TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/31 W174 2194011-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.10.2019
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Entscheidungsdatum

31.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W174 2194035-1/17E

W174 2194011-1/10E

W174 2205184-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 2.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan und 3.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.3.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 1115682907-170780321, 2.) Zl. 1136052002-170780330 und 3.) vom 31.7.2018, Zl. 1197932506-18063414, nach einer mündlichen Verhandlung am 4.7.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der bzw. des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer. Der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer (GZ W172 1426547-1) hat in Österreich den Status des subsidiär Schutzberechtigten.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer reisten legal im Besitz eines österreichischen Visums in das Bundesgebiet ein und stellten am 4.7.2017 Anträge auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, verheiratet zu sein und aus Mazar-e-Sharif zu stammen.

3. Am 6.3.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen und erklärte, der tadschikischen Volksgruppe anzugehören, in der Provinz Balkh geboren und sunnitischen Glaubens zu sein. Sie leide seit drei Jahren an Hepatitis, sei jedoch weder in der Heimat noch in Österreich deswegen in Behandlung gewesen. Ihren Ehemann hätte sie 2009 traditionell geheiratet und die Ehe sei standesamtlich registriert worden.

Momentan sei die Erstbeschwerdeführerin wieder schwanger. Vor der Einreise nach Österreich habe sie ihren Gatten das letzte Mal im Jahr 2015 gesehen.

Der Zweitbeschwerdeführer sei gesund, das leibliche Kind ihres Ehemannes und habe keine eigenen Fluchtgründe.

Weiters erklärte die Beschwerdeführerin, dass in ihrem Herkunftsstaat noch ihre Eltern sowie vier Brüder und eine Schwester leben würden. Ihr Vater sei Polizeikommandant, die Mutter Hausfrau. Kontakt habe sie zu ihrer Familie nicht. Grund dafür sei, dass ihr Vater gegen die Heirat mit ihrem Gatten gewesen wäre, woraufhin es Probleme mit ihm und dem Schwiegervater gegeben hätte, der durch ihren Vater getötet worden sei. Dieser hätte sie zwingen wollen, ihren Cousin dazu heiraten, der eine Frau und sieben Kinder gehabt habe. Die Beschwerdeführerin selbst habe keine Fluchtgründe und beziehe sich auf die ihres Gatten. Persönlich bedroht worden sei sie von ihrem Vater und ihren Brüdern.

In Österreich habe sie vier österreichische und zwei afghanische Freundinnen und bis jetzt noch keine Deutschkurse besucht oder Prüfungen abgelegt. Sie wolle jedoch die Sprache erlernen und dann arbeiten.

Vorgelegt wurden die afghanischen Reisepässe der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowie die Tazkira und die Heiratsurkunde der Erstbeschwerdeführerin.

Weiters langten beim Bundesamt Laborbefunde der Erstbeschwerdeführerin ein, wonach diese Hepatitis A Antikörper aufweist und keine frische oder chronische Infektion mit Hepatitis B vorliegt.

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 26.3.2018 wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 18.11.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide wurde rechtzeitig eine gemeinsame Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

6. Am 4.7.2018 wurde für den im Bundesgebiet nachgeborenen Drittbeschwerdeführer durch seine gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt. Dabei wurde angegeben, dass er gesund sei und keine eigene Fluchtgründe habe. Beilgelegt wurden die Geburtsurkunde, ein Auszug aus dem Geburtenregister sowie ein ZMR-Auszug.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 31.7.2018 wurde dieser Antrag gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Drittbeschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 18.11.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

8. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde erhoben.

9. Am 4.7.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Dabei erklärte die Erstbeschwerdeführerin zunächst, Analphabetin zu sein und legte folgende Befunde vor: einen ambulanten Befundbrief vom 15.3.2019, eine Aufenthaltsbestätigung eines Universitätsklinikums vom 8.8.2018 sowie einen Laborauszug vom Oktober 2018. Weiters wurden vorgelegt: Ein Schreiben eines Stadtamtes vom 16.5.2019 betreffend die Aufnahme des Zweitbeschwerdeführers in den Kindergarten samt einem Befürwortungsschreiben über die Integration der Erstbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführerin gab im Wesentlichen an, verheiratet, afghanische Staatsangehörige sowie in Afghanistan, in Mazar-e-Sharif geboren, Tadschikin und Sunnitin zu sein. Sie habe in der Heimat keine Schule besucht - obwohl sie dies gern getan hätte - und weder einen Beruf erlernt noch gearbeitet.

In Österreich sei ihr Ziel gewesen, zuerst die deutsche Sprache gut und richtig zu lernen und nachher sofort mit einem Job anzufangen. Wegen ihres Kindes habe sie jedoch keine Möglichkeit dazu gehabt. In Afghanistan sei sie deshalb nie zur Schule gegangen, weil ihr Vater dies verboten habe. Manchmal hätte er sie geschlagen und einmal drei Tage und Nächte in einem Viehstall eingesperrt, und zwar weil sie ihren jetzigen Mann seit ihrer Kindheit bzw. ihrer Jugend geliebt habe. Als beide groß geworden seien, habe dieser seinen Vater geschickt, um um die Hand der Erstbeschwerdeführerin anzuhalten, was ihr Vater, der Ortskommandant des Dorfes, abgelehnt habe.

Die Erstbeschwerdeführerin habe in Afghanistan nicht das Haus verlassen und Freunde treffen können, weil ihr Vater es ihr nicht erlaubt habe. Zudem habe sie beim Verlassen des Hauses immer den Tschador getragen. Dadurch sei auch ihr Gesicht verhüllt gewesen. Vor den Augen habe es mehrere kleine Löcher gegeben, durch die man hinaussehen, aber von anderen Personen nicht erkannt werden könne. Da sie und ihr nunmehrige Gatte sich bereits lange gekannt hatten, seien sie mehrmals heimlich zusammen in den Bazar gegangen und dabei eines Tages zufällig von einem Freund ihres Vaters gesehen worden, der es diesem berichtet habe. Daraufhin habe ihr Vater sie richtig geschlagen, dann wütend ihren jetzigen Schwiegervater aufgesucht, mit ihm gestritten und ihn getötet. Aus diesem Grund sei ihr Mann auch geflüchtet.

Eines Tages habe ihr Vater ihr angekündigt, dass sie den über 40-jährigen Sohn seiner Schwester, der verheiratet gewesen sei und sieben Kinder gehabt habe, ehelichen müsse. Dabei habe er sie so stark geschlagen, dass sie heute noch Schmerzen auf ihren beiden Knien spüre. Die Erstbeschwerdeführerin habe dies abgelehnt, woraufhin ihr Vater ihr mit dem Tode gedroht habe. Ab diesem Zeitpunkt seien sogar ihre Brüder zu ihren Feinden geworden. Eines Tages habe sie ihre Schwester um ein Handy gebeten und diese habe ihr daraufhin das Telefon eines Neffen ihres jetzigen Mannes gebracht. Damit habe die Erstbeschwerdeführerin ihn erreicht und gebeten, sie heraus zu holen.

Im Jahr 2008 sei die Erstbeschwerdeführerin schließlich nach Pakistan gefahren, wo die beiden geheiratet hätten. Nach einer Woche habe ihr Mann sich wieder in den Iran begeben und sie sei in Pakistan geblieben, weil der Weg dorthin sehr schwer gewesen wäre. Später sei ihr Gatte nach Österreich gekommen und habe subsidiären Schutz erhalten. Nachdem er einen Reisepass erlangt habe, sei er in den Iran geflogen um ihr zu helfen, illegal von Pakistan aus dorthin zu kommen. Nach 30 oder 40 Tagen sei er wieder zurück nach Österreich geflogen. Sie sei zunächst im Iran geblieben und dann nach Afghanistan abgeschoben worden.

Von ihrer Geburt bis zur Ausreise habe die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Heimatdorf in Balkh in Mazar-e-Sharif gelebt. Nachdem sie nach Afghanistan abgeschoben worden sei, sei sie wieder nach Pakistan geflüchtet. Aus Angst habe sie in Pakistan immer einen Tschador getragen. Wenn ihr Vater sie erwischt hätte, hätte er sie sicher gesteinigt.

Weiters gab sie an, mit ihrem Reisepass nirgendwo hingefahren oder hingegangen zu sein. Ihren Reisepass vorgehalten, in dem sich insgesamt zwölf Stempel von Übertritten an der afghanischen Grenze befinden, räumte die Erstbeschwerdeführerin ein, es könne sein, dass ein oder zwei Stempel von Flügen von Afghanistan nach Pakistan stammen würden. Zudem sei sie einmal von Pakistan nach Afghanistan gefahren, um den Reisepass ihres Sohnes ausstellen zu lassen. Zwecks Ausstellung ihres eigenen Reisepasses sei sie im Oktober 2015 nach Mazar-e-Sharif gereist.

Auf Nachfrage hin, wie sie trotz der Angst vor der angeblichen Verfolgung durch ihre Familie - wie ihrem Pass und dem ihres älteren Sohnes eindeutig zu entnehmen sei - in den Jahren 2015, 2016 und 2017 von Pakistan kommend mehrfach, also zumindest drei Mal, über mehrere Tage nach Afghanistan eingereist sein konnte, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass man nicht erkannt werden könne, wenn man einen Tschador trage. Außerdem sei sie nicht an Orte gegangen, an denen sie ihren Vater vermutet hätte. Solange sie nicht mit ihrem Vater spreche, würde er sie auch dann nicht erkennen, wenn sie vor ihm stehe. In ihrer Heimat würden ihre vier Brüder, eine Schwester und ihre Eltern leben. Kontakt habe sie keinen mehr, wenn sie die Erstbeschwerdeführerin kriegen würden, würden sie sie steinigen.

Der Zweitbeschwerdeführer sei das leibliche Kind ihres Ehemannes und ganz natürlich nach neun Monaten geboren. Ihr Mann schreibe ihr nicht vor, wie sie sich bekleiden und wo sie hingehen solle. Er helfe ihr immer im Haushalt und sei nicht so, wie die meisten afghanischen Männer.

In Österreich trage die Erstbeschwerdeführerin zu Hause öfters eine Jogginghose und ein T-Shirt ohne Ärmel. Wenn sie hinausgehe, kleide sie sich ungefähr so, wie in der Verhandlung. Im Protokoll wurde dazu festgehalten, dass sie eine dunkle Hose und eine gemusterte Bluse mit Dreiviertelärmeln trägt, lackierte Fingernägel hat und leicht geschminkt ist. Ergänzend dazu gab die Erstbeschwerdeführerin an, in Afghanistan sei ihre Kleidung bis zum Boden gegangen und die Ärmel hätten bis zum Handrücken gereicht. Weiters habe sie einen Tschador tragen müssen. Sie habe dort die Kleidung sowieso nicht selber auswählen dürfen, ihr Vater hätte es ihr nicht erlaubt. In Pakistan habe sie versucht, soweit wie möglich versteckt zu leben.

Hier gehe die Erstbeschwerdeführerin öfters spazieren, besuche ihre Freundin und bringe ihre Kinder hinaus, damit sie spielen können. Sie gehe selber einkaufen und versuche durch Fernsehen und YouTube, ihr Deutsch zu verbessern. Meistens kaufe sie alleine ein, manchmal würden sie auch zusammen gehen. Draußen sei sie alleine unterwegs, öfters gehe sie mit ihrer Freundin laufen. Sie habe insgesamt vier österreichische Freunde und zwei Afghaninnen; sie würden sich auch gegenseitig besuchen.

Ihr Mann arbeite und für die beiden Kinder bekämen sie eine Unterstützung. Es bleibe nicht sehr viel übrig, aber was hereinkomme, verwalte die Erstbeschwerdeführerin. Sie entscheide, welche Lebensmittel gekauft würden. Wenn etwas übrigbleibe, könne sie über das Geld frei verfügen.

Sprachkurse habe sie wegen ihrer Schwangerschaft bis jetzt noch nicht besuchen können. Außerdem seien ihre beiden Söhne fast hintereinander zur Welt gekommen und sie habe sehr wenig Zeit gehabt. Für die Zukunft plane sie, die Sprache soweit zu lernen, um in der Gesellschaft zu leben. Nachher wolle sie arbeiten, auch gerne eine Ausbildung zur Friseurin machen. Informationen zu Ihrem Berufswunsch habe sie sich bereits über YouTube verschafft. Für ihre Kinder wünsche sie sich, dass sie sich ausbilden und der Gesellschaft etwas zurückgeben können.

Im Protokoll wurde vermerkt, dass die Erstbeschwerdeführerin während der Verhandlung zum wiederholten Male ihren jüngsten Sohn stillt.

Im Rahmen dieser Verhandlung wurde der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der anderen Beschwerdeführer als Zeuge einvernommen.

Dieser erklärte im Wesentlichen, seine Ehefrau bereits in der Kindheit im gemeinsamen Heimatdorf getroffen zu haben. Im Jahr 2003 sei er aus Afghanistan ausgereist und in den Iran gegangen. Damals sei er ca. 18 Jahre und seine Frau ca. 15 Jahre alt gewesen. Er habe dann fünf Jahre im Iran gelebt, bevor er nach Pakistan gefahren sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei Ende 2008 von Afghanistan aus nach Pakistan gekommen und sie hätten dort Anfang 2009 geheiratet. Der Zweitbeschwerdeführer sei in Afghanistan geboren worden, weil zu dieser Zeit viele afghanische Leute aus Pakistan abgeschoben worden seien. So sei es auch der Erstbeschwerdeführerin ergangen, die sich dann bei der Cousine mütterlicherseits des Zeugen aufgehalten habe. Insgesamt sei die Erstbeschwerdeführerin dreimal von Pakistan nach Afghanistan gegangen. Einmal sei es notwendig gewesen, für sich einen Pass zu beantragen. Nach der Geburt des Kindes habe man von ihr verlangt, wieder nach Afghanistan zurückzukehren, um für dieses einen Pass ausstellen zu lassen. Beim dritten Mal sei sie nach Afghanistan gefahren, um dort bis zu ihrer Ausreise nach Österreich zu leben.

Die Erstbeschwerdeführerin hätte in Afghanistan gerne die Schule besucht, ihr Vater habe ihr das jedoch nicht erlaubt. Sie habe höchstens in die Moschee gehen dürfen, um zu lernen. Weder in Pakistan noch im Iran habe sie einen Beruf gelernt oder gearbeitet. Das Leben sei sehr schwer für sie gewesen, sie sei immer von ihrem Vater unterdrückt und geschlagen worden. Dieser habe ihr nicht erlaubt, hinauszugehen. Zwei- bis dreimal sei der Zeuge mit ihr hinausgegangen, einmal habe dies jemand gesehen und ihrem Vater erzählt, der sie deswegen geschlagen habe. Die gemeinsamen Treffen seien deswegen möglich gewesen, weil die Erstbeschwerdeführerin in die nahe Moschee habe gehen dürfen, um zu lernen. Dabei habe sie jedoch immer einen Tschador getragen.

Zwischen seiner Ausreise 2003 und bis zur Hochzeit Ende 2008 / Anfang 2009 habe der Zeuge seine Frau nicht mehr gesehen. Damals sei er ca. 30 bis 40 Tage bei ihr geblieben und hätte dann wieder in den Iran zurückkehren müssen, wo er gearbeitet habe. Im September 2011 sei der Zeuge nach Österreich geflohen. Im Jahr 2014 habe er die Erstbeschwerdeführerin im Iran getroffen, er glaube es sei im zehnten oder elften Monat 2014 gewesen. Zwischen 2014 und 2017 hätten sie sich nicht mehr getroffen.

Die Kernfamilie der Erstbeschwerdeführerin lebe noch immer im Heimatdorf, wie der Zeuge durch seine Bekannten vor Ort erfahren habe. Sie selbst stehe nicht in Kontakt mit ihren Verwandten.

Zuhause trage die Erstbeschwerdeführerin lockere Kleidung, T-Shirts und kürzere Hosen. Wenn sie das Haus verlasse, sei sie ungefähr wie bei der Verhandlung gekleidet. Sie wisse, was sie trage und entscheide selbst darüber. In Afghanistan habe sie lange Kleidung mit langen Ärmeln und einen Tschador anziehen müssen.

Hier gehe sie spazieren und nehme beide Kinder mit hinaus, wenn das Wetter passe. Wenn der Zeuge zu Hause sei, gingen sie manchmal zusammen. Größere Einkäufe würden sie samstags gemeinsam erledigen, die täglichen Kleinigkeiten erledige seine Frau. Sie hätten sowohl zu österreichischen, als auch afghanischen Leuten Kontakt und sie würden sich auch gegenseitig besuchen. Manchmal jogge seine Frau mit einer Freundin zusammen. Wenn er seinen Lohn erhalte, zahle der Zeuge die Miete und den Strom. Was übrigbleibe, gebe er seiner Frau und sie verwalte es. Sie bestimme auch über das Kinderbetreuungsgeld. Die Entscheidungen zum Beispiel über Anschaffungen für die Kinder treffe die Erstbeschwerdeführerin. Kurse habe sie noch keine besucht, weil die Kinder zu klein seien. Sie würde jedoch gerne eine Ausbildung als Friseurin machen, weiter Deutsch lernen und informiere sich über YouTube darüber. Der Zeuge wünsche sich, dass sie die Sprache weiter lerne und auch glücklich sei. Auch unterstütze er ihren Wunsch, zu arbeiten.

Im Rahmen der Verhandlung wurde den Beschwerdeführern das Länderinformationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat übergeben und eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen eingeräumt.

10. Am 18.7.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zu den ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen ein. Als Ergänzung zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wurde vorgebracht, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin ca. neun Monate vor der Geburt des ältesten Sohnes im Iran gewesen sei, um seine Frau zu besuchen. Dies ergebe sich aus den Stempeln in seinem Reisepass bzw. dem ausgestellten Visum. In der mündlichen Verhandlung habe er das Jahr verwechselt. Für die Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann habe sich die Erstbeschwerdeführerin nach Afghanistan begeben müssen, da hierfür ein gültiger Reisepass nötig sei.

Am 11.7.2019 habe die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Facharzt für HNO-Krankheiten eine Überweisung zum Neurologen erhalten.

11. Am 30.7.2019 wurde ein ärztliches Attest der Erstbeschwerdeführerin vom 25.7.2019 nachgereicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer. Gegenständlich liegt ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

Der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer (GZ W172 1426547-1) hat in Österreich den Status des subsidiär Schutzberechtigten.

Die Beschwerdeführer stammen aus Mazar-e-Sharif, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind sunnitischen Glaubens.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer reisten legal im Besitz eines österreichischen Visums in das Bundesgebiet ein und stellten am 4.7.2017 Anträge auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Für den nachgeborenen Drittbeschwerdeführer wurde am 4.7.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen. Sie führt mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

1.2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation,

Stand: 4.6.2019:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF. US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA. Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte: (Quelle: BFA 13.2.2019)

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Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

"Länderspezifische Anmerkungen

Im Kapitel 3. "Sicherheitslage" wurde nicht auf den EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 verwiesen, da dieser zum Großteil auf den Informationen dieses LIBs beruht. Die Informationen des EASO-Berichts stammen somit aus zahlreichen Quellen, die ebenso von der Staatendokumentation des BFA zur Erstellung des Kapitels über die Sicherheitslage dieses LIBs verwendet wurden. Des Weiteren wurden Eingaben aus dem "peer review" von unterschiedlichen Mitgliedsstaaten in dieser Ausarbeitung berücksichtigt. Damit ergibt sich ein breiter und vor allem gemeinsamer Wissensstand bezüglich der Ereignisse und der aktuellen Lage in Afghanistan innerhalb der europäischen Asylbehörden.

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO

INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine

Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der USAmerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Karte Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

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(UNAMA 2.2018)

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.200931.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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