TE Vwgh Beschluss 1998/6/5 97/19/1530

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Veröffentlicht am 05.06.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
27/01 Rechtsanwälte;
27/04 Sonstige Rechtspflege;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1 impl;
AVG §71 Abs1 Z1;
RAO 1868 §2 Abs1;
RAPG 1985 §2 Abs1 idF 1991/023;
RAPG 1985 §7 idF 1991/023;
RAPG 1985 §8 idF 1991/023;
RechtspraktikantenG 1987 §26;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/19/1531 97/19/1532 97/19/1533

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, I.) über die Anträge des Dr. EO in Bludenz, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in Dornbirn, auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen 1.) den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. August 1996, Zl. Pers 2-0-228 (hg. Zl. 97/19/1532), sowie 2.) den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20. Jänner 1997, Zl. Jv 2696-9 C-96-3 (hg. Zl. 97/19/1530), sowie II.) über die Beschwerden gegen 1.) den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. August 1996, Zl. Pers 2-0-228 (hg. Zl. 97/19/1533), sowie 2.) den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20. Jänner 1997, Zl. Jv 2696-9 C-96-3 (hg. Zl. 97/19/1531), jeweils betreffend die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden abgewiesen.

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Begründung

Der Antragsteller wurde mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. August 1996 zur Rechtsanwaltsprüfung bei diesem Gericht zugelassen. Nach nicht bestandener Prüfung beim Oberlandesgericht Wien stellte der Antragsteller den Antrag, zur Wiederholungsprüfung beim Oberlandesgericht Innsbruck zugelassen zu werden. Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20. Jänner 1997 wurde der Antragsteller zur Wiederholungsprüfung bei diesem Gericht zugelassen. Im März 1997 absolvierte der Antragsteller die Wiederholungsprüfung beim Oberlandesgericht Innsbruck mit dem Ergebnis "nicht bestanden".

Mit Schreiben vom 6. August 1997 stellte der Antragsteller an das Präsidium des Oberlandesgerichtes Linz eine Anfrage, ob "die gesamte Gerichtspraktikumszeit (volle neun Monate) gemäß § 16 GOG und § 2 RAO bereits erfüllt worden sei oder ob eventuell noch einige Tage zwecks Erfüllung dieser Voraussetzung fehlten". Das Präsidium des Oberlandesgerichtes Linz brachte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13. August 1997 zur Kenntnis, daß dieser die Gerichtspraxis

vom 1. Oktober 1986 bis 16. November 1986 beim Bezirksgericht Salzburg

vom 4. Mai 1987 bis 17. Juni 1987 beim Bezirksgericht Salzburg

vom 1. Juli 1987 bis 19. Juli 1987 beim Bezirksgericht Salzburg

vom 20. Juli 1987 bis 31. August 1987 beim Landesgericht Salzburg

vom 3. Juni 1991 bis 4. August 1991 beim Bezirksgericht Salzburg und

vom 5. August 1991 bis 30. September 1991 beim Landesgericht Salzburg

in der Gesamtdauer "8 M 28 T" abgeleistet habe.

Daraufhin wandte sich der Beschwerdeführer mit den zu hg. Zlen. 97/19/1532 und 97/19/1530 protokollierten Anträgen auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung (je) einer Beschwerde gegen die Bescheide der Präsidenten der Oberlandesgerichte Wien und Innsbruck, mit denen er zur Rechtsanwaltsprüfung zugelassen wurde, an den Verwaltungsgerichtshof und brachte vor, er habe am 18. August 1997 erstmals erfahren, daß der jeweils bekämpfte Zulassungsbescheid mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung rechtswidrig ergangen sei. Wäre ihm der Umstand, daß seine Gerichtspraxis lediglich acht Monate und 28 Tage - sohin um zwei Tage zuwenig - gedauert habe, vorher bekannt gewesen, so hätte er gegen die bekämpften Bescheide, gegen welche ein Rechtsmittel nicht zulässig sei, jedenfalls fristgerecht Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Diese "Fristversäumnis sei daher einzig und allein auf die mangelnde Kenntnis der beschriebenen mangelnden Zulassungsvoraussetzung" zurückzuführen. Die aus den genannten Gründen geschehene Fristversäumnis stelle im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Der Beschwerdeführer habe die erforderliche Sorgfalt jedenfalls walten lassen, nachdem ihm bei Antragstellung weder vom Oberlandesgericht Linz, welches die Gerichtspraxis zu bestätigen hatte, noch von den belangten Behörden mitgeteilt worden sei, daß es an dieser Zulassungsvoraussetzung mangle. Er habe bei der Prüfungsabteilung vor und nach Bescheiderlassung nochmals hinsichtlich der Erfüllung der Prozeßvoraussetzungen nachgefragt, worauf ihm geantwortet worden sei, daß die Formalvoraussetzungen erfüllt seien und er keinen Rechtsanspruch über die Zeit von neun Monaten hinaus habe. Gleichzeitig führte der Antragsteller die zu den hg. Zlen. 97/19/1531 und 1533 protokollierten Beschwerden gegen die im Spruch genannten Bescheide aus.

In einer nach Akteneinsicht erstatteten Stellungnahme brachte der Antragsteller ergänzend vor, es ergebe sich aus den Akten, daß den jeweils belangten Behörden die tatsächliche Gesamtdauer seiner Gerichtspraxis von 8 Monaten und 28 Tagen bereits vor der Erlassung der Zulassungsbescheide bekannt gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Anträge und Beschwerden wegen ihres rechtlichen, sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden und hierüber erwogen:

§ 46 Abs. 1 VwGG lautet:

"§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat, eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."

§ 26 des Rechtspraktikantengesetzes, BGBl. Nr. 644/1987, (RPG) lautet:

" § 26. Der Rechtspraktikant hat Anspruch auf eine Amtsbestätigung über die in der Gerichtspraxis zurückgelegten Zeiten. Diese Amtsbestätigung ist nur auf Antrag auszustellen."

§§ 2 Abs. 1, 7 und 8 des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes, BGBl. Nr. 556/1985, (RAPG) in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 21/1993 lauten (auszugsweise):

"§ 2. (1) Die Rechtsanwaltsprüfung kann nach Erlangung des Doktorates der Rechte, oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von drei Jahren, hievon mindestens neun Monate bei Gericht, und mindestens zwei Jahre bei einem Rechtsanwalt abgelegt werden.

§ 7. Dem Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung sind beizuschließen ...., die Zeugnisse über die praktische Verwendung des Prüfungswerbers, ....

§ 8. Gegen die Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung steht dem Prüfungswerber das Recht auf Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zu. § 5a der Rechtsanwaltsordnung ist sinngemäß anzuwenden."

§ 2 Abs. 2 der Rechtsanwaltsordnung 1945 (RAO) lautet:

"§ 2. (1) ...

(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs. 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen ..."

Gemäß § 8 RAPG ist nur gegen die bescheidmäßige Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung ein Rechtsmittel an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter zulässig, nicht jedoch gegen die bescheidmäßige Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung. Dies bedeutet, daß durch die Erlassung der angefochtenen Bescheide der Instanzenzug bereits erschöpft ist und eine gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zulässig wäre.

Nach den vorzitierten Bestimmungen des RAPG kann die Rechtsanwaltsprüfung u.a. (erst) nach praktischer Verwendung bei Gericht in der Dauer von mindestens neun Monaten abgelegt werden. Im gegenständlichen Fall kann es dahingestellt bleiben, ob die Gesamtdauer der vom Beschwerdeführer abgeleiteten Gerichtspraxis korrekt berechnet wurde oder nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in den vorliegenden Fällen vorerst mit der Frage zu befassen, ob den Anträgen auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung von Beschwerden gegen die Zulassungsbescheide Folge zu geben ist oder nicht.

Der Beschwerdeführer stützt seine Wiedereinsetzungsanträge gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerden gegen die im Spruch zitierten Bescheide darauf, daß er erst zu einem nach Ablauf der Beschwerdefrist liegenden Zeitpunkt davon erfahren habe, daß er eine der Zulassungsvoraussetzungen für die Rechtsanwaltsprüfung nicht erfülle. Diese Fristversäumnis sei einzig und allein auf die mangelnde Kenntnis des Fehlens dieser Zulassungsvoraussetzung zurückzuführen, "die vorliegende Fristversäumnis stelle ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis" im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dar.

Aus den vorliegenden Anträgen auf Wiedereinsetzung ergibt sich weiters, daß der Antragsteller sein Vertrauen auf die Richtigkeit der Zulassungsbescheide bzw. seinen Irrtum über das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen als Ereignis im Sinn des § 46 VwGG werten wollte, welches zur Fristversäumnis führte; die Kenntnis der fehlenden Zulassungsvoraussetzung stellte dann das Ende dieses Hinderungsgrundes dar. Ausschlaggebend für die Fristversäumnis wäre diesfalls, daß der Beschwerdeführer davon ausgegangen ist, daß die Zulassungsvoraussetzungen zur Rechtsanwaltsprüfung vorgelegen und die Bescheide der Präsidenten der Oberlandesgerichte Wien und Innsbruck rechtmäßig gewesen seien. Dem muß entgegengehalten werden, daß ein Vertrauen auf die tatsächliche und rechtliche Richtigkeit eines Bescheides nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein (unvorhersehbares und unabwendbares) Ereignis darstellt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 14. Februar 1966, Zl. 344/65 und vom 26. Februar 1997, Zlen. 97/12/0003 und 0004).

Ergänzend wird bemerkt, daß auch ein Verständnis der Wiedereinsetzungsanträge dahin, die Gesamtdauer der Gerichtspraxis sei vom Beschwerdeführer oder den Behörden zuerst auf Grundlage einer (unterstellten) falschen Berechnungsmethode mit einem neun Monate übersteigenden Ergebnis berechnet worden und dies stelle das Ereignis im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG dar, zu keinem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können. In diesem Fall läge das Ereignis in einem Rechtsirrtum über die richtige Art der Berechnung des Gesamtzeitraumes begründet, zumal über die Daten der Gerichtspraxis des Antragstellers Einigkeit herrscht und diese dem Antragsteller bereits 1991 (vgl. Amtsbestätigung des Präsidenten des OLG Linz vom 14. Oktober 1991) mitgeteilt worden waren. Das Vorliegen eines Rechtsirrtums wie den der rechtlich richtigen Berechnung anrechenbarer Zeiten der Gerichtspraxis ist aber ebenfalls nicht als Ereignis zu werten, das die Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bilden könnte (vgl. u.a. den hg. Beschluß vom 27. Jänner 1994, Zlen. 93/15/0238 bis 0241).

Schließlich wäre den Anträgen auch dann kein Erfolg beschieden, wollte man das "Ereignis" im Sinne des § 46 VwGG im bloßen Irrtum des Antragstellers über das Vorliegen einer Zulassungsvoraussetzung - losgelöst vom Vertrauen auf die Richtigkeit der Zulassungsbescheide sowie einer rechtlich falschen Berechnungsart - erblicken. Ein im bloßen Irrtum des Antragstellers liegendes "Ereignis" kann nur dann als "unabwendbar" gelten, wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann; "unvorhergesehen" ist es hingegen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat, und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Im vorliegenden Fall war es Sache des Antragstellers, das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen zu belegen. Es war dem Antragsteller somit zumutbar, nicht nur gemäß § 7 RAPG die Zeugnisse über die praktische Verwendung seiner Person (bei Gericht bzw. bei einem Rechtsanwalt) vorzulegen, sondern sich - vor allem bei vorliegenden Zweifeln - vor Antragstellung auf geeignete Art und Weise, z. B. durch schriftliche Anfrage wie vom 13. August 1997 an das Präsidium des OLG Linz, vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu überzeugen. Dies umsomehr, als ihm die Daten seiner praktischen Verwendung bei Gericht bereits seit 1991 bekannt waren. Bei Zugrundelegung der dem Antragsteller zumutbaren Sorgfalt und Aufmerksamkeit wäre der Irrtum des Antragstellers über das Fehlen der Zulassungsvoraussetzung vermeidbar gewesen; das - im bloßen Irrtum liegende - "Ereignis" war somit weder unabwendbar noch unvorhergesehen.

Da es somit an einem unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignis im Sinne des § 46 VwGG fehlt, war den Wiedereinsetzungsanträgen schon aus diesen Gründen der Erfolg verwehrt.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Behauptung des Beschwerdeführers glaubwürdig ist, wonach der ihm unterlaufene Rechtsirrtum für die Versäumung der Frist zur Anfechtung der Zulassungsbescheide kausal war, er also in Kenntnis der behaupteten Rechtswidrigkeit dieser Bescheide zu den Prüfungen nicht angetreten wäre, statt dessen jedoch diese Bescheide beim Verwaltungsgerichtshof angefochten hätte.

Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand waren daher gemäß § 46 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Beschwerden gegen die Bescheide des Präsidenten des OLG Wien vom 9. August 1996 bzw. des Präsidenten des OLG Innsbruck vom 20. Jänner 1997 erweisen sich daher als verspätet, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen waren.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997191530.X00

Im RIS seit

14.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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