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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus betreffend eine nigerianische Staatsangehörige; mangelnde Auseinandersetzung mit einer Stellungnahme der LEFÖ-IBF hinsichtlich der Gefahr, ein Opfer von Menschenhandel zu werdenSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Nigerias, stellte am 3. September 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab sie an, dass sie Nigeria verlassen habe, weil ihr Bruder Mitglied eines Kultes gewesen sei, der ihren Bruder getötet und in der Folge die ganze Familie bedroht habe. Die Beschwerdeführerin sei mithilfe einer Frau, die sich "Success" nannte, nach Italien gebracht und von dieser zur Prostitution gezwungen worden. Die Frau habe sie geschlagen und eingesperrt. Sie habe auch die Kontakte mit den Männern ausgemacht und sofort nach den Treffen das gesamte Geld von diesen kassiert. Der Beschwerdeführerin sei es schlussendlich gelungen, von dieser Frau wegzulaufen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. Oktober 2018 wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, der Status der subsidiär Schutzberechtigten jedoch zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 11. Oktober 2019 erteilt.
2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. Juni 2019 wurde die ausschließlich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus:
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach ihr Bruder als Mitglied eines Kultes ermordet und ihre Familie von diesem Kult bedroht worden wäre, sei unglaubwürdig. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass ihr Bruder eines Tages nach Hause gekommen sei und erzählt hätte, dass die Mitglieder des Geheimkultes ihn und seine Familie im Falle des Austrittes auslöschen würden und dass er dann am nächsten Tag ermordet worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht habe sie jedoch erklärt, dass die Mitglieder des Kultes immer wieder zur Familie nach Hause gekommen seien, um Probleme zu machen. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die Beschwerdeführerin eine persönliche Bedrohung aber noch verneint. Zudem sei es nicht glaubhaft, wenn die Beschwerdeführerin, obwohl sie jahrelang mit ihrem Bruder gemeinsam gewohnt habe, kaum Angaben zu dem Kult machen könne. Weitergehende Vergeltungsaktionen gegen die ganze Familie seien nicht aus den Länderberichten ersichtlich. Zudem sei es nicht nachvollziehbar, dass die ganze Familie sich bei der Flucht aus dem Haus zerstreut und getrennt hätte und sie als damals 15-jährige danach in Benin City auf der Straße gelebt habe, nie mehr zu ihrem Elternhaus zurückgekehrt sei und auch nicht das Haus von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder Freunden aufgesucht habe.
Das Vorbringen zum Menschenhandel hänge mit dem unglaubwürdigen Vorbringen zum Kult zusammen – so habe die Beschwerdeführerin auf der Straße gelebt, als sie die Frau namens "Success" kennengelernt habe –, weshalb es schon deshalb unglaubwürdig sei. Dass sich die Beschwerdeführerin vor einem geleisteten Juju-Schwur derart gefürchtet habe, dass sie vor den italienischen Behörden falsche Angaben gemacht habe und wieder zu ihrer Madam, die sie zur Prostitution gezwungen hätte, zurückgekehrt sei, sie dann aber drei Monate später ihre Madam verlassen und nach Vicenza zu Freunden gefahren sei, sei ebenso wenig glaubhaft. Auch hätte sie die Drohungen durch ihre Madam unterschiedlich geschildert.
Da die Beschwerdeführerin Nigeria nicht verlassen habe, weil sie von Mitgliedern eines Kultes verfolgt worden sei, und da sie im Falle einer Rückkehr auch nicht von einer Frau namens "Success" bedroht würde, sei es ihr nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung in Nigeria glaubhaft zu machen.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben Unterlagen und die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen wurde, ab. Es begründet dies im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin zum Menschenhandel auf Grund von festgestellten Widersprüchen im Zusammenhang mit der "Bedrohung durch ihre 'Madam'" und einer Bedrohung durch einen Kult im Herkunftsstaat nicht glaubwürdig sei.
Auf die im angefochtenen Erkenntnis zwar bei der Schilderung des Verfahrensganges erwähnte, der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beigelegte und somit aktenkundige Stellungnahme von LEFÖ-IBF, Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, vom 15. Oktober 2018, wonach die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel gewesen sei und sie im Falle einer Rückkehr Gefahr laufe, wieder ein Opfer von Menschenhandel zu werden, geht das Bundesverwaltungsgericht aber im Weiteren nicht mehr ein (zur Bedeutung der Interventionsstelle für Frauenhandel bei LEFÖ siehe Erläut zur RV zum Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels, 1565 BlgNR 22. GP, 4 sowie Erläut zur RV zum Protokoll von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930; Empfehlung [Nr 203] betreffend ergänzende Maßnahmen zur effektiven Beseitigung von Zwangsarbeit, 564 BlgNR 26. GP, 7 f.; zur Kooperation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit LEFÖ siehe zB BVwG 21.1.2019, I403 2209312-1/9E).
Da das Bundesverwaltungsgericht das Beschwerdevorbringen der zum Zeitpunkt der entscheidungsrelevanten Geschehnisse in Nigeria und Italien minderjährigen Beschwerdeführerin als unglaubwürdig einstuft, ohne sich auch nur ansatzweise mit der aktenkundigen Stellungnahme von LEFÖ-IBF, Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, auseinanderzusetzen, entbehrt es einer schlüssigen Begründung, warum die Beschwerdeführerin kein Opfer von Menschenhandel sei und ihr aus diesem Grund keine asylrelevante Verfolgung drohe. Damit unterlässt das Bundesverwaltungsgericht jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt und belastet daher seine Entscheidung mit Willkür.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E2875.2019Zuletzt aktualisiert am
12.03.2020