TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/20 W197 2107859-1

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Veröffentlicht am 20.11.2019
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Entscheidungsdatum

20.11.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W197 2107859-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Elmar SAMSINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für

Fremdenwesen und Asyl vom 06.05.2015, Zahl: 1025207803 - 14792110, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2019, zu

Recht:

A)

Die Beschwerde wird nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr. 33/2013 idgF, gemäß den §§ 3 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer führt den im Verfahren verwendeten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der HAZARA an, ist schiitischer Moslem, reiste (spätestens) am 14.07.2014 schlepperunterstützt und unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein, stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde hiezu am 16.07.2014 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Zum Fluchtgrund gab der seit seinem fünften Lebensjahr im Iran lebende Rechtsmittelwerber an, aufgrund der Bedrohung durch einen seiner Onkel geflohen zu sein. Konkret hätte Letztgenannter bereits vierzehn Jahre zuvor seinen Vater umgebracht, weil dieser trotz seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit eine Schiitin - die Mutter des Asylwerbers - geheiratet habe. Darüber hinaus "hat er mich (sic!) mit einer Spritze körperlichen Schaden und eine teilweise Behinderung zugefügt (Seite 11 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Dieser massive Übergriff sei dann auch zugleich der Auslöser für die Übersiedelung der Familie in den Iran gewesen, wo man von diesem Zeitpunkt an unbehelligt gelebt hätte. Ein weiterer Onkel habe dann jedoch vor einem Jahr davor gewarnt, wonach der Mörder des Vaters des Asylwerbers nun auch in den Iran kommen wolle, um den Antragsteller und dessen Angehörigen zu suchen und zu töten. "Aus Angst um mein Leben hat mich meine Mutter weggeschickt (Seite 11 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland müsse er das Schlimmste befürchten.

2. Am 27.03.2015 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine niederschriftliche Einvernahme des Genannten statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, ledig zu sein und neben seiner Mutter über einen Bruder sowie eine Verlobte im Iran zu verfügen. Konkret wären diese allesamt in TEHERAN wohnhaft.

Prinzipiell uneingeschränkt einvernahmefähig und laut eigener Aussage ohne "physischen oder psychischen Probleme (Seite 43 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)" wäre er im Alter von fünf Jahren von seinem Onkel väterlicherseits mit einer Injektion verletzt und in weiterer Folge verkrüppelt worden. An den daraus resultierenden Behinderungen an Hand und Fuß leide der Genannte noch immer. Wenngleich die injizierte Substanz bis zum heutigen Tage nicht identifiziert werden hätte können, sei es jedenfalls das erklärte Ziel des Angreifers gewesen, den Beschwerdeführer dauerhaft zu lähmen. Die daraufhin im Iran durchgeführten Heilbehandlungen, auch in Form von operativen Eingriffen, wären jedoch ohne erkennbaren Erfolg geblieben. Auch im Bundesgebiet habe der Asylwerber diesbezüglich bereits ärztliche Hilfe gesucht, aber sei die endgültige Diagnose noch nicht gestellt worden.

Wie lange er sich bereits im Bundesgebiet befinde, könne der Rechtsmittelwerber nicht einmal ungefähr angeben, zumal er einerseits Analphabet wäre und sich andererseits auch keinerlei Gedanken hinsichtlich der Zeitabläufe gemacht habe. Aktuell ausschließlich von den Leistungen der Grundversorgung abhängig, verfüge er über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich. Ledig und kinderlos sei der Asylwerber seit seiner illegalen Einreise weder einer legalen Beschäftigung nachgegangen noch hätte er sich in irgendeiner Form gemeinnützig oder vereinsmäßig engagiert.

Ursprünglich in der afghanischen Provinz GHAZNI, Bezirk XXXX , geboren und wohnhaft, wäre der Antragsteller im Alter von fünf Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran übersiedelt. Seinen Lebensunterhalt habe er, ebenso wie auch seine Mutter und sein Bruder, mit dem gezielten Sammeln und anschließenden Verkauf von Müll bestritten. Mit islamischen Extremisten sei er dabei nie in Berührung gekommen.

Im Iran illegal ohne Aufenthaltsberechtigung aufhältig, sei man stets bestrebt gewesen, den direkten Kontakt mit Staatsorganen und damit einhergehend die Gefahr einer drohenden Abschiebung zu vermeiden. Eine potentielle Rückkehr in sein Herkunftsland wäre für ihn aber keinesfalls in Betracht gekommen, zumal der Genannte bis heute davon überzeugt sei, wonach ihn sein Onkel dann ohne zu zögern getötet hätte.

Aus diesem Grunde habe sich der Asylwerber im Jahr 2013 der Abschiebung durch iranische Sicherheitskräfte auch dermaßen entschlossen widersetzt, dass ihm diese im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung nicht nur sichtbare Verletzungen am Arm sondern auch schwerwiegende Beeinträchtigungen an seinem Bein zugefügt hätten. Wenngleich er noch immer eine Schiene tragen müsse, so sei es ihm damals durch seine massive Gegenwehr doch zumindest gelungen, seiner geplanten Rückführung nach Afghanistan zu entgehen.

Ein Jahr nach dieser erfolgreich vereitelten Abschiebung habe ein anderer jüngerer Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers jedoch verraten, wonach der Verfolger nun auch in den Iran kommen werde, mit dem deklarierten Ziel, seine Mordpläne endgültig in der Praxis umzusetzen. Dieses Risiko hätte der Rechtsmittelwerber keinesfalls eingehen wollen, weshalb er sich zuvor noch rechtzeitig auf den Weg nach Europa gemacht habe.

Ausschlaggebend für die extreme Rachsucht des Onkels wäre ursprünglich die Verehelichung seiner beiden Eltern gewesen. So hätte der Vater, ein Sunnit, seine Mutter, ihres Zeichens eine Schiitin, geheiratet, was zu enormen innerfamiliären Spannungen geführt habe. Der Bruder des Bräutigams sei besonders hasserfüllt in dem Konflikt in Erscheinung getreten und schließe dessen radikale Ablehnung neben den Brautleuten auch deren Kinder mit ein.

Zwar könne sich der Antragsteller an den genauen Geschehnisablauf vor vielen Jahren, nicht zuletzt angesichts seines damals noch sehr jungen Alters mehr erinnern, aber hätte ihm seine Mutter später alles erzählt. Demnach wäre sein Vater vom eigenen Bruder und zugleich Onkel des Asylwerbers ermordet worden. Wenngleich dieser als offizielles Motiv die Eheschließung zwischen dem Sunniten und der Schiitin ins Treffen geführt habe, so sei der eigentliche Beweggrund weitaus profaner: In Wahrheit hätte es der Täter vielmehr auf ein Grundstück im Eigentum seines Opfers abgesehen gehabt. Um endgültig sein Ziel erreichen zu können, wäre es allerdings nötig auch sämtliche allfällige Erben zu eliminieren, "deshalb wollte er mich auch töten oder mir eine Behinderung zufügen und hat mir deshalb eine Injektion gegeben (Seite 51 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Zunächst sei keinerlei erkennbare Wirkung beim erst fünf Jahre alten Antragsteller aufgetreten. Erst ein oder zwei Jahre später habe er erste Lähmungserscheinungen bemerkt. Aufgrund der Flucht in den Iran wäre es dem verfeindeten Onkel verborgen geblieben, dass der Beschwerdeführer und dessen Familie noch immer am Leben seien beziehungsweise wo sich diese aktuell aufhielten. Diesem Umstand wäre es auch zu verdanken, wonach es der Verfolger über Jahre hindurch nicht versucht hätte, diese doch noch zu ermorden.

3. In weiterer Folge neuerlich am 10.04.2015 vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen, vermochte der Rechtsmittelwerber keinerlei nähere Details zu der seinerseits behaupteten unfreiwilligen Injektion im Kindesalter durch seinen Onkel zu benennen. Weder könne er sagen, in welchen Körperteil die Spritze verabreicht worden sei, noch wie es dem allen Anschein nach medizinisch völlig unkundigen Bruder seines Vaters möglich gewesen sein sollte, zu Spritze, Nadel und Serum zu gelangen. Ebensowenig habe der Asylwerber laut eigener Aussage je an Kinderlähmung gelitten oder eine entsprechende Schutzimpfung erhalten - eine Behauptung, welche jedoch in diversen vorgelegten Befunden massiv bezweifelt respektive ausgeschlossen wird. Konfrontiert mit den diesbezüglichen Untersuchungsergebnissen, zeigte sich der Antragsteller nicht von der Befunden überzeugt und blieb bei seinen anderslautenden Angaben.

4. Mit Schriftsatz vom 13.04.2015 übermittelte der Genannte über seine rechtsfreundliche Vertretung eine Stellungnahme in Bezug auf die zuvor anlässlich seiner Befragung erstinstanzlich präsentierten Länderfeststellungen.

5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem bekämpften Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten Asyl gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte diesem aber den Status des subsidiären Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und sprach unter einem eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit bis zum 06.05.2016 aus (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die Erstinstanz im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu Spruchpunkt I. zunächst aus, wonach der Asylwerber seine Identität mangels Vorlage unbedenklicher Personaldokumente nicht habe zweifelsfrei nachweisen können.

Hinsichtlich der im gegenständlichen Verfahrensgang ins Treffen geführten Fluchtvorbringen sei zunächst der realitätsfremde Mangel an Einzelheiten bemerkenswert. Generell zeichne sich das präsentierte Bedrohungsszenario durch ein auffallendes Maß an Oberflächlichkeit wie auch Detailarmut aus. Erschwerend trete die hohe Rate erheblicher Widersprüche in Kombination mit der gänzlich fehlenden Schlüssigkeit der Ausführungen hinzu.

So könne beispielsweise nicht einmal in Ansätzen nachvollzogen werden, weshalb der Asylwerber keinerlei konkrete Aussagen zu dem von ihm behaupteten Mordanschlag seines Onkels machen könne. Selbst wenn man davon ausgehe, demzufolge der Antragsteller lediglich aus Erzählungen seiner Mutter Kenntnis von den dramatischen Ereignissen, welche in letzter Konsequenz zu seiner Flucht beziehungsweise einem Leben im Exil geführt haben sollen, erlangt hätte, müssten diesem doch zumindest die rudimentärsten Grundelemente des Vorfalls geläufig sein.

Weshalb es dem verfeindeten Bruder seines Onkels über 15 Jahre hindurch kein vitales Anliegen gewesen sein sollte, sich hinsichtlich des weiteren Verbleibs der seinerseits verhassten Familie zu vergewissern beziehungsweise diese etwa mit Unterstützung des anderen - informierten - Onkels endgültig zu eliminieren, um solcherart endgültig sein ursprüngliches Ziel zu erreichen, habe der Genannte nicht einmal im Entferntesten schlüssig darzulegen vermocht. Dieses unerklärliche Faktum stelle insbesondere in Kombination mit der fachärztlichen Einschätzung, derzufolge die im Verfahren als direkte Auswirkungen des behaupteten Mordanschlags mit einer unbekannten Substanz präsentierten gesundheitlichen Beschwerden in Wahrheit Resultat einer früheren Poliomyelitis-Erkrankung, auch unter der Bezeichnung Kinderlähmung bekannt, sei, ein klares Indiz für die generelle Unglaubwürdigkeit des ins Treffen geführten Fluchtvorbringens dar.

6. Gegen Spruchpunkt I. dieser Entscheidung erhob der Rechtsmittelwerber über seine rechtsfreundliche Vertretung innerhalb offener Frist Beschwerde.

7. Anlässlich der vom Bundesverwaltungsgericht anberaumten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 23.04.2019, wurde Beweis erhoben durch Einvernahme des Antragstellers unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts.

Befragt nach seinen persönlichen Verhältnissen, bestätigte der Asylwerber seine bisherigen Angaben zu seiner Person. Seine Verlobung wäre allerdings zwischenzeitlich gelöst worden.

Konfrontiert mit diversen medizinischen Untersuchungsberichten, laut denen die seinerseits zentral in den Mittelpunkt seines Vorbringens gestellten Lähmungserscheinungen aus einer früheren Kinderlähmungserkrankung nicht jedoch aus einem Mordanschlag mittels Spritze, wie seinerseits bislang angegeben, resultieren würden, versuchte der Antragsteller den Glaubwürdigkeitsgehalt seiner diesbezüglichen Aussagen mit der These zu erhöhen, wonach diesfalls seiner Meinung nach in beiden Beinen die gleichen Krankheitserscheinungen auftreten hätten müssen. Im Übrigen sei es als weiterer Indikator für die Richtigkeit seiner Ausführungen zu werten, dass er nicht überhaupt stattdessen eine Schussverletzung ins Treffen geführt habe. Zwischenzeitlich wäre der Beschwerdeführer auch schon einmal im Iran gewesen, um dort seine Familie zu besuchen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers ist auszuführen, demzufolge dessen wahre Identität mangels unbedenklicher Beweismittel ebensowenig positiv festgestellt werden kann, wie auch dessen ursprüngliche Herkunftsregion in Afghanistan. Demgegenüber werden aufgrund der einschlägigen Sprachkenntnisse und der in sich widerspruchsfrei sowie schlüssig gehaltenen Angaben sowohl die ethnische Volkszugehörigkeit, die afghanische Staatsbürgerschaft als auch die muslimische Glaubensangehörigkeit der Entscheidung zugrunde gelegt.

1.2. Aus welchen Beweggründen der Asylwerber sein Herkunftsland verlassen hat, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht mit abschließender Sicherheit feststellen.

Allfällige exzeptionelle Umstände, die den Beschwerdeführer daran hindern würden, sich beispielsweise in KABUL, HERAT oder MAZAR-I-SHARIF eine Existenz aufzubauen, kamen nicht hervor. Demgegenüber spricht der Rechtsmittelwerber zumindest zwei der Landessprachen, ist mit den kulturellen Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut und hat basierend auf seiner bisherigen Berufserfahrung als Hilfsarbeiter die Möglichkeit, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern.

1.4. Entscheidungsrelevante Länderfeststellungen:

Zur Sicherheitslage allgemein:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Im Zeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 wurden 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die bedeutet einen Rückgang von 2% (Kurzinformation der Staatendokumentation vom 01.03.2019 - KI 01.03.2019, S. 1). Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt (KI 01.03.2019, S. 1). Die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen blieben mit Stand Dezember 2018 unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (KI 01.03.2019, S. 2). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 wurden 10.993 zivile Opfer registriert, das bedeutet eine Steigerung von 5% (KI 01.03.2019, S. 6). Die im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl im Oktober 2018 am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul (KI 01.03.2019, S. 2).

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformationen bis 31.01.2019 - LIB 31.01.2019, S.48).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 31.01.2019, S.48).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 31.01.2019, S.51).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 31.01.2019, S.59).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 31.01.2019, S.52).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 31.01.2019, S. 52). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 31.01.2019, S. 53 ff.).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 31.01.2019, S. 36).

Der ISKP, auch IS, hat eine eingeschränkte territoriale Reichweite und diese Übergriffe stehen zumeist mit einer vorgeworfenen Solidarität mit dem Iran und der Bekämpfung des IS in Syrien in Zusammenhang (EASO Country Guidance Notes, S. 61 und 62).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister (LIB 31.01.2019, S. 335 f.)

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Ghazni:

Ghazni

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikhs sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinzen im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 02.07.2017; vgl. HoA 15.03.2016).

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 01.02.2018; vgl. SD 01.02.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.03.2018).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.01.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017 - 15.02.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.02.2018).

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, [...]

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.01.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Ghazni

Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.03.2018; vgl. Xinhua 27.01.2018, ZNI 03.03.2018, Tolonews 05.02.2018, Tolonews 24.03.2018, MF 25.03.2018, Tolonews 05.12.2017; MF 18.03.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.03.2018; vgl. MF 25.03.2018, Tolonews 05.12.2017, MF 18.03.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 01.02.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 01.02.2018; vgl. Pajhwok 12.03.2018).

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.06.2018; vgl. AJ 21.05.2018, VoA 22.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni

Sowohl das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.01.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 01.07.2017).

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.01.2018). Für den Zeitraum 01.01. - 15.07.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.02.2018).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 31.01.2019, S. 342).

Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 31.01.2019, S. 342 ff.; UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Medizinische Versorgung:

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten. In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die Kosten von Diagnose und Behandlung in privat geführten Krankenhäusern und Kliniken variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden (LIB 31.01.2019, S. 346).

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden, zur Verfügung gestellt. In den Städten besteht ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken (LIB 31.01.2019, S. 348).

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (LIB 31.01.2019, S. 349).

In Mazar-e Sharif existieren ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (LIB 31.01.2019, S. 348 f.).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3.2018 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 31.01.2019, S. 355).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 31.01.2019, S. 356 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 31.01.2019, S. 357 f.).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 31.01.2019, S. 359 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 31.01.2019, S. 360).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 31.01.2019, S. 360).

Zudem gibt es in Städten Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer, in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 31).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken.

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 31.01.2019, S. 305 f.).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 31.01.2019, S. 306).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak, Central Bihsud/Behsood und Hisa-i-Awal Bihsud. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 31.01.2019, S. 308).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 31.01.2019, S. 308).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (31.01.2019, S. 308).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Es existiere in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Hazara beschweren sich über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. Arbeitsplatzanwerbung erfolgt hauptsächlich über persönliche Netzwerke; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (31.01.2019, S. 309).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangs-rekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB 31.01.2019, S. 308). Dennoch existieren keine Berichte über Verfolgung durch den Staat, Angehörige der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner psychischen und physischen Gewalt ausgesetzt (EASO Country Guidance, Seite 61).

Religionsfreiheit:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten und 10-15% Schiiten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 31.01.2019, S. 295 f.).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 31.01.2019, S. 298).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit (LIB 31.01.2019, S. 298).

Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch kommt es zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 31.01.2019, S. 299).

Angehörige der Schiiten sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit keiner psychischen und physischen Gewalt ausgesetzt (EASO Country Guidance, Seite 62).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Hinsichtlich des vom Asylwerber präsentierten Fluchtvorbringens ist anzumerken, dass dieses auffallend oberflächlich, detailarm und lebensfremd gestaltet ist.

So vermochte dieser mit keinerlei Einzelheiten hinsichtlich der genaueren Umstände des seinerseits ins Treffen geführten Mordanschlags auf seine Person durch den Bruder seines Vaters aufzuwarten. Selbst wenn man ins Kalkül zieht, wonach der Antragsteller zum Zeitpunkt des angeblichen Mordversuchs erst im Vorschulalter gewesen sein soll und daher lediglich aus den Schilderungen seiner Mutter überhaupt erst Kenntnis von den dramatischen Vorfällen erlangt haben will, so erweist sich sein diesbezüglicher Wissensstand ausgesprochen mangelhaft. Gerade angesichts der massiven Auswirkungen, die dieser angebliche Vorfall auf sein gesamtes weiteres Leben in Bezug auf seine Gesundheit, seine Ausreise in den Iran sowie die dortigen Lebensumstände gehabt haben soll, wäre nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwarten gewesen, dass der Genannte mit diversen Zusatzinformationen sowie Einzelheiten aufzuwarten weiß. Ein junger Mann, der aufgrund eines fehlgeschlagenen Mordanschlages eines nahen Verwandten generell mit beträchtlichen gesundheitlichen Problemen sowie in seinem Alltag permanent mit diversen Einschränkungen konfrontiert ist, hätte sich zweifellos nicht mit ein paar lapidar gehaltenen Sätzen über die genauen Hintergründe sowie die weiteren Folgen von seiner Mutter abspeisen lassen, sondern wüsste aufgrund diverser Nachfragen an diese über sämtliche Begleitumstände konkret Bescheid, weshalb er auch nicht im Bedarfsfall mit der Wiedergabe der selbigen vor der Asylbehörde respektive dem erkennenden Gericht heillos überfordert wäre.

Erschwerend tritt hinzu, wonach auch sämtliche im Bundesgebiet unabhängig voneinander durchgeführten fachärztlichen Untersuchungen Kinderlähmung als kausalen Auslöser für die im Verfahren ins Treffen geführten Symptome anführen; die Behauptung, durch eine unbekannte Substanz im Kindesalter infiziert und mit schweren Folgewirkungen chronisch erkrankt zu sein, fand hingegen in keinem der vorliegenden Berichte Bestätigung. Allein bereits durch diese Tatsache erscheinen die im gegenständlichen Rechtsgang getätigten Ausführungen zu den fluchtauslösenden Gründen zweifelsfrei objektiv widerlegt. Auch hier zeigt sich, demzufolge der Beschwerdeführer die Auswirkungen eines ohne menschlichen Zutuns erlittenen gesundheitlichen Leidens schlichtweg dazu zu nutzen versucht, um durch Präsentation einer realitätswidrigen Entstehungsgeschichte zu internationalem Schutz zu gelangen.

Abgesehen von den eben angeführten Faktoren ist zudem anzumerken, wonach sich der Rechtsmittelwerber in seinem Vorbringen auf diverse Unplausibilitäten stützt, welche schlichtweg unschlüssig sind und jedweden Realitätssinn vermissen lassen. So vermochte es der Asylwerber beispielsweise nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar darzulegen, weshalb der verfeindete Onkel zwar versucht haben sollte, ihn zu töten, nicht jedoch seine Mutter oder seinen jüngeren Bruder. Unabhängig davon, ob man der offiziell vom Mörder seines Vaters angeblich praktizierten Rechtfertigung, die Schande durch die Verehelichung eines Sunniten mit einer Schiitin mit deren Ermordung tilgen zu wollen, folgt, oder jener inoffiziellen, derzufolge der Täter in Wahrheit lediglich an den Liegenschaftsbesitz der betroffenen Familie zu gelangen versuchte - in beiden Varianten müsste dieser zur finalen Zielerreichung alle nahen Angehörigen des Antragstellers, also auch dessen Bruder sowie die gemeinsame Mutter eliminieren, da ansonsten seine Vorgangsweise völlig sinnlos wäre. Diesen grundlegenden Denkfehler aufzulösen, sah sich der Genannte ebenfalls nicht dazu in der Lage.

Ebenso erscheint es dem erkennenden Richter absolut lebensfremd, warum ein nicht-medizinisch versierter Täter versuchen sollte, auf ausgesprochen kompliziertem Wege, konkret durch Verabreichung einer Injektion mit einer unbekannten Substanz, ein Vorschulkind zu beseitigen, wenn dieser noch zuvor ohne erkennbare Konsequenzen für sein strafrechtswidriges Verhalten dessen erwachsenen Vater erfolgreich ermordet hatte. In diesem Fall wäre ein schlichtes Schussattentat auf sämtliche Familienangehörigen weitaus erfolgversprechender wie auch einfacher in seiner Durchführung gewesen - Angst vor allfälligen rechtsstaatlichen Folgen wären in einer derartigen Konstellation nach den vorangegangenen für ihn positiven Erfahrungen wohl ebenfalls nicht ernsthaft zu befürchten gewesen.

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch noch erwähnt, dass es nicht einmal im Entferntesten rational nachvollzogen werden kann, weshalb sich der Täter über viele Jahre hindurch mit seinem unvollendeten Plan abfinden, dann aber nach langer Zeit plötzlich aus unerfindlichen Gründen wieder ein drängendes Bedürfnis an dessen Abschluss entwickeln sollte. Zudem müssten der jüngere Bruder sowie die gemeinsame Mutter des Beschwerdeführers nunmehr in akuter Lebensgefahr schweben, weshalb es umso absurder anmutet, dass diese nicht gemeinsam mit dem Rechtsmittelwerber - allenfalls in ein geographisch näher gelegenes aber dafür leichter zu finanzierendes Land in der Region -fliehen sollten. Stattdessen zieht es die Familie vor, nur eines ihrer Mitglieder für viel Geld in ein weit entferntes Land in Sicherheit zu bringen, selbst aber im unmittelbaren Aktionsradius des angeblichen Todfeindes zu bleiben, mit der damit verbundenen Gefahr, selbst Opfer dessen Mordpläne zu werden. Ein derartiges Vorbringen kann nach allgemeiner Lebenserfahrung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit definitiv ausgeschlossen werden.

Abschließend sei schließlich auf den vom Rechtsmittelwerber auf entsprechenden Vorhalt hin eingestandenen Umstand hingewiesen, demzufolge dieser seit seiner angeblichen Flucht seine Familie im Iran besucht hat - ein Verhalten, welches sich mit der zuvor geschilderten Todesangst in keinerlei rational denkmöglichen Einklang bringen lässt.

2.2. In einer Zusammenschau der seitens des Genannten konkret dargebotenen Schilderungen seiner Fluchtgeschichte wird diesem Vorbringen daher aufgrund der zuvor exemplarisch und keineswegs abschließend dargestellten Widersprüche und lebensfremden Behauptungen, welche zudem in zentralen Punkten durch keinerlei Beweismittel untermauert worden sind, jegliche Glaubwürdigkeit versagt. Vielmehr sieht es das erkennende Gericht im vorliegenden Fall als erwiesen an, wonach der Rechtsmittelwerber in Wahrheit aus wirtschaftlichen Gründen seine Asylantragstellung dazu benutzt, um auf diese Weise sich einen höheren Lebensstandard zu sichern.

2.3. Doch selbst wenn man rein hypothetisch das Vorbringen des Asylwerbers und damit eine Bedrohung seitens der Taliban als real der Beurteilung zugrunde legen wollte, wäre es dem Beschwerdeführer selbst in diesem Fall gänzlich unbenommen, sich unbehelligt in einem anderen Landesteil Afghanistans niederzulassen. Am Bestehen dieser Möglichkeit hegt das Bundesverwaltungsgericht - auch im Lichte der aktuellen Judikatur der Höchstgerichte - keinerlei Zweifel. Zudem ergibt sich aus den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen, dass es in Afghanistan keine Meldeverpflichtung gibt. Abgesehen davon ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass jemand außerhalb der engeren Heimat des Rechtsmittelwerbers überhaupt auf die Idee käme, den Genannten zu suchen. Der Antragsteller brachte vor, Hilfsarbeiter gewesen zu sein. Als solcher ist er jedenfalls per se kein exponiertes "High-Profile-Ziel".

2.4. Die oben getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den zitierten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Zur Aktualität der Quellen, die für die Feststellungen herangezogen wurden, wird angeführt, dass diese, soweit sich das Bundesverwaltungsgericht auf Quellen älteren Datums bezieht, aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.

Auch aus den in der Beschwerde vorgelegten Länderberichten sowie aus den Stellungnahmen des Rechtsmittelwerbers zu den vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachten Länderberichten ergibt sich aus Sicht des erkennenden Gerichts keine andere Situation, als jene, welche bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid festgestellt wurde.

Den ins Verfahren einbezogenen Länderberichten ist zu entnehmen, dass sich insbesondere die Sicherheitslage in KABUL verschlechtert hat, jedoch Ziel des Großteiles der Anschläge weiterhin die afghanische Regierung, ausländische Behörden oder NGOs sind, sodass insgesamt noch von einer ausreichenden Sicherheit für Normalbürger ausgegangen werden kann.

Hinsichtlich der Situation der Rückkehrer nach Afghanistan ist diesen Berichten im Wesentlichen gleichbleibend zu entnehmen, dass diese Gruppe immer wieder Diskriminierungen oder schlechter Behandlung ausgesetzt sind und dass es auch immer wieder zu Anschlägen kommt, zu deren Opfern auch Personen der oben genannten Gruppe gehören. Eine Gefährdungslage alleine aufgrund der Zugehörigkeit zu einer oder mehrerer dieser Gruppen lässt sich jedoch aus den vorliegenden Länderberichten nicht entnehmen. Insbesondere lässt sich nicht entnehmen, dass jede Person, die dieser Gruppe zugeordnet werden kann, gefährdet wäre. Aus den vorgelegten bzw. eingebrachten Länderberichte ergibt sich, dass die Situation in Afghanistan nicht einheitlich beurteilt werden kann, sondern diese sich von Provinz zur Provinz und von Distrikt zu Distrikt unterscheidet.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich aus Sicht des erkennenden Gerichts seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Überzeugung, derzufolge der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach KABUL, MAZAR-E SHARIF oder HERAT subjektiv wie objektiv dazu in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften und zumindest auf lange Sicht gesehen sich dort eine Existenz zu gründen, folgt aus seinen eigenen Angaben, wonach er hinreichend gesund und arbeitsfähig sei, sowie seiner Angaben zu seiner Ausbildung und zu seiner bisherigen Berufserfahrung als Hilfsarbeiter.

Es sind keine Gründe ersichtlich, welche die Annahme schlüssig rechtfertigen würden, dass der Asylwerber nicht auch in Afghanistan fähig sein sollte, eigenverantwortlich für sich zu sorgen. Dies nicht zuletzt deshalb, zumal der Antragsteller, wie festgestellt, eine in Afghanistan gesprochenen Sprache auf muttersprachlichem Niveau beherrscht und die Sitten und Gebräuche Afghanistans in umfassendem Maße kennt.

Im Übrigen kann der Asylwerber in der ersten Zeit nach seiner Ankunft auch auf Hilfe für Rückkehrer aus dem Ausland zurückgreifen, die unter anderem auch die befristete Zurverfügungstellung einer Unterkunft beinhaltet.

Aus all diesen Gründen ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Heimkehr nach Afghanistan, insbesondere nach KABUL, MAZAR-E SHARIF oder HERAT nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde. Im Übrigen ist auszuführen, dass die genannten Städte jeweils über einen Flughafen verfügen und sicher erreichbar sind. Zur in den aktuellen UNHCR-Richtlinien geäußerten Ansicht, dass KABUL als innerstaatliche Fluchtalternative generell ausscheiden würde, ist auf die rechtliche Beurteilung zu verweisen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A):

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg. cit.) offensteht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6 leg. cit.) gesetzt hat.

Flüchtling i. S. d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Hei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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