TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/25 W261 2144819-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2019
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Entscheidungsdatum

25.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W261 2144819-1/31E

W261 2144813-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK! Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, und

2. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan,

beide vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl,

1. vom 21.12.2016, Zahl: XXXX

2. vom 21.12.2016, Zahl: XXXX

nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 06.06.2017, am 17.07.2017 und am 16.10.2019 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und den Beschwerdeführern wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Gang des Verfahrens:

Die nunmehrigen Beschwerdeführer (in der Folge BF), afghanischer Staatsangehörige, reisten nach eigenen Angaben am 24.06.2015 in die Republik Österreich ein und stellten am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 24.06.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Erstbeschwerdeführer (in der Folge BF1) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er verheiratet sei und gemeinsam mit seinem damals noch minderjährigen Sohn, dem Zweitbeschwerdeführer (in der Folge BF2) aus Afghanistan geflohen sei. Seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen Töchter und ein weiterer Sohn würden in Pakistan leben. Die Familie habe Afghanistan wegen einer Feindschaft verlassen, ihnen seien Grundstücke weggenommen worden.

Der zum Zeitpunkt der Einvernahme minderjährige BF2 gab in seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.06.2015 an, dass sein Vater ein hochrangiger Beamter beim Militär gewesen sei. Personen hätten gewollt, dass dieser etwas Illegales mache, was sein Vater verweigert habe. Sie hätten seinen Onkel entführt, sie würden nicht wissen, wo sich dieser befinde. In der Nähe habe ein Parlamentsabgeordneter gelebt, weswegen es immer wieder Selbstmordanschläge in der Nähe gegeben habe. Die Lage sei sehr schlecht gewesen, dort wo sie gewohnt hätten.

Am 16.08.2015 informierte BF2 mit Email das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) darüber, dass am 07.08.2015 ein Bombenanschlag stattgefunden habe, bei welchem seine Mutter und seine beiden Schwestern ums Leben gekommen seien. Lediglich der jüngere Bruder habe überlebt, er sei nun allein in Kabul und benötige Hilfe. BF2 übermittelte Fotos seiner getöteten Familie.

BF1 informierte die belangte Behörde mit Schreiben vom 04.09.2015 neuerlich über diesen Vorfall und ersuchte, den Einvernahmetermin vorzuverlegen, damit er seinem Sohn in Afghanistan helfen könne. BF1 legte eine Reihe von Unterlagen aus Afghanistan, unter anderem seine Tazkira, die Heiratsurkunde, Fotos seiner Familie und des zerstörten Hauses, einen Drohbrief, etc. vor.

Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 08.09.2015 mit, dass man die Vorfälle um die Familie bedaure, es jedoch aus Kapazitätsgründen nicht möglich sei, die Verhandlung vorzuverlegen. Die BF könnten sich auch an die Diakonie wenden, welche ihnen allenfalls Hilfe gewähren könnte.

Am 14.12.2015 erfolgten die niederschriftlichen Ersteinvernahme des BF1 und des BF2 vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari. BF1 gab an, er sei in Kabul geboren und habe vor ca. 28 Jahren bei afghanischen Heer im Rang eines "Jaglan" bis zum Ende der Regierungszeit des Dr. Najibullah gearbeitet. Als der Bürgerkrieg begann, sei er mit seiner Familie nach Pakistan geflohen, wo er als Taxifahrer gearbeitet habe. Dort sei auch BF2 geboren. Nach dem Sturz der Taliban sei er mit seiner Familie wieder nach Afghanistan zurückgekehrt. Er sei in weiterer Folge von einem ehemaligen Soldaten, welchen er ausgebildet habe, der nunmehr bei den Taliban tätig sei, aufgefordert worden, für diese zu arbeiten, was BF1 abgelehnt habe. Er habe BF1 bedroht, weswegen er sich gezwungen sah, gemeinsam mit BF2 Afghanistan zu verlassen. Es sei geplant gewesen, dass seine Frau mit den gemeinsamen weiteren drei Kindern nach Pakistan gehe, was ihr nicht gelungen sei. Seine Familie sei schließlich bei einem Bombenanschlag in unmittelbarer Nähe seines Hauses ums Leben gekommen. BF1 vermute, dass dieser Anschlag seiner Familie gegolten habe, und dieser von den Taliban ausgeübt worden sei. BF1 legte weitere Dokumente vor.

BF2 gab an, dass die Familie vor einem Jahr einen Brief bekommen hätte, welchen sie nicht ernst genommen hätten. Drei Monat vor deren Ausreise sei wieder ein Drohbrief gekommen, da habe sich sein Vater entschlossen, dass dieser gemeinsam mit BF2, dem ältesten Sohn der Familie, Afghanistan verlassen müsse. Es sei nicht möglich gewesen, die ganze Familie mitzunehmen, es sei zu gefährlich gewesen, und auch hätten sie sich das nicht leisten können. Sein Vater habe ihm erst hier in Österreich von dieser Bedrohungssituation erzählt, davor habe er nichts darüber gewusst.

Die belangte Behörde veranlasste die Übersetzung der vom BF1 vorgelegten Unterlagen.

Mit Eingabe vom 04.08.2016 gaben die beiden BF bekannt, dass diese den MigrantInnenverein St. Marx bevollmächtigt haben, diese im Verfahren zu vertreten. Gleichzeitig legten sie Integrationsunterlagen vor.

Mit Eingabe vom 22.09.2016 legte der MigrantInnenverein St. Marx die Vollmacht des mittlerweile volljährigen BF2 vor.

Mit Eingabe vom 13.10.2106 legte BF2 weitere Integrationsunterlagen vor.

Mit Eingabe vom 09.12.2016 urgierten die BF eine Entscheidung der belangten Behörde, da seit deren letzten Einvernahme bereits ein Jahr vergangen sei.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab. Im Spruchpunkten II erkannte die belangte Behörde den BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu. Im Spruchpunkt III. erteilte die belangte Behörde den BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AslyG bis zum 21.12.2017.

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, die BF nicht glaubhaft gemacht hätten, dass BF1 wegen einem ehemaligen Kameraden Probleme mit den Taliban bekommen habe. Aufgrund der momentan instabilen Lage in Afghanistan sei eine Rückkehr nicht möglich, weswegen subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen sei.

Die BF erhoben jeweils mit Eingaben vom 10.01.2016, bevollmächtigt vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen diese Bescheide fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führten begründend aus, dass der BF von den Taliban gezielt als ehemaliges Mitglied des Militärs verfolgt werde. Die BF hätten Afghanistan nicht wegen der allgemein unsicheren Sicherheitslage, sondern wegen einer persönlichen Bedrohung und Verfolgung verlassen. Es sei der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden nicht gelungen, die Glaubwürdigkeit der BF zu widerlegen. Den Schlussfolgerungen der belangten Behörde fehle jeglicher Begründungswert. Es wäre den BF daher Asyl zu gewähren gewesen. Es werde beantragt der Beschwerde stattzugeben, und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 11.01.2017 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein und wurden der Gerichtsabteilung W267 zugeteilt.

Mit Eingabe vom 17.01.2017 gab der MigrantInnenverein St. Marx bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst sei.

Mit Eingabe vom 13.02.2017 gaben die BF bekannt, dass sie Frau Mag. Nadja LORENZ, Rechtsanwältin in Wien, mit deren rechtsfreundlichen Vertretung beauftrag hätten. Diese legte Beschwerdeergänzungen vor, wonach das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde mangelhaft geblieben sei. Diese habe es verabsäumt, sich mit der konkreten Lage der BF auseinanderzusetzen. Es werde ausdrücklich auf die Folgen, sich einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu entziehen, verwiesen. Drohbriefe der Taliban seien weit verbreitet, wie die zitierten Länderinformationen belegen würden. Die zitierten Berichte würden mit den Schilderungen des BF1 übereinstimmen. Die Beweiswürdigung sei mangelhaft geblieben, woraus sich auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung ergebe. Den BF aus Gründen der (unterstellten) politischen Gesinnung Asyl zu gewähren gewesen.

Mit Eingaben vom 11.04.2017 und vom 09.05.2017 fragte die Rechtsanwältin der BF an, wann mit einem Verhandlungstermin zu rechnen sei, zumal der mj. Sohn des BF1 nach wie vor alleine in Kabul lebe, nachdem seine Mutter und seine Schwestern bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen seien.

Mit Eingabe vom 30.05.2017 legte die anwaltliche Vertreterin der BF Urkunden zum Anschlag am 07.05.2015 vor, bei welchem die Familienangehörigen der BF starben.

Das BVwG beraumte sohin am 29.05.2017 eine Beschwerdeverhandlung an, welche jedoch aufgrund des Nichterscheinens der Dolmetscherin vertagt werden musste.

Das BVwG führte am 06.06.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. BF1 wurde im Beisein Rechtsanwältin, einer Vertrauensperson und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit musste die Beschwerdeverhandlung abgebrochen, und diese wurde neuerlich vertagt.

Das BvwG übermittelte mit Schreiben vom 08.06.2017 der belangten Behörde einen ins Verfahren eingebrachten Wikipediaauszug zur Geschichte Afghanistans im Rahmen des Parteiengehörs und räumte die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Am 17.07.2017 fand die Fortsetzung der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Beisein der Rechtsanwältin der Beschwerdeführer und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. Die belangte Behörde nahm an der Beschwerdeverhandlung nicht teil. Im Zuge dieser Verhandlung setzte das BVwG die Einvernahme des BF1 und des BF2 fort. Das BVwG brachte Länderinformationen in das Verfahren ein, die BF verzichteten auf die Abgabe einer Stellungnahme dazu. Die Rechtsvertreterin brachte ergänzend zum Anschlag vom 07.08.2015 vor, dass dieser nicht einem militärischen Ziel gegolten habe können, weil dieser mitten in der Nacht stattfand, und auch keine militärischen Einrichtungen zerstört worden seien. Selbst wenn nicht das Haus der Familie des BF Ziel des Anschlages gewesen sei, sei aufgrund der Bedrohungen durch die Taliban von einer asylrelevanten Verfolgung der BF auszugehen.

Mit Schreiben des BVwG vom 21.09.2018 übermittelte dieses den Parteien des Verfahrens das aktuelle Länderinformationsblatt Afghanistan mit Stand 11.09.2018 und räumte die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Die BF gaben mit Schriftsatz vom 11.10.2018 durch ihre anwaltliche Vertreterin eine Stellungnahme zu den Länderinformationen ab, und legten weitere Unterlagen vor. Als weiterer Asylgrund werde "Verwestlichung", welche laut der aktuellen UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018 ein eigenes Risikoprofil darstelle, vorgebracht. Insbesondere BF2, welcher im jugendlichen Alter nach Österreich gekommen sei, entspreche diesem Risikoprofil.

Mit Eingabe vom 20.11.2018 legten die BF weitere Integrationsunterlagen vor.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 03.07.2019 wurden die gegenständlichen Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W267 abgenommen, und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo der Beschwerdeakt am 10.07.2019 einlangte.

Zur Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (vgl. §§ 46, 48 VwGVG) war die neuerliche Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung durch die erkennende Richterin erforderlich.

Mit Eingabe vom 21.08.2019 teilten die BF dem BVwG mit, dass das Vollmachtsverhältnis zu Mag. Nadja LORENZ aufgelöst sei, die Ladung für die anberaumte mündliche Beschwerdeverhandlung sei den BF ausgefolgt worden.

Aus den vom BVwG am 11.10.2019 eingeholten Auszügen aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für die beiden BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Das BVwG führte daher am 16.10.2019 eine weitere öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Beide BF wurden im Beisein deren bevollmächtigter Vertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH neuerlich zur deren Fluchtgründen befragt. Die BF legten weitere Unterlagen vor. Das BVwG brachte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 04.06.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018, die aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 und den Landinforeport Afghanistan zum Thema "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne", ins Verfahren ein. Die Rechtsvertretung gab noch in der Verhandlung eine Stellungnahme zu den Länderinformationen ab.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt A)

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person der Beschwerdeführer

BF1 führt den Namen XXXX , er ist am XXXX in Kabul geboren. BF1 ist afghanischer Staatsbürger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. BF1 spricht neben seiner Muttersprache auch Farsi, Paschtu und etwas Russisch.

BF1 ist Witwer und hat bzw. hatte vier Kinder. Seine Ehefrau, XXXX , und seine beiden Töchter, XXXX und XXXX , kamen am 07.08.2015 bei einem Bombenanschlag vor dem Haus des BF1 in Kabul ums Leben. Sein jüngerer Sohn, XXXX , lebt als Asylwerber in einem Lager in Tschechien. Sein älterer Sohn ist BF2. Seine Mutter, XXXX , lebt in Pakistan.

Die Familie des BF1 ist Eigentümerin eines Hauses, welches ein Erbe seiner Mutter ist. Seine Familie und er lebten zuletzt in diesem Haus in Kabul, im Stadtteil XXXX , im 8. Bezirk. Die Geschäfte im Haus sind vermietet, die Mieteinnahmen erhält der Bruder des BF1, welcher in Pakistan lebt.

BF1 besuchte sieben Klassen der XXXX Schule. Danach besuchte er die Mittelschule von der 7. bis zur 9. Klasse. Von der 9. bis zur 12. Klasse besuchte er die Militärakademie und danach besuchte er die Militärschule. BF1 war bis etwa zum Jahr 1992, das war das Ende der Regierungszeit des Dr. Najibullah, für das afghanische Militär tätig und hatte den Dienstrang eines "Jaglan" (Major) inne. Er war in der Provinz Kunar stationiert und war für die Ausbildung von Soldaten zuständig.

Danach flüchte er mit seiner Familie nach Pakistan, wo er als Taxifahrer arbeitete. BF1 kehrte mit seiner Familie nach dem Sturz der Taliban und nachdem Karzai zum Präsidenten gewählt wurde, nach Afghanistan zurück. Als er zurückkam hatte er Probleme damit, die in seinem Eigentum stehenden Grundstücke wieder zu bekommen. Er verdiente den Lebensunterhalt für seine Familie und sich mit Arbeiten in der Baubranche und als Taxifahrer.

Sein Neffe und Adoptivsohn, XXXX er ist der Sohn des verstorbenen Bruders von BF1, XXXX , lebt in Pakistan. Insgesamt hatte BF1 fünf Brüder, ein Bruder lebt in England, zwei Brüder leben im Iran, und ein Bruder lebt in Pakistan. BF1 hat zwei Schwestern, wovon eine Schwester in Kabul und eine Schwester in Pakistan lebt.

Sein Bruder XXXX wurde von den Taliban entführt und ermordet, sein zweiter Bruder, XXXX , wurde von den Taliban verletzt und floh daraufhin nach Pakistan.

BF1 besuchte Deutschkurse und erhielt am 06.08.2018 das ÖSD Zertifikat für A1. BF1 war vom 02.02.2018 bis 31.07.2018 geringfügig als Koch im Restaurant XXXX beschäftigt.

BF2 führt den Namen XXXX , er ist am XXXX in Pakistan, in XXXX geboren. BF2 ist afghanischer Staatsbürger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Außer Dari sprecht BF2 noch Paschtu, Urdu, Englisch, etwas Hindi und Deutsch. BF2 ist ledig und hat keine Kinder.

BF2 lebte bis zu seinem 7. Lebensjahr in Pakistan, dann kehrte er mit seiner Familie wieder nach Afghanistan, genauer nach Kabul, zurück.

BF2 besuchte in Österreich die Übergangsklasse des XXXX der XXXX in XXXX . Er besuchte Deutschkurse, wobei er die B1 Prüfung am 11.06.2018 bestand. BF2 besuchte in der Zeit vom 17.09.2018 bis 06.11.2018 den B2 Kurs. In seiner Freizeit betreibt er Sport, er spielt Volleyball und Fußball. Er nahm am 22.08.2017 am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teil. BF2 holt aktuell den Pflichtschulabschluss nach.

BF1 und BF2 reisten ca. im April 2015 legal aus Afghanistan aus und flüchteten über Iran, die Türkei, Griechenland und weitere Länder nach Österreich, wo sie spätestens am 24.06.2015 einreisten und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

1.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer und zur Situation im Falle der Rückkehr

Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass BF1 und BF2, als dessen ältestem Sohn, von den Taliban aufgrund der Weigerung des BF1, für die Taliban zu arbeiten, eine oppositionelle politische und religiöse Gesinnung unterstellt wird, und diesen aus diesen Gründen Verfolgung droht.

Die staatlichen Behörden sind nicht in der Lage oder willens, den beiden BF Schutz vor Verfolgung durch die Taliban zu bieten.

Es ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass konkret BF2 auf Grund der Tatsache, dass er sich seit Juni 2015 in Europa aufhält bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre. Ebenso wenig kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass BF2 bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner "westlichen Wertehaltung" psychische oder physische Gewalt drohen würde.

Beide BF sind in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative nicht zur Verfügung.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss des BF hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), in den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019) und im Landinfo Report Afghanistan: "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom Juli 2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.3.1.1 Herkunftsprovinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt, die Herkunftsprovinz der BF. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt.

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. In den letzten Jahren kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen (LIB).

Die Provinz Kabul zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist (EASO 2019).

Laut der aktuellen UNHCR Richtlinie vom 30.08.2019 ist aufgrund der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar (UNHCR).

1.3.2. Afghanische Sicherheitsbehörden

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist.

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF.

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert.

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren. Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind. Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben. Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern.

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen. Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen. Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel.

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden. Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw..

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (LIB).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte. Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen.

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen. Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2% .

Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen. Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere (LIB).

1.3.3 Ethnische Minderheiten und Religion

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. (LIB)

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch die BF sind. (LIB)

1.3.4 Personen, die als "verwestlicht" wahrgenommen werden

Dieses Profil bezieht sich auf Personen, die aufgrund ihres Verhaltens, ihres Aussehens und ihrer geäußerten Meinungen als "verwestlicht" wahrgenommen werden und als nicht afghanisch gelten. Dies kann auch diejenigen einschließen, die nach einem Aufenthalt in westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehren.

Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen oder als Spione betrachtet werden können. In Bezug auf die Gesellschaft sollte eine Unterscheidung in Bezug auf die Haltung gegenüber Männern einerseits und Frauen andererseits getroffen werden. Afghanische Frauen und Kinder, die sich an die Freiheiten und die Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, haben möglicherweise Schwierigkeiten, sich an die sozialen Einschränkungen Afghanistans anzupassen. Frauen können auch als "verwestlicht" angesehen werden, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder eine höhere Bildung haben. Frauen, die als "verwestlicht" wahrgenommen werden, können als Verstoß gegen kulturelle, soziale und religiöse Normen empfunden werden und können der Gewalt ihrer Familie, konservativen Elementen in der Gesellschaft und Aufständischen ausgesetzt sein.

In Bezug auf Männer ist die gesellschaftliche Haltung gegenüber "verwestlichten" Individuen gemischt. Es werden nur sehr wenige Fälle von Vorfällen im Zusammenhang mit "Verwestlichung" gemeldet. Segmente der Gesellschaft, meist in Städten (z. B. Kabul-Stadt), sind offen für westliche Ansichten, während andere Segmente, meist in ländlichen oder konservativen Umgebungen, dagegen sind.

Risikoanalyse: Die Handlungen, denen Personen unter diesem Profil ausgesetzt sein könnten, könnten eine Verfolgung darstellen, insbesondere für Frauen (z. B. Gewalt durch Familienmitglieder, konservative Elemente in der Gesellschaft und Aufständische). Nicht alle Personen in diesem Profil wären dem Risiko ausgesetzt, eine begründete Furcht vor Verfolgung zu begründen. Bei der individuellen Beurteilung, ob für den Antragsteller eine angemessene Wahrscheinlichkeit der Verfolgung besteht, sollten risikobehaftete

Umstände berücksichtigt werden, z. B .: Geschlecht (das Risiko ist höher für Frauen), Verhaltensweisen des Antragstellers, Bereich Herkunftsland (insbesondere ländliche Gebiete), konservatives Umfeld, Wahrnehmung traditioneller Geschlechterrollen durch die Familie, Alter (es kann für Kinder schwierig sein, sich an die sozialen Einschränkungen Afghanistans anzupassen), Sichtbarkeit des Antragstellers usw. Im Allgemeinen ist das Risiko der Verfolgung von Männern, die als "verwestlicht" empfunden werden, minimal und hängt von den spezifischen individuellen Umständen ab (EASO 2019).

Es liegen zwar laut UNCHR Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, "Ausländer" geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten. Heimkehrern wird Berichten zufolge von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führt

(UNHCR).

1.3.5 Terroristische und aufständische Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. (LIB)

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten":

...

c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges;

....

k) Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern.

Außer den Personen der oben genannten Kategorien a), d), e) und k) bieten die Taliban allen Personen, die sich fehlverhalten die Chance, Reue und Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen der Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Im Grunde steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist, und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können.

Die Taliban haben ein Netzwerk an Spitzeln in Afghanistan, allein in der Stadt Kabul sind drei verschiedene Taliban Nachrichtendienste nebeneinander aktiv. Es heißt, dass die verschiedenen Nachrichtendienste der Taliban in Kabul über 1.500 Spione in allen 17 Stadtteilen haben. Selbst die, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden. Die Taliban behaupten, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, regelmäßig Berichte darüber zu erhalten, wer neu ins Land einreist.

In dem Maße, in dem das System der Taliban Gestalt annahm und ihre Verhaltenskodizes ausgefeilter wurden, wurden auch Regeln eingeführt, die vorschrieben, dass die Taliban Kollaborateure mindestens zweimal warnen mussten, bevor sie gegen sie vorgingen. Dieses Verfahren galt wohl ab 2009 oder 2010. Von der Regel ausgenommen sind lediglich "schlimme Kriminelle", wie führende Persönlichkeiten in der Regierung. Daher gilt folgendes Verfahren für das Vorgehen gegen einen bestimmten Kollaborateur:

1. Person identifizieren;

2. Kontaktdaten herausfinden (Adresse oder Telefonnummer);

3. Person mindestens zweimal warnen;

4. verhören und vor Taliban-Gerichte stellen;

5. Person auf die schwarze Liste setzen, wenn sie sich weigert, den Anordnungen der Taliban Folge zu leisten;

6. Günstige Gelegenheit abwarten, um zuzuschlagen.

Teil 4 wird ausgesetzt, wenn die Umstände Verhöre oder Inhaftierung nicht zulassen. So können die Taliban zum Beispiel in der Stadt Kabul normalerweise keine Verdächtigen oder Täter festnehmen, daher gibt es die beiden Alternativen, die Verdächtigen zu überwachen, bis sie Kabul verlassen und sie dann festzunehmen (die Taliban behaupten, 2015/16 350 solcher Festnahmen durchgeführt zu haben) oder die Mordkommandos zum Einsatz zu bringen, ohne den Umweg über ein Gerichtsverfahren.

Die praktische Durchführung von Schritt 6 hängt normalerweise von den Fähigkeiten des lokalen Verfolgungsteams ab, dessen Arbeitsauslastung und dem mit der Vollstreckung des 'Urteils' verbundenen Risiko. Eine geschützte Zielperson bzw. eine in einem Gebiet, das von den Behörden stark bewacht wird, könnte zwar für die Taliban wichtig sein, bei ihrer Liquidierung bestünde aber andererseits auch ein hohes Risiko, dass das Mordkommando die Operation nicht überlebt. Eine weniger wichtige Zielperson, die in einem leicht zugänglichen Gebiet mit guten Fluchtmöglichkeiten wohnt, könnte von den Taliban eher liquidiert werden, als eine bedeutendere, die besser geschützt ist. Die Nachrichtendienste der Taliban geben ihre Listen der Verdächtigen an die Militär-Kommission (im Falle der Quetta Shura, an den Schattengouverneur; im Falle der Miran Shah Shura an den Provinzverteter des Haqqani-Netzes) weiter, die dann darüber entscheidet, welche von diesen Personen auf die schwarze Liste gesetzt werden. Jeder nachrichtendienstlichen Abteilung in den Provinzen ist ein Team (Istakhbarati Karwan) zugeordnet, das in Absprache mit der Militär-Kommission Kollaborateure verfolgt. In den meisten Provinzen besteht das Team aus 20 Mitgliedern, ist aber an Orten wie Kabul größer. Die meisten Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verfolgung einer Zielperson werden von den Karwan ausgeführt, weitere Gefahr droht ihnen jedoch durch die Kontrollstellen der Taliban und deren Patrouillen in den Dörfern, die jeweils über Auszüge der Liste der Zielpersonen verfügen.

Obwohl die politische Führung der Taliban anscheinend großen Wert auf die von ihr eingeführten Regeln legt und will, dass sie eingehalten werden, geben die meisten Taliban zu, dass es immer noch willkürliche Hinrichtungen gibt. Gelegentlich nehmen die Taliban Hinrichtungen aus Wut wegen Luft- und Nachtangriffen auf sie vor. Da er nichts dagegen unternehmen kann, könnte ein Taliban-Kommandant einige der Dorfbewohner zu Sündenböcken machen, insbesondere, wenn man sie sowieso schon in Verdacht hatte, den Taliban gegenüber nicht loyal zu sein. Außerdem leidet die Informationsbeschaffung der Taliban, genau wie die ihrer Gegner - der afghanischen Regierung und der ISAF - unter Falschinformationen, die durch Fehden oder Vendetten motiviert sind.

Zumindest teilweise hat das Justizsystem der Taliban den Zweck, deutlich zu machen, dass ihre Bewegung einen Schattenstaat darstellt. Es liegt den Taliban daher viel daran, die Kontinuität zwischen der aktuellen Bewegung von Aufständischen und dem Taliban-Emirat von 1996-2001 zu betonen; tatsächlich bezeichnen sich die Taliban selbst immer noch als das Islamische Emirat Afghanistan. Daher gelten alle Urteile, die die Taliban für jegliches Verbrechen einmal gesprochen haben, immer noch weiter, einschließlich derer, die vor dem Fall des Emirates ergingen. Tatsächlich befinden sich, laut den Taliban-Quellen, auf der 15.000 Personen umfassenden schwarzen Liste, immer noch 3.000, die zu Zeiten des Emirats verurteilt wurden (die Gerichtsunterlagen wurden nach Pakistan geschafft, als das Emirat fiel). Es ist naheliegend, dass diejenigen, die den Urteilen der Taliban damals entgingen, sich im Ausland aufhielten, daher wurden recht viele dieser Personen (ca. 200) von den Taliban erst 2002-2016 gefasst.

Die Taliban beobachten alle Fremden, die in den Dörfern und Kleinstädten unter ihrer Kontrolle ankommen genau, genauso wie die Dorfbewohner, die in Gebiete unter Regierungskontrolle reisen. Sie fürchten offensichtlich, ausspioniert zu werden und versuchen, die Rekrutierung von Informanten durch die Regierung zu beschränken. Wer in die Taliban-Gebiete ein- oder ausreist sollte die Reise überzeugend begründen können, möglichst belegt mit Nachweisen über Geschäftsabschlüsse, medizinische Behandlung etc. Wenn die Taliban einen Schuldigen suchen, der für die Regierung spioniert haben soll, ist jeder, der verdächtigt wird, sich an die Behörden gewandt zu haben, in großer Gefahr. (Landinfo)

Personen, die sich der Rekrutierung durch die Taliban widersetzen sind berichten zufolge ebenso wie ihre Familienangehörigen gefährdet, getötet oder bestraft zu werden (UNHCR).

2. Beweiswürdigung

2.1 Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer

Die Angaben der persönlichen Verhältnisse der BF ergeben sich aus dem Akt, insbesondere auch aus der persönlichen Einvernahme des BF vor dem BVwG am 06.06.2017, am 17.07.2017 und am 16.10.2019. Das BVwG erachtet diese Angaben als glaubhaft. Die Feststellungen zu den Integrationsbemühungen der BF beruhen ebenfalls auf deren Aussagen vor dem BVwG bzw. auf die von diesen im Rahmen des Asylverfahrens vorgelegten diversen Integrationsunterlagen.

2.2 Zu den Feststellungen zur Fluchtgründen der Beschwerdeführer und zur Situation im Falle der Rückkehr

Das Vorbringen der BF hinsichtlich konkreten Anlasses des Verlassens des Herkunftslandes wird vom erkennenden Gericht - entgegen den Ausführungen im Bescheid der belangten Behörde - als in sich schlüssig, nachvollziehbar und in Summe als glaubhaft angesehen.

Im Wesentlichen brachten die BF folgende Gründe vor, weswegen sie Afghanistan verlassen mussten:

BF1 war ca. ab dem Jahr 1985 als Major bei der ANA der 10. Brigade zugeteilt, und absolvierte seinen Dienst in der Provinz Kunar, wo er für die Ausbildung der Soldaten zuständig war. Als Ausbildungskommandant in dieser Kompanie kommandierte er verschiedene Einrichtungen. Einer der Soldaten, welcher von BF1 ausgebildet wurde, hieß XXXX .

Nach dem Zusammenbruch der afghanischen Republik und nachdem die Mujaheddin an die Macht kamen, floh BF1 mit seiner Familie nach Pakistan.

In etwa drei Jahre nachdem Präsident Karzei an die Macht kam, das war das Jahr 2005, kehrte BF1 mit seiner Familie wieder nach Kabul in das Haus, welches seine Mutter von deren Eltern geerbt hatte, in den Stadtteil XXXX , zurück. BF1 arbeitete dort in einem Laden im Erdgeschoß, er verkaufte Baumaterialien.

Ca. ein Jahr nach dessen Wiederansiedlung in Kabul, ging XXXX am Laden des BF1 vorbei, begrüßte BF1 und fragte nach, was er mache, und ob er noch bei der afghanischen Armee tätig ist. BF1 erzählte ihm, dass er nicht mehr bei der Armee ist, weil diese ihn nach seiner Rückkehr aus Pakistan als Kommunisten angesehen hätten, und er hätte wieder als Soldat arbeiten können, nicht jedoch als Major, was BF1 nicht wollte. XXXX fragte BF1, ob dieser mitmachen würde, wenn er einen guten Job für ihn finde. BF1 wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass dieser Mann ein Mitglied der Taliban ist, und bejahte dies. BF1 hörte daraufhin jahrelang nichts mehr von diesem Mann.

Im Jahr 1392 (2013) kam XXXX wieder im Laden des BF1 vorbei und brachte als Geschenk Äpfel mit. BF1 lud ihn ein, mit ihm zu essen oder einen Tee zu trinken. Im Zuge des Gespräches, teilte der Mann BF1 mit, dass er bei den Taliban in der Provinz Logar tätig ist, und dass dessen Kommandant wünscht, dass BF1 bei den Taliban mitarbeitet, um in Kabul herauszufinden, wo wichtige, hochrangige Beamte zu Hause sind, und wo wichtige Regierungsgebäuden sind. BF1 teilte XXXX , dass er das nicht machen will.

Als BF1 alles ablehnte, was der Mann von ihm verlangte, sagte dieser zuerst freundlich, dass BF1 eine Belohnung in Form von Geld und Unterstützung bekommen wird, wenn er nicht mitmachen würde, wisse XXXX nicht, was die Gruppe mit BF1 machen wird. Der Mann verließ BF1.

Nach einigen Monaten fand die Frau des BF1 in der Garage beim Kehren einen Brief. In dem Brief steht: "Wenn du nicht mitmachst, werden wir deine ganze Familie umbringen". Den ersten Drohbrief nahmen BF1 und seine Frau nicht ernst. BF1 dachte, dass es nur eine Warnung sei, damit er Angst bekomme. Ca. einen Monat später folgte ein zweiter Brief. Nun war es BF1 klar, dass die Taliban es ernst meinen. Er ließ seinen Sohn, BF2, nicht mehr in die Schule gehen. BF2 arbeitete im Laden seines Vaters mit. BF1 und seine Frau entschieden, dass BF2 und er in Richtung Iran ausreisen werden, und der Rest der Familie nach Pakistan gehen soll. Während es BF1 und dem damals noch minderjährigen BF2 gelang, in den Iran auszureisen und von dort weiter nach Europa zu gelangen, wurde seiner Frau und den drei weiteren Kindern die Einreise nach Pakistan verwehrt, weswegen diese wieder zurück in deren Haus in Kabul kehrten.

Am 07.08.2015 fand im Stadtteil XXXX gegen 01:00 Uhr in der Nacht ein Bombenanschlag statt, bei welchem unter anderem die Frau und die beiden Töchter des BF1 ums Leben kamen, lediglich der jüngere Sohn des BF1 überlebte. Die Umstände dieses Bombenanschlages sind bis heute unklar. (Vgl. NS der Beschwerdeverhandlung am 16.10.2019)

Beide BF zeigte sich insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 16.10.2019, aber auch bei jenen am 06.06.2017 und am 17.06.2017, vor dem BVwG offen und bemüht, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken und vermittelten insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck. Das diesbezügliche Vorbringen der BF im Verlauf des Verfahrens ist schlüssig, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan plausibel, hinreichend substantiiert, angereichert mit lebensnahen Details sowie im Einklang mit den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten.

BF1 zeichnete insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 16.10.2019 in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten, das auch authentisch wirkende Emotionen zeigte, ein glaubhaftes Bild der geschilderten Vorfälle und vermittelte den Eindruck, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben.

BF2 wies bei jenen Vorfällen, bei denen er nicht persönlich anwesend war, ausdrücklich darauf hin, dass er darüber aus Erzählungen seines Vaters weiß. Daher ist es auch plausibel, dass er nicht jedes Detail der Vorfälle wissen kann.

Daraus folgt, dass sich die getroffenen Feststellungen vornehmlich auf die Aussagen des BF1 stützen, da BF2 die meisten Vorfälle nur vom Hörensagen kennt, wie dies auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid richtig ausführte.

Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der BF spricht auch, dass beide BF während des gesamten Verfahrens in etwa die gleichen Angaben machten, und vor allem BF1 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 16.10.2019 sein Fluchtvorbringen zwar detaillierter ausführte, in den Kernpunkten jedoch nicht übersteigerte.

Richtig ist, dass BF1 bei seiner Erstbefragung als Fluchtgrund lediglich angab, dass es Probleme mit den Grundstücken gab. Jedoch führte der damals noch minderjährige BF2 aus, dass jemand von seinem Vater etwas Illegales verlangt hätte, und sie deshalb flüchten mussten (vgl. AS 17, Akt BF2), was - trotz des Umstandes, dass BF2 dies auch nur aus Erzählungen seines Vaters wissen konnte - doch darauf hindeutet, dass damit jene Probleme gemeint sind, welche BF1 in weiterer Folge bei seiner Ersteinvernahme vor der belangten Behörde und in weiterer Folge vor dem BVwG schilderte.

Wenn die belangte Behörde in der Begründung des Bescheides in der Beweiswürdigung ausführt, dass es BF1 nicht gelungen ist, bei der Ersteinvernahme zusammenfassend und plausibel sein Fluchtvorbringen zu schildern, so muss dem entgegengehalten werden, dass BF1 bei der Ersteinvernahme ganz offensichtlich nicht die Gelegenheit geboten wurde, sein Vorbringen ohne Unterbrechung durch Fragen darzutun (siehe As 169ff Akt BF1). Bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 16.10.2019 vermochte BF1 seinen Fluchtgrund zusammenfassend, schlüssig und plausibel und vor allem auch im Einklang mit den zitierten Länderinformationen darzutun (vgl. NS der Beschwerdeverhandlung vom 16.10.2019). Bei einer Überprüfung seiner Aussagen vor der belangten Behörde bei seiner Ersteinvernahme am 14.12.2015 und seinen Einvernahmen vor dem BVwG am 06.06.2017, am 17.07.2017 und am 16.10.2019 ergeben sich keine groben Widersprüche. Vielmehr schilderte er bei allen seinen Einvernahmen jeweils den gleichen Sachverhalt und vermochte auf jede der Fragen der einvernehmenden Personen eine im Gesamtzusammenhang gesehen, schlüssige und nachvollziehbare Antwort zu geben.

Es entspricht den Angaben in den Länderinformationen, insbesondere dem zitierten Landinfo Bericht Afghanistan "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne", wonach die Taliban in Folge einer Weigerung der Zusammenarbeit zweimalig warnen, um sodann die weiteren Verfolgungshandlungen zu setzen.

Wenn die belangte Behörde anführt, dass der Drohbrief von einer anderen Person als XXXX kam, so ist dazu festzuhalten, dass dieser Mann auch dem BF gegenüber angab, dass er im Auftrag seines Kommandanten handelt. Dieser XXXX ist daher kein Talibankommandant, sondern arbeitet selbst nur bei den Taliban, was auch erklärt, weswegen er nicht derjenige ist, der letztendlich BF1 bedroht.

Ob der Anschlag am 07.08.2015, bei welchem die Ehefrau und die beiden Töchter des BF1 starben, tatsächlich in einem Zusammenhang mit der Weigerung des BF1 steht, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Fakt ist, dass nach wie vor ungeklärt ist, wer für diesen Anschlag verantwortlich ist, und aus welchem Grund dieser, ganz unüblich, in der Nacht erfolgte, und nicht am Tag. (siehe dazu OZ 9, Akt W261 2144813, Clark, Kate: The triple Attack in Kabul: A message? If so, to Whom? 10.08.2015, veröffentlicht von AAN, verfügbar auf ecoi.net). In dem von den BF vorgelegten Artikel wird nicht ausgeschlossen, dass die Taliban für diesen Anschlag verantwortlich sein könnten.

Aus den zitierten Länderinformationen ist auch zu entnehmen, dass die Taliban auch Sippenhaftung betreiben, weswegen BF2 als ältester Sohn von BF1 auch von derselben Gefahr betroffen ist, wie BF1.

In einer Gesamtschau der Angaben der BF im Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen der BF zu seiner Furcht vor den Taliban in Afghanistan insgesamt glaubhaft, plausibel, schlüssig und nachvollziehbar.

Die BF bringen in ihrem Schriftsatz vom 11.10.2018 unter anderem vor, dass insbesondere BF2 zu den Personen zähle, die vermeintlich Werte oder ein Erscheinungsbild angenommen hätten, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden würden, welche nach den UNHCR-Richtlinien als "verwestlicht wahrgenommene" Personen ein sogenanntes potentielles Risikoprofil haben würden, und er deshalb von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen werden würde. Dazu ist festzuhalten, dass sich BF2 erst seit Juni 2015 in Österreich aufhält und aufgrund der Kürze dieses Aufenthalts in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nicht davon ausgegangen wird, dass BF2 eine "westliche Lebenseinstellung" in einer solchen Weise übernommen hätte, dass er alleine deshalb bei einer Rückkehr einer Verfolgungsgefährdung ausgesetzt wäre. Aus den Länderberichten zu Afghanistan lässt sich nicht entnehmen, dass per se jeder Rückkehrer aus Europa, aus diesem Grund einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. BF2 selbst brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 16.10.2019 vor dem BVwG auch nichts Diesbezügliches vor, und ist es auch seiner Rechtsvertretung nicht gelungen, eine derartige Verfolgung im Einzelfall glaubhaft zu machen, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen war.

Die Feststellungen zur Gefahr im Falle einer Rückkehr der BF beruhen auf den Aussagen der BF im Asylverfahren unter Berücksichtigung der zitierten Länderinformationen, woraus hervorgeht, dass die afghanischen Behörden nicht in der Lage sind, die BF vor den ihnen drohenden Angriffen der Taliban zu schützen. Eine innerstaatlich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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