TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/29 B1632/95

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Veröffentlicht am 29.06.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2
AufenthaltsG §6 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wegen Versäumung der im AufenthaltsG normierten Frist von vier Wochen vor Ablauf der gültigen Bewilligung zur Stellung von Verlängerungsanträgen; Unterlassung der im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation trotz imperativer Anordnung im Gesetz gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres bevollmächtigten Vertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer, ein seit 1987 in Österreich lebender Vater und seine beiden minderjährigen Kinder (türkische Staatsangehörige) brachten am 11. Juli 1994 Anträge auf Verlängerung ihrer mit 21. Juli 1994 befristeten Aufenthaltsbewilligungen ein. Diese Anträge wurden mit den im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres unter Berufung auf §6 Abs3 AufG, BGBl. 466/1992 idF vor der Novelle BGBl. 351/1995, mit der Begründung abgewiesen, Verlängerungsanträge seien gemäß dieser Bestimmung spätestens vier Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung zu stellen; bei Nichteinhaltung dieser Frist sei die Bewilligungserteilung ausgeschlossen und auf das Vorbringen der Beschwerdeführer - auch im Zusammenhang mit ihren persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen.

Gegen diese Bescheide richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der ua. die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide begehrt wird.

2. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ohne weitere Darlegungen - die Abweisung der Beschwerden beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

Die angefochtenen Bescheide greifen in das gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, B1722/94 ua., mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der Bestimmung des §6 Abs3 AufG, die eine Antragstellung spätestens vier Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung vorsieht, in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

Die belangte Behörde hat - ausgehend von einer verfehlten Rechtsansicht -, diese iS des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1632.1995

Dokumentnummer

JFT_10039371_95B01632_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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