erklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde. Hat die beschwerdeführende Partei hingegen bestimmte Umstände oder Fragen bereits vor der belangten Behörde releviert oder sind solche erst nachträglich bekannt geworden, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich, wenn die von der beschwerdeführenden Partei bereits im Verwaltungsverfahren oder in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen - allenfalls mit ergänzenden Erhebungen - nicht aus den Verwaltungsakten beantwortet werden können, und insbesondere, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist (VfGH 14.03.2012, U 466/11-18, U 1836/11-13).

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014,

Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des VfGH vom 12.03.2012,

Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Es konnte daher die gegenständliche Entscheidung auf Grund der Aktenlage getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2222652.1.01

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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