TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/7 W251 2184716-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.11.2019
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Entscheidungsdatum

07.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2184716-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX alias geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin Mag.a Nadja LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.12.2017, Zl. 1094866908 - 151775054, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 18.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 15.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass der Cousin seiner Verlobten in die Verlobte des Beschwerdeführers verliebt gewesen sei. Da die Verlobte des Beschwerdeführers ihren Cousin nicht habe heiraten wollen, habe der Cousin vor circa einem Jahr die Verlobte des Beschwerdeführers ermordet und den Beschwerdeführer bedroht.

3. Am 12.12.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass der Cousin seiner Verlobten als er von der Verlobung mit dem Beschwerdeführer erfahren habe, dem Beschwerdeführer und seiner Verlobten mit dem Tod gedroht und schließlich die Verlobte des Beschwerdeführers umgebracht habe. Bei einer Feier sei der Beschwerdeführer vom Cousin seiner Verlobten angegriffen worden. Zudem sei aufgrund einer Verwechslung mit dem Beschwerdeführer auf seinen Bruder geschossen worden. Er werde vom Cousin seiner Verlobten und dessen Freunden verfolgt. Die Eltern seiner Verlobten haben überdies vom Beschwerdeführer gefordert den Cousin seiner Verlobten aus Rache für deren Ermordung zu töten.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder und arbeitsfähiger Mann, der sich in Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative auch ohne dort bestehendes familiäres Netzwerk niederlassen könne. Er würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine ausweglose Situation geraten. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das Bundesamt die Ermittlungspflicht verletzt habe, zumal der Beschwerdeführer zu den fluchtauslösenden Umständen und Geschehnissen nicht ausreichend befragt worden sei. Auch liege die Bedrohung aktuell noch vor und habe sich der Cousin seiner Verlobten bei Feierlichkeiten im Dorf nach dem Beschwerdeführer erkundigt. Zudem leide der Beschwerdeführer an psychischen Problemen und befinde sich in Therapie. Die Karteikarte des Beschwerdeführers einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie wurde mit dem Beschwerdeschriftsatz vorgelegt.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.05.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin, im Beisein der Beschwerdeführervertreterin und in Anwesenheit einer Vertreterin des Bundesamtes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

7. Mit Schreiben vom 10.05.2019 brachte das Bundesamt eine Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung ein, verwies im Wesentlichen auf die Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers nach Kabul, zitierte hinsichtlich einer behaupteten Verwestlichung die Rechtsprechung des VwGH und machte Ausführungen zur behaupteten Apostasie des Beschwerdeführers unter Bezugnahme auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation.

8. Mit Schreiben vom 13.05.2019 gab der Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme zu seinem Fluchtvorbringen ab und führte dazu mehrere Zeitungsberichte an. Betreffend die vorgebrachte Apostasie des Beschwerdeführers und deren Folge wurde auf die Anfragebeantwortung des Bundesamtes und die UNHCR-Richtlinien verwiesen. Überdies wurden Ausführungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan sowie zum Nichtvorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gemacht.

9. Mit Schreiben vom 19.09.2019 brachte der Beschwerdeführer Schul- und Universitätszeugnisse, sowie eine Bestätigung über ehrenamtliche und gemeinnützige Tätigkeit und eine Praktikumsbestätigung in Vorlage (OZ 14).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX , und das Geburtsdatum XXXX , die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Der Beschwerdeführer hat eine Kopie eines afghanischen Reisepasses mit dem Geburtsdatum XXXX vorgelegt.

Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara, dem Zweig der Khalili an (AS 15; Verhandlungsprotokoll vom 07.05.2019 = OZ 9, S. 8).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Balkh, im Bezirk XXXX , im Ort XXXX geboren (OZ 9, S. 7). Er ist mit ca. 13 Jahren von seinem Heimatdorf nach Mazar-e Sharif gezogen und dort aufgewachsen (OZ 9, S. 11). Er hat gemeinsam mit seinem Bruder in einem Haus in Mazar-e Sharif gelebt, einige Monate vor seiner Ausreise hat der Beschwerdeführer in Kabul verbracht (OZ 9, S. 9).

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht und vier Jahre lang die Universität. Der Beschwerdeführer hat jahrelange Berufserfahrung als Beamter (OZ 9, S. 9; AS 17).

Der Beschwerdeführer spricht als Muttersprache Dari. Er beherrscht Paschtu, Englisch, Türkisch und Arabisch in Wort und Schrift (AS 15; Einvernahme vor dem Bundesamt vom 12.12.2017 = NS S. 2).

Der Beschwerdeführer ist ledig, er hat keine Kinder (OZ 9, S. 8; AS 15).

Der Vater, die Stiefmutter und Halbgeschwister, der Bruder, zwei Tanten väterlicherseits und ein Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers leben nach wie vor in der Stadt Mazar-e Sharif in Afghanistan. (OZ 9, S. 10). Der Beschwerdeführer hat überdies zwei Cousins und drei Cousinen (OZ 9, S. 11). Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seinem Bruder und gelegentlichen Kontakt zu seinem Vater in Afghanistan (OZ 9, S. 10; NS S. 4).

Der Vater des Beschwerdeführers besitzt ein Haus und Grundstücke bzw. Felder, der Beschwerdeführer besitzt gemeinsam mit seinem Bruder ein Haus (OZ 9, S. 11). Die finanzielle Situation der Familienangehörigen des Beschwerdeführers ist durchschnittlich, diese können den Beschwerdeführer zumindest vorübergehend finanziell unterstützen (AS 21; NS S. 5).

Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest Oktober 2015 durchgehend in Österreich auf (AS 1). Er ist in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig. Der Beschwerdeführer bezieht seit Oktober 2015 Leistungen aus der Grundversorgung (Beilage ./I, Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem).

Der Beschwerdeführer hat gute Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer hat an mehreren Deutschkursen sowie 10 Kursen zur Förderung der gesamtgesellschaftlichen Integration regelmäßig teilgenommen. Der Beschwerdeführer hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen (Beilage ./E).

Der Beschwerdeführer ist seit März 2018 ehrenamtlich im Ausmaß von ca. 10 Stunden pro Woche in der Altenpflege tätig (Beilage ./C). Der Beschwerdeführer hat in Flüchtlingsquartieren mitgeholfen (OZ 9, S. 15). Seit dem Wintersemester 2018 besucht der Beschwerdeführer Kurse an der Universität (OZ 9, S. 16; Beilage ./H; Beilage ./I; Beilage

./J).

Der Beschwerdeführer hat freundschaftliche Kontakte zu Österreicherinnen aus dem Sprachcafè sowie zu einem Österreicher der im selben Altenheim arbeitet knüpfen können. Zwei weitere Freunde hat der Beschwerdeführer bei einem Fest im Jahr 2018 kennengelernt. Die zwei engsten Freunde des Beschwerdeführers in Österreich sind Afghanen, die der Beschwerdeführer bereits aus Mazar-e Sharif kennt (OZ 9, S. 18 f). Der Beschwerdeführer treibt Sport, er geht in ein Fitnessstudio und zum Laufen (OZ 9, S. 15 und S. 17). Der Beschwerdeführer ist aktives Mitglied in zwei Sportvereinen. Bei diesen Vereinen nimmt der Beschwerdeführer an Trainings teil und er unterhält sich mit Vereinsmitgliedern, um sein Deutsch zu verbessern. Seit Februar 2019 hilft der Beschwerdeführer circa einmal monatlich auch bei einem dieser Sportvereine mit (OZ 9, S. 15 f). Der Beschwerdeführer ist ein ordentlicher und pünktlicher Mensch, der sich durch seine gewissenhafte und verantwortungsvolle Arbeitsweise auszeichnet. Er wird überdies als höflicher, intelligenter und interessierter sowie motivierter Schüler sehr geschätzt.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten (OZ 9, S. 18; NS S. 4).

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen (OZ 9, S. 14).

Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er bezeichnet sich selbst als gesund. Am 09.01.2018 und 23.01.2018 war der Beschwerdeführer bei einer Psychiaterin in Behandlung. Einmal alle drei bis vier Monate leidet der Beschwerdeführer unter Kopfschmerzen und nimmt deshalb eine Tablette ein. Der Beschwerdeführer geht seit Juli 2018 einmal wöchentlich zu einer psychotherapeutischen Behandlung, er nimmt jedoch keine Medikamente wegen seiner posttraumatischen Belastungsstörung (OZ 9, S. 4 f und S. 19 f; Beschwerdeschriftsatz S. 9; Beilage ./B).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.1.2. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist derzeit wenig religiös interessiert. Er ist nicht vom Islam abgefallen, er tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam oder gar religionsfeindlich auf. Es ist niemandem in Afghanistan bekannt, dass der Beschwerdeführer in Österreich angegeben hat, sich vom Islam abgewandt zu haben (OZ 9, S. 8, S. 24 ff).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan nicht verlobt.

Der Beschwerdeführer hatte in Afghanistan niemals Probleme aufgrund seiner behaupteten Verlobung. Die Ermordung der behaupteten Verlobten des Beschwerdeführers hat niemals stattgefunden. Der Beschwerdeführer wurde weder persönlich noch telefonisch bedroht. Auch sonst hat niemand dem Beschwerdeführer gedroht, diesen angegriffen oder ihn verfolgt.

Der Beschwerdeführerführer wurde nicht aufgefordert Rache zu nehmen oder andere Personen zu töten.

Auch der Bruder des Beschwerdeführers wurde von niemandem bedroht. Der Bruder des Beschwerdeführers wurde nicht angeschossen.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

1.2.2. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara, oder dem Zweig der Khalili konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

1.2.3. Der Beschwerdeführer ist nicht vom Islam abgefallen. Der Beschwerdeführer hat sich auch nicht erkennbar vom islamischen Glauben abgewandt. Der Beschwerdeführer ist nach wie vor schiitischer Moslem.

1.2.4. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.2.5. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgrund der Tatsache, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer kann aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage in die Stadt Mazar-e Sharif zurückkehren. Er kann sich zudem auch in der Stadt Herat ansiedeln.

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in der Stadt Mazar-e Sharif und in der Stadt Herat sehr angespannt. Bei einer Rückkehr in die Stadt Herat oder in die Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer kann zudem im Eigentumshaus, das er gemeinsam mit seinem Bruder in der Stadt Mazar-e Sharif besitzt Unterkunft nehmen.

Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in der Stadt Mazar-e Sharif oder in der Stadt Herat einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Der Beschwerdeführer kann zudem von seiner Familie in Mazar-e Sharif bei einer Rückkehr finanziell unterstützt werden. Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich bei einer Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif oder bei einer Ansiedlung in der Stadt Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S. 59).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 64 ff).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S.102).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 26.03.2019, S. 103).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 103).

Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen, ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz beträgt 1.967.180 Einwohner.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine

Alternative zum Mohnanbau werden. Die Safran-Produktion garantierte z. B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Nach zehn Jahren der Entminung sind 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen in den Distrikte Gulran und Shindand wurden diese noch nicht von Minen geräumt (LIB 26.03.2019, S. 138).

Dürre:

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2014 (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Beilage ./VI, S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Anfragebeantwortung von ACCORD, Beilage ./VII, S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (Beilage ./VI, S. 11).

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Beilage ./VII, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Beilage ./VII, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Beilage ./VII, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Beilage ./VII, S. 17ff).

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Beilage ./VII, S. 15f).

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familien aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Dort leben diese am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (Beilage ./VI, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Beilage ./VII, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Beilage ./VII, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (Beilage ./VI, S. 10; Beilage ./VII, S. 2).

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (Beilage ./VI, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Beilage ./VII, S. 3; Beilage ./VI S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (Beilage ./VI, S. 2).

Die Stadt Mazar-e Sharif selbst ist nicht von den Auswirkungen der Dürre betroffen.

Medizinische Versorgung:

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 26.03.2019, S. 376 ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (LIB 26.03.2019, S. 359 f). In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 26.03.2019, S. 359).

Wirtschaft:

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 353).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 26.03.2019, S. 366 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 26.03.2019, S. 367f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 26.03.2019, S. 369f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 314).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus (LIB 26.03.2019, S. 316f).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 26.03.2019, S. 317).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert; sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist (LIB 26.03.2019, S. 317).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Hazara in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 26.03.2019, S. 304).

Schiiten:

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara. Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an (LIB 26.03.2019, S. 307).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB 26.03.2019, S. 307).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 26.03.2019, S. 308).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Schiiten in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

Apostaten (Abfall vom Islam):

Es gibt viele Personen die freitags nicht beten oder während des Ramadans nicht fasten. Dies ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden solche Personen nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun. Für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden bzw. die Gesellschaft dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017, Beilage ./V, S. 5f).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich, ohne, dass sie den Islam praktizieren würden und auch dann, wenn sie Apostaten oder Konvertiten sind. Solche Personen sind dann in Sicherheit, wenn diese Stillschweigen bewahren. Es kann zu einer Gefährdung kommen, wenn öffentlich bekannt wird, dass diese aufgehört haben an den Islam zu glauben (Anfragebeantwortung von ACCORD zur Situation von Apostaten, christlichen Konvertiten, Personen, die Kritik am Islam äußern, 01.06.2017, Beilage ./IV, S. 7).

Apostasie und Blasphemie stellen Kapitalverbrechen dar, bei denen Todesstrafe droht. In beiden Fällen haben die Betroffenen vor Gericht drei Tage Zeit um ihre "Tat" zu widerrufen (Beilage ./IV, S. 14).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./X und Beilage ./A bis ./K (Konvolut Auszüge ZMR, GVS, Strafregister, Beilage ./I;

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 26.03.2019, Beilage ./II;

Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018, Beilage ./III;

ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen [Apostaten], 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern vom 01.06.2017, Beilage ./IV; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan, Christen Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, vom 12.07.2017, Beilage ./V; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, Lage in Herat- Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre, vom 13.09.2018, Beilage ./VI; Anfragebeantwortung ACCORD, Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018, Beilage ./VII; Bericht SFH, Blutrache und Blutfehde vom 07.06.2017, Beilage./VIII; Dossier der Staatendokumentation, Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur, Beilage./IX; Übersetzung auf Deutsch der EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2018 hinsichtlich Punkt III. [Subsidiärer Schutz] und Punkt V. [innerstaatliche Schutzalternative], Beilage ./X; Sozialbericht vom 29.04.2019, Beilage./A; Psychotherapeutische Stellungnahme vom 04.05.2019, Beilage./B; Bestätigung ehrenamtliche Tätigkeit vom 11.02.2019, Beilage./C; Unterstützungsschreiben vom 12.04.2019, Beilage./D; Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom 20.12.2018, Beilage./E; Zertifikat Deutsch B1 vom 05.02.2019, Beilage./F; Zertifikat Deutsch B1 vom 03.04.2019, Beilage./G; Kursbestätigung Universität Wien vom 24.11.2018, Beilage./H; Englischzertifikat vom 24.11.2018, Beilage/I; Zertifikat Universität Wien November 2018, Beilage./J; Teilnahmebestätigung Gesundheitskreis vom 08.10.2018, Beilage./K) sowie in die mit Stellungnahme vom 19.09.2019 (OZ 14) vorgelegten Urkunden des Beschwerdeführers.

Dem Erkenntnis werden die aktuellen EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2019 sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 zugrunde gelegt (OZ 9, S. 29).

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

2.1.1. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren. Der Beschwerdeführer wies bereits bei Beginn der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass es bei der Protokollierung seines Geburtsdatums einen Fehler gegeben habe. Den afghanischen Reisepass im Original, zum Beweis seiner Identität hat der Beschwerdeführer jedoch im Verfahren nicht vorgelegt (NS S. 3; EB S. 4), sodass seine Identität (Name und Geburtsdatum) nicht feststeht.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, und seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen in Afghanistan, seine Schulbildung, Universitätsausbildung, seine Berufserfahrung, seine Sprachkenntnisse, sein Familienstand) gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Dass die Familienangehörigen des Beschwerdeführers nach wie vor in Afghanistan leben und der Beschwerdeführer Kontakt zu seinem Bruder und zu seinem Vater hat, war aufgrund seiner schlüssigen und widerspruchsfreien Angaben festzustellen. Ebenso war die Feststellung zur finanziellen Situation der Familie aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu treffen.

Dass der Beschwerdeführer mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut ist, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan geboren ist und mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist. Er hat dort den Großteil seines bisherigen Lebens in Afghanistan gelebt und dort auch gearbeitet.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (zu seiner Einreise, dem Aufenthalt, zum Leistungsbezug aus der Grundversorgung, zu seinen Deutschkursen, zu den sonstigen Kursbesuchen, zu seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie seiner Integration) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm im Schriftsatz vom 19.09.2019 sowie in der mündlichen Verhandlung und beim Bundesamt vorgelegten Unterlagen. Die den Beschwerdeführer auszeichnenden Wesenszüge und Charaktereigenschaften wurden aufgrund der im Akt vorliegenden Empfehlungs- bzw. Unterstützungsschreiben festgestellt.

Die Feststellungen zu den guten Deutschkenntnissen konnten vom Gericht getroffen werden, da der Beschwerdeführer in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten Fragen verstanden hat und beantworten konnte (OZ 9, S. 12 f).

Die Feststellung zum Besuch von Kursen an einer österreichischen Universität war aufgrund der in Vorlage gebrachten Bestätigungen zu treffen (Beilage ./H; Beilage ./I; Beilage ./J).

Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und zu seinen sozialen Bindungen in Österreich waren aufgrund der von ihm vorgelegten Unterlagen und seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu treffen. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, keine Verwandten in Österreich zu haben. Es haben sich keine über typische im Alltagsleben und Sportverein hinausgehende enge soziale Bindungen (Ehefrau, Kind, etc.) ergeben (OZ 9, S. 14-19).

Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich anpassungsfähig ist, ergibt sich daraus, dass er in Österreich ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgegangen ist, mittlerweile Kurse an der Universität besucht und er sich in Österreich an sich zurechtfindet. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen. Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich arbeitsfähig ist und einer regelmäßigen Arbeit nachgehen kann, ergibt sich daraus, dass er auch in Österreich regelmäßig ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgeht und im Verfahren keine Umstände hervorgekommen sind, die gegen eine Arbeitsfähigkeit sprechen und er selbst seine Arbeitsfähigkeit ausdrücklich bejaht (OZ 9, S. 14).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf seiner mit Beschwerdeschriftsatz vom 29.01.2018 vorgelegten Karteikarte seiner Psychiaterin, den eigenen Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und der vorgelegten psychotherapeutischen Stellungnahme (Beschwerdeschriftsatz Seite 9; Beilage ./B; OZ 9, S. 4 f und S. 19 f). Hinweise auf lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen sind im Verfahren nicht hervorgekommen und der Beschwerdeführer hat sich selbst als gesund bezeichnet (OZ 9, S. 4).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.1.2. Zum behaupteten Abfall vom Islam:

Zunächst ist festzuhalten, dass das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks über den Beschwerdeführer davon ausgeht, dass ihm hinsichtlich seiner behaupteten Apostasie keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen detailliert, konkret und umfassend zu gestalten. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer jedoch betreffend einen Abfall vom Glauben oder einer Distanzierung vom Islam nicht gerecht geworden. Der Beschwerdeführer präsentierte vor Gericht bloß oberflächlich und widersprüchlich die Ursachen für seine Abkehr vom Islam. Die Angaben des Beschwerdeführers blieben oberflächlich.

Vorweg ist festzuhalten, dass seitens des Beschwerdeführers weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme beim Bundesamt oder in der Beschwerde diesbezügliche Befürchtungen, wie sie erstmals in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht thematisiert werden, vorkommen. Der Beschwerdeführer bezeichnete sich sowohl in der Erstbefragung (AS 15) als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt (NS S. 4) explizit als Moslem. Ausführungen, wonach er diesen Glauben nicht mehr ausüben oder ihn zumindest kritisch hinterfragen oder sich von diesem distanzieren würde, traf der Beschwerdeführer von seiner Erstbefragung am 15.11.2015 bis zum 06.05.2019 nicht.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.05.2019 gab der Beschwerdeführer zu seiner Religionszugehörigkeit befragt an, dass er als schiitischer Moslem geboren worden sei und er immer noch Moslem sei, er aber nicht so religiös und konservativ wie seine Familie sei. Er sei in Afghanistan von seinen Eltern gezwungen worden in die Moschee zu gehen, zu beten und zu fasten und er habe dies auch respektiert. Er wolle frei sein und den Islam nicht praktizieren (OZ 9, S. 8). Er fürchte sich auch im Falle seiner Rückkehr vor Problemen aufgrund seiner Ideologie und religiösen Weltanschauung, weil er nicht religiös sein wolle (OZ 9, S. 24 f). Auch in Afghanistan habe er nicht religiös oder traditionell sein wollen, sondern jede Kultur und Religion frei kennenlernen wollen (OZ 9, S. 24).

Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer selbst angibt, dass er bereits in Afghanistan nicht religiös oder traditionell habe sein wollen. Dass er wegen seiner Religionszugehörigkeit in Afghanistan Probleme gehabt hätte, hat der Beschwerdeführer im Verfahren aber bisher verneint (NS S. 8; OZ 9, S. 24).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer - ebenfalls erstmalig - ins Treffen, dass er keinen regelmäßigeren Kontakt mit seinem Bruder haben wolle, da dieser permanent fragen würde, ob der Beschwerdeführer regelmäßig bete und faste. Dies würde der Bruder des Beschwerdeführers bereits seit seiner Ankunft in Österreich machen (OZ 9, S. 25 und S. 27). Dazu im diametralen Widerspruch stehen die Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 12.12.2017. Zu diesem Zeitpunkt hat der Beschwerdeführer bereits seit über zwei Jahren in Österreich gelebt und an keiner Stelle angeführt, dass er aufgrund seiner religiösen Anschauung bzw. aufgrund diesbezüglicher Fragen seiner Familie keinen Kontakt mehr zu seiner Familie haben zu wollen. Im Gegenteil dazu führte der Beschwerdeführer sogar aus, leider nur sehr unregelmäßig und selten Kontakt zu seinem Bruder zu haben (NS. S. 4). Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers ist eine Steigerung und war daher als unglaubwürdig zu qualifizieren. Gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens spricht überdies die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bei der Frage nach dem Kontakt zu seinen Familienangehörigen zunächst nur seinen Bruder und Vater (OZ 9, S. 10) ins Treffen führt, an anderer Stelle jedoch angibt, auch Kontakt zu seinen Cousins zu haben (OZ 9, S. 27) und die religiösen Fragen dieser Familienangehörigen als Motiv für den reduzierten Kontakt darstellt. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Steigerung des Vorbringens und sind die Angaben des Beschwerdeführers nicht in Einklang zu bringen. Hätten sich die Familienmitglieder des Beschwerdeführers tatsächlich nach dessen Religionsausübung erkundigt, hätte er davon nachvollziehbar und widerspruchsfrei berichten können.

Auch die Angaben des Beschwerdeführers lassen darauf schließen, dass er sich selbst nach wie vor als Schiit sieht. Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an:

"R: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin als Moslem geboren, aber ich persönlich bin nicht religiös.

R: Was genau meinen Sie damit?

BF: Meine Familie ist sehr religiös und sehr konservativ, aber ich persönlich denke frei und bin offen.

R: Sind Sie schiitischer Moslem?

BF: Ja, ich bin als schiitischer Moslem geboren.

R: Sind Sie jetzt schiitischer Moslem.

BF: Ich bin es immer noch, aber nicht so wie meine Familie." (OZ 9, S. 8)

Aus diesen Angaben des Beschwerdeführers ist abzuleiten, dass sich der Beschwerdeführer selbst nicht als streng gläubiger Moslem, aber jedenfalls als Moslem sieht. Dass der Beschwerdeführer keine konservative Haltung hat und ein offener Mensch sei ist kein Indiz für eine Abwendung oder für einen Abfall vom Islam. Wie oben dargelegt hat der Beschwerdeführer bereits in Afghanistan nicht religiös oder traditionell sein wollen und es gab diesbezüglich auch keine Probleme. Ein religionskritisches oder spezifisch gegen den Islam gerichtetes Verhalten ist daraus auch nicht zu erkennen. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer weiterhin Moslem ist und er eine Abwendung vom Islam in der mündlichen Verhandlung ausschließlich zur Erlangung eines Asylstatus behauptet hat.

Nachdem der Beschwerdeführer außerhalb seiner Familie nach Afghanistan keine Kontakte hat und auch seiner Familie nicht bekannt ist, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Abwendung vom Islam behauptet hat, ist daher davon auszugehen, dass auch keine Person in Afghanistan weiß, dass der Beschwerdeführer in seinem Asylverfahren angegeben hat sich vom Islam abgewandt zu haben.

In diesem Zusammenhang wird angeführt, dass die Angaben des Beschwerdeführers zur streng religiösen Geisteshaltung seiner Familie nicht stringent waren. Trotz der Religiosität seiner Familienangehörigen, war es dem Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge möglich im Jahr 2014 einen beruflichen Auslandsaufenthalt in einem nicht muslimisch geprägten Land zu absolvieren. Probleme mit seinen Familienangehörigen führte er in diesem Zusammenhang nicht an (NS S. 8).

Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer religiös zwar aktuell wenig interessiert ist, der Abfall oder eine Abwendung vom Islam aber insgesamt nicht glaubhaft war bzw. nur zum Schein und nur zur Erlangung eines Aufenthaltstitels im Asylverfahren behauptet wurde.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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