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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §67c Abs4;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/01/0279Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerden
1.) des M und 2.) der E, beide in Wien, beide vertreten durch Dr. Georg Walderdorff, Rechtsanwalt in Wien III, Schwarzenbergplatz 7, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien je vom 17. Februar 1997, Zl. UVS-02/32/78/94-4 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) und Zl. UVS-02/32/96/94-5 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), beide betreffend Zurückweisung einer Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer wurden am 21. April 1994 in Wien im Zuge der polizeilichen Aufnahme eines Verkehrsunfalles festgenommen. Aufgrund der von den Beschwerdeführern jeweils am 21. April 1994 und am 10. Mai 1994 bei der Bundespolizeidirektion Wien erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerden, in denen den einschreitenden Beamten u.a. vorgeworfen wurde, in rassistischer Weise vorgegangen zu sein, die Beschwerdeführer zu Unrecht festgenommen, mit "Du" angesprochen und tätlich angegriffen sowie die Dienstnummer nicht bekanntgegeben zu haben, teilte die Bundespolizeidirektion Wien (Generalinspektorat der Sicherheitswache) den Beschwerdeführern je mit Schreiben vom 26. August 1994 gemäß § 89 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) mit, daß sich die Beamten bei dem Vorfall korrekt verhalten hätten und keine Verletzung einer Richtlinie vorliege.
Die Beschwerdeführer erhoben daraufhin die jeweils am 3. September 1994 zur Post gegebenen Beschwerden an die belangte Behörde, in denen sie sich jeweils gegen den Inhalt der Sachverhaltsmitteilung gemäß § 89 Abs. 2 SPG wandten und im wesentlichen ihre bereits in den Dienstaufsichtsbeschwerden erhobenen Vorwürfe wiederholten.
Mit den im wesentlichen gleichlautenden Bescheiden je vom 17. Februar 1997 hat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien die Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Festnahmen und die Mißhandlungen bei dem Vorfall vom 21. April 1994 gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 iVm § 67c Abs. 1 und Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen.
Obwohl die Beschwerdeführer ihre Beschwerden ausdrücklich nur auf § 89 Abs. 2 SPG (und damit auf eine Richtlinienverletzung) gestützt hätten, werde zugunsten der Beschwerdeführer angenommen, daß hinsichtlich der behaupteten rechtswidrigen Festnahmen und der Mißhandlungsvorwürfe auch eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorliege. Festnahmen, Anhaltungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Mißhandlungen könnten nämlich begrifflich keine Verletzung von Richtlinien darstellen und daher nicht mit "Richtlinienbeschwerde" geltend gemacht werden. Die insoweit vorliegenden Maßnahmenbeschwerden seien jedoch jeweils erst nach Ablauf der gemäß § 67a Abs. 1 AVG sechswöchigen Beschwerdefrist eingebracht worden.
Über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden gegen diese Bescheide hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Im Spruch der angefochtenen Bescheide hat die belangte Behörde jeweils eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Festnahme und Mißhandlung zurückgewiesen. In der Begründung vertrat sie dazu die Ansicht, daß insoweit "schon begrifflich" keine "Richtlinienbeschwerde" vorliegen könne. Sie brachte somit - in der zur Interpretation des Spruches heranzuziehenden (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 445 f E 9b ff, zitierte
hg. Judikatur) Begründung der angefochtenen Bescheide - jeweils deutlich zum Ausdruck, daß über die an die belangte Behörde gerichteten Beschwerden, insoweit sie sich gegen die Festnahmen und die Mißhandlungen richten, abschließend entschieden wurde, während eine Entscheidung über die anderen Vorwürfe (rassistische Vorgangsweise, Verwendung des "Du-Wortes", Verweigerung der Bekanntgabe der Dienstnummer) noch nicht erfolgte.
Die Beschwerdeführer bringen dagegen vor, daß auch Mißhandlungen und Festnahmen Richtlinienverstöße darstellen könnten und daher (auch) mit einer "Richtlinienbeschwerde" bekämpft werden könnten.
Gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher in Betracht kommt, über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes. Gemäß der Z. 3 dieser Bestimmung erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate auch in sonstigen Angelegenheiten, die ihnen durch die die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetze zugewiesen werden.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 in der geltenden Fassung (SPG), haben folgenden Wortlaut:
"§ 88 (1) Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG).
(2) Außerdem erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.
...
(4) Über Beschwerden gemäß Abs. 1 oder 2 entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§ 67c bis 67g und 79a AVG.
...
§ 89 (1) Insoweit mit einer Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat die Verletzung einer gemäß § 31 festgelegten Richtlinie behauptet wird, hat der unabhängige Verwaltungssenat sie der zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde in dieser Sache zuständigen Behörde zuzuleiten.
(2) Menschen, die in einer binnen sechs Wochen, wenn auch beim unabhängigen Verwaltungssenat (Abs. 1), eingebrachten Aufsichtsbeschwerde behaupten, beim Einschreiten eines Organes des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß § 31 erlassene Richtlinie verletzt worden, haben Anspruch darauf, daß ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr schließlich in diesem Punkte als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich hiebei zur Frage äußert, ob eine Verletzung vorliegt.
...
(4) Jeder, dem gemäß Abs. 2 mitgeteilt wurde, daß die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei, hat das Recht, binnen 14 Tagen die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates zu verlangen, in dessen Sprengel das Organ eingeschritten ist; dasselbe gilt, wenn eine solche Mitteilung (Abs. 2) nicht binnen drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde ergeht. Der unabhängige Verwaltungssenat hat festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden ist.
(5) Im Verfahren gemäß Abs. 2 vor dem unabhängigen Verwaltungssenat sind die §§ 67c bis 67g und 79 a AVG sowie § 88 Abs. 5 dieses Bundesgesetzes anzuwenden. Der unabhängige Verwaltungssenat entscheidet durch eines seiner Mitglieder."
Eine Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG und § 88 Abs. 1 SPG bzw. gegen "schlichtes Polizeihandeln" (RV, 148 Blg NR, XVIII. GP, Seite 53) gemäß § 88 Abs. 2 SPG zielt darauf ab, angefochtene Verwaltungshandlungen als rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls den der Entscheidung entsprechenden Rechtszustand wiederherzustellen (siehe § 67c Abs. 4 AVG).
Bei einer "Richtlinienbeschwerde" gemäß § 89 SPG handelt es sich hingegen um den Sonderfall einer Dienstaufsichtsbeschwerde, in der die Verletzung einer Richtlinie nach der Richtlinienverordnung, BGBl. Nr. 266/1993, welche einen Verhaltenskodex für Exekutivorgane bei der Ausübung von Befugnissen festlegt (Funk, das Neue Sicherheitspolizeirecht, JBl. 1994, Seite 137 ä147ü), die durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Erfüllung ihrer Aufgaben - insbesondere jener, die durch Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu besorgen sind (vgl. § 1 der Richtlinienverordnung) - geltend gemacht wird.
Eine gesetzliche Regelung, wonach eine "Richtlinienbeschwerde" wegen eines bestimmten Handelns von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nur erhoben werden kann, wenn nicht wegen desselben Handelns eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt möglich ist, existiert nicht. Auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (a.a.O. Seite 54) nennen als Voraussetzung für eine "Richtlinienbeschwerde" nur, daß eine Richtlinienverletzung behauptet wird und die Dienstaufsichtsbeschwerde binnen sechs Wochen eingebracht oder der Behörde vom unabhängigen Verwaltungssenat gemäß § 89 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz zugeleitet wurde.
Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführer u.a. eine Verletzung von § 5 Abs. 1 der Richtlinienverordnung, wonach die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Erfüllung ihrer Aufgaben alles zu unterlassen haben, das geeignet ist, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken oder als Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes, der Rasse oder Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses, der politischen Auffassung oder der sexuellen Orientierung empfunden zu werden, geltend gemacht. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde können - (auch) mit einer Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpfbare - Mißhandlungen und Festnahmen gleichzeitig auch Vorgangsweisen darstellen, die geeignet sind, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken, oder als Diskriminierung aus den in § 5 Abs. 1 der Richtlinienverordnung angeführten Gründen empfunden werden können. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn ein Bürger wegen seiner Hautfarbe mißhandelt oder allein aus diesem Grund festgenommen wird.
Die von der belangten Behörde ihren Bescheiden entscheidungswesentlich zugrundegelegte Rechtsansicht, daß Beschwerden gegen Mißhandlungen und Festnahmen "schon begrifflich" keine "Richtlinienbeschwerden" darstellen könnten, entspricht somit nicht der Rechtslage.
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres jeweiligen Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997010278.X00Im RIS seit
20.02.2002