TE Vfgh Erkenntnis 2020/2/24 E4135/2019

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Veröffentlicht am 24.02.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen irakischen Staatsangehörigen; mangelnde Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung im Hinblick auf die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens; Abgehen vom Akteninhalt hinsichtlich etwaiger Rückkehrfolgen und keine Deckung der Erwägungen in den Länderfeststellungen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.        Der am 1. Jänner 1984 geborene Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und gehört der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitisch-muslimischen Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus Mosul und stellte am 17. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er einen Tag zuvor in das Bundesgebiet eingereist war. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er vor dem IS geflüchtet sei. Er habe mit dem IS nicht kooperieren wollen, woraufhin die Terrororganisation den Beschwerdeführer habe töten wollen. Er habe Angst, bei einer Rückkehr in den Irak umgebracht zu werden.

2.       Mit Bescheid vom 18. April 2016 wies das das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3.       Das Bundesverwaltungsgericht führte am 5. Februar 2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, bei der der Beschwerdeführer unter anderem angab, dass er bei einer Rückkehr nach Mosul mit Sicherheit getötet werde.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen den Bescheid des BFA erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 2. Oktober 2019 als unbegründet ab. Es begründet seine Entscheidung hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages im Wesentlichen damit, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Aus der Berichtslage sei ersichtlich, dass der IS auch im Raum Mosul weitgehend als besiegt gelte. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass er vor der Ausreise konkreten Verfolgungshandlungen durch den IS ausgesetzt gewesen sei, weshalb es auch im Falle der Rückkehr nicht nachvollziehbar wäre, dass ihm daraus resultierend durch den IS noch Gefahr drohen würde. Zudem sei dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände kein Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren. Die Lebensbedingungen im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, konkret im Osten von Mosul, seien nicht derart, dass von einer lebensbedrohenden Notlage gesprochen werden könne. Er verfüge in der Region über Familienangehörige, Verwandte und zahlreiche Mitglieder seines Stammes/Clans, wobei Letztere als soziales Netzwerk ebenfalls keine unbedeutende Rolle spielen würden. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen gesunden und erwerbsfähigen Mann, der im Irak in Mosul aufgewachsen sei. Er habe im Verfahren persönlich auch gar nicht vorgebracht, dass er im Falle einer Rückkehr nicht in der Lage sein würde seine Existenz zu sichern.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Das Bundesverwaltungsgericht hat es unterlassen, zur Begründung der Frage, ob das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als glaubwürdig gelten kann, eine unvoreingenommene Beweiswürdigung durchzuführen. Das Erkenntnis enthält Formulierungen, die als tendenziöse Behauptungen des erkennenden Richters zu qualifizieren sind, die auf eine vorgefertigte Sichtweise schließen lassen. So wird die Beweiswürdigung wie folgt eingeleitet:

"Das BVwG geht auf Grund des Ermittlungsverfahrens davon aus, dass die bP in zentralen Bereichen, wo es um die Ausreise bzw ausreisekausale Probleme und Rückkehrbefürchtungen geht, aus asyltaktischen Gründen keine bzw geringe Bereitschaft zeigte wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Offensichtlich hielt sie es selbst für einen positiven Ausgang des beantragten internationalen Schutzes für abträglich hier den Tatsachen entsprechende Angaben zu machen."

Zudem werden mehrere unsachliche Schlussfolgerungen gezogen; wenn zB ein vorgelegtes Dokument "[a]ngesichts dieser Umstände und der sich abzeichnenden Persönlichkeit der bP" als unglaubwürdiges Bescheinigungsmittel qualifiziert wird; oder wenn "[s]owohl hinsichtlich Lautstärke der Aussage als auch in Bezug auf ihre nonverbale Kommunikation […] auch unter Berücksichtigung allfälliger kultureller Unterschiede keine merkbaren Abweichungen erkennbar" gewesen seien.

Derartige Mutmaßungen sind unsachlich und erfüllen nicht den an eine nachvollziehbare Beweiswürdigung gestellten rechtlichen Maßstab. Auch wenn sich das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen konnte und die Feststellung seiner Unglaubwürdigkeit begründete, handelt es sich vorliegend um eine mangelhafte Argumentation, der kein objektiver Begründungswert zukommt (ähnlich etwa VfGH 24.2.2017, E2701/2016).

3.2.    Darüber hinaus führt das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, dass der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung persönlich nicht behauptet habe, dass ihn im Falle der Rückkehr nach Mosul hinsichtlich der Lebensbedingungen Probleme erwarten würden, und verweist dabei auf Seite 11 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2019. Die bezeichnete Seite der Niederschrift lautet jedoch wie folgt:

"[S 11 Anfang] Wo haben Sie das letzte halbe Jahr bis zum Tag Ihrer Ausreise aus Ihrem Herkunftsstaat gewohnt? Geben Sie bitte konkret den Wohnort und mit wem Sie gegebenenfalls gewohnt haben an?

P: In Mosul, Kairoviertel (phonetisch). Nachgefragt gebe ich an, dass es auf der linken Seite Mosuls ist (Osten). Ich habe mit meinen Eltern gelebt. Das Haus wurde zerstört im Zuge der Kämpfe, bei der letzten Auseinandersetzung war der Daisch in dem Viertel, die Armee hat das Gebiet bombardiert. Das war 2016. Meine Eltern haben angesucht um Wiederaufbauhilfe, man hat ihnen ein Zelt gegeben und sie dürften das Camp nicht verlassen, weil wir verdächtigt werden für den Daisch gearbeitet zu haben.

Das Grundstück gehört noch ihren Eltern?

P: Ja.

Wie haben Sie die Ausreise finanziert?

P: Von meinen Ersparnissen. Ich wollte heiraten und habe dafür gespart.

Auf Ihrer Reise nach Österreich durchreisten Sie eine Vielzahl von Staaten die als sicher gelten. Warum haben Sie nicht schon in einem dieser Staaten einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt?

P: Ich bin von Mosul nach Syrien, dann in die Türkei gereist, dann nach Bulgarien. Ich bin dann in einem Lastwagen bis nach Österreich gefahren.

Ad I:

Seit Ihrer Ausreise aus Ihrem Heimatland ist nun schon einige Zeit vergangen. Würden Sie aus heutiger Sicht bei einer Rückkehr an Ihren früheren Wohnort noch Probleme erwarten? Wenn ja, geben Sie bitte konkret und vollständig alle Probleme an, die Sie persönlich für sich bei einer Rückkehr erwarten würden.

P: Ich werde sicher getötet, mein Vater wurde wegen meines Autos getötet.

Erklären sie mir den Zusammenhang zw. dem Tod ihres Vaters und ihrem Auto. P: Weil sie mich gesucht haben und mein Vater gesagt hat, dass er nicht weiß, wo ich mich aufhalte, deshalb haben sie ihn mitgenommen. Er war ca. 10 Tage bei ihnen im Gefängnis und sie haben ihn gefoltert und nach mir gefragt. Er war gesundheitlich angeschlagen, sehr [S 11 Ende]"

Demnach hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen lediglich vorgebracht, dass das Haus, in dem er gemeinsam mit seinen Eltern in Mosul gelebt habe, durch Kämpfe zerstört worden sei und dass er – im Fall einer Rückkehr – sicher getötet werde. Hingegen behauptet er nicht, wie vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass ihn hinsichtlich der Lebensbedingungen in Mosul keine Probleme erwarten würden. Damit geht das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung leichtfertig vom Akteninhalt ab.

3.3.     Zudem sind die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers zum Teil nicht aus den – auf sechs Seiten selbst zusammengefassten – Länderfeststellungen ableitbar. So hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer in der Region noch über zahlreiche Mitglieder seines Stammes/Clans ("Hadidi") verfüge, die als soziales Netzwerk keine unbedeutende Rolle spielen würden. Allerdings findet diese Annahme keine Deckung in den zugrunde gelegten Länderfeststellungen, sondern gründet sich wiederum auf einer bloßen Mutmaßung des Bundesverwaltungsgerichtes, die durch nichts belegt ist (vgl VfGH 12.6.2019, E1371/2019).

3.4.    Indem das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers mangelhaft begründet, es darüber hinaus leichtfertig vom Akteninhalt in einem entscheidenden Punkt abgeht und ein wesentlicher Teil seiner Ausführungen zum sozialen Netzwerk in der Herkunftsregion des Beschwerdeführer keine Deckung in den Länderfeststellungen findet, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl zB VfGH 24.2.2017, E2701/2016, VfGH 12.6.2019, E1371/2019).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4135.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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