TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/15 W136 2198573-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.11.2019
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Entscheidungsdatum

15.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W136 2198482-1/11E

W136 2198573-1/11E

W136 2198571-1/9E

Schriftliche Ausfertigung des am 26.06.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER über die Beschwerde von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , und 3. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörige Afghanistans, vertreten durch RA Mag. Ronald FRÜHWIRTH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zlen. 1. 1094042401-151728358, 2. 1094041807-151728425, und 3. 1094042706-151728404, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sowie XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX und XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.06.2020 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkt III. bis

VI. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer, und ihrer minderjährigen Tochter, der Drittbeschwerdeführerin, alle afghanische Staatsangehörige, schlepperunterstützt in die Republik Österreich ein und sie stellten am 08.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der am 09.11.2015 durchgeführten Erstbefragung gab die Erstbeschwerdeführerin im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass das Leben im Iran für sie sehr schwer gewesen sei. Als Afghanin habe sie keine Lebensmittel für ihr Kind bekommen. Weiters sei es ihnen dort verboten gewesen, mit Bussen und Taxis zu fahren. Im Iran würden sie nicht akzeptiert werden und würde es für ihr Kind keine Zukunft geben. Sie hätten den Iran daher für die Zukunft ihres Kindes verlassen. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen wiederholte sie, dass sie im Iran keine Zukunft hätten. Außerdem teilte sie mit, dass sie nie in Afghanistan gewesen sei, dass es dort ihrer Kenntnis nach aber noch schlimmer sei, als im Iran. Dort würden Frauen von den Taliban vergewaltigt und entführt werden.

Der Zweitbeschwerdeführer brachte zu seinen Ausreisegründen zusammenfassend vor, dass er 25 Jahre im Iran gelebt und dass es dort für ihn kein Weiterkommen gegeben habe. Er wolle für seine Tochter eine bessere Zukunft haben, dass sie kein Analphabet wird. Bezüglich einer Rückkehr in seine Heimat teilte er mit, dass er sich in Afghanistan nur bis zu seinem dritten Lebensjahr aufgehalten habe. Dort sei immer noch Krieg, hätte er keine Wohnung und würde es kein Leben geben. Sein Leben sei ihm nicht wichtig, aber jenes seines Kindes. Konkrete Hinweise für eine ihm drohende unmenschliche Behandlung oder Strafe bzw. die Todesstrafe oder irgendwelche Sanktionen im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan verneinte er.

2. Am 05.04.2018 wurde der Zweit- und am 13.04.2018 die Erstbeschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab zunächst an, dass sie im Iran, in Teheran geboren worden und nie in Afghanistan gewesen sei. Ihre Familie und ihre Verwandten würden noch im Iran leben. Sie habe nur zu ihrer jüngeren Schwester Kontakt. Zu ihrer und der Familie ihres Mannes habe sie schon im Iran kaum Kontakt gehabt. Befragt, bestätigte sie, dass ihre Tochter keine eigenen Fluchtgründe habe. Ihr Mann habe im Iran als Schneider gearbeitet und für sie und ihre Tochter gesorgt. Zu ihren Fluchtgründen befragt, brachte sie im Wesentlichen vor, dass ihr Schwager sie öfter mit der Abschiebung nach Afghanistan bedroht habe. Da er als Mullah gute Verbindungen zur iranischen Polizei und zu den Revolutionsgarden gehabt habe, hätte er das auch machen können. Er habe sie oft geschlagen und wenn ihr Mann dazwischen gegangen sei, auch ihren Mann geschlagen. Auf die Frage, ob sie sich nicht gemeinsam mit ihrem Mann ein Leben in Afghanistan, in einer großen Stadt wie z.B. Kabul aufbauen könnte, stellte sie die Frage in den Raum, ob sie dort auftreten könnte, wie hier. Daraufhin wurde ihr seitens des Einvernehmenden erklärt, dass in Großstädten Afghanistans westliches Auftreten möglich sei. Dazu teilte sie mit, dass sie in Afghanistan schon deshalb nicht leben könnte, weil sie nicht an den Islam glauben würde. Sie könnte dort sicher nicht so frei und selbstbestimmt leben, wie hier. Sie habe schon im Iran nicht so leben können, wo es im Vergleich zu Afghanistan viel liberaler sei. Zu Fluchtgründen betreffend Afghanistan bzw. ob sie dort verfolgt wird, gab sie an, dass ihr Schwager sie mit der Abschiebung nach Afghanistan und damit bedroht habe, dass er sie dort töten und die Tat den Taliban unterschieben wird. Befragt, erklärte sie, sie könnte in Afghanistan nicht leben, weil sie keine Religion akzeptieren könnte, an die sie nicht glaubt. Sie würde in Österreich frei und ohne Angst leben. Das wolle sie tun und wie alle anderen Frauen ins Fitnessstudio gehen, Rad fahren und ihre Freiheiten genießen. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen teilte sie mit, dass sie Angst vor ihrem Schwager hätte, der auch dorthin kommen und sie aufgrund seiner dortigen Kontakte finden könnte. Außerdem würde sie wegen ihrer jetzigen Lebensweise von gläubigen Moslems getötet werden. Sie wolle sich nämlich nicht verschleiern. Sie verneinte eine freiwillige Rückkehr nach Afghanistan mit finanzieller Rückkehrhilfe und bestätigte, dass sie im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wegen ihres Abfalls vom islamischen Glauben Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe erwarten würden. Sie würde dies in Afghanistan auch nach außen hin kommunizieren, weil sie die Nase davon voll hätte. Das habe schon ihre Familie gewusst. Abschließend äußerte sie die Befürchtung, dass ihr der Schwager in Afghanistan ihre Tochter wegnehmen könnte, da nach dessen Ansicht, Kinder zu ihrem Vater gehören würden.

Der Zweitbeschwerdeführer gab im Wesentlichen an, dass er Afghane und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sei und schiitischer Moslem gewesen sei. Seit rund zwei Jahren sei er konfessionslos, weil er schlechte Erfahrungen mit dem Islam gemacht habe. Seine beiden älteren Brüder seien Mullahs und er sei schon als Kind von ihnen geschlagen worden, weil er nicht beten und fasten habe wollen. Auch mit seiner Frau habe er wegen der Religion Probleme gehabt. Da er und seine Frau sehr liberal seien, seien sie von seiner Familie als Gotteslästerer bezeichnet worden. Bezüglich seiner Flucht- und Asylgründe sprach er von familiären Problemen. Sein Bruder habe ihn ständig als Gottesleugner bezeichnet und sich immer eingemischt. Diese Konflikte seien immer heftiger geworden und manchmal sei er von ihm geschlagen bzw. schließlich sogar aufgefordert worden, in Syrien auf Seiten der vom Iran unterstützten Fatemioun zu kämpfen, um seine Sünden zu tilgen. Sollte er überleben, seien ihm seine Sünden vergeben, andernfalls würde er als Märtyrer sterben. Dabei habe ihm der Bruder gedroht, ihn nach Afghanistan abschieben zu lassen. Da er keinen Widerstand mehr leisten habe können, habe er eine vom Bruder vorgelegte Freiwilligenmeldung für den Krieg in Syrien unterschrieben. Damit hätte er sich in der XXXX Kaserne melden sollen. Daraufhin sei er mit seiner Frau zu deren Schwester und anschließend in die Türkei gereist. Zu Gründen betreffend Afghanistan erklärte er, dass sein Bruder ihn dort auffinden und töten würde, weil er vom Islam abgefallen sei. Dieser sei vermögend, habe einen Reisepass und gute Verbindungen zu iranischen Sicherheitsdiensten. Die Mullahs seien generell sehr einflussreich im Iran. Auf die Frage, wie ihn sein Bruder in einer Großstadt, wie Kabul, ohne Meldewesen finden sollte, gab er an, dass er keinen Bezug zu Afghanistan und 25 Jahre im Iran gelebt habe. Er könnte sich dort nicht verstecken, sein Bruder würde ihn finden. Wenn ein Leben in Afghanistan möglich wäre, wäre er schon damals dorthin gegangen. Nachgefragt, ergänzte er, dass der Bruder ihn in Europa bzw. ebenso in der Türkei gefunden und auch im Bundesgebiet schon bedroht habe. Er könnte dies nicht erklären. Seine Frau sei beim Videotelefonieren mit der Schwester von ihrem Bruder bedroht worden, weil sie ihre Haare nicht bedeckt gehabt habe. Auf Vorhalt, warum sie trotz der Auseinandersetzungen Kontakt mit ihren Familien haben bzw. sein Bruder noch seine Telefonnummer hat, teilte er mit, dass er nur mit seiner Mutter Kontakt gehabt und die Nummer seines Bruders gesperrt habe. Er wolle im Bundesgebiet gegen den Islam werben und in Afghanistan nicht ewig eingesperrt sein. Er sei ein Gegner des Islam, der nur Krieg und Armut bringen würde. Er wolle nicht, dass seine Tochter in einer islamischen Kultur aufwachsen muss. Sie soll frei leben und denken können. Befragt, erklärte er, dass er aufgrund seiner Denkweise nicht in Afghanistan leben könnte. Er wolle seine religiöse, antiislamische Meinung frei äußern können. Außerdem würde er von seinen Brüdern bedroht werden. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen teilte er mit, dass er entweder von seinen Brüdern oder von radikalen Islamisten getötet würde. Wegen seiner Konfessionslosigkeit befürchte er Verfolgung von staatlicher Seite, aber auch durch Islamisten. Er würde in seiner Heimat auch seine Meinung äußern, zumal man irgendwann, den Islam betreffend einen Endpunkt setzen müsste. Er müsste sich zwischen islamischer und westlicher Lebensweise entscheiden. Würde er islamisch leben, würde er sich selbst belügen.

3. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, dass die Erstbeschwerdeführerin bei der polizeilichen Erstbefragung überhaupt keine persönliche Bedrohung geltend gemacht, sondern erst im Laufe des weiteren Verfahrens ihr Fluchtvorbringen gesteigert habe. Sie habe vor der belangten Behörde keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan glaubhaft machen können und als Fluchtgrund lediglich die Ereignisse im Iran geschildert, welche zu ihrer Ausreise nach Europa geführt hätten. Hinsichtlich ihrer Befürchtung, in Afghanistan wegen ihres Abfalls vom Islam vom Schwager verfolgt und getötet zu werden, sei dieser Abfall nicht glaubhaft und es sei auch unwahrscheinlich, dass ihr Schwager sie in einer afghanischen Großstadt ausfindig machen könnte, selbst wenn er - wie von ihr vorgebracht - als Mullah großen Einfluss und Verbindungen zu iranischen Sicherheitsdiensten haben sollte. Insoweit sie angegeben hat, in Afghanistan nicht leben zu können, weil sie den Islam nicht akzeptieren würde, sei einerseits ihr Abfall vom islamischen Glauben nicht glaubhaft, andererseits würde ihr Ehemann ihre liberale religiöse Einstellung teilen und wäre sie in urbanen Zentren (wie z.B. Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat) mit Einverständnis ihres Ehemannes keinen so strengen religiösen Regeln unterworfen (vgl. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Frauen in urbanen Zentren"). Den behaupteten Vorfällen im Iran würde keine Relevanz zukommen und der gegen sie gerichteten Bedrohung durch ihren Schwager in Afghanistan, dass sie der im Iran lebende Schwager in ganz Afghanistan finden und töten könnte bzw. dass es wegen ihres Abfalls vom islamischen Glauben zu einer Gefährdung kommen könnte, würde keine Glaubhaftigkeit zugemessen werden.

Zum Zweitbeschwerdeführer wurde zusammenfassend ausgeführt, dass seine Konfessionslosigkeit nicht glaubhaft sei, weil er seinen Angaben zufolge bereits seit zwei Jahren vom islamischen Glauben abgefallen, aber erst einen Tag vor seiner Einvernahme, am 04.04.2018 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten sei. Weiters habe er bei der polizeilichen Erstbefragung überhaupt keine persönliche Bedrohung geltend gemacht, sondern sein Fluchtvorbringen erst im Laufe des weiteren Verfahrens gesteigert. Hinsichtlich der behaupteten Verfolgung durch seinen Bruder in Afghanistan, habe er nicht erklären können, wie der Bruder ihn in einer afghanischen Großstadt ohne Meldewesen finden könnte. Dies sei unwahrscheinlich, selbst wenn dieser einen großen Einfluss und Verbindungen zu iranischen Sicherheitsdiensten haben sollte. Seinem Vorbringen, wonach er aufgrund seiner antiislamischen Denkweise und dem Bedürfnis, dies frei zu äußern, nicht in Afghanistan leben könnte, wird entgegengehalten, dass sein Abfall vom islamischen Glauben nicht glaubhaft sei. Den behaupteten Vorfällen im Iran würde keine Relevanz zukommen und den Behauptungen, wonach sein im Iran lebender Bruder ihn in ganz Afghanistan auffinden könnte, um ihn zu töten, bzw. sein Abfall vom islamischen Glauben, könnte keine Glaubhaftigkeit zugemessen werden.

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zurückkehren und diese Städte gefahrlos aufgrund der bestehenden Flugverbindung Wien - Kabul, Kabul - Mazar-e Sharif bzw. Herat erreichen könnten, bzw. dass es ihnen zumutbar sei, sich in einem sicheren Bezirk der Stadt Kabul, den sie gefahrlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen könnten, bzw. in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat anzusiedeln. Weiters sei es ihnen zusammenfassend zumutbar, durch eigene und notfalls wenig attraktive Arbeit oder auch durch Zuwendungen von dritter Seite, z.B. Hilfsorganisationen, religiös-karitativ tätige Organisationen - erforderlichenfalls unter Anbietung ihrer gegebenen Arbeitskraft als Gegenleistung - jedenfalls auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, beizutragen, um das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können.

4. Gegen diesen Bescheid brachten die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein.

Nach einer auszugsweisen Wiederholung des bisherigen Fluchtvorbringens wurde darauf verwiesen, dass der Erstbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen bzw. ihr und dem Zweitbeschwerdeführer wegen ihres Abfalls vom islamischen Glauben, in Afghanistan Verfolgung seitens des Bruders des Zweitbeschwerdeführers bzw. durch radikale Islamisten drohen würde. Beide Beschwerdeführer hätten bereits in ihrer Kindheit gegen die strengen familiären und gesellschaftlichen, religiösen Vorschriften rebelliert und seien dadurch zusehends in Konflikt mit ihren Familien geraten. Während die Erstbeschwerdeführerin aufgrund ihrer lockeren Bekleidung wiederholt vom Vater geschlagen worden sei, sei der Zweitbeschwerdeführer aufgrund seiner liberalen Haltung von seinem älteren Bruder, einem Mullah, bedroht und körperlich angegriffen worden. Trotz massiver Einwände der Familie des Zweitbeschwerdeführers sei es zur Hochzeit gekommen. Danach sei die Erstbeschwerdeführerin vom Bruder ihres Ehegatten aufgrund ihrer offen nach außen hin dargestellten Wertehaltung wiederholt als unrein beschimpft und ihr Gatte von ihm geschlagen worden. Schließlich habe der Bruder den Zweitbeschwerdeführer damit bedroht, ihn unter Ausnützung der guten Verbindungen zu den iranischen Behörden, nach Afghanistan abschieben zu lassen. Ihr Abfall vom islamischen Glauben würde auch in den vorgelegten Schreiben ihrer österreichischen Freunde und Bekannten zum Ausdruck kommen.

5. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 26.06.2019 wurden die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen, ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie zu ihrer Lebenssituation und Integration in Österreich befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum sozialen Hintergrund der Beschwerdeführer:

Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , geb. XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekannte sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Zweitbeschwerdeführers ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und gesund bzw. leidet an keiner ernsthaften Krankheit.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde nach seinen Angaben in Ghazni geboren. Er hat im Alter von 2 bzw. 3 Jahren Afghanistan verlassen und anschließend immer im Iran gelebt. Der Zweitbeschwerdeführer hat 5 Jahre eine Schule im Iran besucht, und danach als Schneider gearbeitet. Er war in der Lage für sich und seine Familie zu sorgen. Der Zweitbeschwerdeführer verfügt in Afghanistan sowie im Iran über kein Vermögen.

Der Zweitbeschwerdeführer hat keine Verwandten in Afghanistan, seine Mutter und Geschwister leben im Iran. Die wirtschaftliche Situation der Verwandten des Zweitbeschwerdeführers ist durchschnittlich. Er steht in Kontakt mit seiner Mutter und einer Schwägerin.

Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , geb. XXXX , ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekannte sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der Erstbeschwerdeführerin ist Farsi. Sie ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde nach ihren Angaben in Teheran geboren und hat immer im Iran gelebt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat insgesamt fünf Jahre die Schule besucht, sie sammelte jedoch keine spezifischen Berufserfahrungen. Sie war nicht in der Lage sich selbst zu versorgen. Sie wurde im Iran bzw. zunächst von ihrer Familie und nach Eheschließung von ihrem Mann (Zweitbeschwerdeführer) versorgt. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt in Afghanistan sowie im Iran über kein Vermögen.

Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Verwandten in Afghanistan, ihre gesamte Familie lebt im Iran. Die wirtschaftliche Situation der Verwandten der Erstbeschwerdeführerin ist durchschnittlich. Sie steht im Kontakt mit ihrer jüngsten Schwester.

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet. Ihr gemeinsames Kind ist die Drittbeschwerdeführerin, sie wurde im Iran geboren.

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten. Nach ihren eigenen Angaben sind sie in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatten keine Probleme mit Behörden und waren politisch nicht aktiv.

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer haben den Iran im XXXX verlassen.

1.2. Zum Leben der Erstbeschwerdeführerin in Österreich:

Die Erstbeschwerdeführerin hält sich seit November 2015 in Österreich auf, sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Kind.

Die Erstbeschwerdeführerin pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern. Neben den erwähnten Freundschaften, ist die Erstbeschwerdeführerin kein Mitglied von Vereinen. In ihrer Freizeit geht sie ins Fitnesscenter und spielt Gitarre bzw. geht im Sommer ins Bad.

Die Erstbeschwerdeführerin besucht zwischenzeitlich Deutschkurse und weist dies durch Teilnahmebestätigungen nach. Sie ist in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren.

Da die Erstbeschwerdeführerin keine Arbeitserlaubnis hat, war sie bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Die Erstbeschwerdeführerin lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Ferner verfügt sie über keine Einstellzusage. Die Erstbeschwerdeführerin hat keine gemeinnützigen Aufgaben übernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über keine konkreten Berufsvorstellungen, sie ist wenig kontakt- und kommunikationsfreudig.

Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer stellten am 08.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründen, dass sie Probleme im Iran gehabt hätten. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet eine asylrelevante Bedrohung bzw. Verfolgung aufzuzeigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise in Österreich eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt und eine "westliche Lebensführung" angenommen hat. Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Die Erstbeschwerdeführerin wäre im Herkunftsstaat alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführerin aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt asylrelevanter Intensität drohen würde.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern, als Angehörigen der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung eine asylrelevante Bedrohung bzw. Verfolgung droht.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer einer konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt sind oder eine solche, im Falle ihrer Rückkehr, zu befürchten hätten.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr bzw. Einreise der Beschwerdeführer nach Afghanistan:

Eine Rückkehr der Beschwerdeführer in die Heimatprovinz des Zweitbeschwerdeführers, nämlich Ghazni ist aufgrund der dort vorherrschenden schlechten Sicherheitslage nicht möglich.

Aufgrund der vorliegenden Länderinformationen steht den Beschwerdeführern aus dem Blickwinkel der Sicherheitslage eine innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung. Die Beschwerdeführer haben bisher in der Stadt Mazar-e Sharif nicht gelebt. Die Beschwerdeführer können Mazar-e Sharif sicher mit dem Flugzeug von Österreich erreichen.

Im Falle einer Verbringung des Zweitbeschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK). Es ist dem Zweitbeschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Der Erstbeschwerdeführerin wäre es alleine nicht möglich und zumutbar, nach Afghanistan zurückzukehren. Da jedoch der Zweitbeschwerdeführer für ihren Unterhalt sorgen könnte, wäre der Erstbeschwerdeführerin eine Rückkehr nach bzw. ein Leben in Mazar-e Sharif im Familienverband sehr wohl möglich und zumutbar.

Jedoch ist eine Rückkehr der gesamten Familie mit der Drittbeschwerdeführerin im Familienverband aufgrund deren Minderjährigkeit nicht möglich bzw. nicht zumutbar. Eine Familie mit minderjährigen Kindern erfordert im konkreten Rückkehrort - hier Mazar-e Sharif - eine konkrete familiäre Unterstützung. Gerade die konnte in gegenständlicher Beschwerdesache nicht festgestellt werden.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wurden den Parteien aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in AFGHANISTAN zur Kenntnis gebracht und im Folgenden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Diese Länderinformationen wurden von den BF nicht substantiiert bestritten.

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 26.03.2019:

Zur Herkunftsprovinz des Zweitbeschwerdeführers:

Ghazni:

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage:

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Ghazni:

Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni:

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1. - 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit

16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WB 28.8.2017).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation; vgl. AKDN 26.7.2017). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 5.2018). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (USDOS 3.3.2017).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal.

Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018).

Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017).

Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nichtmuslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017). Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Bildungssystem in Afghanistan

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes (USDOS 3.3.2017). Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018). Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit led

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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