TE OGH 2020/1/16 5Ob127/19s

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Veröffentlicht am 16.01.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*****, geboren am ***** 2008, vertreten durch die Stadt Wien (Wiener Kinder- und Jugendhilfe des Magistrats der Stadt Wien) als Kinder- und Jugendhilfeträger, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Mai 2019, GZ 44 R 198/19x-12, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 1. April 2019, GZ 16 Pu 53/18t-6, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Antragsteller ist derzeit 11 Jahre alt, er hat einen Bruder im Alter von 19 Jahren, der eine Lehre absolviert. Die Ehe der Eltern wurde am 26. 2. 2018 einvernehmlich geschieden. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Vater ausgehend von einem Nettoeinkommen des Vaters von 2.650 EUR monatlich zu einer Unterhaltszahlung an den Antragsteller in Höhe von 390 EUR und an dessen Bruder in Höhe von 485 EUR.

Im Jahr 2018 bezog der Vater ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 3.109 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen.

Der Antragsteller beantragte die Erhöhung der Unterhaltsbeiträge auf 590 EUR monatlich ab 1. 1. 2019. Der Antragsgegner sei verpflichtet den halben Familienbonus in Höhe von 62,50 EUR für den Antragsteller selbst und von 20,84 EUR für seinen Bruder zu beantragen: Unter Berücksichtigung dieser Beträge und der Unterhaltsabsetzbeträge für beide Kinder ergebe sich eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von 3.265 EUR. Dem 11-jährigen Antragsteller stehe unter Berücksichtigung der weiteren Sorgepflicht des Vaters ein Anteil von 18 % zu.

Der Erhöhungsantrag wurde dem Vater unter Hinweis auf § 17 AußStrG zugestellt, er äußerte sich nicht und beteiligte sich auch nicht am weiteren Verfahren.

Das Erstgericht erhöhte die Unterhaltspflicht des Antragsgegners ab 1. 1. 2019 auf monatlich 560 EUR und wies das Mehrbegehren ab. Unterhaltsabsetzbeträge und Familienboni dienten lediglich der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen und seien nicht Teil der Bemessungsgrundlage. Eine Minderung des Unterhaltsbetrags aufgrund Anrechnung von Transferleistungen habe nicht zu erfolgen.

Das Rekursgericht gab dem nur vom Kind gegen den abweisenden Teil dieses Beschlusses erhobenen Rekurs teilweise Folge. Es änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es die Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf monatlich 577 EUR erhöhte und nur ein Mehrbegehren von 13 EUR abwies. Aufgrund Nichtäußerung des Vaters trotz Aufforderung gemäß § 17 AußStrG sei das Antragsvorbringen, er könne den halben Familienbonus für den Antragsteller von 62,50 EUR und für den volljährigen Sohn in Höhe von 20,84 EUR und die Unterhaltsabsetzbeträge von 29,20 EUR und 43,80 EUR bei entsprechender Antragstellung beanspruchen, als zugestanden anzusehen. Unterhaltsabsetzbetrag und Familienbonus Plus erhöhten das Nettoeinkommen und damit die Unterhaltsbemessungsgrundlage. Da nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs die einem Unterhaltspflichtigen ausbezahlten Kinderabsetzbeträge, die der Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht für ein bestimmtes unterhaltsberechtigtes Kind dienen, bei der Unterhaltsbemessung für ein weiteres Kind außer Betracht zu bleiben haben, seien nur der Unterhaltsabsetzbetrag und der Familienbonus für das Unterhalt fordernde Kind bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen, während für andere Kinder bezogene Unterhaltsabsetzbeträge und Familienboni aus dieser auszuscheiden seien. Demgemäß sei von einer um den halben Familienbonus Plus für den Antragsteller und den Unterhaltsabsetzbetrag von durchschnittlich 36,50 EUR pro Kind erhöhten Unterhaltsbemessungsgrundlage von 3.208 EUR auszugehen. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, zum Familienbonus Plus existiere noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Den abweisenden Teil dieses Beschlusses bekämpft das Kind mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinn einer Stattgebung des Erhöhungsantrags abzuändern. Die Unterhaltsbemessungsgrundlage sei auch um den halben Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag für den Bruder des Antragstellers zu erhöhen.

Der Vater hat sich auch am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1.1. Der Revisionsrekurs betrifft den „Familienbonus Plus“, den der Gesetzgeber mit 1. 1. 2019 in § 33 Abs 3a EStG als neuen Steuerabsetzbetrag eingeführt hat. Der Familienbonus Plus ersetzt den Kinderfreibetrag nach § 106a EStG aF sowie die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Ausdrückliches Ziel war die finanzielle Entlastung von berufstätigen Eltern (5 Ob 92/19v).

1.2. Der Familienbonus Plus beträgt bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat, für jedes Kalendermonat 125 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit a EStG), ab diesem Zeitpunkt für jeden Kalendermonat 41,68 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit b EStG). Gemäß § 33 Abs 3a Z 3 EStG ist der Familienbonus Plus in der Veranlagung entsprechend der Antragstellung durch den Steuerpflichtigen wie folgt zu berücksichtigen:

a) Für ein Kind, für das im jeweiligen Monat kein Unterhaltsabsetzbetrag nach Abs 4 Z 3 zusteht:

- beim Familienbeihilfeberechtigten oder dessen (Ehe-)Partner der nach Z 1 oder Z 2 zustehende Betrag oder

- beim Familienbeihilfeberechtigten und dessen (Ehe-)Partner jeweils die Hälfte des nach Z 1 oder Z 2 zustehenden Betrags.

b) Für ein Kind, für das im jeweiligen Monat ein Unterhaltsabsetzbetrag nach Abs 4 Z 3 zusteht:

- beim Familienbeihilfeberechtigten oder dem Steuerpflichtigen, dem für das Kind der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, der nach Z 1 oder Z 2 zustehende Betrag oder

- beim Familienbeihilfeberechtigten und dem Steuerpflichtigen, dem für das Kind der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, jeweils die Hälfte des nach Z 1 oder Z 2 zustehenden Betrags.

Für einen Monat, für den kein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, steht dem Unterhaltsverpflichteten kein Familienbonus Plus zu. Voraussetzung für einen Bezug des Familienbonus Plus ist der Bezug der Familienbeihilfe für das Kind nach dem FLAG 1967. Er kann von jedem Elternteil beantragt oder zwischen ihnen aufgeteilt werden. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass der Familienbonus Plus den Eltern jeweils zur Hälfte zusteht (§ 33 Abs 3a Z 3 lit c EStG). Der in § 33 Abs 3a Z 3 lit b EStG geregelte Fall betrifft Kinder, für die ein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, also solche, für die vom nicht im selben Haushalt mit dem Kind lebenden Elternteil Unterhaltsleistungen erbracht werden. Diesfalls ist der Familienbonus Plus mit dem Unterhaltsabsetzbetrag verknüpft, für den Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige für dieses Kind den gesetzlichen Unterhalt tatsächlich leistet. Der Familienbonus Plus kann entweder im Nachhinein im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung oder im Rahmen der monatlichen Lohnverrechnung durch Antrag beim Dienstgeber geltend gemacht werden.

1.3. Der Familienbonus Plus ist als erster Absetzbetrag von der sich aufgrund des Einkommenssteuertarifs errechneten Steuer abzuziehen (ErläutRV 190 BlgNR 26. GP 8), ein Steuerbetrag unter Null kann durch den Familienbonus Plus selbst nicht zustande kommen (Peyerl, Der steuerliche Familienbonus Plus in der Unterhaltsbemessung iFamZ 2018, 193). Bei steuerpflichtigen Jahreseinkommen bis etwa 11.000 EUR fällt der Familienbonus Plus mangels Einkommenssteuerschuld gänzlich aus (Bräumann, Umfassende Reformen der steuerlichen Familienförderung – der neue Familienbonus Plus und die umstrittene Indexierung familienbezogener Steuererleichterungen bei Kindern im Ausland, iFamZ 2018, 186 [188]). Die volle Ausschöpfung des Familienbonus Plus für ein minderjähriges Kind durch einen Berechtigten erfordert ein steuerpflichtiges Jahreseinkommen von zumindest 17.000 EUR, bei Unselbständigen daher einen Bruttobezug von etwa 1.960 EUR (Bräumann aaO; Tews – Familienbonus Plus – Ende der Familienbeihilfenanrechnung, EF-Z 2019/3; 5 Ob 92/19v).

1.4. Aufgrund der neuen steuergesetzlichen Regelung stellt sich nunmehr die – in den Vorentscheidungen des erkennenden Senats 5 Ob 236/18v und 5 Ob 92/19v noch offen gelassene – Frage, ob der Familienbonus Plus primär oder sogar ausschließlich der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltsschuldners dient und ob diese dadurch auch erreicht wird. Mit dieser Frage hat sich kürzlich der 4. Senat in seiner Entscheidung vom 11. 12. 2019, 4 Ob 150/19s ausführlich auseinandergesetzt und dazu wörtlich ausgeführt:

2. Ausgangspunkt für die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen und die damit verbundene Kürzung des Geldunterhalts durch die Anrechnung von Transferleistungen (RS0117015; RS0117023; RS0117084) war die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs.

[...]

2.4 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen sich demnach dahin zusammenfassen, dass das Einkommen, aus dem der Geldunterhalt geleistet wird, nicht zur Gänze besteuert werden soll. Vielmehr soll die Hälfte des gesetzlichen Unterhalts steuerfrei bleiben und dies durch eine steuerliche Entlastung der Unterhaltspflicht in der Größenordnung um 20 % bewirkt werden. Dieses Ziel kann entweder durch eine pauschalierende oder sonst sachliche Regelung des Gesetzgebers oder – solange der Gesetzgeber nicht tätig wird – im Rahmen der gerichtlichen Unterhaltsbemessung erreicht werden (B 1285/00 VfSlg 16.226).

3. Im Anschluss an das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu G 7/02 ua hat der Oberste Gerichtshof seine unterhaltsrechtliche Judikatur modifiziert (1 Ob 114/02z; 7 Ob 175/02i uva) und zur steuerlichen Entlastung des Unterhaltspflichtigen eine konkrete Berechnungsmethode entwickelt (vgl 5 Ob 37/02f; 9 Ob 94/03v). Dieser Berechnungsmethode liegt die mathematische Formel 'Unterhaltsanspruch = Prozentunterhalt minus (Prozentunterhalt mal Grenzsteuersatz mal 0,004) plus Unterhaltsabsetzbetrag' zugrunde (vgl RS0117084 [T8]; 6 Ob 44/07z). Diese Formel wurde im Hinblick auf den mit der Steuerreform 2009 eingeführten Kinderfreibetrag (§ 106 EStG) dahin modifiziert, dass neben dem Unterhaltsabsetzbetrag auch der Kinderfreibetrag in Höhe der Steuerersparnis zu berücksichtigen ist und die Formel daher wie folgt lautet: 'Unterhaltsanspruch = Prozentunterhalt minus (Prozentunterhalt mal Grenzsteuersatz mal 0,004) plus Unterhaltsabsetzbetrag plus Steuerersparnis durch Kinderfreibetrag' (vgl 6 Ob 240/17p).

[...]

5. Aus Anlass der neuen gesetzlichen Regelungen zum Familienbonus Plus ist eine Neuausrichtung der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung insbesondere aufgrund der dadurch bewirkten steuerlichen Entlastung erforderlich.

5.1 Wie bereits dargelegt, lauten die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die steuerliche Entlastung des Unterhaltsschuldners dahin, dass das Einkommen, aus dem der Unterhalt geleistet wird, nicht zur Gänze besteuert wird und die Hälfte des gesetzlich geschuldeten Unterhalts steuerfrei bleiben soll. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das verfassungsrechtliche Gebot der (zureichenden) steuerlichen Entlastung von Unterhaltslasten auch im Weg einer gesetzlichen Pauschalierung erfolgen kann. Dem Gesetzgeber stehe es frei, eine Anrechnung von Transferleistungen (zur steuerlichen Entlastung) auch pauschalierend vorzusehen und damit zu erleichtern oder den verfassungsrechtlichen Vorgaben durch andere sachliche (gesetzliche) Regelungen Rechnung zu tragen (B 1285/00 VfSlg 16.226).

Wenn der Gesetzgeber auf die Vorgaben durch den Verfassungsgerichtshof reagiert und den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt hat, dass die Unterhaltspflichtigen die Unterhaltslasten zukünftig aus ihrem unversteuerten Einkommen leisten können und nicht eine darauf leistende Steuer dazuverdienen müssen, besteht das Ziel der in Rede stehenden steuergesetzlichen Maßnahme darin, das Einkommen des Geldunterhaltspflichtigen, aus dem der Unterhalt geleistet wird, im Einklang mit den Vorgaben durch den Verfassungsgerichtshof steuerlich zu entlasten. Auch wenn der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien nicht auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs Bezug nimmt, folgt aus der ident formulierten Zielsetzung mit ausreichender Deutlichkeit, dass der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen und die gebotene steuerliche Entlastung durch die neue steuergesetzliche Maßnahme im Weg einer pauschalierenden Regelung umsetzen wollte. Nach den Intentionen des Gesetzgebers soll die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Unterhaltsleistungen nunmehr unmittelbar im Weg der steuergesetzlichen Vorschriften durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag herbeigeführt werden.

5.2 Die Fragen nach der steuerlichen Entlastung, die durch den Familienbonus Plus erreicht werden soll, und nach den Auswirkungen auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage können nicht getrennt voneinander beurteilt werden. Vielmehr ist zu fragen, welche unterhaltsrechtliche Lösung mit den Zielsetzungen des Gesetzgebers im Einklang steht.

Nach der Zielrichtung des Steuergesetzgebers soll der ausschöpfbare Teil des Familienbonus Plus in generalisierender Betrachtungsweise dazu dienen, das Unterhaltseinkommen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs steuerfrei zu stellen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der entsprechende Betrag dem Unterhaltspflichtigen verbleibt. Eine Einrechnung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage scheidet daher aus. Dies gilt auch dann, wenn die Berücksichtigung des Familienbonus Plus beim Dienstgeber beantragt wird; in einem solchen Fall ist der Familienbonus Plus (ebenso wie der Unterhaltsabsetzbetrag) aus dem 'Einkommen' des Geldunterhaltspflichtigen herauszurechnen.

Der Grundsatz, dass es im Unterhaltsrecht auf das Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen als die Summe der dem Unterhaltspflichtigen tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel ankomme (vgl RS0013386) und eine Steuerersparnis das Nettoeinkommen erhöhe, gelangt jedenfalls dann nicht zur Anwendung, wenn es sich bei einem Steuerabsetzbetrag um eine zweckbestimmte steuerliche Entlastung und nicht um einen allgemeinen Einkommensbestandteil handelt. Auch die Judikatur, wonach ein dem Unterhaltsschuldner ausgezahlter Kinderzuschuss oder eine solche Kinder- oder Familienzulage die Bemessungsgrundlage (für das jeweilige Kind) erhöht (RS0047467), ist hier nicht einschlägig, weil die genannten Zuschussleistungen an den Unterhaltsschuldner direkt ausgezahlt und für ein bestimmtes Kind gewährt werden und damit für den Unterhalt bzw die Pflege dieses Kindes zu verwenden sind (vgl 1 Ob 76/99d; 4 Ob 139/19y).

5.3 Da nach der Zielsetzung des Gesetzgebers durch den Familienbonus Plus – gemeinsam mit dem Unterhaltsabsetzbetrag – die gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirkt wird, besteht auch kein Anlass mehr, die Unterhaltsleistung durch die Anrechnung von Transferleistungen zu kürzen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass sich der Familienbonus Plus und der Unterhaltsabsetzbetrag auf die Unterhaltsleistung nicht auswirken und somit unterhaltsrechtlich neutral bleiben.

5.4 Die substanzielle Steuerentlastung durch den Familienbonus Plus (RV 190 BlgNR 26. GP 1 und 14) führt damit zu einer Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Unterhalt nicht mathematisch zu berechnen, sondern vielmehr nach den von Billigkeitsüberlegungen getragenen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einzelfall auszumitteln ist (8 Ob 89/17x; 4 Ob 139/19y; 4 Ob 142/19i; vgl auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 151). Es ist systemkonform, wenn die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslasten zur Gänze in das Steuerrecht verlagert und die zivilrechtliche Unterhaltsbemessung vom 'Fremdkörper' der steuerlichen Entlastung entkoppelt wird (vgl Kolmasch, Glosse zu 6 Ob 240/17p, Zak 2018/198, 111; Neuhauser, Einige Auswirkungen des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Kindesunterhalts, iFamZ 2018, 196 [198]).

5.5 Der Einwand, dass bei einem Teil der besserverdienenden Unterhaltspflichtigen durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag (ohne Anrechnung von Transferleistungen) weniger als die Hälfte des gesetzlich geschuldeten Unterhalts steuerfrei gestellt werde, ist rechnerisch durchaus richtig, entspricht aber dem vom Gesetzgeber nunmehr verfolgten Konzept einer pauschalierenden steuerlichen Entlastung. Da der Gesetzgeber bis 31. Dezember 2018 weder die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis zu B 1285/00 in den Raum gestellte pauschalierende Entlastung noch eine andere sachliche Regelung umgesetzt hat, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, hat sich der Oberste Gerichtshof in seiner Rechtsprechung an der Ansicht des Verfassungsgerichtshofs orientiert. Die nunmehr vorgenommene pauschalierende gesetzgeberische Maßnahme kann durchaus zu einer Schlechterstellung bestimmter Gruppen von Betroffenen führen. Eine offenkundige Verfassungswidrigkeit der Neuregelung ist jedoch nicht zu erkennen; der Umstand, dass keine Anrechnung der Transferleistung auf die Unterhaltsleistung mehr erfolgt und sich aus diesem Grund der dem Kind zu leistende Unterhalt erhöht, begründet für sich allein keine Unbilligkeit.

5.6 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, der gesetzlich festgelegte monatliche Betrag an ausschöpfbarem Familienbonus Plus deutlich niedriger ist als für jüngere Kinder. Ob die in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätze für die Unterhaltsbemessung von Kindern ab dem 18. Lebensjahr gleichermaßen gelten oder in dieser Hinsicht Modifikationen geboten sind, muss hier nicht geklärt werden.

6. Zusammenfassend ist festzuhalten:

6.1 Beim Familienbonus Plus handelt es sich – so wie beim Unterhaltsabsetzbetrag – um einen echten Steuerabsetzbetrag. Der Gesetzgeber hat den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die erwähnten steuergesetzlichen Maßnahmen herbeizuführen. Dadurch findet eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht statt. Die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen erfolgt nunmehr durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag. Der Familienbonus Plus ist nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; eine Anrechnung von Transferleistungen findet nicht mehr statt. Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit unterhaltsrechtlich neutral.

6.2 Diese Grundsätze gelten jedenfalls für die Unterhaltsbemessung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs. Die Frage, wie sich der Familienbonus Plus auf den Unterhaltsanspruch älterer Kinder auswirkt, wird hier unbeantwortet gelassen.“

2.1. Dieser Entscheidung sind mittlerweile mehrere Senate des Obersten Gerichtshofs gefolgt (1 Ob 171/19g; 3 Ob 154/19x; 6 Ob 208/19k; 10 Ob 65/19k). Auch der erkennende Senat schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an. Die vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene pauschalierende steuerliche Entlastung, die im Weg des Unterhaltsabsetzbetrags bisher noch nicht ausreichend erreicht wurde, ist durch die Einführung des Familienbonus Plus nunmehr als gewährleistet anzusehen. Dass einzelne Gruppen von Betroffenen gegenüber der bisherigen Rechtslage besser – oder aber auch schlechter – gestellt werden könnten, ist dem Wesen einer Pauschalregelung immanent und spricht nicht gegen das vom 4. Senat gewonnene Auslegungsergebnis. Eine Kombination der Anrechnung auf den (bisherigen) Kürzungsbetrag aufgrund Transferleistungen mit der Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage aufgrund des Familienbonus Plus hat der erkennende Senat zu 5 Ob 92/19v (insoweit zustimmend Kolmasch ZAK 2019, 333) bereits abgelehnt. Die vom 4. Senat hervorgehobene Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht und der augenscheinliche Zweck der Pauschalierung der nunmehr vom Steuergesetzgeber gewährten Entlastung der Unterhaltsverpflichteten verbieten es aber, weiterhin fiktive Kürzungsbeträge auszurechnen, um einen allenfalls durch den Familienbonus Plus noch nicht erreichten oder aber überschrittenen Kürzungsbetrag zu ermitteln. Es ist daher folgerichtig, sowohl den Familienbonus Plus als auch den Unterhaltsabsetzbetrag als nur der gebotenen Steuerentlastung dienend in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht einzubeziehen. Soweit aus den Entscheidungen des erkennenden Senats 5 Ob 238/18v und 5 Ob 92/19v anderes abzuleiten ist, werden sie nicht aufrecht erhalten.

2.2. Vergleichbares gilt für die Entscheidungen 1 Ob 65/03w und 3 Ob 248/09f, wonach der Unterhaltsabsetzbetrag auch dann, wenn er der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen dient, in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist; auch diese – in der Literatur mehrfach kritisierte (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 14; Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 284 mwN) – Auffassung kann nicht aufrecht erhalten werden, zumal der Unterhaltsabsetzbetrag nach der gesetzlichen Regelung an die Zahlung des Unterhalts (und deren Nachweis) geknüpft ist und daher zweckgebunden nur deshalb als Steuerabsetzbetrag zusteht, weil (und nicht: damit) der Geldunterhaltspflichtige Unterhaltsbeiträge zahlt.

3. Hier sind die für das antragstellende Kind – aber auch dessen Bruder – gewährten Unterhaltsabsetzbeträge und Familienboni Plus nach den vorstehenden Ausführungen somit an sich entgegen der Meinung des Kindes nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Soweit das Rekursgericht dies in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung (teilweise) getan hat, blieb das im Revisionsrekursverfahren unangefochten. Wegen des im Außerstreitverfahren geltenden Verschlechterungsverbots (§ 77 Abs 2 AußStrG) kann das zu Lasten des Revisionsrekurswerbers nicht mehr abgeändert werden. Die im Revisionsrekurs begehrte Einbeziehung auch des Unterhaltsabsetzbetrags und Familienbonus Plus für den Bruder des antragstellenden Kindes kommt aber nicht in Betracht.

4. Dem Revisionsrekurs des Kindes war daher der Erfolg zu versagen.

Textnummer

E127525

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00127.19S.0116.000

Im RIS seit

11.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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