TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/24 W187 2177070-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.10.2019
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Entscheidungsdatum

24.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W187 2177070-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1, 10 Abs 1 Z 3 und 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, am XXXX in Afghanistan geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören sowie Moslem zu sein. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass er der ethnischen Minderheit der Hazara angehöre, welche von den Taliban verfolgt und getötet würden. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan würden ihn die Taliban töten.

3. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers holte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten zum Lebensalter des Beschwerdeführers ein. Laut diesem Gutachten ist das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers der XXXX . Mit Verfahrensanordnung vom XXXX stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine volljährige Person handle, und legte das Geburtsdatum mit XXXX fest.

4. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Dabei gab er an er sei schiitischer Hazara und in der Provinz Ghazni, Distrikt

XXXX im Dorf XXXX geboren. Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, sein Vater sei Direktor einer Schule und somit Angestellter beim Staat gewesen. Sein Vater sei am Nachhauseweg von Ghazni gewesen. Er habe angerufen und mitgeteilt, dass er mit drei Personen unterwegs sei und mit diesen nach Hause kommen würde. In XXXX sei der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban entführt worden, ein paar Tage später sei seine Leiche gefunden worden. Nach der Beerdigung und Koranlesung habe der Beschwerdeführer nach XXXX fahren wollen, um dort eine Anzeige zu erstatten. Da dort viele Taliban gewesen seien, habe er sich umentschieden und in XXXX eine Anzeige erstattet. Er habe der Polizei erklärt, was mit seinem Vater passiert sei und auch die Namen der drei Personen, welche mit seinem Vater unterwegs gewesen seien, angegeben. Diese drei Personen, XXXX , und zwei weitere Personen aus dem Dorf hätten den Taliban über seinen Vater berichtet. Am Abend nach seiner Anzeige seien diese fünf Personen zu ihnen nach Hause gekommen, hätten seine Mutter beleidigt, sie bedroht und gefragt, warum sie Anzeige erstattet hätten. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer wieder zu Polizei gegangen und habe eine weitere Anzeige erstattet. Die Polizei habe jedoch Beweismittel von ihm gewollt. Er habe gesagt, dass er keine Beweismittel habe, aber alle im Dorf wüssten, dass die Personen Kontakte zu den Taliban hätten und auch bei Treffen der Taliban teilgenommen hätten. Die Polizei habe jedoch gesagt, ohne Beweismittel könnten sie diese Personen nicht festnehmen. Der Beschwerdeführer habe also nichts mehr machen können. Es habe dann eine religiöse Feier namens Nime Shaban gegeben. Der Beschwerdeführer habe dort mit seinen Mitschülern und zwei Lehrern religiöse Fotos von schiitischen Führern im Iran gesammelt und diese vernichtet bzw. zerstückelt. Grund hierfür sei gewesen, dass die Lehrer gesagt hätten, diese schiitischen Führer würden minderjährige Burschen in den Krieg nach Syrien schicken. Nach der Vernichtung der Fotos seien der Beschwerdeführer, vier Mitschüler und seine Lehrer von den Dorfbewohnern geschlagen worden. Sie seien daher zum unteren Dorf geflüchtet. Nach der religiösen Feier hätten einige Mullahs und Weißbärtige gemeint, dass sie ungläubig geworden seien. Sie hätten beschlossen, dass sie gesteinigt werden müssten, und überall Fotos von ihnen verteilt, unter anderem in Ghazni und in Kabul. Ihre Fotos seien überall, auch unter den Taliban, gewesen. Als seine Mutter mitbekommen habe, dass der Beschwerdeführer im unteren Dorf sei, habe sie ihm über einen Nachbar namens XXXX Geld geschickt und ihm gesagt, dass er flüchten solle. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer schließlich geflüchtet.

5. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.

7. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das BFA zur Entscheidung vorgelegt. Unter einem erklärte die belangte Behörde schriftlich, auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu verzichten.

8. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

9. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX schriftlich mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei, und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

10. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja, ich kann der Verhandlung folgen.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Vor einigen Tagen hatte ich eine Erkältung und musste einen Arzt aufsuchen.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich wurde am XXXX geboren, in der Provinz Ghazni.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Dari, Persisch, ein wenig Englisch und eine wenig Deutsch verstehe ich.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Schiite, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bin ledig.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe nur in meiner eigenen Ortschaft in meinem Heimatdorf namens XXXX gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Wir hatten ein eigenes Haus.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe von 2006 bis 2014 die Schule in Afghanistan besucht. Ich habe dann auch in der eigenen Landwirtschaft hier und da ausgeholfen.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Ich war in einer gemischten Schule, 8 Jahre lang habe ich die Schule besucht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Zurzeit weiß ich nichts über meine Familie.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Nein, in Afghanistan habe ich niemanden und ich habe auch zu niemandem Kontakt.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich lebe in einer Unterkunft der XXXX . Auf

Deutsch: Ich besuche die Schule. (Weiter auf Dari) Ich habe auch einen Deutschkurs besucht und konnte mich etwas weiterbilden. Ich arbeite immer wieder unentgeltlich für die Gemeinde. Die Schule ist mir wichtig. Letztes Jahr durfte ich die Schule auch besuchen und heuer auch.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja. Ich habe auch eine feste Freundin und zahlreiche österreichische Freunde habe ich auch.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Es ist nur zu einem Vorfall in XXXX gekommen. Seither hatte ich gar keine Probleme mit der Polizei.

Richter: Was war bei dem Vorfall mit dem Messer in XXXX ?

Beschwerdeführer: Das war unmittelbar drei bis vier Tage nach meiner Aufnahme dort. Es ist zu einer Auseinandersetzung mit einem dunkelhäutigen Mann gekommen. Im Zuge dieser Schlägerei wurde ich auch mitgenommen, obwohl ich nichts damit zu tun hatte.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Mein Leben war in der Heimat in Gefahr. Man wollte mich vernichten. Mein Vater war der Direktor von dem XXXX , ein Gymnasium. Mein Vater ist im Auftrag der Schule in die Stadt Ghazni gefahren. Er hatte seinen Auftrag erledigt gehabt, danach hat er zu Hause angerufen. Er hat dann gesagt, dass er in Begleitung von drei Personen nach Hause zurückkehren wird. Als mein Vater in der Gegend von XXXX angekommen ist, haben die Taliban ihn angehalten und mitgenommen. Die anderen Fahrgäste wurden nicht zum Aussteigen aufgefordert, sondern nur mein Vater. Sie hatten Informationen über meinen Vater, sie hatten bereits spioniert gehabt. Nach drei Tagen wurde die Leiche meines Vaters in der Gegend von XXXX von einem Fahrer entdeckt. So wurde seine Leiche gefunden und schlussendlich nach Hause geführt. Ich wollte eine Anzeige in XXXX machen. Die Sicherheitslage in XXXX war schlecht, weswegen ich auch keine Anzeige machen konnte. Deswegen bin ich nach XXXX gefahren und habe dort eine Anzeige erstattet. Meine Anzeige wurde auch entgegengenommen. Ich habe Anzeige gegen die drei Personen, die meinen Vater begleitet hatten, erstattet. Gegen Abend bin ich nach Hause zurückgekehrt. Es sind fünf Personen hinter unserer Haustüre gestanden, drei Männer, die meinen Vater begleitet hatten und zwei weitere Personen. Sie sind sofort auf mich losgegangen und haben mich geschlagen. Meine Mutter haben sie beleidigt und uns vorgeworfen, warum wir eine Anzeige erstattet haben. Am nächsten Tag war ich bei der Polizei. Ich habe gesagt, dass die genannten Männer mich geschlagen haben und mir vorgeworfen haben, warum ich eine Anzeige gegen sie erstattet hätte. Die Polizisten haben mich gefragt, welche Beweismittel ich hätte. Wenn ich nichts beweisen kann, sind meine Worte nur Behauptungen. Ich konnte nichts beweisen. Die Beamten haben mir dann gesagt, weil ich eben nichts beweisen kann, können sie nicht willkürlich diese Männer festnehmen. Es wurde dann ein Fest veranstaltet, es war eine religiöse Veranstaltung. Ich war in Begleitung von meinen zwei Lehrern und fünf Mitschülern in Moscheen und wir haben Fotos von der religiösen Zeremonie gemacht. Wir haben auch Fotos von schiitischen Religionsanführern wie XXXX und XXXX gesammelt. Bei dieser Veranstaltung haben wir diese Fotos gesammelt. Es waren zahlreiche Menschen bei dieser Veranstaltung. Vor den Mullahs und den Sheikhs haben wir die Fotos der religiösen Anführer zerrissen. Die Menschen sind wütend geworden und haben uns vorgeworfen, warum wir die Fotos der religiösen Anführer zerrissen hätten. Sie haben mich und meine Freunde geschlagen. Einige andere, gleichaltrige Männer haben uns befreit. So konnten wir die Flucht ergreifen. Aus meinem Heimatdorf XXXX wurden wir in ein Dorf namens XXXX gebracht. Dort haben wir uns versteckt gehalten, meine Freunde und ich. Nach dieser Veranstaltung haben die "Weißbärtigen" und die religiösen Anführer und die Vorbeter entschieden mit uns abzurechnen, weil wir vom Glauben abgefallen sind. Sie haben eine Fatwa ausgesprochen. Unser Tod sei erlaubt, weil wir die Religion diskriminiert hätten. Die Fatwa wurde offiziell ausgesprochen. Die Menschen wussten, dass wir gegen ihre Vorstellung verstoßen hatten. Die Menschen haben sich beleidigt und angegriffen gefühlt. Unsere Fotos wurden veröffentlicht. Den Taliban wurde gesagt, wir hätten generell gegen die Religion gesprochen. Es wurde auch bei der Verkündung gesagt, dass wir gesteinigt gehören. Jeder, der uns tötet ist der beste Moslem, den man sich vorstellen kann. Ich konnte in keiner Provinz in Afghanistan Unterschlupf finden. Die Menschen haben mich verfolgt, auch die Taliban. Ich konnte in der Heimat nicht mehr leben. Dann bin ich geflüchtet. Meine Mutter hat erfahren, dass ich mich im Nachbardorf versteckt halte. Sie hat Geld über unseren Nachbarjungen mir zukommen lassen. Eine Nacht war ich dort versteckt. Heimlich wurde ich am nächsten Tag aus dem Nachbardorf weggebracht. Mit einem Fahrzeug wurden meine Freunde und ich nach XXXX gebracht und von dort sind wir weiter in den Iran geflüchtet, um genauer zu sein, sind wir von XXXX nach XXXX gekommen. Über den Iran wurde ich in die Türkei gebracht.

Richter: Warum haben Sie diese Fotos zerrissen?

Beschwerdeführer: Diese Personen, die auf den Fotos zu sehen waren, haben gezielt minderjährige Burschen angesprochen, damit sie in Syrien für den Glauben kämpfen. Sowohl die Stammesältesten als auch die religiösen Anführer wie der Mullah sagten, wir sollen das Grab der XXXX verteidigen und es sei unsere Pflicht, für unseren Glauben in den Krieg zu ziehen. Ich war gegen diesen Kampf in Syrien.

Richter: Wodurch sind Sie aktuell in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Ich werde dort getötet. In Afghanistan werde ich getötet. Die Menschen, unabhängig welcher Volksgruppe sie angehören, auch die Taliban werden mich töten. Ich habe weder eine Unterkunft noch Geld in Afghanistan noch Familienangehörige, die mich unterstützen könnten. Ich weiß nicht einmal, ob meine Familie noch am Leben ist. Wir hatten telefonischen Kontakt miteinander. Sie haben mir dann mitgeteilt, dass sie von den eigenen Menschen in der Ortschaft bedroht worden sind. Sie sind aus Angst vor den Taliban nach Pakistan geflohen. Da ich keinen Kontakt zu ihnen habe, weiß ich nicht, ob sie noch am Leben sind oder was mit ihnen geschehen ist.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Weil ich nicht nach Afghanistan zurückkehren kann. Mein Leben ist in Afghanistan in Gefahr. Ich kann dort nicht leben. Ich habe auch niemanden, der zu mir halten würde.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Ich werde getötet.

[...]

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Die Rechtvertretung des Beschwerdeführers legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Bestätigung der XXXX vom XXXX über den Besuch des XXXX Jugendcollege, eine Bestätigung des Lehrgangs Übergangsstufe an BMHS an den Bundesschulen XXXX vom XXXX , ein Klassenfoto zur Erinnerung an die Übergangsklasse XXXX , Bestätigungen der XXXX über die Teilnahme an einem Deutschkurs im Rahmen des Projekts XXXX vom XXXX und vom XXXX , eine Bestätigung der Stadtgemeinde XXXX vom XXXX über gemeinnützige Arbeiten, ein undatiertes Schreiben von XXXX und ein Schreiben der Deutschlehrerin XXXX vom XXXX . vor. Diese Unterlagen wurden in Kopie zum Akt genommen. Weiter ersuchte die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers um eine Frist von 14 Tagen zur schriftlichen Stellungnahme. Diese wurde ihr gewährt.

11. Am XXXX langte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers zu den Länderberichten ein.

12. Am XXXX übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde einen Auszug des aktuellen Länderinformationsblatts der Staatendokumentation Afghanistan zu Stellungnahme.

13. Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom XXXX

.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den hg. Akt betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist volljährig und afghanischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht nicht fest. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari bzw. Farsi. Er kann diese Sprache lesen und schreiben. Weiter spricht er ein wenig Englisch und Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der afghanischen Provinz Ghazni im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im Spätsommer / Herbst XXXX gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Bruder und zwei Schwestern im familieneigenen Haus im afghanischen Familienverband. Der Beschwerdeführer lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan.

Er besuchte acht Jahre die Schule in seinem Herkunftsstaat und arbeitete nebenbei in der familieneigenen Landwirtschaft.

Es ist nicht bekannt, wo sich die Familie des Beschwerdeführers derzeit aufhält. Zuletzt teilte ihm seine Familie telefonisch mit, sie würden nach Pakistan gehen. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seiner Familie. Dass der Beschwerdeführer Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen in Afghanistan hat, kann nicht festgestellt werden.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in der Folge mit einer Verfolgung durch die Taliban wegen Unterstellung einer feindlichen Gesinnung aufgrund der Anstellung seines Vaters beim Staat und seiner Anzeige dessen Todes bei der Polizei, mit einer Verfolgung durch Privatpersonen und die Taliban wegen eines unterstellten Abfalls vom Glauben (Apostasie) aufgrund der Zerstückelung von Fotos religiöser Führer, wegen seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der schiitischen Hazara sowie aufgrund seines Aufenthaltes in Europa und der daraus unterstellten westlichen Orientierung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Vater des Beschwerdeführers war in Afghanistan als Schuldirektor beim afghanischen Staat angestellt. Dass der Vater des Beschwerdeführers aufgrund seiner Tätigkeit von den Taliban entführt und getötet wurde, kann nicht festgestellt werden. Eine Feststellung zum Verbleib des Vaters des Beschwerdeführers kann nicht getroffen werden. Es ist daher nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer den Tod des Vaters bei der Polizei anzeigte und in weiterer Folge von fünf Personen bedroht wurde. Dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung durch die Taliban in seinem Herkunftsstaat droht bzw. dass er Übergriffen durch die Taliban bis hin zu seiner Tötung ausgesetzt wäre, ist daher nicht zu erwarten.

Insbesondere kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer religiösen Feier in seinem Dorf Fotos religiöser schiitischer Anführer sammelte und dort vernichtete bzw. zerstückelte. Der Beschwerdeführer wurde daher auch nicht von den Dorfbewohnern geschlagen und es wurde ihm nicht vorgeworfen, ungläubig zu sein. Es ist daher nicht anzunehmen, dass die Mullahs und Dorfältesten den Beschwerdeführer (und seine Lehrer bzw. Mitschüler) verurteilten und mittels einer Fatwa als Strafe den Tod durch Steinigung verhängten. Es wurden keine Fotos des Beschwerdeführers an die Taliban und die gesamte afghanische Bevölkerung verteilt. Dass dem Beschwerdeführer wegen dieses Vorfalls bzw. eines unterstellten Abfalls vom Glauben (Apostasie) im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung durch Privatpersonen, durch die Taliban oder sonstige Akteure droht bzw. dass er Übergriffen bis hin zu seiner Tötung ausgesetzt wäre, ist nicht zu erwarten.

Dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe oder Verfolgung wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit drohen, ist nicht zu erwarten.

Es kann weiter nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan infolge seines Aufenthalts in Europa als "verwestlicht" wahrgenommen und ihm deshalb eine Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellen politischen Gesinnung drohen würde.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Ghazni) zählt zu den volatilen, stark vom Konflikt betroffenen Provinzen. Aufständische sind in gewissen Distrikten aktiv und es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen. Es werden Luftangriffe durchgeführt. Die Taliban konnten seit 2001 an Einfluss gewinnen. Im November 2018 erfolgten Angriffe der Taliban in den Distrikten Malestan und Jaghori.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban, des Haqqani-Netzwerkes und des IS betroffen. Kabul verzeichnet die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch. Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh gehört zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und ist vom Konflikt relativ wenig betroffen. Sie verzeichnet im Vergleich zu anderen Provinzen geringe Aktivitäten von Aufständischen. Die Stadt Mazar-e Sharif in Balkh steht unter Regierungskontrolle und verfügt über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.

Die Provinz Balkh ist von einer Dürre betroffen.

Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

Dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in der Stadt Mazar-e-Sharif die Gefahr droht, aufgrund der angespannten Sicherheitslage verletzt, misshandelt oder getötet zu werden, kann nicht festgestellt werden. Auch kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückführung in die genannte Stadt keine Lebensgrundlage vorfinden würde bzw. nicht in der Lage wäre, die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz zu decken.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationalen Organisationen. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit November XXXX durchgehend in Österreich auf. Er reiste illegal schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründeten Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer besuchte seit seiner Einreise mehrere Deutschkurse und nahm am XXXX Jugendcollege der XXXX teil. Im Schuljahr XXXX besuchte er den Lehrgang Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch an den Bundesschulen XXXX und schloss diesen Lehrgang am XXXX erfolgreich ab. Weiter erbrachte er regelmäßig gemeinnützige Arbeiten für die Stadtgemeinde XXXX . Der Beschwerdeführer spricht etwas Deutsch, hat jedoch noch keine Deutsch-Prüfungen abgelegt. Es kann daher nicht festgestellt werden, auf welchem Niveau der Beschwerdeführer Deutsch spricht.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte - auch zu österreichischen Staatsbürgern - geknüpft, was durch die vorgelegten Unterstützungs- und Empfehlungsschreiben belegt wird. In diesen wird er übereinstimmend als schüchtern, aber sehr bemüht, nett, höflich und zuvorkommend beschrieben. Er ist kein Mitglied in einem Verein.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 29.6.2018, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Neueste Ereignisse

1.4.1.1.1 Kurzinformation vom 4.6.2019

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabeium Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

1.4.1.1.2 Kurzinformation vom 26.3.2019

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

1.4.1.1.3 Kurzinformation vom 1.3.2019

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursach

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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