TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/5 W192 2184769-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2019
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Entscheidungsdatum

05.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AVG §68 Abs1
BFA-VG §16 Abs2
BFA-VG §17 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W192 2184768-2/5E

W192 2184766-2/5E

W192 2184764-2/5E

W192 2184769-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX und 4.) XXXX , alle StA. Ukraine, vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1.), 2.) 27.02.2019, 3.), 4.) 01.03.2019, Zlen. 1.) 1052695907-181209492, 2.) 1052696403-181209522, 3.) 1052695602-181209535 und 4.) 1073912008-181209549, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG i.d.g.F. iVm

§ 68 AVG i.d.g.F. sowie §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 i.d.g.F., § 9 BFA-VG i.d.g.F., §§ 46, 52 und 55 Abs. 1a FPG i.d.g.F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Verfahren über die ersten Anträge auf internationalen Schutz:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und ihre gemeinsame Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, Staatsangehörige der Ukraine, reisten gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 02.03.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag erklärte der Erstbeschwerdeführer, er habe im Herkunftsstaat von 1988 bis 1995 die Grundschule und eine Berufsschule für KFZ-Mechaniker besucht und zuletzt als KFZ-Mechaniker gearbeitet. Dort sei der Vater des Erstbeschwerdeführers wohnhaft und es lebe seine Mutter seit 12 Jahren in Österreich. Zum Fluchtgrund gab er zu Protokoll, dass in der Ukraine Krieg herrsche, er zur Armee habe einrücken müssen und die Ostukraine geschickt worden wäre. Jedoch habe er keine Menschen töten wollen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu Protokoll, dass der Erstbeschwerdeführer in den Krieg habe ziehen müssen und im Juni, Juli und August 2014 drei Einberufungsbefehle erhalten habe. Da er sich nicht der Armee habe anschließen wollen, seien sie geflüchtet. Die Drittbeschwerdeführerin befinde sich seit ihrer Geburt in ihrer Obsorge und habe keine eigenen Fluchtgründe.

Der Viertbeschwerdeführer wurde als gemeinsamer Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren und es stellte die Zweitbeschwerdeführerin für diesen als seine gesetzliche Vertretung am 17.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am 23.11.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gaben sie an, dass es ihnen und der Drittbeschwerdeführerin gut gehe, der Viertbeschwerdeführer habe seit seiner Geburt Probleme mit der Wirbelsäule und Wassereinlagerungen im Gehirn, weswegen er bereits dreimal operiert worden sei. Er werde alle sechs Monate kontrolliert. Dabei wurden ärztliche Unterlagen zum Gesundheitszustand des Viertbeschwerdeführers sowie Integrationsunterlagen der Beschwerdeführer vorgelegt.

Zu den Fluchtgründen gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin an, dass der Erstbeschwerdeführer im April und im Juli 2014 zwei Ladung erhalten habe und in den Krieg hätte ziehen müssen. Im August 2014 seien am Abend zwei in zivil gekleidete Männer zu ihnen nachhause gekommen und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihnen gesagt, dass der Erstbeschwerdeführer nicht da sei und die Unterschrift verweigert, worauf sie ihr entgegnet hätten, sie solle sich entscheiden, ob sie ihren Mann, oder ihre Tochter schützen wolle. Danach habe sie oft ein unbekanntes Fahrzeug vor ihrem Haus gesehen und habe sie einen der zwei Männer erkannt. Der Erstbeschwerdeführer sei in der Zeit danach nur noch selten zu Hause und immer in der Arbeit oder unterwegs mit dem LKW gewesen. Die Beschwerdeführer hätten entschieden, dass der Erstbeschwerdeführer einige Zeit nach Polen fahren solle, und zwar von Mitte September 2014 bis ungefähr Mitte Oktober 2014. Da der Erstbeschwerdeführer "inoffiziell" gearbeitet habe, habe ihn das Militär auch nicht gefunden. Der Erstbeschwerdeführer habe in der Vergangenheit auch überlegt, in den Militärdienst einzutreten, jedoch würden die Soldaten ihre eigenen Uniformen kaufen müssen und sei die Armee auf Spenden angewiesen gewesen. Weiters befragt gab der Erstbeschwerdeführer zu Protokoll, dass er weder Hilfsorganisationen, noch die Polizei aufgesucht habe; letztere hätte ihn mitgenommen, wenn er hingegangen wäre. Nochmals danach gefragt, was der konkrete Auslöser für die Flucht gewesen sei, gaben die Beschwerdeführer an, dass es keinen solchen gegeben habe, aber als die Zweitbeschwerdeführerin auch noch schwanger geworden sei, hätten sie noch mehr Angst um ihre Zukunft gehabt. Auch habe es nächtliche Anrufe gegeben, wobei man nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt hätte. Das seien all ihre Fluchtgründe. Danach gefragt, ob sie politisch tätig gewesen seien, verneinten beide Beschwerdeführer diese Frage und gab der Erstbeschwerdeführer zu Protokoll, dass er an der "Revolution" am Maidan teilgenommen habe und seine Daten für die Busfahrt aufgenommen worden seien. Die Beschwerdeführer seien nicht mit den Strafgesetzen in Konflikt geraten und gebe es auch keine Haftbefehle gegen sie. Im Bundesgebiet lebe die Mutter des Erstbeschwerdeführers, die über ein Arbeitsvisum verfüge, sonst hätten die Beschwerdeführer keine Verwandten oder nahen Angehörigen in Österreich.

1.2. Mit Bescheiden des BFA vom 17.12.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und weiters gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) erlassen. Weiters wurde innerhalb des Spruches gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer in die Ukraine festgestellt (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG bis 24.02.2018 festgelegt (Spruchpunkt VI.).

1.3. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

1.4. Am 31.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die Beschwerdeführer neuerlich zu den Fluchtgründen, zu ihrem Privat- und Familienleben sowie allfälligen Integrationsaspekten und ihrem Gesundheitszustand befragt wurde.

1.5. Mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.11.2018 wurden die Beschwerden gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1 sowie § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG, §§ 52 Abs.2 Z 2, %" Abs. 9 FPG und § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1bis 3 FPG las unbegründet abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht traf in diesen Entscheidungen zur Person der Beschwerdeführer folgende Feststellungen:

"1.1. Festgestellt wird, dass die BF Staatsangehörige der Ukraine sind. BF1 und BF2 sind miteinander verheiratet und gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter, BF3, in das Bundesgebiet eingereist. BF4 ist ihr im Bundesgebiet geborener Sohn. Im Herkunftsstaat lebten die BF in LL. Sie gehören der Volksgruppe der Ukrainer an, bekennen sich zum orthodoxen Glauben und sprechen sowohl Ukrainisch als auch Russisch; BF1 kann überdies etwas Tschechisch, BF2 beherrscht ein wenig Englisch. BF1 und BF2 besuchten in der Ukraine die Schule und eine Berufsschule für KFZ-Mechaniker bzw. für "Wirtschaftssachen" und besuchte BF2 überdies die Universität. BF1 arbeitete als LKW-Fahrer und BF2 als Buchhalterin in einer Privatklinik. Sie lebten gemeinsam mit BF3 in einer Eigentumswohnung im Westen der Ukraine, die es auch weiterhin gibt und die im Moment leer steht. Die BF lebten wirtschaftlich abgesichert.

1.2. Die BF stellten nach illegaler Einreise am 02.03.2015, bzw. nach der Geburt von BF4, am DD, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Ukraine eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Die BF können auch weiterhin im Herkunftsort leben, der weit entfernt von den von Unruhen betroffenen Gebieten in der Ukraine gelegen ist, oder in einem anderen Ort in der Ukraine, wie zum Beispiel in Kiew, und wo die Lage ebenfalls ruhig ist.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die BF1, BF2 und BF3 sind gesund.

Bei BF4 war bereits pränatal eine Meningomyelocele bekannt und zeigten sich bei der Geburt die Diagnose einer Arnold-Chiari-Malformation Typ II mit Hydrocephalus occlusus und Meningomyelocele L5 bis S2. Es wurde am 27.05.2015 die Entfernung der Cele und der Verschluss des Rückenmarkskanals durchgeführt, und am 02.06.2015 ein ventrikulo-peritonealer Shunt zur Ableitung des gesamten Gehirnwassers gelegt. Aufgrund einer Shunt-Dysfunktion musste BF4 ein drittes Mal operiert werden. Alle weiteren fachärztlichen Kontrollen zeigten den Erfolg der durchgeführten Maßnahmen und wurde der weitere Verlauf seiner Erkrankung als "zufriedenstellend" beschrieben. Bis auf regelmäßige videourodynamische Untersuchungen, neurochirurgische und augenärztliche Kontrollen sind keine weiteren Therapien und keine Medikation empfohlen worden. Der nächste Kontrolltermin mit MR der gesamten Neuroachse beim NN-Universitätsklinikum, Universitätsklinik für Neurochirurgie, ist für April 2019 geplant. Die nächste urologische Untersuchung ist für August 2019 vorgesehen. BF4 benötigt jedenfalls Zugang zu fachärztlichen Kontrollen sowie eine chirurgische Interventionsmöglichkeit für den Fall einer Shunt-Dysfunktion. Es besteht keine Lebensgefahr, wenn im Falle einer Shunt-Dysfunktion "rasch" chirurgisch interveniert wird. Er ist reise- und flugfähig. Ein dauernder Aufenthalt in Österreich wird von den behandelnden Ärzten empfohlen. Bei BF4 wurde ein Grad der Behinderung von 50% festgestellt und er ist im Besitz eines befristeten Behindertenpasses bis 30.04.2019. Eine diesbezügliche Nachuntersuchung ist für April 2019 geplant, weil eine Besserung möglich ist.

Die BF befinden sich seit März 2015 im Bundesgebiet, leben von Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. BF1 und BF2 haben Deutschkurse besucht, zuletzt einen Kurs des Niveaus B1 der deutschen Sprache. Sie leben in der Pfarrgemeinschaft der Wohnsitzgemeinde und verfügen über Freunde und Bekannte im Bundesgebiet. BF1 verfügt über eine Arbeitszusage für eine Steuerberatungsfirma und engagieren sich die BF ehrenamtlich in der Gemeinde mit Hilfsarbeiten. BF3 besucht die Hauptschule, BF4 geht in den Kindergarten.

Im Bundesgebiet lebt die Mutter von BF1. Die BF haben sonst keine Verwandten oder nahen Angehörigen in Österreich und konnte eine überdurchschnittliche Integration der BF im Bundesgebiet nicht festgestellt werden. Im Herkunftsstaat haben die BF, wo sie (mit Ausnahme von BF4) den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben, noch zahlreiche soziale Anknüpfungspunkte. Im Herkunftsort leben die Mutter und die Schwester von BF2. Der Vater von BF1 lebt gemeinsam mit seiner Partnerin in einer Eigentumswohnung in Kiew. Überdies leben weitere Verwandte von BF1 und BF2 in der Ukraine. Dabei handelt es sich um zwei Onkeln mütterlicherseits von BF1 und den Onkel und der Tante mütterlicherseits von BF2, sowie deren Familien. Die Verwandten der BF leben finanziell abgesichert. Sie stehen in Kontakt zu ihren Verwandten in der Ukraine bzw. kann dieser wiederhergestellt werden.

BF1 und BF2 sind strafgerichtlich unbescholten und stehen im erwerbsfähigem Alter.

Das Bundesverwaltungsgericht traf in seiner Entscheidung weiters umfassende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer einschließlich solche über den für den Viertbeschwerdeführer bestehenden Zugang zu benötigter Gesundheitsversorgung und führte beweiswürdigend zum Gesundheitszustand des Viertbeschwerdeführers folgendes aus:

Zum Gesundheitszustand von BF4 ist auszuführen, dass er seit seiner Geburt an Hydrocephalus leidet und wurde bei ihm ein Shunt eigesetzt, wessen Verlängerungen aufgrund des Wachstums notwendig ist. Der im Verfahren herangezogenen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.12.2017 ist zu entnehmen, dass in der Ukraine Shunt-Operationen durchgeführt werden und ihre Anpassung sowie die Nachbehandlung verfügbar sind und das "Romodanov Institut for Nerosurgery", welches auch über eine Kinderneurochirurgie verfügt, für diese Eingriffe bekannt ist. Das Institut selbst wurde für selbst entwickelte Shunt-Systeme für Hydrocephalus-Patienten 2001 mit einem ukrainischen Staatspreis ausgezeichnet. Laut eigener Statistik für das Jahr 2016 wurden im Jahr 2016 im Institut 714 Kinder, in Kiew insgesamt 1.196 Patienten und in der gesamten Ukraine 12.706 Patienten, behandelt. Davon wurden 74,1% tatsächlich operiert und zwar 51,8% in Kiew und 30,8% im gesamten Staatsgebiet der Ukraine, wobei die Mortalitätsrate bei 2,1% liegt. Aus den allgemeinen Länderberichten ergibt sich weiters, dass in der Ukraine eine kostenlose flächendeckende medizinische Versorgung vorhanden ist und existieren Krankenhäuser sowie andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, innere und psychische Krankheiten behandelt werden können, sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal und kann die medizinische Versorgung in Notsituationen in den Ballungsräumen als befriedigend bezeichnet werden. Auch besteht ein Zugang zu kostenlosen Medikamenten, mit der Ausnahme spezieller Verschreibungen im ambulanten Bereich, wobei es auch für diesen Fall gesetzliche Ausnahmen für Schwerkranke und Angehörige bestimmter Gruppen gibt.

Es wird seitens des Gerichtes keineswegs verkannt, dass eine Behandlung in der Ukraine mit etwaigen Hürden verbunden sein kann, jedoch ist sie laut dem vorliegenden Ländermaterial für die Bevölkerung vorhanden und für niemanden ausgeschlossen. Auch arbeitete BF2 vor ihrer Ausreise in einer Privatklinik und hat somit auch einen erleichterten Zugang bzw. einen besseren Einblick in das medizinische Versorgungsystem der Ukraine. Für den Fall einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes von BF4 wäre jedenfalls eine Erstversorgung in einem näher gelegenen Spital, sowie eine darauffolgende Transferierung nach Kiew, zum Beispiel in das Institut Romodanov, möglich. Den BF ist es überdies auch jedenfalls möglich und zumutbar, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kiew (oder näherer Umgebung) in Anspruch zu nehmen, um eine schnellere und umfassendere Versorgung für BF4 zu garantieren. So lebten die BF auch vor ihrer Ausreise finanziell abgesichert und wäre es sowohl BF1, als auch BF2 zumutbar, auch nach ihrer Rückkehr ihren jeweiligen Berufen nachzugehen. Auch lebt der Vater von BF1 in Kiew und könnte den BF - zumindest für die Anfangszeit in der Hauptstadt - unterstützend zur Seite stehen. Im Hinblick auf das Gesagte (vgl. nähere Ausführungen unter 3.3.3) ist keine Verletzung der in Art. 2 oder 3 EMRK gewährleisteten Rechte von BF4 ersichtlich.

BF2 brachte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zwar vor, dass die nächste Shunt-Operation für April 2019 geplant sei, weil BF4 schnell wachse. Aus den im Rahmen der Verhandlung zur Vorlage gebrachten aktuellsten medizinischen Unterlagen ist eine solche Operation jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr sind neurochirurgische und urologische Kontrolltermine für April und August 2019 geplant. Auch ist im Frühjahr 2019 die Beantragung der Verlängerung des bis zum 30.04.2019 befristeten Behindertenpasses notwendig. Weitere medizinische Nachweise wurde nicht mehr vorgelegt und ist somit nicht davon auszugehen, dass BF4 im April 2019 eine weitere Shunt-Operation bevorsteht. Den BF ist es jedenfalls möglich und zumutbar, für ihre Rückkehr Vorkehrungen zu treffen und in der Ukraine Kontrolltermine für BF4 für die genannten Zeiträume zu vereinbaren. Ihnen steht hinreichend Zeit zur Verfügung und sie können bereits im Vorfeld Fachärzte und Spezialisten aufsuchen und für eine Weiterführung der bisherigen Behandlung von BF4 Sorge tragen. Dies müsste den BF, insbesondere im Hinblick darauf, dass BF2 vor ihrer Ausreise in einer Privatklinik tätig war, möglich sein, da von einem erleichterten und überdurchschnittlich informierten Zugang zur medizinischen Versorgung auszugehen ist.

Soweit im Befundbericht des NN-Universitätsklinikums, Abt. Neurochirurgie, der Aufenthalt von BF4 in Österreich empfohlen werde, "weil man die Erfahrung habe, dass in der Ukraine eine derartige Pathologie nicht hinreichend behandelt bzw. kontrolliert werden könne und - laut telefonischer Auskunft - aufgrund dessen immer wieder Privatpatienten zur diesbezüglichen Versorgung aus der Ukraine nach Österreich geflogen kämen", ist dem ungeachtet zu entgegnen, dass diese Ausführungen in keiner Relation zu einem Anspruch auf Gewährung eines Bleiberechts im Sinne eines subsidiären Schutzes stehen. So würden laut dieser Einzelmeinung all diese Patienten aus der Ukraine im Anschluss an die Behandlung ein solches Aufenthaltsrecht genießen und nicht wieder das Bundesgebiet verlassen müssen, was aber nicht der Fall ist. Weiters ist festzuhalten, dass es dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. dem Bundesverwaltungsgericht obliegt, die rechtlichen Folgen eines erfassten Sachverhaltes in Zusammenschau mit den aufliegenden Berichten zur Lage im Herkunftsstaat im Hinblick auf die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz zu beurteilen. Im vorliegenden Fall liegt keine solche Exzeptionalität des Einzelfalles vor, die die - gemäß höchstgerichtlicher Judikatur - sehr hohe Schwelle der Art. 2 und 3 EMRK erreicht (vgl. rechtliche Ausführungen unter 3.3.3).

Die angeführten Erkenntnisse wurden der damaligen gewillkürten Vertretung der Beschwerdeführer am 27.11.2018 rechtswirksam zugestellt und sind rechtskräftig.

2. Verfahren über die Folgeanträge:

2.1. Am 17.12.2018 stellten die Beschwerdeführer die gegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz, zu welchen sie am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurden. Der Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin brachten vor, dass sie neuerlich Anträge gestellt hätten, weil im Herkunftsstaat das Kriegsrecht ausgerufen worden sei. Es müssten alle jungen Männer zum Militär und gebe eine landesweite Mobilisierung. Die Beschwerdeführer könnten als Beweis entsprechende Textnachrichten vorlegen. Weiters sei der Viertbeschwerdeführer zu 50 % invalid und es sei der Zweitbeschwerdeführerin nicht zumutbar, sich alleine um das Kind zu kümmern, wenn der Erstbeschwerdeführer in den Krieg müsse. Der Erstbeschwerdeführer habe Angst um sein Leben, das im Falle einer Einziehung zum Militärgefahr wäre.

Bei einer Einvernahme vor dem BFA am 14.01.2019 brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er einen neuen Antrag stelle, weil in seinem Herkunftsstaat Krieg geführt werde und der Ausnahmezustand ausgerufen worden sei. Er befürchte im Falle einer Rückkehr sofort einberufen zu werden. Weiters gebe es in seiner Heimatstadt keine Einrichtung zur medizinischen Versorgung seines kranken Kindes. Der Beschwerdeführer legte SMS-Nachrichten eines Freundes vor, worin dieser im mitteile, dass männliche Personen sofort in den Krieg geschickt würden.

Zu seinen Lebensverhältnissen gab er an, dass sich seine Mutter in Österreich befinde und bereit sei, ihn zu unterstützen. Es liege allerdings keine Abhängigkeit vor. Er beabsichtige die Sprachprüfung auf Niveau B1 abzulegen. Er lebe mit seiner Familie von der Grundversorgung würde gerne arbeiten.

Die Zweitbeschwerdeführerin legte bei ihrer Einvernahme durch das BFA am selben Tag eine Bestätigung eines Klinikums vor, wonach für den Viertbeschwerdeführer im April 2019 eine Kontrolluntersuchung vorgesehen sei. Sie stelle den Antrag, weil der Erstbeschwerdeführer befürchte, zum Militärdienst eingezogen zu werden. Weiters habe sie Angst um ihre Kinder. Es sei die Familie am derzeitigen Unterbringungsort gut integriert. Die Zweitbeschwerdeführerin legte weiters Kopien von Berichten in Internetpublikationen über Vorfälle in Herkunftsstaat vor, in denen die Beschwerdeführer jedoch nicht konkret namentlich angesprochen wurden, weiters Empfehlungsschreiben für die Familie.

Den Beschwerdeführern wurde die Gelegenheit eingeräumt, eine Stellungnahme zu vorläufigen Feststellungen über die die Lage in ihrem Herkunftsstaat abzugeben.

Am 30.01.2019 erfolgte nach Rechtsberatung und unter Mitwirkung der Rechtsberaterin eine neuerliche Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem BFA. Dabei brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass in der Ukraine seit fünf Jahren Krieg herrsche und der Aufenthalt dort lebensgefährlich sei, insbesondere für den Viertbeschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer wolle nicht kämpfen. Zu den Länderfeststellungen brachte er vor, dass er wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht alles gelesen habe, aber es nicht der Wahrheit entspreche. Der Erstbeschwerdeführer habe die Deutschprüfung auf Niveau B1 am Vortag abgelegt, er werde das Ergebnis erst in einigen Wochen erfahren.

Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass in der Ukraine Krieg herrsche. Im Falle ihrer Rückkehr müsse der Erstbeschwerdeführer sofort zum Militär. Es gebe keine Mobilmachung, aber die Leute würden zum Kämpfen gezwungen, insbesondere jene, die an Aufständen teilgenommen hätten. Zu den Länderfeststellungen brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass man im Herkunftsstaat Ärzte bestechen müsse, damit man eine medizinische Behandlung bekomme. Die einmal jährlich notwendige Untersuchung des Viertbeschwerdeführers sei ihm Herkunftsort der Beschwerdeführer nicht möglich. Diese müssten dafür nach Kiew fahren und könnten die Kosten dafür nicht aufbringen.

In weiterer Folge legten die Beschwerdeführer Zeugnisse über die auf sprachlichen Niveau B1 am 29.01.2019 abgelegte Integrationsprüfung sowie Empfehlungsschreiben und etwa 300 Unterstützungsunterschriften für eine Gestattung ihres weiteren Aufenthaltes vor.

2.2. Mit den angefochtenen Bescheiden des BFA wurden die Folgeanträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch des Status von subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG nicht erteilt(Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkte VI.).

Die Behörde hielt in der Entscheidungsbegründung im Wesentlichen fest, dass die Identität der Beschwerdeführer feststünde. Die Beschwerdeführer hätten im neuerlichen Asylverfahren keine glaubwürdigen neuen Gründe vorgebracht und es habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Es würden keine medizinisch belegbaren Tatsachen vorliegen, die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würden. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin seien gesund. Der Viertbeschwerdeführer sei in Österreich drei Mal operiert worden und der Verlauf seiner Erkrankung sei zuletzt als "sehr zufriedenstellend" beschrieben worden. Bis auf regelmäßige Kontrollen seien keine weiteren Therapien und keine Medikation empfohlen worden. Die Beschwerdeführer hätten - mit Ausnahme des Viertbeschwerdeführers - vor ihrer Ausreise in ihrer Eigentumswohnung im Herkunftsort in der Westukraine gewohnt, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien dort berufstätig gewesen. Im Herkunftsstaat seien mehrere Familienangehörige der Beschwerdeführer wohnhaft, lediglich die Mutter des Erstbeschwerdeführers sei seit zwölf Jahren in Österreich niedergelassen. Die Behörde stellte zur Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer fest, dass die im November 2018 für bestimmte Oblaste (nicht für die Herkunftsregion der Beschwerdeführer) erfolgte Verhängung des Kriegsrechts nicht verlängert worden sei und traf weiters unter anderen nachstehende Feststellungen:

"Wehrdienst und Rekrutierungen

Am 1.5.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen (AA 7.2.2017).

Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:

• Stellungspflichtige (Pre-conscripts)

• Wehrpflichtige (Conscripts)

• aktive Soldaten

• zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) - sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden

• Reservisten - zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren. (BFA/OFPRA 5.2017)

Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für physisch taugliche Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, jedoch für Akademiker nur 12 Monate. Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage). Das System der Wehrpflicht in der Ukraine funktioniert und ist gerecht, aber nur eine kleine Zahl der Wehrpflichtigen wird auf einmal einberufen (16.000 bis 20.000), denn viele Wehrpflichtige sind aus verschiedenen Gründen untauglich (gesundheitliche oder familiäre Gründe, Verurteilungen, usw.). Der Wehrdienst kann aus bestimmten familiären, beruflichen oder Gründen der Bildung verschoben werden (BFA/OFPRA 5.2017). Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt (AA 7.2.2017).

Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017). Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z. B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).

An den Wehrpflichtigen ergeht ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).

Im Dezember 2014 wurde vom ukrainischen Verteidigungsministerium verlautbart, dass die Streitkräfte von 130.000 auf einen Personalstand von 250.000 aufgestockt werden sollen. Um dies zu erreichen wurde der Sold für Zeitsoldaten attraktiviert. Ende 2014 lag er bei UAH 3.453 und wurde 2016 nochmals auf UAH 7.000 angehoben (BFA/OFPRA 5.2017). Zum Vergleich: der ukrainische Durchschnittslohn lag im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €) (ÖB 4.2017). Diese Verträge sind derart beliebt (2016 bis September 53.000 Verpflichtungen), dass 2014-2016 40-60% der ukrainischen Soldaten Zeitsoldaten waren, 50% Mobilisierte und 10% Grundwehrdiener. Wehrdiener werden, ebenso wie kampferfahrene Mobilisierte ermutigt, sich als Zeitsoldaten weiter zu verpflichten. 2015 waren 4,4% derer, die Zeitverträge abschlossen Grundwehrdiener, 24,2% waren Mobilisierte und 71,4% waren Zivilisten. Gemäß Gesetz können sich Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren verpflichten (BFA/OFPRA 5.2017).

Es gibt Berichte über Schikane im Militär. Es gab 2016 deswegen einen Selbstmord, der von der Polizei mittlerweile als Tötungsdelikt verfolgt wird (USDOS 3.3.2017a).

Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfalle, können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 13.6.2017

-

BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 13.6.2017

Wehrersatzdienst

Das Gesetz über den Ersatzdienst vom 12.12.1991 (Nr. 1975-XII) regelt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Möglichkeit, den Ersatzdienst unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abzuleisten. Die Wehrpflichtigen durchlaufen bei der Stellung sämtliche Untersuchungen im jeweils zuständigen Militärkommissariat. Spätestens zwei Monate vor dem Einberufungstermin muss der Wehrpflichtige bei der für den jeweiligen Wohnort zuständigen Behörde einen begründeten Antrag auf Wehrersatzdienst einreichen. Als Grund ist nur die religiöse Überzeugung bei entsprechender Zugehörigkeit zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft zulässig (AA 7.2.2017), und zwar

1. Adventists-Reformists

2. Seventh Day Adventists

3. Evangelical Christians

4. Evangelical Christians-Baptists

5. "The Penitents" - the Slavic Church of the Holy Ghost

6. Jehovah's Witnesses

7. Charismatic Christian Churches (and churches assimilated to them according to registered statutes)

8. Union of Christians of the Evangelical Faith - Pentecostals (and churches

assimilated to them according to registered statutes)

9. Christians of Evangelical Faith;

10. Society for Krishna Consciousness

(BFA/OFPRA 5.2017)

Im Kriegsfalle oder Ausnahmezustand kann das Recht auf den Ersatzdienst gesetzlich für bestimmte Zeit eingeschränkt werden. Der Ersatzdienst dauert 27 Monate, für Hochschulabsolventen 18 Monate. Er wird in staatlichen Sozial-, Gesundheits- und Kommunaleinrichtungen oder beim Roten Kreuz abgeleistet. Der Ersatzdienst hat in der Ukraine kaum Tradition und ist in der Gesellschaft noch wenig verankert. Über die Zahl der Ersatzdienstleister macht das ukrainische Verteidigungsministerium keine offiziellen Angaben. NGO-Vertreter gehen von bislang 7.500 Anträgen aus (AA 7.2.2017).

Es gibt Berichte, dass der Wehrersatzdienst auch in der Praxis zugänglich ist, wenn die nötigen Dokumente vorgelegt werden. Es gibt aber auch Berichte, dass Bestechungsgelder verlangt worden wären, um diesen Zugang zu erhalten. Rechtlich ist es auch möglich, wenn auch mit engen Zeitfenstern, dass nach der Einberufung konvertierte Wehrpflichtige noch in den Genuss des Ersatzdienstes kommen können (BFA/OFPRA 5.2017).

Kleriker sind nicht grundsätzlich von der Wehrpflicht ausgenommen. Seit Anfang 2016 ist der militärseelsorgerische Dienst neue geregelt und genaue Auswahlkriterien, Rechte und Pflichten und die rechtliche Stellung der Militärkapläne festgelegt (USDOS 10.8.2016).

Das Recht auf religiöse Verweigerungsgründe im Mobilisierungsfalle ist aber nicht eindeutig geregelt. Trotzdem verständigte man sich darauf, die Friedensbestimmungen sinngemäß anzuwenden und informierte die Militärkommissariate entsprechend. Aber es gab dennoch Fälle, in denen dieses Recht verletzt wurde. Gerichtsurteile in solchen Fällen sind uneinheitlich - es gab zumindest einen Freispruch, aber auch mehrere Verurteilungen wegen Nichtbefolgung der Mobilisierung trotz Vorliegens religiöser Verweigerungsgründe. Es ist jedoch nicht ersichtlich, ob in diesen Fällen eine Bestätigung einer der in der Verfassung festgelegten Religionsgemeinschaft vorlag (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. IRF 22.6.2016).

Es gab Beschwerden von Religionsgemeinschaften an den Präsidenten und den Premier, dass die Armee versucht Verweigerer aus Gewissengründen trotzdem einzuziehen. Letzteres wird auf Gesetzeslücken zurückgeführt, die im Falle der Mobilisierung keinen Ersatzdienst vorsehen. Die Regierung wurde gebeten das zu reparieren. Im Juni 2016 bestätigte der High Specialized Court of Ukraine das Urteil eines Bezirksgerichts von 2014, dass Verweigerer aus Gewissensgründen auch im Falle der Mobilisierung das Recht auf einen Ersatzdienst haben. Es gab keine weiteren Strafverfolgungen bezüglich des Ersatzdienstes. Im September 2016 wurde vom selben Gerichtshof ein Urteil aufgehoben, mit dem ein Verweigerer aus Gewissensgründen wegen Flucht vor der Mobilisierung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im Juni 2016 unterstütze der Kharkiv District Administrative Court die Beschwerde eines Verweigerers aus Gewissensgründen, der zum Wehrdienst einberufen werden sollte. (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 13.6.2017

-

BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

-

IRF - Institute for Religious Freedom (22.6.2016), Freedom of thought, conscience and religion in Ukraine - Human Rights Report 2015,

http://www.irf.in.ua/eng/index.php?option=com_content&view=article&id=444:1&catid=36:com&Itemid=55, Zugriff 16.6.2017

-

USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/328420/455696_en.html, Zugriff 23.6.2017

Mobilisierung

Gemäß Gesetz können zum Wehrdienst verpflichtete Männer (also solche, die den Grundwehrdienst bereits abgeleistet haben) im Alter von 18 bis 60 Jahren und zum Wehrdienst verpflichtete Frauen zwischen 20 und 50 Jahren dienen. Umfang und Ausgestaltung einer (Teil-)Mobilisierung sind vom Staatspräsidenten festzulegen. Sie gelten für das gesamte Staatsgebiet mit Ausnahme der Krim. Grundsätzlich gibt es vier Stufen, abhängig von der Eskalation des Konflikts. In der ersten Stufe werden Freiwillige, Reserveoffiziere und -unteroffiziere aus besonders benötigten militärischen Bereichen einberufen. In der zweiten Stufe werden Reserveoffiziere und -unteroffiziere aller militärischen Bereiche einberufe. In der dritten Stufe werden auch Ungediente und Frauen (Ärztinnen, Krankenschwestern, Technikerinnen) einberufen. In der vierten und letzten Stufe muss alles diesen, was eine Waffe halten kann. Am 21. August 2014 beschränkte der Präsident die Mobilisierung auf Reservisten mit Spezialkenntnissen (Fallschirmjäger, Granatwerfertruppen, Artilleristen, Logistiker und andere Spezialisten (Ärzte, Elektriker, Mechaniker, Fahrer), sowie Personen mit Kampferfahrung. Für eine Mobilisierung infrage kamen nur Personen im Alter von 25 bis 46 Jahren. 8% der Mobilisierten waren Frauen, meist Medizinerinnen oder Funkerinnen (BFA/OFPRA 5.2017).

Am 1.Mai.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen (Teilmobilisierungen), die hauptsächlich Reservisten betrafen. Aber auch Grundwehrdienstleistende wurden zur sechsmonatigen Grundausbildung einberufen. Richter, Vollzeitstudenten, Post-Graduate-Studenten, Priester, Väter mit drei und mehr minderjährigen Kindern, Parlamentsabgeordnete und Straftäter sind von der Mobilisierung ausgenommen. Ende Oktober 2016 wurde die 6. Mobilisierungswelle abgeschlossen. Weitere Mobilisierungswellen sind bislang nicht vorgesehen. Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017).

Hintergrund für die Mobilisierungswellen war die Notwendigkeit zusätzliches qualifiziertes Personal in die Armee zu holen und eine Rotation der Truppen zu ermöglichen. Von den sechs Mobilisierungswellen in der Ukraine zwischen 2014 und 2016, war die

4. mit ca. 150.000 Einberufenen die umfangreichste. Aber nach den medizinischen Tests wurde nur knapp die Hälfte tatsächlich mobilisiert. Mobilisierte wurden frühestens nach einem dreimonatigen Training in die ATO-Zone geschickt. Es gibt aber auch Berichte, dass die Dinge in der Praxis etwas anders gehandhabt wurden, etwa telefonische Einberufungen, nichterfolgte medizinische Untersuchungen was dazu führte, dass Kranke (Tuberkulose, Epilepsie) einberufen wurden. Einige sollen auch ohne die dreimonatige Vorbereitung in die ATO-Zone verlegt worden sein. Es gibt aber auch Berichte über bewusste Falschinformationen, die von Russland im Internet lanciert werden, um den Mobilisierungsprozess zu stören. Hatte es 2014 noch Beschwerden über die schlechte Ausrüstung gegeben, wurde dieses Problem 2015 gelöst. (BFA/OFPRA 5.2017).

Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z.B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).

Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle (AA 7.2.2017). Binnenvertriebene (IDPs) sind nicht ausgenommen, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).

Wehrpflichtige haben einen Wohnortwechsel binnen einer Woche zu melden. Im Fall einer Vollmobilisierung, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Bei den bisherigen Mobilisierungswellen war die Vorgehensweise folgendermaßen: An den Wehrpflichtigen ergeht per Post ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats. Bei Unzustellbarkeit wird der Bescheid persönlich zugestellt oder hinterlegt (etwa bei einem Concierge) (BFA/OFPRA 5.2017). Es gibt auch Berichte, dass die Einberufung an die Arbeitsstätte gesandt oder der Betreffende direkt an der Arbeitsstätte abgeholt wurde (AA 7.2.2017).

...

Der Betreffende muss zu einer Gesundheitsüberprüfung erscheinen und wird je nach Ergebnis für tauglich, teiltauglich oder untauglich befunden. Wer gesundheitlich untauglich ist, kann nach 6 Monaten zu einer erneuten Untersuchung geladen werden. Es ist ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Tauglichkeitskommission möglich. Nicht mobilisiert werden u.a. bestimmte Funktionsträger, Väter mit fünf oder mehr Kindern unter 16 Jahren und Personen, die sich um Pflegefälle kümmern, Studenten, Lehrer usw. Im Falle einer allgemeinen Mobilisierung ist auch kein Ersatzdienst mehr möglich. Die Bezahlung ist geregelt. Wird ein Mobilisierter verwundet, ist eine Kompensation vorgesehen, die sich am Grad der Behinderung orientiert. Wir ein Soldat getötet, erhält die Familie eine Einmalzahlung von UAH 609.000. Die soziale Absicherung der Soldaten und ihrer Familien wurde legislativ abgesichert, wenn auch der ukrainische Sozialminister Mitte 2016 verlautbarte kaum mehr Mittel für die Kompensationszahlungen für die Einkommen der Mobilisierten zu haben (BFA/OFPRA 5.2017).

Durch die Attraktivierung des Dienstes als Zeitsoldat verpflichteten sich derart viele Personen, dass nach der 6. Mobilisierungswelle auf eine (bereits angekündigte) 7. Welle verzichtet werden konnte. Im November 2016 versicherte Präsident Poroschenko, dass es nach Abschluss der Demobilisierung der 6. Welle keine Mobilisierten mehr an der Front der ATO-Zone geben würde. Die Demobilisierten werden in die Reserve übernommen, wobei diejenigen mit einer guten Akte im Notfall auch als erste wieder mobilisiert würden (BFA/OFPRA 5.2017).

Im Juli 2016 verabschiedete das ukrainische Parlament ein umstrittenes Amnestiegesetz, das die in der ATO-Zone in der Ostukraine eingesetzten Kämpfer für minderschwere Verbrechen der Strafverfolgung ausnehmen würde. Präsident Poroschenko legte aber sein Veto gegen das Gesetz ein. Im Juli verhafteten die Behörden den Chef des Freiwilligenbataillons Aidar wegen Entführungen, Raub und anderen Gewaltverbrechen gegen Zivilisten. Bei der Anklage blockierten Bataillonsangehörige das Gerichtsgebäude und mehrere Parlamentsabgeordnete forderten seine Freilassung. Das Gericht setzte ihn schließlich zur weiteren Untersuchung auf freien Fuß (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 13.6.2017

-

BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

-

FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

-

KP - Kyiv Post (27.8.2016): Draft Dodgers, http://www.kyivpost.com/content/ukraine/draft-dodgers-396690.html, Zugriff 14.7.2017

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Die Entziehung vom Wehrdienst wird nach Art. 335 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Eine Mobilisierungsentziehung kann gemäß Art. 336 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Für Entziehung von der Wehrerfassung sieht Art. 337 eine Geldstrafe bis zu 50 Mindestmonatslöhnen oder Besserungsarbeit bis zu zwei Jahren oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vor. Für Entziehung von einer Wehrübung ist Geldstrafe bis zu 70 Mindestmonatslöhnen oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vorgesehen (AA 7.2.2017).

Desertion ist gemäß Art. 408 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren strafbar. Wenn sie organisiert in einer Gruppe oder mit Waffe erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zehn Jahren. Wenn die Desertion unter der Geltung von Kriegsrecht oder im Gefecht erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zwölf Jahren. Es gibt eigene Strafen für Soldaten im Falle von Selbstverstümmelung oder anderen Formen sich dem Dienst zu entziehen, die in Art. 409 beschrieben sind. Gemäß Art. 210 des Code of Ukraine ist Vermeidung der Mobilisierung durch Reservisten eine Straftat (BFA/OFPRA 5.2017).

Aufgrund des Problems der Wehrdienstverweigerung regeln seit Jänner 2015 Gesetzesänderungen die Auslandreisen von Personen, die unter die Teilmobilisierungen fallen. Ukrainische Bürger im wehrfähigen Alter müssen demnach ein Dokument eines Militärkommissariats vorweisen, wenn sie ins Ausland reisen wollen (GS 9.2.2017). Demgegenüber besagt der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amts, dass derzeit keine Erkenntnisse vorliegen, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 7.2.2017).

Die Mobilisierungswellen waren in der Ukraine nicht sehr beliebt und die Ukrainer unternahmen einiges, um die Mobilisierung zu vermeiden. Viele Personen hatten legale Verweigerungsgründe, aber selbst wenn man diese nicht hatte, war/ist die Verweigerung auch innerhalb der Ukraine recht einfach. Das Ausmaß des Problems ist umstritten. Generell nennen offizielle Stellen eher geringere Zahlen, als andere Quellen. Im März und April 2014 wurde inoffiziellen Zahlen zufolge die Einberufung von 70 bis 95% der Reservisten in Kiew ignoriert. Hunderte ukrainische Männer sollen vor der Wehrpflicht ins Ausland geflohen sein. Es gibt sogar Berichte über Ukrainer die auf der Flucht vor der Mobilisierung in Sri Lanka gestrandet sind. Offiziellen Zahlen zufolge sind 2014 85.792 im Rahmen der Teilmobilisierung Einberufene, nicht erschienen und 9.969 haben erwiesenermaßen den Dienst verweigert. 2015 waren rund 40.000 Mobilisierungsbefehle nötig, um 1.000 Personen tatsächlich einzuziehen. Viele Verweigerer verstecken sich aktiv unter einer anderen als ihrer offiziellen Meldeadresse, während es Fälle geben mag, in denen die Betreffenden ohne Meldung unter einer anderen Adresse leben, verreist sind, etc. Um die Einberufung zu verweigern gibt es de facto viele Wege, zur Not Bestechung, welche in den Militärkommissariaten ein massives Problem darstellt. Es soll sogar Unternehmen möglich gewesen sein Mitarbeiter vom Dienst freizukaufen. Es gibt aber auch Berichte über Rigorose Kontrollen an Straßen, Grenzübergängen und Arbeitsplätzen bei der Suche nach Wehrdienstverweigerern (BFA/OFPRA 5.2017).

Es gibt Berichte über einen korrupten Handel mit medizinischen Untauglichkeitsbescheinigungen in dessen Zusammenhang es zur Verhaftung eines Militärbeamten kam (Reuters 3.2.2015).

Darüber hinaus haben 2014 bis zu 30% der Soldaten ihre Posten verlassen, was auf mangelnde Vorbereitung/Ausbildung oder mangelnde geistige Stabilität zurückgeführt wurde. Gegen diese Probleme wurde aber etwas unternommen und später sank die Rate der Soldaten, die den Dienst in der ATO-Zone verweigerten, auf unter 1%. Die ukrainische Armee wird heute als besser geführt und disziplinierter wahrgenommen, als früher. Die Furcht vor der Mobilisierung hat auch dazu geführt, dass sich viele männliche Binnenflüchtlinge nicht aktiv als IDPs registrierten (BFA/OFPRA 5.2017).

8.490 Soldaten wurden 2014 Wehrvermeidung strafverfolgt, 2.287 gemäß Art. 407 des Strafgesetzbuches (unerlaubte Abwesenheit), 4.880 wegen Desertion, (Art. 408) und 1.323 wegen Art. 409 (Selbstverstümmelung etc.). 2015 wurden bis Mitte April 7.560 Ermittlungen gegen Soldaten begonnen, davon 1.964 wegen Art. 407, 948 wegen Art. 408 und 107 wegen Art. 409. 2015 wurde ein 40 Jahre alter Mann aus der Ostukraine wegen Nichtbefolgung zweier Mobilisierungsbefehle gemäß Art. 336 zu 3 Jahren Haft verurteilt. 2016 gab es weitere Ermittlungen wegen Wehrdienstverweigerung. Die Gerichte bewerten jeden Fall gesondert, um die individuelle Schwere der Schuld zu bewerten. Wenn der Betreffende mit den Behörden zusammenarbeitet, sind die Gerichte geneigt Strafen zu verhängen, die den Betreffenden nicht von der Gesellschaft isolieren (BFA/OFPRA 5.2017).

Der 6. Mobilisierungswelle haben sich insgesamt 26.800 Personen entzogen, etwa 1.500 davon wurden strafverfolgt. Die Korruption im Militärapparat wird von Verweigerern immer wieder als Schlupfloch genützt. Menschenrechtsanwälte bezweifeln aufgrund der nie erfolgten Ausrufung des Kriegsrechtes generell die Legalität der Mobilisierungen. In Kiew liefen im August 2015 47 Verfahren gegen Wehrdienstverweigerer und ca. 400 Personen verbüßten deshalb Haftstrafen (KP 27.8.2015).

2015 hat die Regierung die Strafverfolgung bezüglich Wehrdienstverweigerung verstärkt, wobei sich das Strafmaß oft auf Bewährungsstrafen beschränkte (UNHCR 9.2015; VB 10.12.2015). Viel größer war aber das Problem der ukrainischen Behörden, die Verweigerer bzw. Deserteure aufzufinden. Es war für sie leicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Die Polizei verabsäumte es schlichtweg, Deserteure zu Hause aufzuspüren und festzunehmen (die Ukraine verfügt über keine Militärpolizei, Anm.). Bei den Personen, die sich der Einberufung entziehen, ist es meist so, dass diese nach unbekannt verzogen sind oder das Land überhaupt verlassen haben. Auch medizinische Untauglichkeit war ein zunehmendes Problem (IBT 5.10.2015). Da die Einberufungen an den Ort der aufrechten Meldung gesendet werden, genügt es bereits, sich nicht zu melden und/oder schwarz zu arbeiten, um sich der Zustellung zu entziehen. Aber auch die Korruption ist ein Problem. Zum Teil fordern korrupte Militärbeamte Bestechungsgelder aktiv ein (WP 25.4.2015).

Grundsätzlich ist es möglich, dass Ukrainer bei Rückkehr aus dem Ausland strafverfolgt werden, weil sie sich der Mobilisierung entzogen haben, da diese Personen in ein Einheitliches Staatsregister der Personen, die sich der Mobilisierung entziehen, eingetragen wurden. Zugriff auf dieses Register haben der Generalstab der Streitkräfte der Ukraine und auch das Innenministerium. In der Praxis gibt es trotz zahlreicher Fahndungen jedoch nur wenige Anklagen und kaum Verurteilungen (VB 21.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschie

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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