TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/9 W192 1251544-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2019
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Entscheidungsdatum

09.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W192 1251544-4/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2018, Zahl: 324815907-150351469, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., §§ 9, 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG i. d. g.

F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Vorangegangene Verfahren:

1.1 Der Beschwerdeführer, ein ukrainischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen Angaben erstmals am 15.06.2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 01.07.2002 die Gewährung von Asyl. Dazu gab er bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 04.05.2004 an, er sei Zeuge Jehovas und habe 1997 bzw. 1998 an Gebietskongressen der Zeugen Jehovas teilgenommen. Im September 2000 habe er in seinem Heimatort in einer Privatwohnung "religiösen Unterricht" erhalten. Am Nachhauseweg sei er in einem Park von vier unbekannten Männern zusammengeschlagen worden. Die Männer hätten ihm seine vier Zeitschriften der Zeugen Jehovas entrissen. Sie hätten ihn geschlagen und mit dem Umbringen bedroht, sollten sie ihn nochmals im Besitze solcher Zeitschriften antreffen. Im Dezember 2000 sei er in der Garage seines Hauses von drei unbekannten maskierten Männern mit einem Eisenrohr niedergeschlagen worden. Im April 2002 sei der Beschwerdeführer erneut vor dem Eingang seines Hauses von drei unbekannten Männern niedergeschlagen worden. Er habe die Vorfälle jeweils bei der ukrainischen Polizei angezeigt. Die Anzeigen seien entgegengenommen worden, aber die Täter seien nicht ausgeforscht worden. Im Falle einer Rückkehr in die Ukraine befürchte er, erneut von den Männern misshandelt bzw. getötet zu werden.

1.2. Mit Bescheid vom 01.07.2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.); es stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).

1.3. Mit Bescheid vom 02.06.2008 hat der Unabhängige Bundesasylsenat den Bescheid des Bundesasylamtes in Stattgabe einer Berufung gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

1.4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.08.2008 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers neuerlich gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und gemäß § 8 leg.cit. festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Genannten in die Ukraine zulässig sei. Das Bundesasylamt begründet seine Entscheidung damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers, er sei dreimal überfallen und am Körper verletzt worden, zwar glaubhaft seien, aber keine Asylrelevanz vorliege, da der ukrainische Staat gegen Angriffe von privater Seite weder schutzunwillig noch schutzunfähig wäre. Es seien auch Anzeigen aufgenommen worden und könne die erfolglose Ausforschung der Täter dem ukrainischen Staat nicht vorgeworfen werden, da der Beschwerdeführer selbst angegeben hätte, er würde die Täter nicht wiedererkennen.

1.5. Eine gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 09.02.2009 abgewiesen.

1.6. Am 16.03.2009 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am 16.03.2009 sowie in der weiteren Einvernahme durch das Bundesasylamt am 08.06.2009 gab der Beschwerdeführer an, er sei zwischen September 2000 bis April 2002 dreimal von unbekannten maskierten Männern zusammengeschlagen worden. Anders als beim Erstantrag sei aber das Motiv dafür nicht seine Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas gewesen, sondern hätten die Männer von ihm die Zurückziehung einer Anzeige gefordert, die er erstattet habe, da sein Bruder irrtümlicherweise von der Miliz angehalten und zusammengeschlagen wurde, da er einen PKW fuhr, welcher mit der Marke und Type eines Fahrzeugs ident gewesen sei, mit welcher eine Tätergruppe mehrere Überfälle verübt hätte. Es sei ihm von einem Staatsanwalt mitgeteilt worden, dass er seine Anzeige zurückziehen müsse, weil einer der Milizbeamten, welcher seinen Bruder geschlagen hätte, mit der Tochter eines Oberstaatsanwalts verheiratet sei. Er habe die Anzeige jedoch nicht zurückgezogen. Im ersten Antrag habe er erklärt, aus religiösen Gründen verfolgt zu sein, da er dachte, es würde so leichter sein, in Österreich bleiben zu können. Befragt, warum er im Erstverfahren nicht gleich die richtigen jetzt vorgebrachten Asylgründe angegeben habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe Angst gehabt, dass ihm nicht geglaubt würde. Er suche in Österreich nicht nach einem guten Leben, sondern möchte nur in Sicherheit leben.

1.7. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.08.2009 wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine ausgewiesen (Spruchpunkt II.).

1.8. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 21.09.2009 wurde die gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachte Beschwerde gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 08.04.2015 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Anlässlich der am gleichen Tag abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er sei infolge Erhalts eines negativen Asylbescheides im Jahr 2009 aus Österreich in die Ukraine zurückgekehrt, wo er sich bis 2010 aufgehalten hätte. Wegen seiner alten Asylgründe, welche weiterhin aufrecht wären, habe er nicht in der Ukraine bleiben können. Zur Zeit müsste er in der Ukraine zum Militär einrücken und kämpfen. Er hätte Angst, dabei zu sterben. Die Änderung seiner Fluchtgründe sei ihm seit 2014 bekannt. Er halte sich bereits seit 2010 illegal in Österreich auf und habe jetzt keine Möglichkeit mehr, so weiter zu leben, weshalb er sich zur neuerlichen Stellung eines Antrags entschlossen hätte.

Am 09.12.2015 wurde der Beschwerdeführer wegen unbekannten Aufenthalts aus der Grundversorgung abgemeldet; mit Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2015 wurde das Verfahren des Beschwerdeführers gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt.

Infolge Bekanntgabe einer Meldeadresse des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 26.04.2016 wurde das Verfahren durch das Bundesamt fortgesetzt.

2.2. Am 12.06.2018 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Eingangs erklärte der Beschwerdeführer, er sei gesund, benötige keine Medikamente, fühle sich zur Durchführung der Einvernahme psychisch und physisch in der Lage und habe bislang der Wahrheit entsprechende Angaben erstattet, welche korrekt protokolliert und rückübersetzt worden seien. Der Beschwerdeführer stamme aus einer näher bezeichneten Stadt in der Westukraine und habe im Herkunftsstaat noch seine Mutter, einen volljährigen Bruder, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen sowie Freunde und Bekannte. Der Beschwerdeführer führe eine Beziehung mit einer ukrainischen Staatsbürgerin, die ihn ab und zu in Österreich besuchen komme. Der Beschwerdeführer gehöre der ukrainischen Volksgruppe an, sei protestantischer Christ, habe elf Jahre die Schule besucht und seiner Mutter bis zu seiner Ausreise im Jahr 2000 beim Betrieb ihres Marktstandes geholfen. Seinen illegalen Aufenthalt in Österreich zwischen 2010 und 2016 habe er sich durch Schwarzarbeit finanziert, er habe in diesem Zeitraum unangemeldet bei einem Freund gelebt. Der Beschwerdeführer habe Deutschkurse besucht und habe viele Freunde in Österreich. Zum Grund seiner neuerlichen Ausreise aus dem Herkunftsstaat und seiner Antragstellung auf internationalen Schutz führte der Beschwerdeführer aus, er werde von einer korrupten Polizeibande gesucht, die ihm nicht vergeben hätte wollen, dass er einmal bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet hätte. Über diese Gründe habe die Behörde bereits zweimal negativ entschieden. Der Beschwerdeführer habe kein Versteck mehr, er müsse sich noch immer von dieser Polizeibande verstecken, welche im Herkunftsstaat die gesamte Gegend belästigen würde. In Österreich fühle er sich sicher. Die Polizei in der Ukraine sei korrupt und er habe Angst, dass diese ihn erneut ausfindig machen. Die Polizei wolle, dass er zum Militär gehe, diesbezüglich hätten sie seine Mutter kontaktiert. Einen Einberufungsbefehl habe der Beschwerdeführer nicht erhalten. Er besitze keine Beweismittel für sein Vorbringen, sein einzig neues Vorbringen sei, dass die Polizei immer noch nach ihm suche. Darüberhinausgehende Befürchtungen bezüglich seines Herkunftsstaates weise er nicht auf.

Der Beschwerdeführer legte ein Deutschzertifikat auf dem Niveau B1, Empfehlungsschreiben aus seinem privaten Umfeld sowie ukrainische Urkunden (Geburtsurkunde, Namensänderung, Steuerzahl) vor.

2.3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV.), weiters wurde einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit sowie die Identität des Beschwerdeführers fest. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen sei oder dies künftig sein würde. Beweiswürdigend wurde von einer Unglaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verfolgungsgefahr durch korrupte Polizisten ausgegangen. Der Beschwerdeführer habe seine Behauptungen durch keinerlei Beweismittel untermauern und keine nachvollziehbare Erklärung dafür bieten können, weshalb die Polizeibande ihn aufgrund von Vorfällen, die sich bereits im Jahr 2000 zugetragen hätten, immer noch suchen sollte. Zudem sei über jenes Vorbringen bereits in den vorangegangenen Verfahren negativ entschieden worden. Zum neuen Vorbringen einer befürchteten Einberufung zum Militär sei festzuhalten, dass eine solche unwahrscheinlich sei, da der Beschwerdeführer keinen Einberufungsbefehl habe vorlegen können.

Es habe nicht festgestellt werden können, dass der gesunde Beschwerdeführer, welcher seinen Lebensunterhalt in der Ukraine durch eigene Arbeit und familiäre Unterstützung bestreiten werde können, im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten werde. In der Ukraine herrsche keine extreme Gefahrenlage, die medizinische und ökonomische Versorgung der dortigen Bevölkerung erweise sich als gesichert.

Der Beschwerdeführer habe sich seit dem Jahr 2010 bis zu seiner neuerlichen Asylantragstellung im Jahr 2015 illegal in Österreich aufgehalten, sei während dieses Zeitraums unangemeldet bei einem Freund wohnhaft gewesen und habe illegale Arbeiten verrichtet. Der Beschwerdeführer habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet, er spreche Deutsch, weise jedoch keine vertiefte Integration im Inland auf, weshalb sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung im Ergebnis aufgrund der überwiegenden öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung als zulässig erweise.

Da der Beschwerdeführer aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme und für die Behörde feststehe, dass eine Rückkehr für diesen mit keiner Verletzung in Menschenrechten verbunden sein werde, sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen und folglich keine Frist für die freiwillige Ausreise einzuräumen gewesen.

2.4. Gegen diesen, dem Beschwerdeführer am 10.07.2018 zugestellten, Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation mit Schriftsatz vom 01.08.2018 fristgerecht eine Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften ein. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, der Beschwerdeführer befürchte die Einziehung zum ukrainischen Militär sowie die Verfolgung durch eine korrupte Polizeieinheit. Der Beschwerdeführer sei bereits seit 2002 in Österreich aufhältig und beherrsche Deutsch auf dem Niveau B2, weshalb ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen sei. Beantragt wurden u. a. die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

2.5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 13.05.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung W196 abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer, dessen Identität nicht zweifelsfrei feststeht, ist Staatsangehöriger der Ukraine, Angehöriger der ukrainischen Volksgruppe und bekennt sich zum christlichen Glauben protestantischer Ausrichtung. Der Beschwerdeführer stammt aus einer Stadt im Westen der Ukraine, hat im Herkunftsstaat die Schule absolviert und seiner Mutter beim Betrieb ihres Marktstandes geholfen. Im Herkunftsstaat halten sich unverändert die Mutter, ein volljähriger Bruder, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen sowie Freunde des Beschwerdeführers auf. Der Beschwerdeführer ist erstmals im Jahr 2002 ins Bundesgebiet eingereist, wo er am 01.07.2002 erstmals einen Asylantrag einbrachte, welcher letztlich mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 09.02.2009 abgewiesen wurde. Am 16.03.2009 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, welcher rechtskräftig wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG unter gleichzeitiger Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 10 AsylG 2005 zurückgewiesen wurde (vgl. das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 21.09.2009). Der Beschwerdeführer kehrte daraufhin unter Beanspruchung von Rückkehrhilfe in die Ukraine zurück und reiste seinen Angaben zufolge bereits im Jahr 2010 neuerlich illegal ins Bundesgebiet, wo er unangemeldet Unterkunft nahm und bis zur Stellung des gegenständlichen dritten Antrags auf internationalen Schutz am 08.04.2015 illegal aufhältig gewesen ist.

Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat verlassen, um in Österreich bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine Verfolgung durch korrupte Polizisten zu befürchten hätte. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es besteht für den Beschwerdeführer als gesunden leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter sowie mit einem familiären und sozialen Netz im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in die Ukraine keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; ihm steht die Möglichkeit offen, sich abermals in seiner früheren Heimatstadt im Westen der Ukraine oder alternativ in einem anderen von der ukrainischen Zentralverwaltung kontrollierten Landesteil niederzulassen. Dieser liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer konnte seinen Lebensunterhalt in der Ukraine in der Vergangenheit stets problemlos eigenständig bestreiten.

Der unbescholtene Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet keine Familienangehörigen oder sonstigen engen sozialen Beziehungen, ist nicht selbsterhaltungsfähig und ging zu keinem Zeitpunkt einer erlaubten Erwerbstätigkeit nach. Der Beschwerdeführer hat während seiner langjährigen - überwiegend illegalen respektive auf die Stellung unbegründeter (Folge-)Anträge auf internationalen Schutz gegründeten - Aufenthaltsdauer die deutsche Sprache erlernt, eine Sprachprüfung auf dem Niveau B1 absolviert und einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet aufgebaut. Er befindet sich in einer Beziehung mit einer ukrainischen Staatsbürgerin, welche ihn gelegentlich in Österreich besuchte. Eine tiefgreifende Integration im Bundesgebiet liegt nicht vor.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

...

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

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DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

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UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

...

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

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Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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