TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/5 W173 2183075-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2019
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Entscheidungsdatum

05.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W173 2183078-1/12E

W173 2183075-1/12E

W173 2183079-1/12E

W173 2179255-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Margit Dr. Möslinger-Gehmayr als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, 2) XXXX , geb. am XXXX, StA. Afghanistan, 3) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, und 4) XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Julian Motamedi, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 31.10.2017, zu den Zahlen 1) 1101387105 - 160029793, 2) 1101387508 - 160029807, 3) 1140208605 - 170050749 und 4) 1101387007 - 160029785 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.5.2019 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie XXXX , XXXX , und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , und XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in der Folge 1.BF), XXXX (in der Folge 2.BF) und XXXX (in der Folge 4.BF) reisten im Jänner 2016 illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten am 9.1.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für den minderjährigen 2.BF stellte die 1.BF als dessen gesetzliche Vertreterin am 9.1.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion XXXX am 9.1.2016 gab die 1.BF an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glaubens zu sein. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die 1.BF an, dass ihr Mann im Iran illegal aufhältig gewesen sei und keine Dokumente gehabt habe. Daher seien sie geflüchtet. Ihr Mann habe nicht offiziell arbeiten dürfen und ihr Kind habe nicht in die Schule gehen dürfen. Die iranische Behörde habe ihnen keine Dokumente ausgestellt und Afghanen seien von den iranischen Behörden zurück nach Afghanistan abgeschoben worden. Der 4.BF gab im Zuge seiner Erstbefragung am 9.1.2016 an, Hazara schiitischen Glaubens zu sein. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass er den Iran verlassen habe, weil er dort illegal aufhältig gewesen sei. Die iranische Behörde habe ihnen keine Dokumente ausgestellt und die Afghanen seien von den iranischen Behörden zurück nach Afghanistan abgeschoben worden. Deshalb sei er geflüchtet. Für den minderjährigen 2.BF wurden keine Fluchtgründe vorgebracht.

3. Für den am XXXX in XXXX geborenen XXXX (in der Folge 3.BF) wurde durch seine gesetzliche Vertreterin (1.BF) am 13.1.2017 ein Antrag auf internationalem Schutz gestellt, in welchem angeführt wurde, dass der Genannte keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen aufweise.

4. In der Einvernahme durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Wien, am 15.9.2017, führte die

1. BF aus, sie habe Afghanistan vor 16 oder 17 Jahren verlassen. Ihr Vater sie vor ca. neun Jahren verstorben, ihre Mutter und ihre Geschwister würden im Iran leben. Sie sei verheiratet und habe zwei Kinder. Sie sei ca. sechs oder sieben Jahre alt gewesen, als sie Afghanistan verlassen habe. Sie könne sich an alles nur wie an einen Albtraum erinnern. Damals seien Männer mit langen Bärten zu ihnen nach Hause gekommen und hätten ihren Vater geschlagen. Wenn sie etwas Wertvolles zu Hause gefunden hätten, hätten sie es mitgenommen. Im Nachhinein wisse sie, dass diese Männer die Taliban gewesen seien. Ihr Vater habe sie finanziert. Sie sei nur fünf Jahre in der Schule gewesen und habe keine Ausbildung. In Österreich wohne sie zu viert mit ihrer Familie. Sie habe bislang noch nicht so viele Möglichkeiten gehabt, Kurse im Hinblick auf Integration zu besuchen. Sie sei schwanger geworden und habe sich um ihr Kind kümmern müssen. Sie selbst sei nicht aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit verfolgt worden, aber ihre Familie sei bedroht worden, als sie ein Kind gewesen sei. Sie könne über diese Verfolgung keine Auskunft geben. Über ihre Fluchtgründe befragt, gab die 1.BF an, dass das Problem gewesen sei, dass sie immer wieder sexuell belästigt worden sei. Die Situation sei schwieriger geworden, weil ihr Mann im Iran keine Dokumente gehabt habe. Ihre Familie sei sehr streng gewesen und sie habe viele Regeln befolgen müssen. Egal was sie gemacht habe, die Belästigungen hätten nicht aufgehört. Das seien all ihre Fluchtgründe. Ihre Kinder sollten nicht dasselbe durchmachen wie sie. Von der 1.BF wurde eine afghanische Trauungsurkunde, sowie eine Besuchsbestätigung des 2.BF vom Kindergarten des Juwa Bildungszentrums vorgelegt.

5. Der 4.BF gab in seiner Einvernahme durch das BFA am 2.10.2017 an, er sei am XXXX in Daikundi geboren. Es wurden vom 4.BF eine Tazkira und diverse Empfehlungsschreiben vorgelegt. Er sei seit acht Jahren verheiratet. Er sei Hazara und schiitischer Muslim. Über seine Fluchtgründe befragt, gab der 4.BF an, dass er Afghanistan Richtung Iran wegen Familienproblemen verlassen habe. Seine Mutter sei die erste Frau seines Vaters gewesen. Seine Schwester, seine Mutter und er hätten beim Vater an Wert verloren. Als seine Schwester 14 Jahre alt gewesen sei, hätte sie seinen Cousin heiraten sollen, der zu diesem Zeitpunkt dreißig Jahre alt gewesen sei. Anders als sein Vater sei er nicht damit einverstanden gewesen. Das sei auch der Grund gewesen, warum er in Afghanistan gewesen sei. Er habe er mit seinem Cousin Probleme gehabt. Damals sei seine Schwester in den Iran geflüchtet und er sei drei Monate später danach geflüchtet. Dieser für die Regierung arbeitende Cousin habe ihnen gedroht. Er sei dann zu seiner Mutter in den Iran geflüchtet und nicht mehr zurückgekehrt. Das seien all seine Fluchtgründe.

6. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden vom 30.10.2017 wurden die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer (1.BF bis 4. BF) auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den Beschwerdeführern wurden gemäß § 57 AsylG 2005 Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen jeweils gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig seien (Spruchpunkt III.) Weiters wurde innerhalb dieser Sprüche ausgeführt, dass die Fristen für die freiwilligen Ausreisen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG jeweils 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betragen würden (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde ausgeführt, dass die vorgebrachten Fluchtgründe der Beschwerdeführer nicht asylrelevant bzw. glaubhaft gewesen seien und die Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen haben können, dass sie in ihrem Herkunftsland Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen seien bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten hätten. Im Falle einer Rückkehr könne sich die 1.BF auf ein soziales Netzwerk in Afghanistan stützen. Für die minderjährigen Beschwerdeführer seien keine Rückkehrbefürchtungen vorgebracht worden. Eine Rückkehr nach Kabul sei den Beschwerdeführern zumutbar. Es bestehe bei keinem der Beschwerdeführer ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigenswürdigen Gründen sei nicht zu erteilen. Die Rückkehrentscheidung sei gemäß § 9 Abs. 1-3 BFA-VG zulässig. Die Voraussetzungen für eine Abschiebung seien erfüllt. Für diese sei gemäߧ 55 FPG eine vierzehntätige Frist zu setzen. Mit Verfahrensanordnung vom 3.11.2017 wurde die ARGE-Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberatung vom Amts wegen zur Seite gestellt.

7. Gegen die im Spruch angeführten Bescheide vom 30.10.2017 wurde mit Schreiben vom 29.11.2017 vom 4.BF sowie mit Schreiben vom 10.1.2018 von den übrigen Beschwerdeführern in vollem Umfang wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit Beschwerde erhoben. Das Ermittlungsverfahren und die Länderfeststellungen seien mangelhaft. In der Beschwerde des

4. BF wird im Wesentlichen ausgeführt, dass dieser in einer freien Gesellschaft leben wolle. Der 4.BF sein ein westlich orientierte Mann. Mit dieser Einstellung sei ihm eine Rückkehr in ein patriarchales und konservativ-traditionelles Land wie Afghanistan nicht möglich. Er würde als verwestlicht wahrgenommen werden und wäre Verfolgung durch die Justiz, die Gesellschaft und auch durch terroristische Gruppen wie den Taliban ausgesetzt. Ferner sei er auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, sowie seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie von seinem Cousin in Afghanistan verfolgt. Es sei dem 4.BF auch keine innerstaatliche Fluchtalternative wie etwa Kabul zumutbar, da er aufgrund seiner Lebensweise verfolgt werden würde und auch aufgrund seiner langen Abwesenheit über keine Kontakte und Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge.

In der gleichlautenden Beschwerde der übrigen Beschwerdeführer vom 10.1.2018 wurden ebenso wesentliche Verfahrensfehler und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht. Begründend wurde ausgeführt, dass die 1.BF in einer freien Gesellschaft leben wolle. Die 1.BF wolle mit ihrem Partner (4.BF4) ein selbstbestimmtes Leben führen. Mit dieser Einstellung sei ihr eine Rückkehr in ein patriarchales und konservativ-traditionelles Land wie Afghanistan nicht möglich. Sie würde als verwestlicht wahrgenommen werden und wäre einer Verfolgung durch die Justiz, die Gesellschaft und auch terroristische Gruppen wie den Taliban ausgesetzt. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen drohe der 1.BF geschlechtsspezifische Verfolgung. Ferner werde sie auch aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara verfolgt. Eine Rückkehr der 1.BF sei unzulässig, da ihr aufgrund der Verfolgung als westlich orientierte Frau und Hazara, die die meiste Zeit ihres Lebens im Iran gelebt habe, in Afghanistan unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung sowie eine Verletzung ihres Rechts auf Leben drohe.

8. Die gegenständlichen Beschwerden und bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.1.2018 von der belangten Behörde vorgelegt.

9. Mit Schreiben vom 9.5.2019 wurde von den Beschwerdeführern eine Vollmachtserklärung für den Rechtsanwalt Mag. Julian A. Motamedi übermittelt.

10. Am 15.5.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari, des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer und des Zeugen XXXX eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

In der mündlichen Verhandlung wurde die getrennt einvernommene 1.BF umfassend zu ihren persönlichen Umständen, ihrem Fluchtgrund, wie auch zu ihren Werten und gesellschaftlichen Vorstellungen befragt. Sie habe den 4.BF am 28.1.2011 in Teheran geheiratet und zuletzt in Teheran gelebt. Sie habe fünf Jahre die Schule besucht und keine Ausbildung genossen, da ihr das ihr nicht erlaubt gewesen sei. Ihr Vater sei vor ca. 9 Jahren verstorben und ihre Mutter, zwei Brüder und eine Schwester seien im Iran aufhältig. Die arrangierte Ehe sei die Entscheidung ihrer Eltern gewesen. Sie sei in einer sehr konservativen Kernfamilie aufgewachsen und habe nicht weiter die Schule besuchen oder eine Ausbildung machen dürfen. Sie habe auch selbst keine Entscheidung, z.B. welche Kleidung sie anziehen möchte, treffen können, sondern habe immer anziehen müssen, was ihre Eltern für sie gekauft hätten. Nach der Eheschließung sei sie in einer noch strengeren konservativen Familie gelandet. Dort habe sie auch nicht alleine ausgehen und einkaufen können. Sie habe nur zu Hause bleiben und den Haushalt erledigen müssen. Als sie manchmal das Haus verlassen habe, habe sie einen Hijab tragen müssen. Ihr Mann habe illegal im Iran gelebt und sei ständig festgenommen worden. Sie hätten viel Geld für die Entlassung ihres Mannes bezahlen müssen. Dann sei ihr erstes Kind auf die Welt gekommen und sie habe nicht gewollt, dass ihr Kind auch so ein Leben führe, wie sie es geführt habe. Sie habe daher die Entscheidung getroffen, den Iran zu verlassen. Im Fall einer Rückkehr befürchte sie, wieder von vorne anfangen zu müssen. Das bedeute, dass sie machen müsse, was ihr gesagt werde und sie nicht auf eigenen Beinen stehen dürfe. Sie dürfe die Kleidung, die sie heute trage, nicht tragen, nicht selbst studieren und müsse einen Hijab tragen. Sie habe dort keine Rechte. Sie habe A2 positiv abgeschlossen und möchte in Österreich gerne Friseurin werden. Bald würde sie ihre B1 Prüfung machen wollen und sich dann für eine Ausbildung als Friseurin bewerben. Befragt, wie sie zur Religion der Baptisten stehe, gab die 1.BF an, dass sie persönlich nicht so weit sei, ihre Religion zu wechseln. Aber ihr Mann habe großes Interesse und werde bald getauft. Ihr Mann zwinge sie nicht, die die Religion zu wechseln, er erzähle ihr jedoch viel über diese Religion. Wenn sie so weit sei, könne sie auch wechseln. Er erzähle ihr z.B., dass die neue Religion keine Verpflichtung jemanden auszunutzen habe und Frauen ihre Freiheit hätten. Ihr Mann erzähle immer die positiven Seiten. Sie glaube die Kirche, die ihr Mann besuche, sei am XXXX . Ihr Mann würde ihr nicht verheimlichen, wohin er gehe. Ihre Kinder hätten die gleichen Probleme, die sie gehabt habe.

Der getrennt einvernommene 4.BF gab an, seit ca. 2010/2011 mit der

1. BF verheiratet zu sein. Er sei der Vater des 2.BF und des 3.BF und sie würden im September ein weiteres Kind erwarten. Seine Geburtsprovinz sei Daikundi und er habe damals im Bezirk XXXX gelebt. Als er 12 Jahre alt gewesen sei, sei er erstmals in den Iran gekommen. Nach 2 oder 3 Jahren Aufenthalt im Iran sei er nach Afghanistan zurückgekehrt. Seine 14-jährige Schwester hätte einen älteren 30-jährigen Cousin heiraten sollen. Der 4.BF sei dagegen gewesen und habe seine Schwestern in den Iran geschickt. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass sein Vater sie schlage und ausnutze. Nach ca. drei Monaten habe er dann auch seine Mutter mitgenommen und sei mit ihr gemeinsam in den Iran gefahren. Sein Vater habe ihn mit dem Tod bedroht, als er seine Schwester und seine Mutter von seinem Vater getrennt habe. Seitdem habe er keinen Kontakt mehr mit seinem Vater.

Er spreche Dari, gehöre dazu den Hazara und sei Christ. Geboren sei er als Muslim, er habe die Religion seiner Eltern gehabt. Seine ursprüngliche Religionszugehörigkeit sei die Entscheidung seiner Eltern gewesen. Er habe dagegen auch nichts machen können. Seine neue Religion habe er persönlich ausgewählt. Ein Freund, der seit 4 Jahren in diese Kirche gehe, habe ihn vor ca. eineinhalb Jahren in die Kirche genommen. Die Teilnahme am Fest namens "letzter Abend" sei für ihn sehr interessant gewesen. Besonders angesprochen habe ihn dort, dass alle wie Brüder und Schwestern gemeinsam einander helfen und Hilfsbereitschaft zeigen würden. Früher habe er sowas nicht erlebt. Auch wenn das auch im Koran vorgesehen sei, habe er es bis jetzt nicht wahrnehmen können, obwohl er früher in die Moschee gegangen sei. Als er 10 Jahre alt gewesen sei, habe ihn sein Vater schlagen wollen, er sei zu seinem Onkel gelaufen und habe diesen um Hilfe gebeten. Dieser habe ihn auch mit seinen Füßen getreten und nicht unterstützt. Dieser Onkel sei auch ein Imam und seine Familie sehr religiös gewesen. Das habe den 4.BF sehr getroffen. Auf die Frage, warum er nicht gleich von der Religion abgelassen habe, senkte der 4.BF seinen Kopf und gab an, dass er damals ein kleines Kind gewesen sei und nicht anders gekonnt habe. Im Iran habe er das Christentum nicht gekannt. Er sei nie ein religiöser Mensch gewesen und habe nie konsequent gebetet und gefastet. Seine Frau sei nicht religiös, außerdem sei die Religion eine private Sache und sie könne es selbst entscheiden. Er habe ihr nie gesagt, welcher Religion sie zugehören solle. Er habe in der Schule gesagt, dass sein Kind einen Religionsunterricht brauche, aber damals nicht gewusst, dass es auch einen Islamunterricht in der Schule gebe. Er habe der Lehrerin gesagt, dass sein Kind in den christlichen Unterricht gehen solle. Die Lehrerin habe ihm gesagt, nächstes Jahr bekomme sie ein Formular, in dem ausgefüllt werde, zu welcher Religion sein Kind gehöre. Der 4.BF gab an, dass er möchte, dass sein Kind den christlichen Glauben haben soll.

Der Zeuge XXXX gab in der Verhandlung über seine Funktion befragt an, Gemeindeältester zu sein. Ihm komme eine Leitungsfunktion auf der Laienebene, wobei er ehrenamtlich tätig sei. Er verfüge über keine theologische Ausbildung als Pastor. Er leite aber gemeinsam mit Pastor XXXX , der zum farsi-sprechenden Teil der Baptistenprojektgemeinde in der XXXX in XXXX gehöre. Er sei für die Leitung der Glaubenskurse und allgemein für die Leitung der Gemeinde zuständig. Diese Zuständigkeit sei mit der Organisation und der weiteren Entwicklung der Gemeinde verbunden. Besonders interessant sei dabei, auf Personen aus anderen Kultur- und Religionskreisen zu stoßen. Er sei auch Seelsorger und Mentor bei dieser Baptistengemeinde. Der Bund der Baptistengemeinde gehöre zu den Freikirchen in Österreich, die zu den anerkannten Kirchen und Religionen zählen würden. Es handle sich dabei um eine protestantische Freikirche. Im Unterschied zu den evangelischen Glaubensrichtungen HP und AB fehle es bei den Baptisten an Kindertaufen. Erst mit entsprechendem Alter, nämlich ab 14 Jahren, erfolge die Taufe. Maßgeblich sei die Entscheidung der betroffenen Person selbst. Es gebe ein Programm mit 3 jeweils zweimonatigen Kursen, die auf die Taufe vorbereiten würden. Dazu zähle der Einführungskurs, der Glaubenskurs und ein Taufkurs. Wichtig sei, eine klare Glaubensentscheidung, nämlich Gott kennenzulernen und Gott zu vertrauen. Dies müsse in der Lebensführung seinen Niederschlag habe, nämlich bei der Nächstenliebe, Feindesliebe und Vergebung. Die farsisprachigen Baptisten, Besucher und Mitglieder seien auch missionarisch tätig. Es handle sich dabei um Afghanen und Iraner.

Der Zeuge gab weiter an, den 4.BF seit seinem ersten Kirchenbesuch zu kennen. Seither komme der 4.BF ca. 5-6 Monaten regelmäßig - sowohl freitags als auch zu den Glaubenskursen. Auch die sonntägigen Gottesdienste besuche der 4.BF. Seine Frau komme dabei nicht. Der Sohn des 4.BF sei aber schon dabei gewesen. Als der 4.BF den letzten Glaubenskurs nicht besucht habe, habe er mit ihm gesprochen. Der

4. BF habe nämlich einen Anwaltstermin wahrnehmen müssen. Dieser Glaubenskurs sei wichtig gewesen, zumal dann die Entscheidung zur Zulassung zum Taufkurs getroffen werde. An diesem Treffen in Anwesenheit des Leitungsteams bekomme jeder vom Glaubenskurs das Glaubenszeugnis und berichten, wie er zum Glauben gekommen und wieso er Christ geworden sei. Auf die Frage der erkennenden Richterin, ob sich der 4.BF auch nach der Absolvierung des Glaubenskurses noch dafür entscheiden könne, die Religion nicht anzunehmen, oder in eine andere Religion zu wechseln, gab der Zeuge an, dass dies natürlich möglich sei. Die Kurse seien auch zum Kennenlernen des christlichen Glaubens und der Gemeinde wichtig. Die Kurse würden schlussendlich zur Entscheidungsfindung beitragen. Wobei dann diese Zulassung zum Taufkurs die entscheidende Hürde für die Taufe sei. Diese Entscheidung werde am nächsten Freitag beim 4.BF nachgeholt. Dies sei bereits beschlossen. Dann werde vom Leitungsteam die endgültige Entscheidung getroffen. Am Sonntag habe er bereits mit dem 4.BF ein Gespräch geführt und dabei selbst einen guten Eindruck bekommen, wonach der 4.BF bereit sei. Er könne daher zum Taufkurs zugelassen werden. Besonders beeindruckt habe ihn, dass sich der 4.BF bereits vor dem Kennenlernen mit der Baptistengemeinde mit dem christlichen Glauben und der Bibel auseinandergesetzt habe. Er habe auch die Bibel gelesen. Die Entscheidung zum Glaubenswechsel sei beim 4.BF schon länger gereift. Der Grund für den Religionswechsel des 4.BF liege nach Ansicht des Zeugen in den Erfahrungen des 4.BF mit Christen und auch Menschen aus der westlichen Kulturkreis, die er im Vergleich mit Menschen aus islamisch geprägten Ländern gemacht habe. Außerdem habe er sich mit seinen Kollegen unterhalten, die die vom

4. BF besuchten Kurse betreut hätten. Der 4.BF habe nach dem Glaubenskurs seinen zweiten Kurs abgeschlossen. Der 4.BF habe sich sehr interessiert gezeigt, viele Fragen in Farsi gestellt und viel beigetragen. Der Zeuge spreche mit dem 4.BF deutsch. Sollte er genaueres wissen wollen, ziehe er einen anderen die Sprache des 4.BF sprechenden Mitarbeiter bei. Den Glaubenskurs leite Herr XXXX zusammen mit einem iranischen Mitarbeiter namens XXXX . Er sei sehr optimistisch, dass der 4.BF zum Taufkurs zugelassen werde, sodass eine entsprechende Bestätigung nachgereicht werden könne. Erst wenn ein Taufkurs absolviert sei, sei eine Taufe möglich. Die Zulassung zum Taufkurs sei die große Hürde. Auch während des Taufkurses sei noch eine ablehnende Entscheidung möglich.

In der weiteren Befragung gab der 4.BF nach der A1-Prüfung die Prüfung für das A2-Niveau für die deutsche Sprache absolvieren zu wollen. Mit seiner Frau übe er sporadisch. Meistens spreche sein Sohn mit ihnen Deutsch. Ehrenamtlich arbeite er beim Hilfswerk und helfe dort den Hilfsbedürftigen. Er bereite beispielsweise den Tee zu oder betreue kleine Kinder. In Österreich wolle er in Zukunft als Friseur arbeiten.

Im Zug der mündlichen Verhandlung wurden seitens der Beschwerdeführer mehrere Fotos der 1.BF und ihrer Kinder, diverse Kursbesuchsbestätigungen sowie eine Stellungnahme zur Situation verwestlichter Frauen in Afghanistan vorgelegt.

11. Mit Schreiben vom 1.7.2019 wurde ein Taufschein des 4.BF, ausgestellt vom Bund der Baptistengemeinden in Österreich, datiert mit 13.6.2019, vorgelegt. In diesem Taufschein schien als Datum der Taufe des 4.BF der 9.6.2019 auf. Weiters wurde ein Zeugnis zur Integrationsprüfung des 4.BF sowie eine Schulbesuchsbestätigung des

2. BF vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern:

Die Beschwerdeführer (1.BF bis 4.BF) tragen die im Spruch genannte Namen, sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sprechen Dari. Die 1.BF und der 4.BF sind verheiratet und die Eltern der übrigen Beschwerdeführer (2.BF, 3. BF).

Vor ihrer Ausreise lebten die Beschwerdeführer in Teheran im Iran. Die 1.BF und der 4.BF haben ihre afghanische Herkunftsprovinz Daikundi im Kindesalter verlassen und ab diesem Zeitpunkt im Iran gelebt. Der minderjährige 2.BF wurde am XXXX im Iran geboren. Der

3. BF wurde am XXXX in Österreich geboren.

Die 1.BF ist schitische Muslima.

Die Beschwerdeführer (1.BF bis 3.BF) sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der 4.BF wurde aufgrund eines versuchten Diebstahls im Media Markt in XXXX am 21.4.2017 angezeigt.

Der 4.BF arbeitet ehrenamtlich beim Hilfswerk.

Der 4.BF war ursprünglich schiitischer Moslem, hat sich jedoch vom Islam abgewandt und in Österreich bei der Baptistengemeinde in Österreich die Kurse zur Taufvorbereitung und die Sonntagsgottesdienste besucht. Am 9.6.2019 wurde der 4.BF vom Bund der Baptistengemeinden in Österreich in XXXX getauft. Der 4.BF ist praktizierendes Mitglied seiner Kirche. Der christliche Glaube baptistischer Ausprägung des 4.BF fußt auf einer inneren Überzeugung des 4.BF.

Dem 4.BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abkehr vom schiitisch moslemischen Glauben und seiner Hinwendung zum Christentum baptistischer Ausprägung eine Verfolgung aus religiösen Gründen.

1.2.Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 1.3.2019)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer(126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20.Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019a)

In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019b)

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum

(1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine

Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

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KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage) Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Milionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Milionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a). Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

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Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

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KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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Im Folgenden wird das Verhältnis zwischen den diversen sicherheitsrelevanten Vorfällen für den Zeitraum 1.4.2018 - 30.9.2018 durch eine Grafik der Staatendokumentation veranschaulicht.

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KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

Weiterführende Informationen über die Aktivitäten der Taliban und Zusammenstöße mit den afghanischen Sicherheitskräften werden in der kommenden Aktualisierung (Q3) der Sicherheitslage näher beschrieben.

KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018

Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz- Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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